Lebensgeschichte
Hochdruckgebiet
XAVIER
(getauft
am 02.12.2020)
Ein neues Hoch, welches Einfluss auf
das Wetter bis nach Mitteleuropa nehmen sollte, bildete sich um den 02. bis 04.
Dezember über dem europäischen Teil Russlands, in einem Gebiet zwischen Wolga
und Ural. Es entstand aus der Abspaltung von einem kräftigen Sibirienhoch, welches sich im Winterhalbjahr regelmäßig
über den riesigen kontinentalen Flächen Nordasiens aufbaut.
Wetterprognosemodelle simulierten für die folgenden Tage und Wochen ein
beständiges, kräftiges und nahezu ortsfestes Hochdruckgebiet, welches sogar
Einfluss bis nach Mitteleuropa haben sollte. Folglich erhielt dieses
Drucksystem am 02. Dezember den Namen XAVIER.
Zu diesem Zeitpunkt zeigte sich das
Wetter über Russland schon winterlich, vielerorts war eine mehrere Zentimeter
mächtige Schneedecke anzutreffen. Dazu hatte sich Dauerfrost und ein leicht
trüber Wettercharakter eingestellt, bei dem tiefhängende Wolkenfelder vom Typ Stratus
und Stratocumulus kaum Chancen auf Sonne ließen.
Lediglich östlich der Wolga bis hin zum Südural und
dem europäischen Teil Kasachstans hatte Hochdruckeinfluss für wolkenarmes,
sonnenscheinreiches, aber bitterkaltes Winterwetter gesorgt, mit mäßigem bis
starkem Dauerfrost und Temperaturen von tagsüber unter -10°C, nachts unter
-15°C. Das überhaupt ein neues Hoch entstand, lag an Prozessen in der mittleren
Troposphäre. Hier hatte der Vorstoß eines Hochdruckkeils aus der
Schwarzmeerregion nordwärts nach Zentralrussland für absinkende Luftmassen,
Wolkenauflösung und letztendlich der Entstehung eines Bodenhochs geführt. Ein
Hochdruckkeil ist ein Gebiet mit positiven Temperatur- und Druckabweichungen,
typischerweise in Höhen zwischen 3-6 km Höhe.
Am Morgen des 04. Dezembers wurde
Hoch XAVIER erstmals als abgeschlossene Antizyklone in der Berliner Wetterkarte
analysiert. Sein Zentrum, wo ein Luftdruck von etwas über 1045 hPa herrschte,
befand sich im Bereich des Wolgaknicks nahe der Stadt Samara. Der Einfluss
reichte zu diesem Zeitpunkt vom Kaspischen Meer bis zum Nordrussischen
Landrücken und vom Don bis zum Südural. Er sollte
sich in den folgenden Stunden und Tagen sukzessive westwärts ausweiten und die
tiefhängenden Wolkenfelder abdrängen bzw. auflösen. So dehnte sich die
"Schönwetterzone" am 05. Dezember bis nahe der russisch-ukrainischen
Grenze, tags darauf bis ins Baltikum, nach Weißrussland und zur Westukraine
aus. Hier schien verbreitet die Sonne und die Temperaturen erreichten etwa am
05. Dezember über Westrussland meist um oder etwas unter 0°C, wie
beispielsweise in Minsk mit -0°C oder in Moskau mit -3°C. Die niedrigsten
Temperaturen gab es trotz reichlich Sonnenschein über Wolgarussland, wo am
selben Tag nur Höchstwerte von etwa -11°C in Samara und -14°C in Kazan gemessen
wurden. Nachts konnte die trocken-kalte Luftmasse unter sternenklarem Himmel
weiter auskühlen, besonders effektiv dort, wo eine Schneedecke vorhanden und
die Luftfeuchte nur sehr gering war. Dies traf auf den Bereich des
Hochdruckzentrums zu, wo etwa in Dimitrowgrad in den Frühstunden des 06.
Dezembers Temperaturen von -23,5°C gemessen wurden.
Am Morgen des Folgetages erreichte
die Antizyklone ihren Höhepunkt, bzw. ihre kräftigste Ausdehnung über Europa.
