Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet ANNETRAUT

(getauft am 25.05.2014)

 

Am 25.05.2014 war über Westeuropa in der mittleren Troposphäre, d.h. einer Höhe von ca. 5,5 km, ein Höhentiefkomplex mit Kaltluft bestimmend, wobei zwei Zentren, eines über England und eines über der Biskaya analysiert wurden. Dadurch wurde die über dem Nordatlantik nach Osten verlaufende Höhenströmung über die Iberische Halbinsel und von dort über die Alpen nach Skandinavien gelenkt. Im südöstlichen Bereich des Höhentroges bildete sich im Laufe des Tages im Bodenniveau ein Tiefdruckgebiet, dessen Zentrum sich über den Westalpen befand. Dieses Tief wurde noch am selben Tag in der Prognose für den nächsten Tag auf den Namen ANNETRAUT getauft.

Mit einem Kerndruck von etwa 1014 hPa lag Tief ANNETRAUT am folgenden Tag über dem nördlichen Alpenvorland. Von Frankreich und Italien über Deutschland bis nach Dänemark herrschte eine südliche bis südöstliche Höhenströmung vor, die subtropische Luftmassen aus dem Mittelmeerraum nach Norden transportierte. Im Bereich der Ostalpen sowie bis zur Eifel und südlich davon bildeten sich, auch orographisch bedingt, zahlreiche und teils intensive Schauer und Gewitter. Innerhalb von 24 Stunden wurden beispielsweise in Rheine 48 l/m², in Niederstetten 45 l/m², in Weißenburg 44 l/m² und in Weihenstephan 40 l/m² gemessen. Etwas weiter nordwestlich fielen in Hoogeveen in den Niederlanden sogar 62 l/m². Die Temperatur erreichte von Bayern bis nach Brandenburg und Niedersachsen Maxima von 22 bis 26°C. In diesen Gebieten wurden auch bis zu 14 Sonnenstunden registriert. Von Baden-Württemberg bis nach Nordrhein-Westfalen lag die Höchsttemperatur dagegen nur vereinzelt um 20°C bei maximal 3 Sonnenstunden.

Am 27.05. verlagerte sich das südliche Höhentief zu den Westalpen. Dadurch verlief die Höhenströmung nun vom Nordatlantik über Spanien, Italien, Österreich, Tschechien nach Deutschland und Südskandinavien. Das Tief ANNETRAUT konnte mit dem Zentrum und einem Kerndruck von 1006 hPa über Tschechien analysiert werden. Mit der Drehung gegen den Uhrzeigersinn befand sich nun auf der Nordseite des Wirbels ANNETRAUT die subtropische Luft und auf der Südseite die kältere Festlandsluft. Dadurch lagen große Teile Deutschlands weiterhin im Bereich kräftiger Hebung, die durch die Zyklone ANNETRAUT ausgelöst wurde und zahlreiche, teils unwetterartige Schauer und Gewitter zur Folge hatte. Der Schwerpunkt reichte vom südlichen Polen entlang der Elbe bis zum Harz. Verbreitet fielen hier 40 bis 60  l/m² innerhalb von 24 Stunden. In Meißen wurde innerhalb von nur einer Stunde 38 l/m² gemessen, was einen Erdrutsch und eine anschließende Schlammlawine zur Folge hatte. Weitere Gewitter zogen am Abend von Polen über die Neiße nach Südbrandenburg. 24-stündig registrierte Hoyerswerda 68 l/m² und Grimma 65 l/m². Auch im Berchtesgadener Land fielen die Niederschlagsmengen mit bis zu 101 l/m² in Marktschellenberg sehr ergiebig aus. Die Tageshöchsttemperaturen unterschieden sich in Deutschland mit verbreitet 16 bis 22°C kaum voneinander, wobei nur nördlich der Hebungszone die 20°C-Marke überschritten wurde. An der deutschen Ostseeküste war es mit 13 bis 15°C etwas kühler. In Warschau wurde als Tagesmaximum 26°C registriert, in Bratislava war es mit 25°C ähnlich warm. Die Tiefsttemperatur in der folgenden Nacht blieb unter den dichten Wolken in Deutschland mit 12 bis 10°C meist im zweistelligen Bereich, nur im Nordosten brachte etwas kühlere Luft Tiefstwerte bis 8°C.

