Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet ANNETTE

(getauft am 30.05.2012)

 

Entlang einer Luftmassengrenze über Schottland entwickelte sich ein Tief, welches am 30.05.2012 in der Prognose für den Folgetag auf den Namen ANNETTE getauft wurde. Am nächsten Tag, dem 31.05.2012, befand sich der Kern um 01 Uhr MEZ über der Ostküste Schottlands. Der Druck im Kern belief sich auf rund 1015 hPa. Vom Kern ausgehend verlief eine Warmfront in südöstlicher Richtung bis in die Nähe der Stadt Augsburg. Außerdem existierte eine rund 200 km breite Kaltfront, die vom Zentrum des Tiefs aus in westliche Richtung zeigte.

Die durch das Tief ANNETTE herangeführten Luftmassen sorgten im Laufe des Tages für ein Ende der Trockenheit in Deutschland. So gab es das erste Mal seit dem 11. Mai in Berlin ergiebigen Regen. In 24 Stunden bis um 06 Uhr UTC des 01.06.2012 fielen 19 l/m² und auf dem Brocken sogar 38 l/m² im gleichen Zeitraum.

Der Kern des Wirbels ANNETTE hatte sich bis zum Folgetag über das Stettiner Haff verlagert, wobei sich der Druck auf 1010 hPa verstärkte. Vom Kern ging eine Okklusion aus, eine Mischfront mit Warm– und Kaltfronteigenschaften, die sich rund 100 km in südöstlicher Richtung bis etwa mittig zwischen Berlin und Warschau erstreckte. Dort spaltete sie sich in eine Warmfront, die weiter in südöstlicher Richtung bis an die Küste des Schwarzen Meeres bei Vylkove reichte, und in eine Kaltfront auf, die in einem südwestwärts gerichteten Bogen entlang der Alpen über Genf bis knapp südlich von Paris verlief, wo sie in die Warmfront eines nachfolgenden Tiefs überging.

Das Tief ANNETTE sorgte im Laufe des Tages auch in weiten Teilen des östlichen und nördlichen Europas für stärkere Niederschlagsereignisse. So fielen in Wilna in 24 Stunden 36 l/m² und in Helsinki über Nacht bis um 06 Uhr UTC 21 l/m². Der Kaltfrontdurchgang sorgte für eine ausgeprägte Nord-Süd-Disparität in Hinblick auf die Sonnenscheindauer in Deutschland. An den Küsten im Norden schien die Sonne zwischen 8 und 10 Stunden, wohingegen die Alpenregionen keinen Sonnenschein verzeichneten. Außerdem sorgte das Tief für die sogenannte Schafskälte, welche im Mittel am 04.06. eintritt und dieses Jahr nur um drei Tage verfrüht kam. Dabei wurden arktische Luftmassen auf der Rückseite des Tiefs über die Norwegische See nach Deutschland geführt. In Berlin Dahlem wurde zum Beispiel nur eine Höchsttemperatur von 14,9°C verzeichnet. Gut eine Woche vorher waren es noch Werte um 30°C.

Die Zyklone ANNETTE verlagerte sich nun deutlich langsamer in nordöstliche Richtung, sodass sich ihr Kern am 02.06.2012 über dem Baltikum zwischen Riga und Tallinn befand und sich weiter auf nun etwas unter 995 hPa verstärkt hatte. Das verzweigte Frontensystem bestand aus einer Warmfront, die sich vom Kern aus in nördlicher Richtung zunächst der Küstenlinie Finnlands folgend bis etwa 200 km südwestlich von Murmansk erstreckte. Südöstlich des Kerns verlief eine Okklusion, die sich zwischen Minsk und Kiew in eine Warm- und Kaltfront aufspaltete. Diese zweite Warmfront reichte in südöstlicher Richtung in etwa bis Luhansk, knapp nordwestlich des Schwarzen Meeres. Die Kaltfront beschrieb einen Bogen in westlicher Richtung über Kiew und Belgrad bis über das nördliche Luxemburg, wo sie in die Warmfront des nachfolgenden Tiefs BERGIT überging. Auch an diesem Tag wurde wieder Niederschlag registriert, so fielen in St. Petersburg in 24 Stunden 8 l/m². Einhergehend mit dem Durchgang der Front drehte dort der Wind  im Laufe des Tages von Ost auf West. Weiterhin wurde damit über Deutschland eine nördliche Strömung beobachtet, die kalte Luft arktischen Ursprungs mit sich führte.

