Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet BEN
(getauft am 13.05.2017)
Zu Beginn der zweiten Maidekade
befand sich vor der kanadischen Ostküste in mittleren Troposphärenschichten ein
sogenannter Kaltlufttropfen, also ein abgeschlossenes Tiefdruckgebiet in der
Höhe, angefüllt mir polarer Kaltluft. Dynamische Prozesse sorgten am 11. und
12. Mai dafür, dass sich der niedrige Luftdruck bis ins Bodenniveau fortführte
und auf diese Weise ein neues Tief entstand. Nach Prognose verschiedener
Wettermodelle sollte die Zyklone unter Kräftigung in den folgenden Tagen über
den Atlantik in Richtung Europa ziehen und das mitteleuropäische Wetter
beeinflussen.
Aus diesem Grund wurde die bis dato
namenlose Zyklone am Morgen des 13. Mai in der Prognose auf den Namen BEN
getauft. Um 00 Uhr UTC, was 02 Uhr MESZ entspricht, befand sich das Zentrum ca.
1000 km südlich von Neufundland und wies einen Luftdruck von knapp unter 995
hPa auf. Ausläufer des Wirbels spannten sich als Warmfront vom Zentrum aus
ostwärts bis über das Seegebiet der Azoren, sowie in Form der Kaltfront
südwestwärts bis zur Saragossasee, also dem subtropischen Westatlantik.
In den folgenden 48 Stunden wurde die
Zyklone mit der Höhenströmung ostwärts und nördlich an den Azoren vorbei bis über
das Seegebiet westlich der Britischen Inseln transportiert. Dabei überquerten
am 14. Mai Ausläufer des Tiefs mit schauerartigem Regen die Inselgruppe der
Azoren, wobei 12-stündige Regenmengen von bis zu 22 l/m² registriert wurden.
In der Nacht zum 15. Mai erreichten
die Ausläufer von Westen her bereits die Britischen Inseln. Vor allem über
Irland regnete es länger anhaltend und teils kräftiger, wobei etwa in Cork in
einem Zeitraum von 18 bis 06 Uhr UTC des Folgetages 12 l/m² Regen fielen. Während
der Tiefdruckkern am 15. Mai westlich von Irland in Richtung Island zog,
setzten sich die Regenfälle über den Britischen Inseln fort und breiteten sich weiter
aus. Schwerpunkt war die Region zwischen Südschottland, Nordengland und Wales,
wobei im nordwalisischen Capel Curig tagsüber mit 34
l/m² die höchste Menge registriert wurde, in Glasgow waren es noch 17 l/m².
Gleichzeitig frischte der Wind über Großbritannien mit starken bis stürmischen
Böen auf, an den Küsten und in exponierten Berglagen auch darüber. Rund um die
Irische See wurde verbreitet Windstärke 8 nach Beaufort gemessen, wie
beispielsweise in Dublin.
Die Niederschläge fielen dabei im
Zusammenhang mit der Warmfront, die die Britischen Inseln und die Nordsee im
Tagesverlauf ostwärts überquerte und zum Abend schon das südliche Norwegen,
Dänemark und Schleswig-Holstein erreichte. Hier regnete es in der sich
anschließenden Nacht mit durchschnittlich 2 bis 5 l/m² innerhalb von 12
Stunden. Die Kaltfront verblieb zunächst noch westlich der Britischen Inseln.
In den Frühstunden des 16.05. befand
sich das Zentrum von Tief BEN bereits knapp südlich von Island, mit einem
Kerndruck von etwas unter 990 hPa. Ohne nennenswerte Druck- und Ortsänderung
entwickelte sich die Zyklone in den folgenden Stunden zum steuernden Tief über
dem atlantisch-europäischen Raum, wobei der vorher noch eigenständige Wirbel
ALEXANDER in die Zirkulation mit einbezogen wurde. Die Auswirkungen auf das Wettergeschehen
waren vielfältig.
Zum einen zogen die Ausläufer des
Tiefs mit weiterem Regen und unter Wellenbildung über die Britischen Inseln
bzw. Südskandinavien ostwärts voran. Gleichzeitig begann das Tief zu
okkludieren, es schlossen sich also Warm- und Kaltfront vom Zentrum ausgehend
zusammen. Beide Prozesse führten zu einer Intensivierung der Niederschläge auf
durchschnittlich 5 bis 10 l/m² Regen in 12 Stunden. Zum anderen ließ der
anfangs noch stürmische Wind über den Britischen Inseln allmählich nach, da sich
das Hauptwindfeld der Zyklone mehr und mehr auf das Nordmeer ausbreitete. Dazu
lenkte der Wirbel an seiner Ostflanke einen Schwall subtropischer
Mittelmeerluft von Süden aus über Frankreich bis zu den Benelux-Staaten und
Westdeutschland. Sommerliche Temperaturen von beispielsweise 28°C in Paris,
27°C in Antwerpen und Köln oder 26°C in Amsterdam waren die angenehme Folge. Dass
es in der sich anschließenden Nacht zu einer abermaligen Verstärkung der
Regenfälle über dem Süden Englands kam, lag an der Entstehung eines sogenannten
Wellentiefs entlang der Kaltfront. Im Großraum London wurden Mengen von bis zu 20
l/m² bis zum darauf folgenden Morgen registriert. Zeitgleich griffen die
Warmfrontniederschläge von Norwegen auf Schweden über, sodass z.B. Göteborg
12-stündig 9 l/m² meldete, während es über Deutschland weitgehend trocken
blieb.