Das Tiefdruckgebiet ANNETRAUT spaltete sich am 28.05. in zwei Teiltiefs auf. Das Tief ANNETRAUT I wurde mit einem Kerndruck von etwa 1010 hPa über den Niederlanden analysiert, der Wirbel ANNETRAUT II mit einem Kerndruck von etwa 1006 hPa über dem Riesengebirge. Beide Teiltiefs waren durch eine Okklusionsfront, also einer Mischfront mit Eigenschaften von Warm- und Kaltfront, miteinander verbunden. Vom Zentrum des Tiefs ANNETRAUT II verlief nordostwärts eine nur kurze Warmfront nach Polen. Die Kaltfront erstreckte sich vom Zentrum aus südostwärts über die Karpaten bis über das westliche Rumänien. Im Bereich der Okklusionsfront gab es die kräftigsten Niederschläge. Beispielsweise fielen in Harzgerode 75 l/m², in Magdeburg 58 l/m² und in Wiesenburg im Fläming 59 l/m² innerhalb von 24 Stunden. In Berlin-Dahlem wurden innerhalb von 48 Stunden 40 l/m² gemessen. Außerhalb Deutschlands gehörte Kaschau an diesem Tag zu den regenreichsten Orten mit 38 l/m². Durch die Verlagerung der Zyklone ANNETRAUT II zum Baltikum wurde auch in St. Petersburg 30 l/m² innerhalb von 24 Stunden registriert.

Die Lage der Zentren des Tiefdrucksystems ANNETRAUT wurde am 29.05. maßgeblich von den Höhentiefs bestimmt. Dem etwas schwächeren Höhentief über dem Ärmelkanal war im Bodenniveau das Tief ANNETRAUT I zugeordnet, was nur einer geringen Westverlagerung gegenüber dem Vortag entsprach. Der Wirbel ANNETRAUT II hingegen war einem kräftigen Höhentief zugeordnet, welches zum Baltikum gezogen war. Die Zyklone ANNETRAUT I hatte sich mit einem Kerndruck von etwa 1015 hPa schon deutlich abgeschwächt, war aber aufgrund der weiterhin vorhandenen Okklusionsfront, die von England bis zum Erzgebirge reichte, noch wetterwirksam. Insbesondere im östlichen Bereich der Okklusionsfront fielen nochmals zweistellige Niederschlagsmengen, z.B. in Salzburg mit 23 l/m² und in Brünn mit 11 l/m² innerhalb von 24 Stunden. In Deutschland wurden die höchsten Mengen im Bayrischen Wald mit bis zu 18 l/m² gemessen. Vom Kern ANNETRAUT II konnte bei einem Kerndruck von etwa 1006 hPa noch eine Warmfront, die vom Zentrum aus südostwärts bis nach Wolgograd verlief, und eine Kaltfront, die sich südwestwärts bis nach Ostpolen erstreckte, analysiert werden. St. Petersburg meldete erneut mit 20 l/m² eine ergiebige 24-stündige Regenmenge bei einer Höchsttemperatur von 13°C. Auch in Moskau wurden 16 l/m² registriert.

Im Laufe des Tages ging das Teiltief ANNETRAUT II in das neue Tief BÄRBEL auf und erschien am folgenden Tag nicht mehr auf der Berliner Wetterkarte. Das Teiltief ANNETRAUT I konnte sich dagegen noch einen Tag auf der Bodenwetterkarte behaupten und wurde als Tief ANNETRAUT weiter geführt. Die Okklusionsfront konnte allerdings nur noch in der Höhe analysiert werden, sodass nur noch vereinzelt etwas Regen mit sehr geringen Mengen fiel. Auch der Kerndruck war mit etwa 1019 hPa sehr schwach ausgeprägt. Da sich sowohl das zugehörige Höhentief auflöste, als auch von Norden her das Hochdruckgebiet VINKO nach Großbritannien verlagerte, löste sich das Tief ANNETRAUT noch im Laufe des 30.05. nach einer Lebensdauer von 6 Tagen auf und konnte daher nicht weiter auf der Berliner Wetterkarte analysiert werden

 

 


Geschrieben am 21.07.2014 von Matthias Treinzen

Berliner Wetterkarte: 28.05.2014

Pate: Annetraut Becker