Lebensgeschichte
Hochdruckgebiet UTINE
(getauft am 07.05.2021)
Die
erste Maiwoche des Jahres 2021 war in Mitteleuropa von Tiefdruckaktivität
geprägt. Fast überall in Deutschland gab es tagtäglich Regen oder sogar
vereinzelt Schnee. Am 7. Mai jedoch deutete sich großräumiges Absinken
maritimer Arktikluft hinter der Kaltfront von Tief GREGOR an, woraufhin das
Entstehen eines Hochdruckgebietes zum nächsten Tag prognostiziert wurde. Dieses
wurde gemäß der alphabetischen Wetterpatenliste auf den Namen UTINE getauft.
Auf
der Bodenwetterkarte vom 8. Mai, die die Wetterlage im Großraum Europa inklusive
Nordatlantik um 02 Uhr MESZ darstellt, war das Hochdruckgebiet UTINE erstmals
verzeichnet. Der höchste Luftdruck wurde im westlichen Pannonischen Becken gemessen
und die Region mit über 1020 hPa Luftdruck (auf Meereshöhe reduziert)
erstreckte sich etwa bananenförmig über den Alpenraum, Süddeutschland und den
Nordwestbalkan. Durch die geringe Luftbewegung sowie wenige Bewölkung im Hochdruckzentrum
kam es zu einer kalten Nacht; vielerorts wurde in Süddeutschland und den
Mittelgebirgen die Marke von -2°C unterschritten. In Nürnberg-Netzstall lag die
Tiefsttemperatur bei -3,7°C, auf der Zugspitze mit -13,9°C naturgemäß nochmal
deutlich niedriger. Bis zum Nachmittag kam es dann zu einer großen Erwärmung
auf Temperaturen, die fast flächendeckend über 16°C, im Rheingraben auch über
20°C, lagen. Dies ist zwar bei Hochdruckgebieten im Frühjahr, wenn die Nächte
noch lang sind, die Sonne aber schon kräftig ist, nicht unüblich, aber auch im
Vergleich zum Vortag schon eine sehr markante Erwärmung. In Oberstdorf zum
Beispiel wurde am 7. Mai noch eine Höchsttemperatur von 8,8°C gemessen, am 8.
Mai lag diese schon bei 20,2°C. Dies ist zwar ein Extrembeispiel, aber auch in
der Fläche lagen die Maxima etwa 5 bis 7 K höher als am Vortag. Grund dafür war
die Änderung der Höhenströmung von West auf Südwest und daraus bedingt die
Zufuhr warmer Luft aus Süden zwischen Hoch UTINE und Tief HUBERTUS. Schon im
Verlauf des 8. Mai zog das Hochdruckgebiet UTINE unter Vergrößerung seines
Einflussgebietes nach Osten, so dass zum Beispiel in Rumänien westlich der
Karpaten kühle Luft aus Nordwesten auf das Gebirge traf und dort die
Höchsttemperaturen – trotz ähnlicher Sonnenscheindauer wie in Süddeutschland –
verbreitet unter 15°C lagen.
Auf
der Bodenwetterkarte des 9. Mai lag das Zentrum des Hochs UTINE ziemlich genau
über letztgenannter Region, Transsylvanien, mit einem Luftdruck von rund 1025
hPa. Im Prinzip befand sich aber der gesamte Bereich zwischen Italien, der
Türkei und dem Baltikum unter Hochdruckeinfluss. Mit Ausnahme des Ostseeumfelds,
wo noch Bewölkung aus der Warmfront von Tief HUBERTUS eine Rolle spielte,
wurden hier rund 14 Stunden Sonnenschein gemessen. In Warschau wären bei einem
komplett wolkenlosen Tag rund 15,5 Stunden Sonnenschein möglich gewesen. Da
sich Hochdruckgebiete auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn bewegen, wird
auf ihrer westlichen Seite meist warme Luft nach Norden gebracht und auf ihrer
östlichen Seite kalte Luft nach Süden. Verstärkt wird dieser Prozess, wenn
Tiefdruckgebiete auf der jeweiligen Seite an das Hoch anschließen, was hier
durch die Tiefs HUBERTUS und GREGOR der Fall war. Somit wurde in
Baden-Württemberg an diesem Tag lokal der erste Hitzetag des Jahres 2021 auf
deutschem Boden erreicht, mit 31,3°C in Waghäusel-Kirrbach. Nur eine einzige Wetterstation
auf Mallorca registrierte an diesem Tag in Europa ein höheres Maximum. Demgegenüber
stehen nur 15,1°C im deutlich weiter südlich gelegenen Kiew.
