Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet ALFRED

(getauft am 23.07.2017)

 

Am Morgen des 23.07.2017 entwickelte sich nordwestlich von Irland im Bereich maritimer Polarluft über dem Atlantik ein Tiefdruckgebiet. Dieses zog entlang der irischen Westküste zügig nach Südosten weiter und entwickelte dabei ein eigenständiges Frontensystem. Das Tief wurde daraufhin am Vormittag von den Meteorologen der Berliner Wetterkarte auf den Namen ALFRED getauft.

Bis zum Mittag war das Tief ALFRED mit einem im Zentrum auf unter 1015 hPa gesunkenem Luftdruck bis zur Westspitze der Bretagne weitergezogen, wobei es in diesem Bereich leicht zu regnen begann. Am Nachmittag des 23.07. zog der Tiefdruckwirbel weiter über das nördliche Frankreich, der Niederschlag im Bereich der Fronten verstärkte sich. So wurden bis zum Abend um 19 Uhr MEZ innerhalb eines 12-stündigen Zeitraums in der französischen Ortschaft Blois 8,4 mm Niederschlag gemessen, in Nantes 8,8 mm. Zudem sorgte die einfließende maritime Subpolarluft dafür, dass im Dauerregen im Nordwesten Frankreichs nur Tageshöchsttemperaturen von 16 bis 19°C gemessen wurden. In den darauffolgenden Stunden erstreckten sich die stärksten Niederschläge auf die Region Centre-Val de Loire, südlich von Paris. Hier regnete es mitunter sehr kräftig, beispielsweise in Tours mit 13,0 mm oder in Blois mit 18,0 mm innerhalb von 3 Stunden bis 22 Uhr MEZ.

Bis Mitternacht war das Tiefdruckgebiet ALFRED mit seinem Zentrum bis südöstlich von Paris weitergezogen, der Luftdruck war leicht auf ca. 1011 hPa gesunken. Die kurze Warmfront der Zyklone ALFRED reichte dabei bis zum Oberrhein, die Kaltfront über Zentralfrankreich und die Biskaya bis über den Atlantik. In der zweiten Nachthälfte verlagerten sich die stärksten Niederschläge mit der Zugrichtung des Tiefdruckgebiets nach Osten über die Bourgogne bis ins Grand Est. Auch im Südwesten Deutschlands begann es kräftig zu regnen. Am Morgen befand sich der Kern des Tiefs ALFRED über dem Südwesten Deutschlands, etwa auf Höhe von Karlsruhe. Der Luftdruck war dabei nochmals deutlich auf nun ca. 1007 hPa gesunken. Bis 07 Uhr MEZ waren im saarländischen Tholey seit dem Vorabend 30,8 mm Niederschlag gefallen, in Saarbrücken 22,8 mm und in Idar-Oberstein 22,0 mm. Im französischen Troyes wurden binnen 24 Stunden sogar 34,5 mm gemessen und in Blois 35,6 mm. Das Zentrum des Tiefs ALFRED zog am Vormittag des 24.07. über die Mitte Deutschlands hinweg, wobei die stärksten Niederschläge zunächst nördlich des Tiefdruckzentrums von Hessen über das westliche Nordrhein-Westfalen bis zum Süden Niedersachsens sowie am Alpenrand auftraten. Dort regnete es über mehrere Stunden hinweg fast ausschließlich über den gleichen Regionen. Ab den Mittagsstunden entwickelten sich zudem einzelne Gewitter im Bereich der westdeutschen Grenze, ebenso eine Gewitterlinie, welche über Franken hinweg zog. Am Nachmittag begann das Tief ALFRED zu okkludieren, es bildete sich also eine Okklusionsfront aus. In der Meteorologie bezeichnet eine Okklusion eine Mischfront aus Kalt- und Warmfront, die entsteht, wenn die nachfolgende und schneller ziehende Kaltfront die vorlaufende Warmfront einholt und anhebt. Der Punkt, an dem die Kalt- und Warmfront zusammenlaufen, heißt Okklusionspunkt. Entlang der Kaltfront entstanden zudem kräftige Gewitter an den Südalpen und in Norditalien. Die hinter der Kaltfront südwärts strömende erwärmte maritime Polarluft sorgte nachfolgend im Golf von Genua auch für die Ausbildung einer sogenannten Genua-Zyklone. Bis zum Abend war das Zentrum des Tiefs ALFRED bis über den Osten Deutschlands weitergezogen. Stärkere Regenfälle waren zu diesem Zeitpunkt vor allem über dem norddeutschen Tiefland anzutreffen sowie in Form starker Schauer und einzelner Gewitter über dem Südwesten. Doch auch über den Nordosten Italiens, Österreich, Slowenien und Kroatien sowie über Ungarn und die Slowakei zogen teils unwetterartige Gewitter an den Fronten des Tiefs ALFRED hinweg.

