Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet
ANNELIE
(getauft am 23.02.2020)
Ein neues Tief, welches einmal das
Wetter in Mitteleuropa beeinflussen sollte, bildete sich im Laufe des 23.
Februar vor der Küste Grönlands. Den Impuls hierzu gab der Vorstoß höhenkalter Luft
aus dem arktisch-kanadischen Raum über die Labradorsee in Richtung
Nordatlantik. Ferner spielten Leewind-Prozesse hervorgerufen durch das
südgrönländische Eisschild bei der Zyklogenese, also
der Entstehung des Tiefs, eine wichtige Rolle.
Am frühen Morgen des 24.02. konnte
das Tief erstmals in der Berliner Wetterkarte analysiert werden. Es erhielt den
Namen ANNELIE und befand sich mit einem Luftdruck von knapp unter 995 hPa mit
Zentrum über der Irmingersee. Noch fehlten dem Tief
die typischen Fronten (Warm-/ Kaltfront) und erste Ausläufer waren nur schwach
ausgeprägt. Doch bereits in der Nacht zum und vor allem am 24. Februar machte
sich der Wirbel mit teils kräftigen, anhaltenden Niederschlägen über Island
bemerkbar. Die aufkommenden Schnee- und Schneeregenschauer brachten meist 2-5
l/m², punktuell auch über 10 l/m² Niederschlag in 12 Stunden. Vor allem im Raum
Reykjavík wuchs die zuvor eher spärliche Schneedecke innerhalb eines Tages auf
knapp 10 cm an. In der sich anschließenden Nacht erreichten die Ausläufer von
Tief ANNELIE vom Nordatlantik aus auch die Britischen Inseln. Im Vergleich zu
Island war die heranströmende Meereskaltluft jedoch etwas wärmer, sodass es bei
leichten Plusgraden vielfach regnete. Lediglich über Schottland schneite es
zeitweise bis in die Niederungen herab. Die Niederschlagsmengen lagen im
Bereich meist nur weniger Liter oder sogar nur zehntel Liter pro Quadratmeter
in 12 Stunden; die Station in Dublin meldete etwa 0,7 l/m², Blackpool 3 l/m².
Unterdessen hatte sich der Wirbel auf
knapp unter 985 hPa gekräftigt und war mit seinem Zentrum bis nach Island
gezogen. Ausläufer in Form einer Okklusion, also einer Mischform aus Warm- und
Kaltfront, reichten noch weiter ostwärts bis zur Norwegischen See sowie
südwärts bis zu den Britischen Inseln. Am 25.02. setzten sich die Niederschläge
über Großbritannien und Island fort, wobei die Mengen bei meist unter 5 l/m²
zwischen 06 und 18 UTC und damit moderat blieben. Das Kürzel UTC steht übrigens
für Weltzeit, die Differenz zur Mitteleuropäischen Zeit (MEZ) beträgt -1
Stunde. Gerade über dem Vereinigten Königreich gesellten sich auch einzelne
Graupel- und Schneeschauer zu den Regenfällen hinzu. Diese entstanden weniger
an der Front, die im Druck- und Temperaturfeld kaum sichtbar wurde, sondern
dahinter, mit dem Einsickern von hochreichender Kaltluft auf der Rückseite des
Tiefs. Dies zeigte sich auch an den Temperaturen, die z.B. über England und
Wales mit 6 bis 8°C deutlich unter den 12 bis 14°C des Vortages lagen. Die
Schauer und die Kaltluft erreichten in den folgenden Stunden auch Frankreich
und die Benelux-Staaten, vereinzelt waren auch Blitz und Donner dabei, wie
beispielsweise nachmittags im belgischen Koksijde.
Die Niederschlagsmengen waren mit rund 5 l/m² mit denen über den Britischen Inseln
vergleichbar. Mit den Schauern und der kühleren Luft frischte auch der Wind
auf, verbreitet kam es zu starken bis stürmischen Böen
mit Windgeschwindigkeiten bis 75 km/h. Im südenglischen Plymouth wurden sogar
Böen bis 82 km/h gemessen. Entlang der bretonischen Atlantikküste wurden
einzelne schweren Sturmböen bis hin zu orkanartigen Böen gemessen, etwa am
Point du Raz mit bis zu 122 km/h.