Das Zentrum mit einem Luftdruck von nahe an 1050 hPa befand sich östlich von
Moskau. In Saransk, etwa 600 km von Moskau
entfernt, wurde ein Luftdruck von 1049,5 hPa gemessen. Der Einfluss
reichte mittlerweile bis nach Finnland, dem Baltikum und nach Ostpolen. Auf
Satellitenbilder dieses Tages zeigt sich ein riesiger, wolkenfreier Bereich
über dem Osten des europäischen Kontinents. Laut Messdaten zur
Sonnenscheindauer, die leider nicht in allen Ländern erhoben werden, schien die
Sonne im rumänischen Tîrgu Mureș knapp 6 Std.,
im polnischen Białystok 7 Stunden und im estnischen Tallinn mehr als 5
Std. Mit der Ausdehnung des Hochs gelangte ein Schwall der russischen Kaltluft
bis nach Osteuropa, sodass die Höchstwerte in Weißrussland, Ukraine und
Moldawien an jenem Tag nur noch bei -2 bis -5°C lagen, im Baltikum bewegten
sich die Werte zwischen +2°C und -2°C. Über dem europäischen Teil Russlands
herrschte weiter mäßiger bis strenger Dauerfrost mit maximalen Temperaturen von
-5 bis -10°C. Polen befand sich genau im Übergangsbereich zu deutlich milderen
Luftmassen, die mit Tiefdruckgebieten aus Südeuropa nach Mitteleuropa
herantransportiert wurden. Während an der ukrainisch-polnischen Grenze in Brest
maximal -1°C verzeichnet wurden, waren es in Warschau schon +3°C und in Breslau
+7°C. Aber nicht alle Gebiete unter
Hochdruckeinfluss konnten vom trockenen und sonnigen Wetter profitieren. So
zogen über den Nordwesten Russlands, aber auch Skandinavien wiederholt
mittelhohe und hohe Wolkenfelder. Sie gehörten zur sogenannten Frontalzone,
also dem Bereich, wo in der Höhe die kalten, subpolaren auf die warmen,
subtropischen Luftmassen treffen. Diese Strömung verlief Anfang Dezember
meridional von Südeuropa über die Balkanhalbinsel und das östliche Mitteleuropa
bis nach Skandinavien und Nordwestrussland. Darin eingebettet waren
Tiefausläufer mit wärmerer Luft, die für einige Niederschläge, zwischen
Nordfinnland, der Kola-Halbinsel und Nordwestrussland sorgten. So wurden z.B.
in Archangelsk am 07. Dezember +2°C und im finnisch-lappischen Rovaniemi +3°C
gemessen - bemerkenswert, da beide Orte am Polarkreis und somit im Dezember in
der Polarnacht und völliger Dunkelheit liegen.
Bis zum Ende des ersten Monatsdrittel
verblieb die Antizyklone stationär über dem Moskauer Raum, bzw. leicht östlich
davon. Es waren jene Tage, in denen das Hoch seine größte Ausdehnung um 5000 km
erreichte. Der Kerndruck hielt sich unverändert bei knapp über 1045 hPa. Und
auch beim Wetter ergaben sich kaum Änderungen. Tagsüber schien unter
Hochdruckeinfluss über Russland verbreitet die Sonne bei weiter frostigen
Temperaturen von maximal -5°C in Minsk oder Moskau. Der Schnee lag im Bereich
des Zentrums weiterhin um oder über 10 cm hoch, am 09. Dezember etwa in Nischni
Nowgorod 10 cm, in Samara 18 cm oder in Aktöbe 11 cm, dagegen lagen im
Randbereich nur sehr spärliche Mengen von 2 cm in Moskau oder 1 cm in Minsk. Die Nächte zeigten sich verbreitet wolkenarm, über
Osteuropa gab es mäßigen Frost bis knapp -10°C, über Russland auch starken bis strengen
Frost von meist -10 bis -20°C. Stellenweise waren die Nächte infolge der
Auskühlung dunstig, Nebel konnte sich aber kaum bilden. Hierfür dürfte die
kontinentale Luft in den untersten Atmosphärenschichten einfach zu trocken
gewesen sein, als dass sich durch Sublimation von Schnee ausreichend Feuchte
angereichert hätte. In den Randbereichen von Hoch XAVIER, etwa über dem
Ostbalkan und der Schwarzmeerregion, aber auch über Fennoskandien setzten sich
dagegen die schwachen Niederschläge der Vortage fort. Dies ist insofern
interessant, als das sich daran die enorme Wirkung des Hochs zeigte.
Tiefdruckgebiete und ihre Wolken- und Niederschlagsfelder wurde der direkte Weg
nach Osten quasi versperrt und sie mussten einen weiten Umweg nördlich oder
südlich um das Hochdruckzentrum nehmen. In der Meteorologie spricht man in
diesem Zusammenhang auch von "Blockierung" bzw. einem
"blockierenden Hoch".
