Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet
ARVENN
(getauft am
26.07.2016)
Die
Entwicklung des Wetters am Boden durch Hoch- und Tiefdruckgebiete wird von großskaligen Prozessen in höheren Atmosphärenschichten
gesteuert. Am wichtigsten ist dabei die unterste Schicht der Atmosphäre, die
sogenannte Troposphäre, welche sich vom Boden bis in ungefähr 10 km Höhe
erstreckt. So zeigt sich in der mittleren Troposphäre bei etwa 5,5 km Höhe
beispielsweise deutlich die Polarfront. Diese Front verläuft um den gesamten
Erdball und beschreibt dabei die Grenze zwischen kalter polarer Luft und warmer
subtropischer Luft. Sie verläuft allerdings nicht gerade, sondern aufgrund
dynamischer Prozesse in der Atmosphäre häufig in Wellen. Diese sogenannten
Wellenstörungen an der Polarfront gehen einher mit der Entstehung von
Tiefdruckgebieten am Boden und der Ausbildung einer Warm- und einer Kaltfront.
Solch eine Zyklogenese vollzog sich am 25. Juli 2016 über dem Nordatlantik, so dass
um 02 MESZ des Folgetages in der Bodenanalyse der Berliner Wetterkarte für das
neue Tiefdruckgebiet in der Analyse eine Taufe auf den Namen ARVENN stattfand.
Zu
diesem Zeitpunkt lag der Kern des Tiefs ARVENN circa 1200 km südwestlich von
Island mit einem tiefsten Druck von etwa 1013 hPa. Vom Kern erstreckte sich eine
Warmfront ungefähr 1500 km in Richtung Südosten. Die kurze Kaltfront zog sich
vom Kern etwa 800 km Richtung Südwesten bis zu einer Warmfront eines weiteren
schwachen Tiefs östlich von Neufundland. Außerdem wurde eine Okklusion, also
eine Front mit Kalt- und Warmfrontcharakter, Richtung Westen zu einem dritten
Tiefdruckkern nördlich von Neufundland analysiert. Durch die starken
Temperaturgegensätze an der Polarfront entsteht in der mittleren bis oberen
Troposphäre typischerweise ein Bereich mit sehr hohen Windgeschwindigkeiten von
über 180 km/h, der sogenannte Jetstream. Dieser bestimmt die Zirkulation der
mittleren Breiten von West nach Ost. Eingebettet in diese kräftige, westliche
Grundströmung zog das Tief ARVENN im Verlauf des 26. Juli rasch über den
Nordatlantik bis Großbritannien. So zogen dort schon am Vormittag erste
Wolkenfelder der aufziehenden Warmfront auf. Später setzte leichter Regen ein,
welcher sich mit Erreichen der eigentlichen Front verstärkte. So fielen
sechsstündig an der Station in Dublin bis 14 Uhr MESZ nur 0,3 l/m², später bis 02
Uhr MESZ des Folgetages dann schon 5 l/m². Am Flughafen von Belfast waren es in
letzterem Zeitraum sogar 13 l/m², auf der Isle of Man 12 l/m² und in Dundrennan 17 l/m². Die dichten Wolken verdeckten außerdem
überwiegend die Sonne. Dublin bekam nur eine halbe Stunde Sonnenschein und auf
der Isle of Man waren es knapp 2 Stunden. Etwas weiter östlich jedoch, wie
beispielsweise in London, kamen die Wolkenfelder erst später an und so wurden
hier noch über 6 Stunden Sonne registriert.