Am Folgetag, dem 17.05., entwickelte sich
aus dem Wellentief die eigenständige Zyklone CHRISTIAN, die die Ausläufer von Tief
BEN zwischen Nordsee, Biskaya und Iberischer Halbinsel in seine Zirkulation mit
einbezog. So regnete es nicht nur über England kräftig weiter, sondern im
Zusammenhang mit der südostwärts vorankommenden Kaltfront ebenfalls über
Frankreich und tags darauf auch über den Benelux-Staaten und Deutschland. Vor
der Kaltfront stiegen die Temperaturen in Deutschland auf über 25°C, weiter
westlich wurden vereinzelt auch Höchstwerte von über 30°C gemessen, wie bspw.
in Eindhoven mit 31°C.
Der direkte Einfluss von Tief BEN und
seinen Ausläufern reichte dagegen am 17. Mai noch vom Zentrum im Raum Island
ausgehend über das Nordmeer bis nach Skandinavien und ins Baltikum. Allerdings
kam es an der mehr und mehr okkludierenden Front nur noch zu leichtem Regen,
wobei selten mehr als 2 bis 3 l/m² binnen 12 Stunden fielen, vielfach blieb es
sogar trocken.
Weitaus intensiver waren die bereits
am frühen Morgen einsetzenden Niederschläge im Bereich des quasistationären
Zentrums über Island. Den Analysedaten des amerikanischen GFS-Modells nach lag
die Intensität bei verbreitet 5 bis 10 l/m² in 6 Stunden, wobei die
schauerartigen Niederschläge an den Küsten als Regen, im Landesinneren oberhalb
von 800-1000 m Höhe als Schnee fielen. Passend dazu registrierte z.B. die
Wetterstation in Dalatangi, ganz im Osten Islands, zwischen 09 und 18 Uhr UTC 7
l/m². Die Niederschläge über der Insel hielten mit ähnlicher Quantität auch in
den Nachtstunden an und ließen erst im Laufe des 18. Mai nach. Die ebenfalls im
Osten Islands gelegene Wetterhütte in Skjaldthingsstadir meldete 10 l/m²
zwischen 18 und 09 Uhr UTC.
Unterdessen kam es nordöstlich des
Islandkerns zur Abspaltung eines Teiltiefs BEN II, welches am 18. Mai über das
nördliche Nordmeer in Richtung Barentssee zog. Dessen Ausläufer hatten wenn überhaupt
nur noch marginal Einfluss auf das Wetter im nördlichen Skandinavien und
Nordwestrussland. Bis auf zeitweilig dichtere Wolkenfelder regnete es nur
vereinzelt ein paar Tropfen, wobei z.B. in Hammerfest 12-stündig 1 l/m² registriert
wurden.
Der frontenlose Hauptkern BEN I
verblieb indes an den folgenden Tagen über dem Nordostatlantik im Seegebiet
zwischen Island und den Britischen Inseln und hatte als steuerndes Tief noch
indirekt Einfluss auf das Wettergeschehen. So zogen an der Südostflanke der
Zyklone zwischen dem 18. und 20. Mai weitere Tiefdruckgebiete in Richtung West-
und Nordeuropa, die für eine Fortsetzung des eher wechselhaften und nassen
Wetters bis ins westliche Mitteleuropa sorgten.
In den Frühstunden des 20. Mai konnte
Tief BEN letztmalig auf der Berliner Wetterkarte analysiert werden. Der
Hauptkern BEN I befand sich mit einem Luftdruck von wenig unter 1010 hPa einige
Hundert Kilometer nordwestlich von Irland. Der abgespaltene Kern des Tiefs BEN
II lag hingegen über der Barentssee nahe der russischen Arktisinsel Nowaja
Semlja mit einem Luftdruck von wenig unter 1005 hPa und einer über die
Kolahalbinsel bis nach Lappland reichenden Kaltfrontokklusion. Während sich
Tief BEN I über dem nahen Ostatlantik bis zum 21. Mai auflöste, wurde BEN II
von dem Richtung Nordural ziehenden Wirbel CHRISTIAN aufgenommen.
Geschrieben
am 30.07.2017 von Gregor Pittke
Berliner Wetterkarte: 16.05.2017
Pate: Ben Geertz