Sich retrograd verlagernd, d.h. entgegen der eigentlichen Zugrichtung nun nach Westen ziehend, befand sich das Tiefdruckgebiet ANNETTE am 03.06.2012 nahe Stockholm. Es hatte sich abermals verstärkt und sein Kerndruck belief sich nun auf etwas unter 990 hPa. Das Frontensystem war nun wieder deutlich stärker okkludiert, das heißt, dass die schneller ziehende Kaltfront die langsamer ziehende Warmfront mehr und mehr einholt und eine Okklusion ausbildet. Die dadurch länger gewordene Okklusionsfront reichte vom Kern aus in östlicher Richtung vorbei an Helsinki, St. Petersburg und Moskau bis etwa zur russischen Stadt Saransk. Von dort reichte eine Warmfront noch einige Hundert Kilometer nach Südosten. Die Kaltfront verlief vom Okklusionspunkt über Saransk, also dem Ort, an dem sich die Okklusion wieder in eine Warm– und Kaltfront aufspaltet, zunächst nach Süden über Wolgograd und dann in westlicher Richtung bis westlich von Odessa. Im Tagesverlauf, kam es zu etlichen kleineren Schauern, die in Moskau in 24 Stunden zum Beispiel für 2 l/m² sorgten. In Berlin-Dahlem wurde an diesem Tag der Tiefstpunkt der Schafskälte erreicht mit einer Maximaltemperatur von nur 13,3°C. An den Küsten war es meist noch etwas frischer, wie in Sylt mit maximal 12,6°C.

Der Kern des Wirbels ANNETTE lag nahezu stationär über Stockholm schwächte sich bis zum 05.05.2012 leicht ab auf einen Kerndruck von ca. 1000 hPa. Das Tief war mittlerweile vollständig okkludiert und die mittlerweile wetterinaktive Front beschrieb einen engen Bogen um den Kern herum, im Süden beginnend, ehe sie in östlicher Richtung bis Zentralfinnland reichte und dort in eine weitere Okklusion überging.

Das Tief ANNETTE schwächte sich weiter ab und am 05.06.2012 betrug der Druck im Zentrum nur noch leicht unter 1005 hPa. Weiterhin blieb der ursprüngliche Kern nahezu stationär und verlagerte sich nur leicht südlich über Stockholm. Ein neu entstandener zweiter Kern lag an der norwegischen Küste nahe dem Polarkreis. Vom nördlicheren der beiden Kerne ging eine vollständig okkludierte Front in Richtung Osten aus, die sich bei Archangelsk mit einem unbenannten Tief verband. Auch wenn das Tief  mittlerweile größtenteils wetterinaktiv war, weil es sich bereits stark abgeschwächt hatte, bestimmte es maßgebend die großräumige Zirkulation in Europa und stellte somit eine sogenannte steuernde Zyklone dar. Diese transportierte auch am letzten Tag ihres Bestehens noch kalte Luft nach Deutschland und sorgte letztendlich in der Nacht zum 06.06.2012 für eine Tiefsttemperatur von 3,7°C in Berlin-Dahlem. Im Brandenburger Umland wurde vielerorts sogar Bodenfrost registriert. Diese Nacht hat damit ein großes Potential, die kälteste Nacht im meteorologischen Sommer 2012 zu werden.

Bis zum Morgen des 06.06.2012 hatte sich das Tiefdruckgebiet ANNETTE letztendlich aufgelöst, sodass es auf der Berliner Wetterkarte nicht mehr analysiert werden konnte.

 
 

Geschrieben 08.06.2012 von Patrick Ilmer

Berliner Wetterkarte : 03.06.2012

Pate: Annette Schauer