Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet ANNELIESE

(getauft am 06.01.2016)

 

Im Laufe des 03.01.2016 bildete sich an der Südflanke des großräumigen Atlantiktiefs HELMUT bei den Britischen Inseln eine wellenförmige Deformation aus, welche sich zügig in Richtung iberische Halbinsel bewegte. Bis 01 Uhr MEZ des 04.01. hatte sich ein Wellentief ausgebildet, dessen Zentrum nördlich der Azoren lokalisiert wurde. Dieses hatte eine bis zur portugiesischen Küste reichende Warmfront und eine sich weit nach Südwesten über den Atlantik erstreckende Kaltfront ausgebildet. In der zweiten Nachthälfte zog das Wellentief rasch weiter ostwärts, so dass die Warmfront am frühen Morgen den Norden Portugals und Spaniens erreichte. Nachdem es den gesamten Tag zuvor schon geregnet und eine anschließende kurze Wetterberuhigung gegeben hatte, fiel in diesen Regionen erneut kräftiger Niederschlag. Gegen Mittag war das Wellentief bis nördlich der spanischen Hauptstadt Madrid gezogen, die Warmfront reichte bis zu den Balearen. An der Kaltfront, welche sich weit nach Westen erstreckte, intensivierten sich die Niederschläge zum Nachmittag nochmals deutlich. In einem Streifen vom Norden Portugals über die spanischen Provinzen Kastilien und León sowie Aragonien bis zu den Pyrenäen regnete es dabei lang anhaltend und kräftig, so dass bis zum Abend hohe Niederschlagsmengen gemessen werden konnten. Auf dem 1380 m hohen Penhas Douradas summierte sich der Niederschlag bis 19 Uhr MEZ innerhalb von nur 12 Stunden auf 81,0 mm, im portugiesischen Vila Real auf 40,0 mm und in der spanischen Stadt Zamora auf 36,0 mm. Auf dem 1894 m hohen Navacerrada in der Sierra de Guadarrama nordwestlich von Madrid wurden neben 19,0 mm Niederschlag zudem Orkanböen bis 120,5 km/h gemessen. Zum Abend verlagerten sich die Niederschläge entlang der Kaltfront weiter bis in die Mitte und den Süden Spaniens und Portugals und schwächten sich dabei ab.

Bis 01 Uhr MEZ des 05.01. war das Tief über das westliche Mittelmeer gezogen, wobei der Luftdruck im Zentrum auf unter 1000 hPa gefallen war. Die Kaltfront hatte sich indes weiter südwärts verlagert und führte vom Kern des Wirbels über Südspanien und die Straße von Gibraltar bis südlich der Azoren, die Warmfront reichte bis über den Süden Italiens. In den frühen Morgenstunden traf die Kaltfront auf den Nordwesten Afrikas, wobei sich die Niederschläge wieder verstärkten. Auch im Bereich der Warmfront kam es über Sizilien und der Südspitze Italiens am Morgen zu Regenfällen, welche jedoch deutlich schwächer als jene an der Kaltfront ausfielen. Rückseitig der Kaltfront floss vermehrt kalte Luft subpolaren Ursprungs zur Iberischen Halbinsel, im Vergleich zum vorherigen Morgen wurden örtlich um 7 bis 9 Grad niedrigere Temperaturen gemessen. Zudem wurden in höheren Lagen bis 07 Uhr MEZ hohe 24-stündige Niederschlagssummen gemessen. Spitzenreiter war dabei erneut der Penhas Douradas mit 83,1 mm. Doch auch im portugiesischen Viseu mit 40,0 mm oder im nordspanischen Molina de Aragon mit 41,8 mm traten Niederschlagsmengen auf, welche etwa der Hälfte des dortigen Monatsmittels entsprechen. In den marokkanischen Städten Chefchaouen und Larache kam es bis 07 Uhr MEZ im Bereich der Kaltfront zu sich 12-stündig auf 20,0 bzw. 18,0 mm summierende Niederschläge. Im Tagesverlauf zog das Tief langsam weiter ostwärts, wobei sich entlang der südostwärts ziehenden Kaltfront und in der postfrontal eingeflossenen Kaltluft viele Schauer bildeten, an der algerischen Küste sowie zwischen den Balearen, Korsika und Sardinien auch stärkere Gewitter. Zum späten Nachmittag und Abend entwickelten sich nördlich des mit einem Kerndruck von knapp unter 1000 hPa ausgebildeten Hauptzentrums des Tief, welches sich über dem südlichen Italien befand, weitere Subzentren aus, an denen sich zusätzlich einige Gewitter im Bereich der kroatischen Küste ausbilden konnten. Dabei kamen, wie beispielsweise in der Hafenstadt Mali Losinj, innerhalb kurzer Zeit bis über 35 mm Niederschlag zusammen. Weiter im Landesinneren und auch in der Hauptstadt Zagreb trat am Abend sogar über mehrere Stunden anhaltender gefrierender Regen auf. Am späten Abend zog das Tiefdruckgebiet über die Adria in Richtung Balkan, wobei der zentrumsnahe Luftdruck von knapp unter 1000 hPa erhalten blieb.

