Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet
BELREM
(getauft
am 17.02.2021)
Der
Februar 2021 war wettertechnisch ein Monat der Kontraste. Nachdem zu Beginn
eine scharfe Luftmassengrenze den kalten Norden Deutschlands vom deutlich
milderen Süden getrennt hatte, dehnte sich die Kaltluft inklusive Dauerfrost
mit den Hochdruckgebieten GISELA und HELIDA zu Beginn der zweiten Dekade auf
das gesamte Bundesgebiet aus. In Stuttgart zum Beispiel kam es so zur ersten
mehrtägigen Dauerfrostperiode seit Januar 2019. Am Monatsende wendete sich das
Blatt, und Deutschland erlebte fast eine ganze Woche mit rekordwarmen
Temperaturen. An diesem Umschwung war das hier beschriebene Tief BELREM zwar
nicht ursächlich beteiligt, half aber dennoch kräftig mit.
Die
Berliner Wetterkarte produziert täglich mehrere Wetterkarten für
unterschiedliche Höhenschichten, geographische Ausschnitte und Zeitpunkte. Mit
den Messdaten auf Bodenniveau wird jeweils die Wetterlage über dem nordatlantisch-europäischen
Raum um 00 UTC (entspricht 01 Uhr MEZ) dargestellt, worauf auch die Namen der
Hoch- und Tiefdrucksysteme eingetragen werden. Auf der Bodenwetterkarte vom 17.
Februar 2021 war ein Tiefdruckgebiet über der kanadischen Provinz Nova Scotia
zu sehen, dessen Warm- und Kaltfront sich im Tiefdruckzentrum trafen. Aus
dieser Eigenschaft lässt sich schließen, dass das Tief sich noch in einem
frühen Entwicklungsstadium befindet; später entwickelt sich meist eine
Okklusionsfront, die Eigenschaften von sowohl Warm- als auch Kaltfronten in sich vereint. Weil schon
zu diesem Zeitpunkt eine Beeinflussung des Wetters in Zentraleuropa
prognostiziert war, wurde das Tief noch
am selbigen Tag in der Analyse auf den Namen BELREM getauft. In Teilen von Nova
Scotia führte der Durchgang des Warmsektors dazu, dass mitten in der Nacht die
Temperatur von Werten unter den Gefrierpunkt auf deutlich über +5°C anstieg,
nur um bereits vor Sonnenaufgang wieder unter dem Gefrierpunkt zu liegen, so
zum Beispiel in Caribou. Im weiteren Tagesverlauf zog das Zentrum von Tief
BELREM über den südlichen Teil der Insel Neufundland, wodurch zum Beispiel an
der Wetterstation Rocky Harbour bis 19 Uhr MEZ (14:30 Uhr Ortszeit) innerhalb
von 3 Stunden 28 mm Schnee fielen. Im Rest der Insel waren die
Niederschlagssummen im selben Zeitraum mit zwischen 3 und 6 mm deutlich
moderater.
Am
18. Februar um 00 UTC lag das Tiefdruckgebiet BELREM mit einem minimalen
Luftdruck von rund 975 hPa über dem zentralen Nordatlantik. Im Vergleich zum
Vortag war der Druck um etwa 25 hPa gesunken. Während über Westeuropa noch die
Tiefdruckgebiete ARVIN, YUKON und ZAID ihr Unwesen trieben, nahm Tief BELREM an
diesem Tag das schwächelnde, von Grönland kommende Tief XANTHOS in seine
Zirkulation auf. Die einzigen Wetterstationen an Land, die an diesem Tag direkt
von Tief BELREM beeinflusst wurden, waren jene auf den Azoren, wo allerdings
auch ein sehr deutlicher Einfluss zu spüren war: innerhalb von 24 Stunden bis
10 Uhr MEZ des Folgetages fielen auf der Insel Flores 31 mm Regen, auf Terceira 10 bis 14 mm und auf Faial 7 bis 11 mm.
Erst
am 19. Februar touchierte das Tiefdruckgebiet BELREM das europäische Festland –
und auch das nicht so ganz, denn zuerst betraf es die Insel Irland. Im Laufe
der Nacht auf diesen 19. Februar erreichte das Regengebiet der ersten von
mittlerweile zwei Okklusionsfronten die grüne Insel von Südwesten, sodass am
Observatorium Valentia 12-stündig bis 07 Uhr MEZ 30
mm Regen zusammenkamen. Die Temperatur war dabei mit 7°C bis 12°C auf der für
den Winter milden Seite. An exponierten Stellen wurden bei einer mittleren
Windgeschwindigkeit der Stärke 8 schwere Sturmböen der Stärke 10 gemessen. Auch
der Luftdruck hatte nun mit etwa 960 hPa den insgesamt tiefsten Wert erreicht.