Um 02
Uhr MESZ des 27. Juni lag der Wirbel ARVENN mit unverändert etwa 1013 hPa im Kern
über Nordengland. Die Warmfront erstreckte sich Richtung Süden bis zur Biskaya
und die Kaltfront nach Südwesten bis zur Warmfront des nachfolgenden Tiefs BRIGITTE
ungefähr 500 km westlich von Irland. In der mittleren Troposphäre hatte sich
ein Höhentief zwischen Island und Norwegen etabliert, welches auf seiner
Ostseite den Polarfront-Jet nach Nordosten ausschwenken ließ. Damit wurde das
Tief ARVENN, welches mit 1013 hPa bis dato nur als Randtief zu bezeichnen war,
an diesem Tag ebenfalls nach Nordosten über die Nordsee gelenkt. Die Fronten
beeinflussten an diesem Tag den gesamten Nordseeraum. Niederschlag fiel
überwiegend als leichter Regen, welcher jedoch durch lokale Effekte teilweise
auch stärker ausfiel. Vor der bergigen, norwegischen Südwestküste
beispielsweise stauten sich die Niederschläge auf und es kamen zwischen 08 und
20 Uhr MESZ 18 l/m² in Bergen, 23 l/m² in Stavanger und sogar 69 l/m² in Eik Hove zusammen. Auch in
Amsterdam wurden immerhin 6 l/m² im selben Zeitraum zusammen. Den Nordwesten
Deutschlands streiften die Regengebiete nur leicht. In Bremerhaven fielen 0,2 l/m²
und in Hamburg 4,2 l/m². Ganz im Gegensatz dazu standen die Schauer und
Gewitter über dem Osten Deutschlands an diesem Tag. In Berlin-Buch brachte eine
Gewitterzelle zwischen 16 und 17 Uhr MESZ ganze 67,7 l/m² und in Chemnitz waren
es zwischen 14 und 15 Uhr MESZ immerhin 16 l/m². Die feuchte, instabile
Luftmasse wurde jedoch bis zum Folgetag von der heranrückenden Kaltfront des Tiefs
ARVENN weiter nach Osten gedrängt und so ließ die Gewitterneigung in
Deutschland deutlich nach.
Zum
Nachttermin des 28. Juli wurde der Wirbel ARVENN als Teil eines
Tiefdruckkomplexes über Westnorwegen analysiert. Der Kerndruck hatte sich auf
etwa 1005 hPa verstärkt. Beeinflussend war weiterhin das starke Höhentief
nördlich von Schottland, was die einzelnen Randtiefs über Mittel- und
Nordeuropa lenkte. Zum Tief ARVENN gehörte dabei eine kurze Okklusion nach
Süden bis zu Skagerrak, wo sie in die Kaltfront über Dänemark und
Nordwestdeutschland bis zum Ärmelkanal überging. Dieses Frontensystem zog bis
zum Abend über weite Teile der Ostsee und Skandinaviens. An diesem entwickelte
sich teils schauerartig verstärkter Regen, welcher mit Schwerpunkt am
Nachmittag in Köln 15,3 l/m², in Hannover 5,4 l/m² und Berlin-Dahlem 0,3 l/m² in
12 Stunden zwischen 8 und 20 Uhr MESZ brachte. Auch an der norwegischen Küste
wurden wieder Niederschlagsmengen von bis zu 29 l/m² wie in Modalen
registriert. Ansonsten brachten die Niederschlagsgebiete an der Front nur
leichten Regen von größtenteils unter 4 l/m² in zwölf Stunden. Zuletzt war
aufgrund des eher geringen Druckgradienten am Boden, der Wind recht schwach. In
Hamburg beispielsweise wurden als Spitzenböe zwischen 14 und 20 Uhr MESZ gerade
einmal 24 km/h gemessen. Noch näher an der Küste wie in Rotterdam waren es in
den 6 Stunden auch nur maximal 35 km/h und sogar an der sonst sehr windigen
Küste Südnorwegens wurden höchstens 57 km/h in Svenner,
also Windstärke 7 auf der Beaufortskala, gemessen.