Um 01 Uhr MEZ des 06.01. befand sich der Kern des Tiefs vor der südkroatischen Küste und wurde von den Meteorologen der Berliner Wetterkarte auf den Namen ANNELIESE getauft. Von dort aus führte die Warmfront über den Südbalkan und die Ägäis bis über die Türkei. An ihr intensivierten und stauten sich besonders in der zweiten Nachthälfte die Niederschläge am Südende des Dinarischen Gebirges, so dass innerhalb von nur 12 Stunden bis 07 Uhr MEZ unwetterartige Niederschlagsmengen von 177,0 mm gemessen wurden, in den vorangegangenen 24 Stunden sogar 189,0 mm. Im mazedonischen Bergland wurden Summen von 20 bis lokal über 30 mm erreicht, in Kroatien wurde die höchste Niederschlagssumme mit 37,0 mm in Senj registriert. Das Tief ANNELIESE zog mit deutlich geringerer Zuggeschwindigkeit über das Festland der Balkanhalbinsel und begann dabei zu okkludieren, d.h. es bildete sich eine Okklusion aus. Eine Okklusion oder Okklusionsfront bezeichnet eine Mischfront aus Kalt- und Warmfront die entsteht, wenn die nachfolgende und schneller ziehende Kaltfront die Warmfront einholt. Der Punkt, an dem die Kalt- und Warmfront zusammenlaufen heißt Okklusionspunkt. Am Nachmittag und Abend regnete es an der gesamten Westküste des Balkans kräftig und länger anhaltend. Diese Regenfälle hielten auch am späten Abend weiter an, im Süden verlagerten sie sich mit den Fronten des Tiefdruckgebiets ANNELIESE langsam ostwärts. Die nach Norden reichende Okklusion schwächte sich hingegen allmählich ab, was nachlassende Niederschläge zur Folge hatte. Auf der Vorderseite des Wirbels ANNELIESE war zudem Subtropikluft aus dem Norden Afrikas nach Griechenland und in den Westen der Türkei geströmt, weshalb dort am 06.01. Tageshöchsttemperaturen von 20 bis 22°C gemessen wurden.

