Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet AILTON
(getauft am 19.12.2019)

 

Am 19. Dezember 2019 wurde ein Tiefdruckgebiet auf der Prognosekarte der Berliner Wetterkarte für den Folgetag auf den Namen AILTON getauft. Der Wirbel bildete sich über dem westlichen Nordatlantik, angetrieben duch einen Höhentrog, ein Vorstoß kalter Luftmassen nach Süden im 500 hPa-Niveau, was einer Höhe von etwa 5,5 km entspricht.

Am 20. Dezember um 01 Uhr MEZ lag das Tiefdruckgebiet AILTON mit seinem Zentrum, in dem der Kerndruck ca. 990 hPa betrug, ungefähr 1000 km östlich von Boston. Vom Kern des Tiefs AILTON ging in südöstliche Richtung eine etwa 500 km lange Okklusionsfront aus. Bei einer Okklusion handelt es sich um eine Mischfront, die Kalt- und Warmfronteigenschaften aufweist. Bei diesem Prozess holt die schneller ziehende Kaltfront die Warmfront ein, wodurch sich eine Mischfront, also eine Okklusion, bildet. Der Okklusionspunkt, an dem die Warmfront und die Kaltfront zusammentrafen, lag wenige 100 km südlich des Tiefdruckkerns. Vom Okklusionspunkt aus verlief eine Warmfront über die Azoren. Dabei brachte sie warme Meeresluft mit sich, wodurch die Tageshöchsttemperatur in Lajes und Funchal vom Vortag um 1 K und 1,3 K auf 21,2°C sowie 23,7°C stieg. Die ca. 800 km lange Kaltfront befand sich weiter westlich über dem westlichen Nordatlantik.

In den folgenden 24 Stunden verlagerte sich der Tiefdruckwirbel AILTON weiter nach Nordosten. Zum Kern, der um 01 Uhr MEZ am 21.12. ungefähr 1000 km westlich von Brest lag, gehörten eine ca. 1300 km lange Okklusionsfront sowie eine Warm- und eine Kaltfront. Die Warmfront griff schon seit den Vormittagsstunden des Vortages mit Regenfällen auf Portugal über. In Porto und Lissabon wurden bis zum 21. Dezember um 07 Uhr MEZ Niederschlagshöhen von 27 bzw. 8 mm innerhalb von 24 Stunden gemessen. Die ca. 1500 km lange Kaltfront befand sich weiter westlich und beeinflusste das Wetter von den Azoren. Hinter der Kaltfront des Tiefs AILTON sank die Höchsttemperatur in Lajes vom Vortag um 2 K auf 19°C.

Zum nächsten Tag zog der Wirbel AILTON mit seinen Ausläufern weiter nordostwärts und erreichte damit das europäische Festland, wobei unter dem Höhentief im Gebiet des stärksten Druckfalls ein zweiter Kern entstand. Der ältere Kern AILTON I befand sich am 22. Dezember um 01 Uhr MEZ über dem Ärmelkanal. So bestimmte die zum Zentrum gehörende, etwa 1200 km lange Okklusionsfront das Wetter von Andorra, Frankreich, den Benelux-Staaten und Deutschland. Rückseitig der Okklusion floss erwärmte Subpolarluft maritimen Ursprungs nach Deutschland ein. So lagen die Höchstwerte im Süden und Westen des Landes trotz der vielen Wolken bei milden 7 bis 12°C, wobei bis 19 Uhr MEZ verbreitet auch eine 12-stündige Niederschlagsmenge von 2 bis 5 mm registriert werden konnte. In der labilen Schichtung konnten sogar leichte Regenschauer in Amsterdam entstehen. Die Schichtung ist labil, wenn die Temperaturänderung eines Luftpakets bei Vertikalbewegungen kleiner ist als die seiner Umgebungsluft. Es ist eine der wichtigsten Voraussetzungen der Schauer- und Gewitterentstehung. Am Tag der Wintersonnenwende, dem kürzesten Tag des Jahres, lag der zweite Kern des Tiefs AILTON mit seinem Zentrum, in dem der Bodendruck etwa 990 hPa betrug, über Italien und brachte starke Niederschläge mit sich. Bis 07 Uhr MEZ wurden vor allem in der Toskana 12-stündig teilweise 25 bis 40 mm registriert, in Collesalvetti und Miemo sogar 46,4 mm und 44,6 mm. Außerdem sorgte der Wirbel AILTON II auf Korsika für extreme Windböen. In Cap Sagro in einer Höhe von 111 m über dem Meeresspiegel wurde eine Spitzenböe von 216 km/h, gemessen. Am Flughafen in Bastia wurde mit 170 km/h sogar die höchste Böe der Stationsgeschichte verzeichnet.