Bis 01 Uhr MEZ des 25.07. hatte sich der Tiefdruckwirbel ALFRED bis nach Südpolen verlagert, der Luftdruck war weiter auf ca. 1000 hPa gesunken. Vom Zentrum des Tiefs in Richtung Westen reichte die Okklusion bis nach Westdeutschland. In Richtung Osten verlief sie bis nach Minsk und von da rückläufig entlang der Ost- und Nordseeküste bis etwa 200 km südwestlich des Ärmelkanals. Die Kaltfront erstreckte sich vom Tiefdruckkern bis zur Adriaküste und die kurze Warmfront reichte von Kiew bis zum Schwarzen Meer. In der zweiten Nachthälfte konnte das Tief ALFRED sich kaum noch weiter nach Osten verlagern, schlug stattdessen eine eher nördliche Zugbahn ein und begann über Zentralpolen zu kreisen. Dies führte auch dazu, dass die Fronten nur noch sehr langsam zogen und die starken Niederschläge über denselben Regionen niedergingen wie schon am Abend zuvor. Besonders betroffen davon waren Österreich, Slowenien und Ungarn, aber auch die Regionen der deutschen Mittelgebirge und nördlich davon. Um 07 Uhr MEZ wurde an der Wetterstation Klagenfurt-Flughafen eine 24-stündige Niederschlagssumme von 125,8 mm gemessen, am Flughafen von Graz 63,6 mm und im ungarischen Pecs 59,7 mm. Die höchste Niederschlagssumme in Deutschland wurde am Brocken mit 121,2 mm gemessen, in Artern im Süden Sachsen-Anhalts waren 102,4 mm und im niedersächsischen Alfeld 91,0 mm Niederschlag gefallen. Diese innerhalb eines Tages im Umfeld des Harzes gefallenen Niederschlagssummen entsprechen deutlich mehr als der in dieser Region im Juli üblichen mittleren monatlichen Niederschlagssumme und sorgten daher für eine schwere Hochwasserlage, besonders im Nordharz. Am Vormittag des 25.07.2017 zog das Tiefdruckgebiet ALFRED langsam weiter in Richtung Norden, wobei sich die Okklusionsfront über Deutschland nur wenig weiter nach Süden verlagerte und es so von Mecklenburg-Vorpommern über Niedersachsen bis nach Hessen weiter sehr kräftig regnete. Entlang der Kaltfront zwischen maritimer Subpolarluft und Subtropikluft sowie einer vorgelagerten Konvergenzlinie entwickelten sich zudem erneut starke Gewitter über dem Balkan bis hin zum Schwarzen Meer. In der Meteorologie versteht man unter einer Konvergenz das horizontale Zusammenfließen von Luft in Bodennähe, welches zu einem Aufsteigen der Luft und zur Wolken- und Niederschlagsbildung führt. In den darauffolgenden Stunden verlagerte sich das Hauptniederschlagsgebiet über Deutschland nach Südwesten, zum späten Nachmittag zog jedoch über dem Nordosten schon ein neues, kräftiges Regengebiet heran. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die starken Gewitter über Osteuropa mit der Zugbahn der Kaltfront und der Konvergenz in den Bereich der westlichen Ukraine und Weißrusslands verlagert. Zum Abend erreichte der Niederschlag auch den Alpenrand, hierbei sank die Schneefallgrenze auf unter 2500 m ab. Doch auch in den Mittelgebirgen hatte die Temperatur nur Tageshöchstwerte von für Ende Juli sehr kühlen 14 bis 16°C erreicht. Zur Nacht schwächten sich die Gewitter über Osteuropa rasch ab und die Wetteraktivität entlang der Kaltfront ließ nach.