Bis 01 Uhr MEZ des 07.01. hatte sich das Tief ANNELIESE über den Osten Griechenlands verlagert und der zentrumsnahe Luftdruck war auf etwas über 993 hPa gefallen. Die Okklusion, welche entlang der Küste der Balkanhalbinsel aktiv gewesen war, hatte sich immer weiter abgeschwächt und wieder aufgelöst. Die Warmfront des Tiefs ANNELIESE führte über Bulgarien und das Schwarze Meer bis nach Georgien, die Kaltfront überquerte Griechenland von West nach Ost und reichte bis über den Norden Afrikas. Die Hauptniederschlagsgebiete, welche im Bereich der Kaltfront aktiv waren, waren nun bis über den Westen und die Mitte Griechenlands weitergezogen. In den folgenden Stunden schlug das Tief ANNELIESE eine deutlich nördlichere Zugbahn ein, zudem verstärkten sich die Niederschläge an den Fronten leicht. In der auf der Rückseite des Tiefs ANNELIESE südwärts strömenden Kaltluft gingen die noch vorhandenen Niederschläge über Kroatien, Serbien und dem Nordwesten Rumäniens zunehmend in Schneefall über. Zum Morgen hin konnten sich in einem Streifen vom Nordosten Griechenlands über die türkische Westküste bis nach Kreta auch einige Gewitter entwickeln. Dabei kam es lokal binnen kurzer Zeit zu hohen Niederschlagssummen und mit den Gewittern einhergehenden Sturmböen. In der türkischen Hafenstadt Çanakkale wurden bis 07 Uhr MEZ innerhalb von wenigen Stunden 19,0 mm Niederschlag gemessen und zudem traten dort Böen bis 89,0 km/h auf. Auf der griechischen Insel Naxos wurden sogar Böen bis 98,2 km/h gemessen. 24-stündig betrachtet war der meiste Niederschlag über Albanien und Mazedonien gefallen, dort wurden in der albanischen Hauptstadt Tirana beispielsweise 63,0 mm gemessen, in Kukes im Norden des Landes immerhin noch 57,0 mm. Im Norden Kroatiens und in Bosnien und Herzegowina traten Niederschlagsmengen, meist in Form von Schnee, von 20 bis 35 mm auf, wie im kroatischen Ogulin mit 35,2 mm. Dort war die Schneedecke im Vergleich zum Vortag von 20 auf 44 cm angewachsen. Während die Kaltfront mit einzelnen Gewitter und starken Niederschlägen entlang der Küste im Tagesverlauf des 07.01. zügig über die Türkei hinweg ostwärts zog, verharrte die Warmfront im Bereich der Nordküste des Schwarzen Meeres. Bis zum Abend hatte sich das Zentrum des sich leicht verstärkenden Tiefdruckkomplexes ANNELIESE über das Schwarze Meer bis über den Süden der Ukraine verlagert, der Luftdruck war dabei auf unter 990 hPa gefallen. Über der Mitte der Ukraine schneite es kräftig, weiter südlich gingen die Niederschläge in der mit der Warmfront herangeführten Warmluft in Schneeregen und Regen über.

Zum Tageswechsel auf den 08.01. hatte sich das Tief ANNELIESE kaum weiter verlagert und schwächte sich wieder leicht ab. Der tiefste Luftdruck im Kern betrug nun ca. 990 hPa. Die vom Kern wegführende Warmfront hatte sich etwas nach Norden bewegt und den Nordosten der Ukraine erreicht, von wo aus sie weiter nach Osten zum südlichen Russland reichte. Die Kaltfront war bis über den östlichen Teil des Schwarzen Meeres und den Osten der Türkei gezogen, die Verlagerungsgeschwindigkeit hatte jedoch deutlich abgenommen. In der zweiten Nachthälfte verblieb das Tief ANNELIESE quasi stationär und sowohl die Niederschlagsgebiete als auch das Tiefdrucksystem insgesamt schwächten sich weiter ab. Die höchste Niederschlagsmenge in Zusammenhang mit dem Tiefdruckkomplex war bis 07 Uhr MEZ in der südwesttürkischen Stadt Muğla mit 74,2 mm gefallen. In Mersin im Süden der Türkei wurden mit 66,4 mm ebenfalls über 50 mm Niederschlag innerhalb eines Tages gemessen. Ansonsten waren verbreitet zwischen 20 und 40 mm Regen gefallen. In der Mitte der Ukraine hingegen wurden die dort aufgetretenen 20 bis 30 mm meist als Schnee beobachtet, wobei an der Station Veselyi Podil 13 cm Neuschnee gefallen waren und in Cherkasy die Schneedecke von 9 auf 20 cm anwuchs.

Bis zum 08.01. zog das Tief ANNELIESE über die Ukraine hinweg, die Niederschläge im Bereich der Warmfront erreichten als Schnee und gefrierenden Regen den Süden Russlands, entlang der sich abschwächenden Kaltfront regnete es noch im Osten der Türkei und nordwärts bis zum Kaukasus. Dabei begannen die Fronten erneut zu okkludieren, um 01 Uhr MEZ des 09.01. hatte sich eine kurze Okklusionsfront von Nord nach Süd über die Ukraine ausgebildet. Die Warmfront reichte ca. 500 km nach Nordosten, die ebenfalls kurze Kaltfront wurde im Bereich des nordwestlichen Kaukasus ausgemacht. Der Luftdruck des über dem Nordosten der Ukraine liegenden Zentrums des Tiefs ANNELIESE war zudem auf etwa 998 hPa angestiegen. Während in der Ukraine die Schnee- und Regenfälle langsam nachließen, breiteten sich mit der weiteren Verlagerung des Tiefdruckwirbels ANNELIESE nach Norden die kräftigen Schneefälle über dem gesamten Süden Russlands bis nach Moskau und zum Ural hin aus. Lediglich im äußersten Süden entlang der Schwarzmeerküste und am Nordrand des Kaukasus trat der Niederschlag in der milderen Luft als Regen und gefrierender Regen auf. Dort summierten sich in 24 Stunden bis 07 Uhr MEZ die Niederschläge auf beispielsweise 28,0 mm in der Stadt Adler. Im Nordosten der Ukraine und im Südwesten Russlands traten regional Niederschlagsmengen von 20 bis über 30 mm auf, fast durchgängig als Schnee. Dies führte dazu, dass in der ukrainischen Stadt Romny die Schneedecke durch 29,0 mm Niederschlag von 30 auf 55 cm anwuchs, im russischen Ponyri wurden aufgrund von 33,0 mm Niederschlag sogar 30 cm Neuschnee gemessen. Das Tief ANNELIESE zog weiter nordostwärts nach Russland, wobei die Niederschläge komplett in Schnee übergingen, sich jedoch in ihrer Intensität leicht abschwächten.

