Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet BENNET

(getauft am 01.03.2019)


Unter dem Einfluss der Hochdruckgebiete ERIKA und FRAUKE war die letzte Februardekade des Jahres 2019 über Mitteleuropa sonnig und trocken gewesen. Mit dem Monatswechsel änderte sich jedoch das Bild: Zunächst zog über Island das Tiefdruckgebiet ZEUS auf, direkt dahinter bildete sich Tief ALEXANDER und verlagerte sich Richtung Schottland. An dessen Kaltfront sollte sich dann ein Randtief, eine sogenannte flache Welle, bilden. Aufgrund der starken horizontalen Druckunterschiede in diesem Bereich der Front sind Randtiefs oft besonders stürmisch und werden daher auch Schnellläufer genannt. In der Prognose für den 02.03. wurde demnach dieses Randtief auf den Namen BENNET getauft.

Die Bodendruckkarte der Berliner Wetterkarte wird täglich mit den Messwerten von 01 Uhr MEZ bzw. 00 Uhr der von Meteorologen bevorzugten UTC (koordinierte Weltzeit) produziert. Auf der Karte des 02.03. wurde das Tiefdruckgebiet BENNET erstmals über dem westlichen Nordatlantik, etwa 1100 km südöstlich von Neufundland, und einem noch überdurchschnittlichen Bodendruck von knapp 1020 hPa verzeichnet. Im Laufe des Tages erreichte seine Kaltfront durch die östliche Verlagerung die Azoren, wodurch bis 19 Uhr MEZ auf Flores eine zwölfstündige Niederschlagssumme von 14 mm durch Regenschauer erreicht wurde. Um 20 Uhr MEZ wurde in Horta auf Faial eine Böe der Windstärke 9 gemeldet, mit 87 km/h.

Um 00 Uhr UTC des 03.03. hatte sich der Luftdruck im Tiefzentrum bereits auf unter 1000 hPa reduziert und eine ausgeprägte Verwellung war erkennbar. Die Warmfront verlief in östlicher Richtung und ging über dem westlichen Ärmelkanal in die Kaltfront des Tiefs ALEXANDER über, während die Kaltfront des Tiefs BENNET dagegen bogenförmig über die Azoren und den Zentralatlantik verlief. Im Verlauf des Tages hielt die rasche Ostverlagerung des Tiefdruckkerns an, wodurch bereits weite Teile Westeuropas von starkem Niederschlag sowie Orkanböen beeinflusst wurden. Am nördlichsten Punkt Spaniens, dem Punta Estaca de Bares, wurde eine Böe mit einer Geschwindigkeit von 137 km/h gemessen, am Mumbles Head bei Swansea, Wales, 122 km/h, und an der Pointe du Raz in der Bretagne 130 km/h. Am Mumbles Head wurde um 19 Uhr MEZ sogar ein zehnminütiges Windmittel von 91 km/h erreicht. Daneben kam es auf der Nordseite des Tiefdruckkerns vor allem in Irland zu Landregen. Zwölfstündig bis 19 Uhr MEZ kamen am Flughafen von Cork 27 mm zusammen. In der hinter der Kaltfront eingeflossenen Polarluft kam es im Landesinneren dabei zu Schneefall, so dass am nächsten Morgen am Dubliner Militärflughafen Casement eine 2 cm hohe Schneedecke lag. Auch im nordenglischen Spadeadam lagen 6 cm Schnee.

Um 01 Uhr MEZ des 04.03. lag der Kern des Tiefdruckgebiets BENNET mit 975 hPa vor der Nordostküste Englands. Von dort aus überquerte zunächst eine Okklusionsfront, eine Verbindung aus Warm- und Kaltfront, die Nordsee, an deren Ostküste sie sich am sogenannten Okklusionspunkt in eine Warmfront, die über Dänemark nach Polen zog, sowie eine Kaltfront, die sich über den Niederlanden, Belgien und Nordfrankreich befand, aufspaltete. Eine ähnliche Struktur hatte sich auch über der Keltischen See gebildet mit einer Kaltfront, die über die Bretagne, die Biskaya und den Nordwesten der Iberischen Halbinsel zog und sich über dem Atlantik mit der Warmfront des Nachfolgetiefs CORNELIUS verband. Durch diese Frontenverteilung wurden in der Nacht zunächst hohe Niederschläge bis 20 mm 12-stündig entlang der englisch-schottischen Grenze, in Südengland, Westfrankreich und Nordwestspanien gemessen. Dabei war der Wind an der britischen Atlantikküste besonders stark: Auf der Belle-Île wurde um 05 Uhr MEZ eine Böe mit 150 km/h gemessen, was der höchstmöglichen Windstärke auf der Beaufortskala, Stärke 12, entspricht. Selbst am Pariser Flughafen Le Bourget wurde zum gleichen Zeitpunkt eine orkanartige Böe mit einer Windgeschwindigkeit von 107 km/h gemessen. Im Tagesverlauf zog das Tiefdruckgebiet wiederum rasch ostwärts und bescherte Deutschland und sämtlichen angrenzenden Ländern einen stürmischen Rosenmontag. In allen Bundesländern wurden mindestens schwere Sturmböen, was Windstärke 10 und somit mehr als 90 km/h entspricht, gemessen. Maximal wurden 143 km/h auf dem Feldberg und Brocken erreicht. Aber auch im Flachland erreichte der Wind Sturmstärke. Gemessen wurden 107 km/h in Artern (Thüringen), Schongau (Bayern) und Grünow (Brandenburg), 111 km/h in Gießen, 113 km/h am Kap Arkona und 115 km/h in Glücksburg/Ostsee. Zugleich war mit der Kaltfront Gewitteraktivität verbunden. Bereits gegen 08 Uhr MEZ kam es in Ostfriesland und Nordrhein-Westfalen zu ersten Blitzen; am Nachmittag zog hinter der Kaltfront eine zweite Kaltfront durch. Demnach gab es aufgrund des Tiefs BENNET gegen 16 Uhr MEZ Gewitter in Nordhessen und Vorpommern, gegen 17 Uhr MEZ erreichte eine Zelle Berlin. Zugleich blitzte es an der ersten Kaltfront auch in der Bucht von Danzig. In den zwölf Stunden bis 19 Uhr MEZ kamen dadurch flächendeckend etwa 2 bis 10 mm Niederschlag zusammen, vereinzelt auch bis zu 17 mm im schwedischen Ullared und 35,8 mm auf dem Grossen St. Bernhard. Vor der Kaltfront wurde in milder Subtropikluft in Wien eine Höchsttemperatur von fast 20°C erreicht, die innerhalb von zwei Stunden auf 10°C sank.