Nachts kam es zu zahlreichen weiteren
Schauern und Gewittern über Frankreich und Benelux. Bis zum darauffolgenden Morgen
wurden am Pariser Flughafen Charles de Gaulle 8 l/m² Niederschlag erfasst, in
Brest 5 l/m² und in Orléans 4 l/m². Noch höher fielen die Regenmengen in
Belgien und den Niederlanden aus. Zwischen 18 UTC und 06 UTC des Folgetages
fielen in Rotterdam wie auch Antwerpen 16 l/m². Nicht mehr ganz so zahlreich
waren dagegen die Schauer über den Britischen Inseln, denn hier wurden kaum
noch mehr als 2 bis 3 l/m² gemessen (Belfast 3 l/m²), vielerorts blieb es sogar
trocken. Dafür sanken die Temperaturen in der teils wolkenarmen Nacht auf -2°C
im schottischen Aberdeen, 0°C in Huddersfield und +2°C im Londoner St. James’s Park. Auch über weiten Teilen Frankreichs lagen die
Minima nur noch wenig über dem Gefrierpunkt (Paris +1°C); ähnlich verhielt es
sich in den Benelux-Staaten (Brüssel 0°C). Dazu blieb es über Nordwesteuropa
weiterhin windig, mit einzelnen starken bis stürmischen Böen
im Inland und weiteren Sturmböen entlang der britischen und französischen
Atlantikküste.
Am frühen Morgen des 26. Februar
analysierte der britische Wetterdienst, das Met Office, Tief ANNELIE mit gleich
drei Kernen im Raum Island; einer war wenig südlich der Insel, ein anderer
östlich und der dritte nordöstlich zu finden. Das klingt spektakulärer als es
war, denn das Tief war mit einem Luftdruck von wenig unter 990 hPa eher schwach
ausgeprägt. Dies zeigte sich auch am weiteren Fehlen von klassischer Warm- und
Kaltfront. Nichtsdestotrotz sollte der Einfluss des Tiefs an jenem Tag von
Island bis zu den Britischen Inseln, sowie bis vor die norwegische Küste
reichen. Indirekt hatte das Tief auch weiterhin Einfluss auf das Wetter über
Frankreich, Benelux und neu auch in Deutschland.
In Zusammenspiel mit dem
Vorgängertief ZEHRA, welches sich zu diesem Zeitpunkt über der Ostsee befand,
wurde feuchte und kühle Meeresluft nach West- und Mitteleuropa transportiert.
Die Regen-, Schneeregen- und Graupelschauer brachten bis zum Abend einige Liter
oder zehntel Liter pro Quadratmeter in 12 Stunden ein. Von Belgien über das
Rheinland und Niedersachsen bis nach Brandenburg und Sachsen kam es auch zu
größeren Regenmengen. In Köln fielen zwischen 06 und 18 UTC 7 l/m², in Lüttich
14 l/m² und im belgischen Elsenborn sogar 26 l/m². Ansonsten schwächte der Wind
über Nordwesteuropa allgemein ab. Lediglich über Island blieb es noch windiger,
wo laut Daten des amerikanischen GFS-Modells noch Windböen um 75 km/h
analysiert wurden. Bis zum Tagesende zog das Tief ohne nennenswerte
Druckänderung mit Schwerpunkt nördlich an Schottland vorbei Richtung Nordmeer.
Dabei fiel nächtens über Schottland, den Orkney- und Färöer-Inseln noch zeitweise Regen, etwa 3 l/m²
in Tórshavn und in Glasgow, während letzte Schauer über den Benelux-Staaten und
Deutschland allmählich abklangen.
Der Einfluss des Tiefs verschob sich
am 27.02. weg von West- und Nordwesteuropa, hin nach Skandinavien, genauer vor
die norwegische Küste, wohin auch das Zentrum von ANNELIE zog. Erste Regen-,
Schneeregen- und Schneefälle hatte es über dem Südwesten Norwegens bereits in
der Nacht gegeben; diese breiteten sich mit ähnlicher Intensität von meist 1-5
l/m² in 12 Stunden nun weiter entlang Norwegens Westküste nach Norden aus. In
Kristiansand wurde z.B. 1 l/m² gemessen, in Landvik
waren es gar 8 l/m². Trotz leichter Plusgrade gingen die Niederschläge meist
als Schnee nieder und auch in den tiefer gelegenen Küstenbereichen reichte es
für eine dünne Schneedecke. Nordwestlich von Kristiansand an der Station Konsmo-Høyland etwa wuchs die Schneedecke von 4 cm am
Morgen des 27.02. auf 9 cm tags darauf an. In den höher gelegenen Lagen des
Skandinavischen Gebirges, wo sich ohnehin schon eine mehrere Dutzend Zentimeter
mächtige Schneedecke auftürmte, waren die Unterschiede ebenfalls messbar, wie zum
Beispiel im Skigebiet Røldalsfjellet, auf über 1000 m
Höhe, wo sich die Schneedecke von 273 cm auf 280 cm erhöhte.