Um 01 Uhr MEZ des 10.01. wurde das Zentrum des Tiefs ANNELIESE mit einem Kerndruck von etwas über 995 hPa über dem Südwesten Russlands nahe der Stadt Samara analysiert. Die Okklusion reichte vom Kern im Uhrzeigersinn bis zum westlich des Zentrums gelegenen Okklusionspunkt, von wo aus sie sich in die bis zum Ural reichende Warm- und die bis nach Kasachstan führende Kaltfront aufspaltete. Der Tiefdruckwirbel ANNELIESE begann sich zusehends abzuschwächen. Bis 07 Uhr MEZ traten nur noch im Südwesten Russlands signifikante Niederschlagsmengen auf. Die höchste 24-stündige Summe wurde in Kosmodemjansk mit 17,0 mm registriert, die höchste Neuschneemenge trat mit 15 cm in Lukojanov auf.

Im Tagesverlauf schwächte sich das Tief ANNELIESE deutlich ab, bis zum Abend war der zentrumsnahe Luftdruck auf über 1000 hPa angestiegen und der Wirbel ANNELIESE war weiter okkludiert. Bis zum Tagesbeginn des 11.01. hatte sich die Warmfront weiter nach Norden ins Westsibirische Tiefland verlagert, westlich des Urals ging sie in die nach Süden reichende Okklusion über. Die Kaltfront hatte sich indes soweit abgeschwächt, dass sie nur noch in der Höhe vorhanden war. Der Luftdruck im südwestlich des Urals liegenden Kern von Tief ANNELIESE war zu diesem Zeitpunkt auf knapp 1002 hPa angestiegen. Im Umfeld von Tief ANNELIESE traten die Schneefälle jetzt zudem nur noch in schwacher Form auf. In der Stadt Ust-Kulom wurden bis 07 Uhr MEZ nochmals 17,0 mm gemessen, ansonsten wurden verbreitet südwestlich des Urals nicht mehr als knapp über 10 mm Niederschlag gemessen. Der Wirbel ANNELIESE begann sich mit der weiteren, nach Norden gerichteten Verlagerung verstärkt aufzulösen, die Schneefälle ließen immer mehr nach und der Luftdruck im Zentrum stieg immer weiter an.

Bis 01 Uhr MEZ des 12.01. war das Zentrum des Tiefs ANNELIESE bis zum Ural weitergezogen, der zentrumsnahe Luftdruck betrug aber nur noch ca. 1007 hPa. In Ivdel auf der Ostseite des Urals wurden bis 07 Uhr nur 7,0 mm Niederschlag gemessen, deutlich weniger als noch in den Tagen zuvor, die im Zusammenhang mit dem Tief ANNELIESE aufgetreten waren. Im Verlauf des 12.01. zog das Tiefdruckgebiet in Richtung des Nordpolarmeers und löste sich in der Nacht zum 13.01. komplett auf.

Das Tief ANNELIESE war mit einer Lebensdauer von 9 Tagen äußerst langlebig und dabei von West nach Ost über den gesamten Mittelmeerraum und das Schwarze Meer bis nach Russland gezogen. Auf seiner Zugbahn hatte es dabei neben Gewittern, Sturm und hohen Regenmengen im Anfangsstadium später auch viel Neuschnee im Osten der Ukraine und im Süden von Russland gebracht.

 


Geschrieben am 25.03.2016 von Maximilian Steinbach

Berliner Wetterkarte: 07.01.2016

Pate: Anneliese Strauß