Um 01 Uhr MEZ des 26.07. befand sich das Zentrum des Tiefdruckwirbels ALFRED über dem Norden Polens zwischen den Städten Stettin und Danzig, der Kerndruck war auf ca. 997 hPa gefallen. Von dort aus reichte die Warmfront bis nördlich von Moskau, die Kaltfront über die Ukraine und den Balkan bis zur Adriaküste. Die Okklusionsfront des Tiefs ALFRED führte nach wie vor quer über Deutschland. In der zweiten Nachthälfte regnete es von der Ostseeküste bis zum Alpenrand erneut kräftig, was in den Mittelgebirgen zu einer Verschärfung der Hochwassersituation führte. Außerdem traten starke Niederschläge an der Warmfront über Weißrussland und dem Nordwesten Russlands auf. In den höheren Alpenlagen hatte es zudem die Nacht über weiter geschneit, infolge dessen am Morgen beispielsweise auf der Zugspitze eine 22 cm hohe Schneedecke gemessen wurde. Auch am Morgen des 26.07. ließ der Dauerregen nicht nach. Bis 07 Uhr MEZ wurden daher erneut unwetterartige 24-stündige Niederschlagsmengen gemeldet, wie beispielsweise auf dem Brocken, wo erneut 117,0 mm Niederschlag gefallen waren, 79,7 mm in Wernigerode oder 61,1 mm in Göttingen. Doch auch im Nordosten Deutschlands waren verbreitet mehr als 50 mm Regen gefallen. Von der Wetterstation in der weißrussischen Hauptstadt Minsk wurden infolge der Gewitter des Vortages 77,0 mm Niederschlag registriert, im rumänischen Caransebes waren es 39,8 mm. Das Tief ALFRED konnte aufgrund des sich abschwächenden unbenannten Kontinentalhochs über Russland in den Vormittagsstunden des 26.07. wieder nach Nordosten in Richtung Osteuropa weiterziehen, verlor dabei jedoch ebenfalls an Intensität. Zwar konnten sich an der Kaltfront wieder einige kräftige Gewitter ausbilden, der Niederschlag über Deutschland schwächte sich aber deutlich ab und verlagerte sich nach Osten weiter. Zudem okkludierte das Tief ALFRED auch wieder stärker. Am Abend regnete es hauptsächlich in einem Streifen vom Baltikum bis in den Osten und Südosten Deutschlands.