Um 01 Uhr MEZ des 05.03. war der Kern des Tiefdruckgebiets BENNET bis über die zentrale Ostsee bei Gotland weitergezogen. Nach Südosten bzw. Süden verliefen nach der Okklusionsfront eine Warmfront bis über den Donbass sowie eine Kaltfront bis Belgrad. Die zweite Kaltfront konnte zwischen Kaliningrad und Wien, sowie von St. Petersburg südostwärts eine zusätzliche Warmfront analysiert werden. Südwestlich vom Kern aus verlief eine schwache Okklusionsfront über den Süden Schwedens. Der Kerndruck belief sich weiterhin auf rund 975 hPa. In der Nacht hielt der starke Westwind an und bescherte weiten Teilen der deutschen Nord- und Ostseeküste Böen der Windstärke 8 und 9. Konvektive Prozesse im Stau des Schwarzwaldes sorgten nochmals für 12-stündig 21,7 mm Niederschlag bis 07 Uhr MEZ in Obersimonswald und im Bereich des Tiefdruckkerns kamen im Westen Estlands an der Wetterstation der Pakri-Inseln beachtliche 26,1 mm zusammen. Am Nachmittag touchierte die letztgenannte Okklusionsfront den Norden Polens, und brachte durch beständigen Regen bzw. später Schneefall 30 mm Niederschlag im Badeort Łeba. In Nexø auf Bornholm waren es 20 mm, während in Schweden, bei fehlender Feuchte in der Luftmasse, im gleichen Zeitraum nur 3 bis 5 mm fielen. Gleichzeitig wurden bei weiterhin starkem Druckgradienten südlich des Tiefdruckkerns Sturmböen gemessen, so z.B. 80 km/h im polnischen Zamość um 15 Uhr MEZ. Auf der Schneekoppe wurden um 06 Uhr MEZ 172 km/h gemessen.

Am 06.03. um 01 Uhr MEZ wurde der Wirbel BENNET auf der Berliner Wetterkarte etwa 100 km südwestlich von Archangelsk mit einem Luftdruck von rund 980 hPa verortet. Vom Kern ausgehend erstreckte sich die Warmfront westlich des Urals und die aus der Okklusion entstandene Kaltfront in südwestlicher Richtung bis Warschau. Dazwischen hatte sich wiederum aus den ursprünglichen beiden Kaltfronten eine Okklusion gebildet, die in einem Bogen von Nischni Nowgorod nach Bulgarien verlief. Da sich das Tiefdruckgebiet mittlerweile ziemlich weit nördlich in Russland befand, war neben Niederschlag und Wind auch der Transport von vergleichsweise warmer Luft eingetreten. Beispielsweise erhöhte sich die Lufttemperatur in Perm in 30 Stunden zwischen 04 Uhr MEZ am 05.03. und 10 Uhr MEZ am 06.03. von -21,6°C auf +1,6°C. Demensprechend schmolz die dortige Schneedecke am 06.03. von 75 auf 67 cm. Nochmal 30 Stunden später, um 16 Uhr MEZ am 07.03., war die Temperatur wieder auf jahreszeitentypischere -6,9°C gesunken.

Auch am 07.03. war das Tiefdruckgebiet BENNET noch auf der Berliner Wetterkarte verzeichnet, und zog, bei einem auf etwa 985 hPa abgeschwächten Kerndruck, ins sibirische Surgut. Am 08.03. wurde das Tiefdruckgebiet BENNET letztmalig analysiert und befand sich mit knapp 990 hPa östlich des Obdeltas. Insgesamt war es ein langlebiges Tiefdruckgebiet, das den ersten Höhepunkt einer bemerkenswerten Sturmserie Anfang März 2019 in Deutschland darstellte.