Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet ANDREA

(getauft am 29.09.2020)

 

Aus der Prognosekarte der Berliner Wetterkarte vom 29.09.2020 für den 30.09.2020 12 UTC ging hervor, dass der südlich von Grönland liegende Tiefdruckkomplex das Wettergeschehen Europas in den kommenden Tagen beeinflussen werden würde. Aus diesem Grund entschieden sich die Meteorologen der Berliner Wetterkarte diese Zyklone noch am 29.09.2020 für den Folgetag auf den Namen ANDREA zu taufen. Das Tief entstand an der Vorderseite eines sich in der mittleren Troposphäre befindlichen Höhentrogs des Jetstreams. Dies ist typisch für die Bildung von Tiefdruckgebieten, da es entlang der Trogvorderseite in der Höhe oft zur Divergenz, also zum Außereinanderströmen der Luftmassen, kommt, wodurch der Atmosphärendruck sinkt.

Am 30.09.2020 um 01 Uhr MEZ, also 00 UTC, befand sich der aus zwei Kernen bestehende Tiefdruckkomplex zwischen Island und Irland. Einer der beiden Kerne, ANDREA I genannt, wurde mit einem Kerndruck von knapp 990 hPa an der Südküste Islands verortet. Eine Okklusionsfront, also eine Mischfront, die durch das Einholen einer Warmfront durch die Kaltfront entsteht und oft mit Gewittern und Niederschlag verbunden ist, verlief von dort aus nach Süden bis zum Tiefdruckkern ANDREA II, welcher nördlich von Irland lag und ebenfalls einen Luftdruck von circa 990 hPa besaß. Vom Kern von ANDREA II aus zog sich die Okklusionsfront weiter südlich entlang der irischen Westküste und anschließend nach Südwesten, wo sie sich über dem Atlantik in eine Warm- und Kaltfront aufspaltete, die beide in westliche Richtungen verliefen. Die Lage des Tiefs sorgte vor allem auf Island für starke Regenschauer und Gewitter. Beispielsweise in Setur, dort fielen um 13 Uhr MEZ 15 mm Niederschlag innerhalb einer Stunde. In Neskaupstaður, im Osten Islands, gab es insgesamt am meisten Regen: in der Nacht und in den Morgenstunden bis 07 Uhr MEZ wurden dort 12-stündige Niederschlagsmengen von knapp 77 mm registriert. Die Windböen entlang der Ostküste Islands erreichten teils Windstärke 12 auf der Beaufort-Skala, also Orkanstärke. Die höchsten Werte wurden auf dem Bergpass Vatnsskarð eystra mit einer Windgeschwindigkeit von 169 km/h aufgezeichnet.

Am Folgetag, den ersten Tag im Oktober 2020 um 01 Uhr MEZ, hatte sich der Tiefdruckkomplex weiter ausgeprägt und umfasste nun drei Kerne. ANDREA I befand sich mit einem Kerndruck von knapp 995 hPa westlich von Island. Eine Okklusionsfront verlief von dort aus bis zum sich an der Ostküste Islands befindlichem Zyklonenkern ANDREA II, welcher mit einem Bodendruck von fast 990 hPa am stärksten ausgeprägt war. Von dort aus verlief die Front weiter in südliche Richtungen entlang der Ostküste Großbritanniens, durch Kern III des Systems ANDREA östlich der englischen Stadt Grimsby und weiter südwestlich bis in die Biskaya. Der Wind hatte sich über Island zwar abgeschwächt, in der Nacht erreichten die Windböen im Norden der Insel allerdings dennoch Geschwindigkeiten bis Windstärke 10. Maximalwerte von 94 km/h wurden in Rauðinúpur um 00 Uhr MEZ erreicht. Vereinzelt kam es außerdem zu starken Regenschauern, so fielen in Setur um 13 Uhr MEZ 24 mm Niederschlag innerhalb einer Stunde. Die Okklusionsfront sorgte bis in den Nachmittag auch bei den Britischen Inseln, in Frankreich und in Belgien für teils mäßige Regenschauer und Gewitter. In Dunkerque, nahe der französisch-belgischen Grenze, wurden 6-stündige Höchstwerte von 14 mm erreicht.

Bis zum 02.10.2020 um 01 Uhr MEZ schwächte sich das Tiefdrucksystem ANDREA deutlich ab, zwei der drei Kerne hatten sich aufgelöst und der verbleibende Kern der Zyklone befand sich mit einem Bodendruck von knapp 995 hPa östlich von Edinburgh. Die Okklusionsfront verlief vom Kern aus einerseits in nördliche Richtungen an Island vorbei und weiter nach Westen bis vor die Küste Grönlands, andererseits nach Südosten über Dänemark bis nach Deutschland, wo bis 13 Uhr MEZ der maximale 6-stündige Niederschlag mit 2 mm in Brandenburg allerdings nur sehr schwach ausfiel. In Island war der Einfluss von Tief ANDREA noch deutlich größer, in Lónakvísl wurden bis 19 Uhr MEZ 43mm Niederschlag gemessen.

Bis zum nächsten Tag, dem Tag der Deutschen Einheit, verlagerte sich Tiefdruckgebiet ANDREA nach Nordwesten und befand sich nun, ähnlich wie zu Beginn ihres Entstehungsprozesses, zwischen Schottland und Island. Der Kerndruck betrug wie schon am Vortag circa 995 hPa. Die Okklusionsfront der Zyklone verlief vom Kern aus nach Norden bis zum Okklusionspunkt, also dem Punkt, an dem Warm- und Kaltfront in Bodennähe aufeinandertreffen, im Südosten Islands. Von dort aus erstreckte sich die Warmfront weiter nach Norden bis an die Ostküste Grönlands, die Kaltfront nach Südosten, wo sie in eine Warmfront überging, die parallel zur Ostküste Großbritanniens verlief. Island war weiterhin im Bereich von Regenfeldern, maximal fielen 3-stündige Niederschlagsmengen von 12 mm in Eskifjörður im Osten der Insel. Zum Vortag hatte der Wind etwas zugenommen und erreichte vereinzelt Böen der Stärke 8-9. Außerhalb von Island hatte Tief ANDREA kaum noch Einfluss auf das Wettergeschehen in Europa.

Am 04.10.2020 um 01 Uhr MEZ befand sich der Kern ANDREAs mit einem abgeschwächten Luftdruck von 1000 hPa über dem Süden Islands. Vom Okklusionspunkt im Nordosten der Insel aus, verlief die Okklusionsfront nach Südwesten, die Warmfront reichte nach Norden ins Arktische Meer, und die Kaltfront verlief südostwärts Richtung Britische Inseln, wo sie in die Warmfront der stark ausgeprägten Zyklone BRIGITTE überging, die zu diesem Zeitpunkt das Wettergeschehen Westeuropas prägte. Auf Island sorgte das sich auflösende Tief ANDREA noch für schwachen, vereinzelt mäßigen Regen, in Lónakvísl fielen innerhalb von 12 Stunden bis 19 Uhr MEZ immerhin noch 12 mm Niederschlag. Der Wind wehte nur noch schwach und erreichte vereinzelt in Böen mit Windstärke 6.

Bis zum Folgetag schwächte sich die Zyklone ANDREA merklich ab und wurde nachfolgend von einem Tiefdruckgebiet aufgenommen, welches an einer ähnlichen Position, wo sich tags zuvor noch Tief ANDREA befand, entstand. Daher war der 04.10.2020 der letzte Tag, an dem die Berliner Wetterkarte Tief ANDREA am Boden analysieren konnte.