Ab dem Morgen erreichten die Niederschläge und das Sturmfeld auch
Großbritannien; in Keswick fielen 12-stündig bis 19 Uhr MEZ 45 mm Regen, in Eskdalemuir zeitgleich 35 mm. Die insgesamt stärkste Böe im
Einflussgebiet des Tiefs BELREM an diesem Tag wurde im walisischen Capel Curig in der Stunde vor 14 Uhr MEZ registriert. Auch in
Galicien gab es am 19. Februar etwas Niederschlag von Tief BELREM, mit maximal
9,6 mm in Noia, wobei hier wie in der Bretagne der
Sturm meist ohne Regen daherkam. Generell zeichnete sich die Ankunft des Tiefs
im Südwesten Europas durch eine sehr milde Südwestlage aus: rund um Toulouse
kratzte die Sonnenscheindauer an der 10-Stunden-Marke, und in Dax wurde eine
Höchsttemperatur von 22,7°C gemessen.
Bis
zur nächsten Bodenwetterkarte von 00 UTC am 20. Februar hatte sich das
Einflussgebiet von Tief BELREM auf die Nordsee ausgedehnt und näherte sich
zudem Island. Die Kernzone mit dem tiefsten Druck hatte sich dabei etwas in die
Länge gezogen, so dass zwei mit einer Okklusionsfront verbundene Zentren
zwischen Island und den Britischen Inseln vermerkt wurden. Diese Okklusion
verlängerte sich bis über die Nordsee, von wo sich eine Warmfront über die
Benelux-Länder und Süddeutschland bis zum Tief ARVIN II über dem östlichen
Alpenraum spannte. Zudem war südlich des Tiefs an einer Trogachse das Randtief
CHRISTOPHER entstanden. Einen guten Überblick über die Wetterlage erreicht man
durch das Folgen der Linien gleichen Luftdrucks (der Isobaren) gegen den
Uhrzeigersinn um Tiefdruckgebiete oder im Uhrzeigersinn um Hochdruckgebiete.
Dabei ist diese vereinfachte Luftbewegung, fachsprachlich geostrophischer Wind
genannt, umso schneller je dichter die Isobaren aneinander liegen. Am Beispiel
dieses Tages erkennt man eine klassische Südwestströmung, bei der mehrere
Isobaren zwischen Spanien und Deutschland kein einziges Mal den Ozean berühren
– die wärmstmögliche Wetterlage zu jeder Jahreszeit. Dadurch
wurde mit 20,3°C in Müllheim/Baden ein sehr früher Tag mit einer Maximaltemperatur
über 20°C in Deutschland registriert. Im Lee des Schwarzwaldes erreichte die
Temperatur an der Station Pforzheim-Ispringen 18,2°C.
In den darauffolgenden Tagen wurden dann auch einige Februarrekorde der
Temperatur gebrochen, jedoch erst nach Abzug des Tiefs BELREM. Erneute
Niederschläge auf den Britischen Inseln und der Iberischen Halbinsel gingen an
diesem Tag zwar schon auf das Konto von Tief CHRISTOPHER, Tief BELREM sorgte
dafür auf Island je nach Höhe für Regen, Schnee oder Schneeregen. Am meisten
davon fiel mit 25,1 mm in 24 Stunden an der Wetterstation Laufbali.
Auch
auf der Bodenwetterkarte vom 21. Februar war das Tiefdruckgebiet BELREM
zweifach verzeichnet. Tief BELREM I lag mit rund 970 hPa zwischen Island und
der Südspitze Grönlands, Tief BELREM II mit rund 985 hPa am Nordosteck besagter
Vulkaninsel. Letzteres Teiltief verschwand jedoch
innerhalb weniger Stunden im Strudel von Tief CHRISTOPHER, das sich von Süden
näherte, wohingegen das hier beschriebene Tief BELREM sich nunmehr ohne römische
Ziffer der Südostküste Grönlands zuwandte. Am Vormittag wurden im Ort Kulusuk in einer Böe 100 km/h Windgeschwindigkeit gemessen,
im Nachbarort Tasiilaq wurden in den 12 Stunden vor
07 Uhr MEZ auch 18 mm Niederschlag gemessen, der bei einer Höchsttemperatur von
+3,2°C sogar teilweise als Regen fiel.
Am
22. und schlussendlich auch am 23. Februar wurde das Tiefdruckgebiet BELREM
noch auf der Berliner Wetterkarte verzeichnet, jeweils mit einer Position über
oder nahe der Südspitze Grönlands und langsam steigendem Luftdruck, der sich am
24. Februar an jener Stelle nicht mehr von dem der Umgebung abhob. Auch wenn
das Tiefdruckgebiet BELREM zum Zeitpunkt seiner größten Kraft über dem offenen
Atlantik lag, hatte es direkten Einfluss auf den westlichen Rand Europas
mittels zum Teil recht starken Niederschlags und Sturmböen sowie indirekten
Einfluss auf den markanten Wetterumschwung von deutlich zu kaltem zu
rekordwarmem Wetter in Deutschland und Umgebung Ende Februar 2021.