In der sich anschließenden Nacht kam
es zu weiteren Niederschlägen über Westnorwegen bis nach Dänemark. In Bergen
fielen bis zum darauffolgenden Morgen 7 l/m², in Aalborg waren es 3 l/m². Unter
zumeist dichten Regenwolken sanken die Temperaturen in Dänemark auf -2 bis
+2°C, leichte Plusgrade gab es auch entlang Norwegens südwestlicher Fjordküste
(Bergen minimal +0,4°C). Ansonsten hielt sich über dem skandinavischen Festland
unter Hochdruckeinfluss arktische Kaltluft, wogegen Tief ANNELIE nicht
anzukommen vermochte.
Unterdessen hatte die Zyklone doch
noch eine Warm- und Kaltfront ausgebildet. Die Bodenwetterkarte des 28.02. um
00 UTC zeigt eine Warmfront, die sich entlang Norwegens Westküste bis zum
Nordkap und weiter nördlich bis zur Barentssee spannte, sowie eine Kaltfront,
die vom Kern westwärts bis zu einem neuen Tief bei Island lief. Sonderlichen
Einfluss auf Temperaturen hatten die Ausläufer auch am 28.02. nicht, da sie
kaum auf das Festland übergriffen, sondern sich parallel mit der Strömung
bewegten. Zusammen mit dem Kern zogen sie nordwestwärts
entlang der Küste und sorgten weiter für leichte Schauer. Zwischen 06 und 18
UTC wurden hier und da um die 5 l/m² Niederschlag gemessen, in Stavanger waren
es beispielsweise 3 l/m², in Åfjord bei Trondheim 5
l/m², vermehrt fiel Schnee. Die Wolkenfelder des Tiefs waren auch noch weiter
im Landesinneren wahrnehmbar. Die Station Oslo-Blindern
meldete mittags um 12 UTC bei 6 Achtel Gesamtbewölkung Wolken in allen
Stockwerken, vom tiefen Stratocumulus über
mittelhohen Altocumulus und Altostratus bis hin zu
hohen Zirruswolken.
Keinen Tag später befand sich Tief
ANNELIE mit Zentrum bereits am Nordkap. Der Luftdruck im Kern war etwas
angestiegen und betrug in den Frühstunden des 29.12. nur noch wenig unter 990
hPa. Die Zyklone sollte in den folgenden Stunden und Tagen recht stationär über
Nordskandinavien mit Zentrum nördlich des Festlandes verbleiben. Hierdurch kam
es vor allem noch am 29.02. und 01.03. zu leichten Schneefällen über
Nordnorwegen und Nordschweden. Die Niederschlagsintensität war vergleichbar mit
denen der Vortage und lagen grob zwischen 0 und 5 l/m² in 12 Stunden. So fielen
beispielsweise in Tromsø am 29.02. zwischen 06 und 18
UTC 6 l/m², im schwedischen Luleå
waren es 3 l/m², in Kiruna 2 l/m². Tags darauf wurden in Karasjok
südlich des Nordkaps noch 3 l/m² gemessen, in Tromsø
nur noch 0,4 l/m². Nennenswerten Einfluss auf die Schneedecke hatten die
Niederschläge meist nicht, weil zu diesem Zeitpunkt, Ende Februar, in
Nordskandinavien ohnehin schon eine meterhohe Schneedecke anzutreffen war.
Immerhin erhöhte sich die Schneedecke in Straumsnes
bei Narvik von 94 cm am 29. Februar auf 101 cm am 01. März. Schließlich zogen
am 02.03. letzte Regen-, bzw. Schneewolken aus Skandinavien ab und der Wirbel
entfernte sich langsam nordostwärts in arktische Gewässer.
Letztmalig konnte das Tief am Morgen
des 03. März in der Berliner Wetterkarte analysiert werden, mit Zentrum
zwischen Spitzbergen und russischer Arktisinsel Nowaja Semlja
gelegen und einem Kerndruck von noch wenig unter 995 hPa. Hier, über der
Barentssee, sollte es sich in den folgenden Stunden auflösen.