Am
29. Juli begann sich das Tiefdruckgebiet ARVENN mit einem weiteren Kern
ungefähr 600 km nördlich von Schottland zu verbinden. Beide hatten zu
Tagesbeginn einen Kerndruck von etwa 1005 hPa. Von dieser Tiefdruckzone wurden
zwei nahezu parallele Fronten analysiert. Die aus Strömungssicht hintere
gehörte zum Tief ARVENN und zog sich als Okklusion in einem weiten Bogen nach
Norden, dann nach Osten über Zentralnorwegen, Schweden und die Ostsee bis
Litauen und von dort als wechselnde Warm- und Kaltfront über Polen und
Deutschland. Entlang der Küste Nordnorwegens verband die beiden Frontensysteme
zusätzlich eine kurze Warmfront. Die Zyklone ARVENN drehte sich im Verlauf des
Tages unter dem Einfluss des Höhentiefs weiter ein, sodass die Fronten über
Finnland, das Baltikum und die Ukraine zogen. Im nördlichen Ostseeraum sowie
Skandinavien brachte die Okklusion anhaltenden Regen. So fielen an der
meteorologischen Station von Tromsö 10 l/m² im
Zeitraum 08 bis 20 Uhr MESZ. Im finnischen Kittilae
waren es 28,2 l/m², in Murmansk 5 l/m² und in St. Petersburg 1 l/m² in diesem
Zeitraum. Weiter südlich in der subtropischen Luftmasse waren die Temperaturen
mit bis zu 30°C deutlich höher und es entwickelten sich mit Hilfe der Hebung an
der gealterten Front weitere Schauer und Gewitter. Zwischen 01 und 02 Uhr MESZ
führte das beispielsweise in Berlin-Tempelhof zu
8,2 l/m² und von 3 bis 4 Uhr in Trollenhagen bei
Neubrandenburg zu 24,1 l/m². Zum Nachmittag war die schnell ziehende Front
weiter nach Osteuropa gezogen und hatte in 6 Stunden bis 14 Uhr MESZ 24 l/m² in
Lebork westlich von Danzig, 28 l/m² bei Brest, 18 l/m²
in Lublin und 29 l/m² in Sighetul
Marmatiei in Rumänien gebracht. Noch später waren es
zwölfstündig in Senno nordöstlich von Minsk ganze 45
l/m².
So
war die gewittrige Kaltfront bis zum 30. Juli nach Russland vorgestoßen. Das Tief
ARVENN lag weiterhin über dem Nordmeer etwa 400 km nördlich von Schottland und
hatte gemeinsam mit dem Tief BRIGITTE einen Druck von etwa
1005 hPa. Der Großteil des Frontensystems verlief als Okklusion vom Kern in Richtung
Nordwesten und dann in einem Bogen nach Nordosten bis zur Nordspitze des
norwegischen Festlands. Von dort zog sie sich nach Südosten über das Weiße Meer,
wo sie sich schließlich in eine Warmfront und die gewittrige Kaltfront nach
Südwesten über Weißrussland bis Moldawien aufteilte. Die Warmfront verlief
dabei weiter nach Südosten über Russland etwa bis zur Stadt Perm. Weiterhin
wurde auf der Vorderseite des Höhentiefs subtropische Luft weit nach Norden
geführt, so dass die Niederschläge an dem Frontensystem des Tiefs ARVENN
schauerartig und teils gewittrig waren. In zwölf Stunden bis 20 Uhr MESZ wurden
in Uppsala 20 l/m², im finnischen Vaasa 24 l/m², in Ljuban
südöstlich von St. Petersburg 38 l/m² und in Klin bei
Moskau 16 l/m² registriert.