Da
das Tief HUBERTUS seine Fühler im Laufe des 9. Mai weiter nach Nordosten
ausgestreckt hatte, gleichzeitig aber weiter eine meridionale, also in
Nord-Süd-Richtung verlaufende, Frontalzone über Russland von der Barentssee bis
zum Kaspischen Meer verlief, wurde das Hochdruckgebiet UTINE etwas
„zusammengedrückt“. Auf der Wetterkarte vom 10. Mai sah das so aus, dass der
Schwarzmeerraum unter Hochdruckeinfluss stand und sich nördlich davon ein
vergleichsweise enger Streifen mit hohem Bodendruck befand, der bis zum Weißen
Meer reichte. Die südliche Strömung im östlichen Mitteleuropa brachte an diesem
Tag die 30-Grad-Marke und damit die meteorologische Definition eines Heißen
Tages auch in den Osten Deutschlands und nach Österreich. In Salzburg wurden
maximal 31,0°C gemessen. Zugleich wurde fast so warme Luft auch sehr weit nach
Norden gebracht. Im Südosten von Schweden erreichte der Ort Horn in der Provinz
Östergötland eine Temperatur von 27,9°C, aber auch im Baltikum wurde, abgesehen
von Messstationen an denen der Wind direkt von der noch kühlen Ostsee wehte,
überall die 20°C überschritten. Erneut war es in weiten Teilen des von Hoch
UTINE beeinflussten Bereiches sehr sonnig: mehrere Orte im Norden von Polen
registrierten am 10. Mai sogar Sonnenscheindauern von 15 Stunden oder mehr.
Bis
02 Uhr MESZ am 11. Mai war der hohe Luftdruck über dem Schwarzen Meer einem
herannahenden Tiefdruckgebiet aus Nordosten gewichen. Hoch UTINE war dagegen
nach Norden „geflutscht“, und lag etwas unkonventionell in länglicher
Nordost-Südwest-Ausrichtung zwischen Workuta und Weißrussland. Das Baltikum war
somit weiterhin einer südlichen Anströmung unterworfen, die nun auch bis nach
Finnland reichte. Am Flughafen von Joensuu in Karelien wurde beispielsweise an
diesem 11. Mai eine Höchsttemperatur von 23,5°C gemessen, eine Differenz von über
15 Kelvin im Vergleich zu den am Vortag gemessenen 8,1°C. Über Polen,
Weißsrussland, dem Baltikum und auch südlich vom eigentlichen Hoch in Rumänien
verlief der Tag komplett wolkenlos.
Da
sich das von Russland über das Schwarze Meer ziehende Tief (welches mangels
Relevanz für das Wetter in Mitteleuropa von der Berliner Wetterkarte nicht
getauft wurde) und Hoch UTINE zusätzlich zu den jeweils intrinsischen Rotationen
noch umeinander drehten, lag letzteres auf der Bodenwetterkarte vom 12. Mai über
dem Ural inklusive erweitertem Vorland und ersteres über dem Asowschen Meer.
Diese nicht alltägliche Situation wird von Meteorologen als „High-over-Low“
bezeichnet und resultiert oft in ungewöhnlichen Temperaturverteilungen. In
diesem Fall wurden in Finnland und Nordwestrussland rekordnahe Temperaturen gemessen
(z. B. 28,1°C in Oulu, 28,6°C in Tichwin) während es in der Ukraine deutlich
kühler war, mit beispielsweise 11,9°C in Saporischschja.
In
den Folgetagen gab es über dem europäischen Russland aufgrund der meridionalen Strömungsverhältnisse
wenig Bewegung in der Wetterküche. Da wie beschrieben bereits sehr warme Luft
aus dem Mittelmeerraum in den Nordwesten Russlands vorgedrungen war, kam es
dort bei anhaltendem Sonnenschein zu einer mehrtägigen Hitzewelle. Am 13. Mai
wurde in Syktywkar eine Maximaltemperatur von 30,4°C erreicht, am 14. Mai in
Beryosovo 30,1°C. Dabei ist in diesem Kontext vielleicht beachtenswert, dass in
diesem Teil der Welt und zu dieser Jahreszeit meist Tageshöchsttemperaturen um
10°C herrschen und auch Nächte unter -10°C im Bereich des Möglichen sind. Auch
am 15. und 16. Mai blieb das Hochdruckgebiet UTINE unter leichter Abschwächung
dem östlichen Rand der Berliner Wetterkarte erhalten und beeinflusste weiter indirekt
das Wetter in Mitteleuropa, indem es durch seine Drehrichtung das
Tiefdruckgebiet KAI auf eine nördliche Zugbahn lenkte. Für die Uralregion
bedeutete diese sogenannte blockierte Wetterlage mehrere Tage mit
Höchsttemperaturen deutlich über 30°C, in der Steppe von Westkasachstan wurden
auch 35°C überschritten, was trotz des wüstenähnlichen Klimas nahe den
absoluten Monatsrekorden ist. Erst am 17. Mai hatte auch das Hochdruckzentrum
den Darstellungsbereich der Berliner Wetterkarte verlassen. Im
deutschsprachigen Raum hatte das Hochdruckgebiet UTINE also entschiedenen
Anteil an den ersten (meteorologisch definierten) Sommertagen des Jahres 2021
in einem über weite Strecken unterkühlten Mai, weiter im Nordosten brachte es
eine regelrechte Hitzewelle.