Für Mitteleuropa
bedeutete dies eher wechselhaftes Wetter, da gerade hier die Tiefs bzw. deren
Ausläufer am weiteren Vordringen geblockt wurden. Der Deutsche Wetterdienst
wird in seiner Monatsbilanz von einem "sehr wolkenreichen und trüben"
Dezember sprechen, bei dem "das charakteristische „Schmuddelwetter“ mal
von mäßig kalten, mal von ungewöhnlich milden Temperaturen begleitet
wurde". Schnee sollte dabei den südlichen Mittelgebirgsregionen und dem
Alpenraum vorbehalten bleiben.
Ab dem 10. Dezember schien sich das
Hoch jedoch allmählich abzuschwächen, bzw. zurückzuziehen. Während der
Schwerpunkt an jenem Morgen bei Nischni Nowgorod (Sarja
1045,6 hPa) lag, befand er sich tags darauf schon im Uralvorland zwischen Ufa
und Perm (1046,4 hPa in Kungur) und am 12. und 13.
Dezember bereits über dem Südural, bei der Stadt
Magnitogorsk (1046,7 hPa), bzw. Sterlitamak (1046,0 hPa). Auch beim Wetter
machte sich dies bemerkbar, als zu Beginn der zweiten Monatsdekade
mehrschichtige Bewölkung aus dem Südosten Europas bis in den Westen Russland
übergriff. Ursache waren Tiefdruckgebiete, die sich über Südeuropa bildeten und
mit der Höhenströmung über die Balkan-Halbinsel bis zum Schwarzen Meer und ein
Stückchen drüber hinaus vordrangen, wo sie sich schließlich auflösten. Auf Tief
YVONNE am 11. Dezember, folgte tags darauf
Tief ZÖLESTINE und drei Tage später schließlich Tief ANDIRA. Mit den Tiefs und
ihren Ausläufern wurde vorübergehend mildere Luft an den westlichen Randbereich
der Antizyklone gelenkt, sodass nach Tagen des Dauerfrosts am 11. Dezember
wieder leichte Plusgrade über dem Baltikum, Weißrussland, Ukraine und dem äußersten
Westen Russlands gemessen wurden. Vorübergehend
konnte sich noch einmal die russische Frostluft durchsetzen, ehe ab dem 14.
Dezember abermals milde Luftmassen aus Südosteuropa einsickerten. Von dieser
Entwicklung unberührt blieben weite Teile Zentral- und Wolgarusslands mit
weiter frostigen bis eisigen Temperaturen. Beispielsweise lagen die
Höchsttemperaturen in Moskau zwischen dem 10. und 14. Dezember bei -4°C bis
-7°C, nachts um -10°C. Und in Kasan, in Nähe zum Hochdruckzentrum, wurden
tagsüber meist -11°C bis -14°C gemessen, nachts hingegen bis zu -17°C. So
extrem diese Temperaturen auch erscheinen mögen, so lagen sie doch im
klimatologisch erwartbaren Bereich für Mitte Dezember in Russland.
Am 14. und 15. Dezember schaffte es
schließlich das Tief ANDIRA Hoch XAVIER endgültig ostwärts abzudrängen, als es
von der Ägäis Richtung Schwarzmeerregion zog. "Unterstützung" kam
dabei aus höheren Luftschichten, wo ein markanter Höhentrog von Südskandinavien
aus über das Baltikum rasch nach Westrussland hineinschwenkte. Ein Höhentrog
ist das Konträr zu einem Hochdruckkeil. Dabei griffen nicht nur kompaktere
Wolkenfelder, sondern auch Niederschläge in Form von Regen und Schnee auf das gesamte
Europäische Russland über. Schon in der Nacht zum 14. kam es zu ersten
Niederschlägen über dem Leningrader Raum, die in der Nacht zum 15. Dezember den
Moskauer Raum und am Folgetag bereits die Wolgaregionen und bald auch den Ural
und Westsibirien erreichten.
Die Frostluft hingegen wich nur sehr
zögerlich und hielt sich auch am 16.12. noch über weiten Teilen Zentralrusslands.
Hoch XAVIER hingegen zog sich nun mehr und mehr Richtung Kasachstan zurück. Am 15.12. befand sich sein Zentrum im Bereich der
russisch-kasachischen Grenze, wo der Luftdruck nur noch bei knapp über 1040 hPa
lag. Klar, je weiter sich die Antizyklone nach Zentralasien verlagerte, desto
mehr verlor sie auch an Einfluss auf das Wetter über dem osteuropäischen Raum. Die
letzte Analyse des Hochs erfolgte am Morgen des 16. Dezembers, als sich das
Zentrum über Zentralkasachstan befand. In den folgenden Stunden entschwand es
dem Ausschnitt der Berliner Wetterkarte, womit unsere Lebensgeschichte hier endet.