Durch die Verstärkung eines unbenannten Hochs, das mit seinem Zentrum vor den Küsten Marokkos lag, verlagerte sich zum 23. Dezember der Wirbel AILTON mit seinen zwei Kernen weiter nach Nordosten. Das Zentrum vom Tief AILTON I befand sich um 01 Uhr MEZ über der Nordsee. Das Einflussgebiet reichte von Südnorwegen bis Deutschland. Obwohl in Hamburg im Laufe des Tages immer wieder leichter Regen fiel und es zeitweise sogar zu Regenschauern kam, konnten bis 19 Uhr MEZ insgesamt nur 0,5 mm Niederschlag innerhalb von 12 Stunden verzeichnet werden. In Kiel wurde im gleichen Zeitraum 1 mm registriert. Das ausgedehnte Frontensystem des Wirbels AILTON II, das aus einer ca. 400 km langen rücklaufenden Okklusionsfront, einer ca. 700 km langen Warmfront und einer ca. 1400 km langen Kaltfront bestand, sorgte für wolken- und niederschlagsreiches Wetter in Ost- und Südosteuropa. So fielen bis 07 Uhr MEZ bei Tiefsttemperaturen von 4 bis 7°C in Belgrad 4 mm, in Budapest 6 mm und in Wien 10 mm Regen.

Im weiteren Tagesverlauf füllte sich das Tiefdruckgebiet AILTON I vollständig auf und zum nächsten Tag blieb nur der zweite Kern des Wirbels übrig. Er verlagerte sich etwas nach Südosten und lag mit seinem Zentrum am 24. Dezember um 01 Uhr MEZ über Rumänien. Seine Okklusion verlief von Belgrad über Rumänien bis zum Schwarzen Meer. Seine Warm- und Kaltfront erstreckten sich von Moskau bis zum Okklusionspunkt, der über Südmoldawien lag, bzw. vom diesen Punkt bis zum südlichen Rand der Wetterkarte und durchquerten damit Westrussland und Osteuropa meridional. Somit brachte das Tief AILTON von Ostpolen über Serbien bis zur Westtürkei teils ergiebige Niederschläge. So gab es in Tschechien auf dem Lysá hora bis 07 Uhr MEZ 24-stündig 57,9 mm und in den westtürkischen Städten Fethiye und Muğla 78,5 mm sowie 76,4 mm Niederschlag.

Zum ersten Weihnachtstag zog das Tiefdruckgebiet AILTON mit seinen Ausläufern etwas nach Nordosten und lag mit seinem Zentrum über der Krim. Aus dem Kern, in dem der Bodendruck ca. 1005 hPa betrug, verlief nach Norden eine etwa 900 km lange Warmfront und nach Süden eine etwas kürzere Kaltfront.  Dabei fielen durch die herangeführte subtropische Meeresluft innerhalb von 24 Stunden bis um 07 Uhr MEZ in Heraklion und Adana 46 mm sowie 198 mm Regen.

Bis zum nächsten Tag änderte sich die Lage des Tiefs AILTON kaum und somit lag es auch am zweiten Weihnachstag über dem Schwarzen Meer. In Kiew sank die Temperatur bis zum frühen Morgen auf 4,5°C. Unter den dichten Regenwolken wurde es tagsüber kaum wärmer. Die Höchsttemperatur lag bei 5,3°C. In Odessa konnte kein Niederschlag registriert werden, damit stieg dort die Temperatur auf 6,5°C.

In den folgenden 24 Stunden verlagerte sich der Wirbel AILTON weiter nach Osten und lag am 27. Dezember um 01 Uhr MEZ über Georgien. Seine Warmfront verlief über das Schwarze Meer bis zur nördlichen Krim und brachte Schauerwetter mit sich nach Sotschi. Aufgrund des kühlenden Effekts des Niederschlages sank die Höchsttemperatur vom Vortag um 5,2°C auf 13,3°C. Die ca. 200 km lange Kaltfront erstreckte sich über der Nordosttürkei und brachte leichten Schneefall nach Kars und Erzurum bei einer Höchsttemperatur von 2°C sowie 1,6°C. In Erzurum wurde dabei ein Frosttag mit einer Tiefsttemperatur von -2,7°C registriert, was wohlgemerkt deutlich über dem lokalen Klimamittel für Dezember liegt. Ein Tag, an dem die niedrigste Temperatur unter 0°C liegt, wird in der Meteorologie Frosttag genannt.

Am 28. Dezember lag das Tiefdruckgebiet AILTON mit seinem Zentrum, in dem der Kerndruck etwas unter 1015 hPa lag, über dem nördlichen Raum des Schwarzen Meeres, ungefähr 100 km nordöstlich von Sewastopol. Seine Okklusionsfront verlief von der Ukraine über der Krim bis Georgien. An diesem Tag war der Wirbel AILTON nach 9 Tagen Lebensdauer zum letzten Mal als eigenes Druckgebilde auf der Berliner Wetterkarte zu erkennen.