Die Zyklone
ARVENN setzte sich in der Folge als Bodentief durch. So gehörten am 31. Juli
zwei Kerne mit weiterhin ungefähr 1005 hPa zum Tiefdruckkomplex ARVENN. Der
erste Kern befand sich um 2 Uhr MESZ kurz vor der Küste Zentralnorwegens. Von
diesem Kern wurde eine Warmfront ungefähr 600 km nach Nordosten analysiert, wo
sie in eine Kaltfront überging. Der zweite Kern befand sich zu diesem Zeitpunkt
über Zentralschweden und besaß eine Okklusion über die Ostsee, von wo sie mit
Kaltfrontcharakter weiter über Norddeutschland bis Belgien verlief. Weiterhin
steuerte die zyklonale Luftbewegung, also im Uhrzeigersinn um das Tief ARVENN,
eine vorgelagerte Okklusion über Tschechien
beziehungsweise eine Kaltfront weiter über Frankreich und Nordspanien. Im
Nordosten über der Barentssee und südlich des Weißen Meers hatten sich neue
Tiefdruckkerne gebildet, welche die Fronten in diesem Gebiet steuerten. Die
Niederschläge des Frontensystems des Tiefdruckgebiets ARVENN waren an diesem
Tag daher über Mitteleuropa und Skandinavien konzentriert. Auf der Westflanke
des Höhentiefs herrschte eine stärkere Nordkomponente der Strömung, was dazu
führte, dass an diesem Tag polare Luft herangeführt wurde und die subtropischen
Luftmassen ersetzte. Die doppelte Front über Europa stellte damit eine recht
starke Luftmassengrenze dar. Zwischen den Höchsttemperaturen in Wien mit 32°C
und Bremen mit 19°C herrschte um 14 Uhr MESZ auf nur 700 km beispielsweise ein
Temperaturunterschied von 13°C. Örtlich war dieser sogar noch stärker. Da eine
starke Front meist auch starke Hebung produziert, waren auch die Niederschläge
an diesem Tag recht ergiebig. In Orange bei Avignon fielen zwölfstündig bis 20
Uhr MESZ 14 l/m², in Essen 12,3 l/m² und in Horsens 6
l/m². Da vor den Alpen die Luft zusätzlich gestaut wurde, registrierten
Stationen wie am Feldberg im Schwarzwald extreme Werte von 48,7 l/m² im selben
Zeitraum oder sogar 59,9 l/m² in Hermaringen-Allewind.
Nahe den Kernen des Tiefs ARVENN wurden zur selben Zeit beispielsweise im
norwegischen Nedre Vats 22
l/m² gemessen.
Auch
an den folgenden zwei Tagen lag das Tief ARVENN mit zwei Kernen und knapp unter
1005 hPa über Zentralskandinavien. Das Frontensystem war im Bereich des Kerns
okkludiert und ging über Finnland eher in eine beziehungsweise zwei parallele
Warmfronten über. Über Mitteleuropa zog die Kaltfront zügig voran und hinter
dieser floss polare Meeresluft ein. In Berlin-Dahlem sanken die
Tageshöchsttemperaturen dabei von noch 25,9°C am 31. Juli auf 21,6°C am 1. und
schließlich auf 18,0°C am 2. August. Der August 2016 begann in Deutschland
damit wenig sommerlich. In 24 Stunden zwischen 08 Uhr MESZ am 1. und 2. August
summierten sich die Niederschläge im Bereich des Tiefs ARVENN wie in Trondheim
auf 4,6 l/m². An den Fronten weiter nordöstlich wurden Werte bis 16,3 l/m² wie
im schwedischen Naimakka erreicht und durch die
starke, gewittrige Kaltfront kam es in Osteuropa zu Mengen bis 48,1 l/m² in Karlovac bei Belgrad.
Am
3. August wurde der Wirbel ARVENN ein letztes Mal über Norwegen mit einer
Okklusion vom Kern nach Osten über Nordfinnland und bis zum nördlichen
Uralgebirge analysiert. Aus Westen griff währenddessen das kräftige Tief CHRISTIANE
auf Europa über und nahm im Verlauf des Tages die Tiefdruckzone ARVENN in sich
auf. Bis zum Morgen des 4. August konnte das Tiefdruckgebiet ARVENN damit nach
knapp 9 Tagen Lebensdauer nicht mehr auf der Berliner Wetterkarte verzeichnet
werden.
Geschrieben
am 04.09.2016 von Jannick Fischer
Berliner
Wetterkarte: 31.07.2016
Pate:
Maren Arvenn Lottbrein