Zu Tagesbeginn des 27.07. wurde der Kern des Tiefdruckgebiets ALFRED über dem westlichen Baltikum auf Höhe der Ostseeküste lokalisiert. Der zentrumsnahe Luftdruck war auf über 1001 hPa angestiegen. Auf der Rückseite des Tiefdruckwirbels reichte die Okklusion über Polen und Tschechien bis zur deutsch-österreichischen Grenze, auf der Vorderseite bis nach Sankt Petersburg. Von dem dort befindlichen Okklusionspunkt reichte die Warmfront noch ein Stück weiter nach Osten, die Kaltfront nach Süden bis zum Schwarzen Meer. Entlang dieser traten auch in der Nacht noch vereinzelte Gewitter auf. In den folgenden Stunden bildete sich am Okklusionspunkt ein neues Tiefdruckzentrum aus, während sich das weiter westlich liegende abschwächte. Dies führte am 27.07. zu einer Ablösung der rückseitigen Okklusion vom restlichen Frontensystem und zum Nachlassen der Niederschläge auf der Tiefrückseite. Hingegen verstärkte sich der Regen auf der Vorderseite und im Umfeld des neuen Tiefdruckkerns. Bis 07 Uhr MEZ wurden zwar auf dem österreichischen Berg Feuerkogel 113,8 mm sowie am Mondsee 76,0 mm Niederschlag binnen eines Tages gemessen, im Süden und Osten Deutschlands waren es mit 20 bis 30 mm jedoch deutlich weniger als tags zuvor. Im russischen Lodeinoje Pole waren dagegen 71,3 mm Niederschlag gefallen und in Borovici 63,0 mm. Das westlichere Tiefdruckzentrum löste sich am Vormittag des 27.07. immer weiter auf, das über Russland weiter nach Osten ziehende intensivierte sich jedoch, sodass der Luftdruck dort auf unter 1000 hPa sank. Zum Mittag war das Tief ALFRED bis östlich des Onegasees weitergezogen, an den Fronten entstanden im weiteren Tagesverlauf aber nur noch wenige Gewitter. Die Hauptregengebiete in Form stratiformen Niederschlags befanden sich zwischen dem Weißen Meer und dem Uralgebirge.

Bis zum Tagesbeginn des 28.07. war das neue Zentrum des Tiefdruckwirbels ALFRED bis südlich der russischen Hafenstadt Archangelsk gezogen, der Luftdruck im Inneren betrug knapp 1000 hPa. Die Okklusionsfront auf der Rückseite hatte sich nun komplett vom restlichen Tief getrennt und nahezu aufgelöst. Die um das Tiefdruckzentrum neu gebildete Okklusion führte von dort etwa 300 km nach Süden und spaltete sich dort in die ebenfalls einige Hundert Kilometer nach Süden verlaufende Warmfront und die nach Südwesten reichende Kaltfront auf. Bei seiner weiteren Zugbahn nach Osten in Richtung des Urals schwächte sich das Tief ALFRED wieder mehr ab und auch die Intensität der Niederschläge an den Fronten ließ nach. Bis zum Morgen waren im Zusammenhang mit dem Tiefdruckgebiet ALFRED im Umfeld des Tiefdruckkerns zumeist nur noch 10 bis 20 mm Niederschlag innerhalb der vorangegangenen 24 Stunden gemessen worden, der höchste Wert von 43,0 mm in Holmogory war tags zuvor hauptsächlich in kürzester Zeit durch ein Gewitter zusammengekommen. Während des 28.07. zog das Tief ALFRED weiter auf das Uralgebirge zu, verlor dabei aber weiter an Energie.

In der Nacht zum 29.07. hatte das Zentrum den Ural erreicht, der Luftdruck war jedoch schon auf über 1002 hPa angestiegen. In der zweiten Nachthälfte und am Morgen des 29.07. hatte das Tief ALFRED den Ural überquert und war weiter nach Osten aus den Analysebereich der Berliner Wetterkarte heraus gezogen. Dabei waren noch einmal unter anderem in der Stadt Yaksha westlich des Urals 25,0 mm Niederschlag aufgrund von Staueffekten gefallen.

Das Tiefdruckgebiet ALFRED hatte insgesamt knapp eine Woche das Wettergeschehen vor allem in Mittel- und Osteuropa stark mitbeeinflusst. Es hatte für unwetterartigen Regen und Hochwasser besonders im Harz gesorgt, aufsummiert waren binnen 3 Tagen auf dem Brocken sogar 261 mm Niederschlag gefallen. Zudem hatte das Tief ALFRED mitten im Hochsommer für einige Zentimeter Neuschnee in den Hochlagen der Alpen gesorgt.

 


Geschrieben von: Maximilian Steinbach

Berliner Wetterkarte: 27.07.2017

Pate: Alfred Brase