Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet BERND

(getauft am 10. Juli 2021)

 

Ende Juni bzw. Anfang Juli 2021 stellte sich über Mitteleuropa eine eingefahrene Wetterlage ein. Über Nordosteuropa erstreckte sich das erst zu Beginn des Monats Juli getaufte Hochdruckgebiet CORNELIEKE, welches die klimatologisch vorherrschende Westströmung blockierte. So kam es bereits am 30. Juni im Bereich von Tief XERO zu einem Starkregenereignis. In 24 Stunden fielen in der Uckermark Niederschlagsmengen in der Spitze von 200 mm. Durch das Relief des Gebietes kam es aber nicht zu größeren Überschwemmungen. Auch Tief ARNO folgte dem Muster. Anstatt von West nach Ost zu ziehen, bewegte sich die Zyklone von Süd nach Nord - vom östlichen Alpenraum zur Ostsee. An der Okklusion, also der Mischfront, kam es verbreitet zu kräftigen Niederschlägen von über 50 mm. Am Königsstuhl auf Rügen vermeldete eine Wetterstation von Kachelmannwetter am 09. Juli mit 114 mm in 24 Stunden die höchste Summe in Deutschland.

 

Am 10. Juli, als Tief ARNO über der Ostsee lag und starke Niederschläge brachte, wurde von Meteorologen der Berliner Wetterkarte in der Analyse schon das nächste Tiefdruckgebiet getauft und zwar auf den Namen BERND. Die Zyklone befand sich südwestlich von Island und wies ein bereits okkludiertes Frontensystem auf. Dies liegt daran, dass das Tief zeitlich noch weiter zurückverfolgt werden kann. Und zwar bis zum 06. Juli, als sich über dem Nordosten Kanadas eine ausgeprägte Luftmassengrenze befand. Diese verwellte in der Folge und es bildete sich ein Tiefdruckkern. Da die Kaltfront sich aufgrund der nachfolgenden Kaltluft schneller bewegt als die vorlaufende Warmfront, holt die Kalt- die Warmfront im Verlauf eines Lebenszyklus einer Zyklone ein. Dabei vereinigen sich diese zu einer sogenannten Okklusionsfront, welche eben auch schon am Tauftag, dem 10. Juli, existierte. Der Warmluftsektor, also der Bereich zwischen Kalt- und Warmfront, beinhaltet die wärmste Luftmasse. Diese lag zu diesem Zeitpunkt über dem östlichen Atlantik vor der Küste Irlands, sodass noch keine Wetteraktivität auf Europa übergriff. Der Druck im Kern von Tief BERND lag bei etwas unter 1005 hPa, welcher für eine nordatlantische Zyklone aber nicht sonderlich tief ist.

Am Folgetag, dem 11. Juli, erreichte die Okklusion des Tiefs BERND im Tagesverlauf das europäische Festland. Um 02 Uhr MESZ lag der Kern der Zyklone mit einem erhöhten Luftdruck von etwas unter 1010 hPa westlich von Irland, nördlich davon gab es zeitweilig einen schwächeren zweiten Kern, der sich aber in der Folge auflöste. Die Okklusion reichte vom Seegebiet südwestlich von Island über der Südwestspitze Irlands bis zur Biskaya, von dort aus ersteckten sich Warm- und Kaltfront in Richtung Spanien. Im Warmluftsektor gab es hier tagsüber verbreitet Höchstwerte von 35 bis 43°C, wie beispielsweise in Madrid-Getafe mit 39,8°C. In Villarrobledo in der Provinz Albacete verzeichnete eine Station sogar 44,5°C. Vor allem von Irland über Südwestengland bis Westfrankreich fielen im Bereich der Okklusion am 11. Juli 24-stündige Niederschlagsmengen von 5 bis 15 mm, wie im englischen Exeter mit 11,0 mm. Nun betrachten Meteorologen nicht nur die Verhältnisse am Boden, sondern auch in der Höhe. So dient das 500 hPa-Niveau, also ein Bereich in etwa 5,5 km Höhe, als gutes Hilfsmittel für die zukünftige Abschätzung der Entwicklung der Zyklone am Boden. So kann man grob sagen, wenn das Höhentief sich abschwächt, so schwächt sich auch das dazugehörige Bodentief ab oder wenn das Höhentief an Ort und Stelle verharrt, so bewegt sich auch das Bodentief kaum. Liegen Boden- und Höhentief direkt übereinander, so kann sich das Bodentief nicht verstärken. Dies ändert sich, wenn die Zyklone am Boden etwas versetzt ist und sich vorderseitig des Höhentiefs befindet. Dann sorgt Hebung für eine Verstärkung. Genau dies geschah mit BERND. Allerdings befand sich das Tief am 10. und 11. Juli noch direkt unterhalb des Höhentiefs, sodass sich die Zyklone zunächst erstmal abschwächte (von etwas unter 1005 hPa auf unter 1010 hPa).

Doch bereits am 12. Juli zog das entsprechende Höhentief unter Verstärkung nach Süden in Richtung Biskaya, Tief BERND aber nach Osten. Damit gelangte BERND auf die günstige Vorderseite und eine Verstärkung stand in Aussicht. Um 02 Uhr MESZ zeigte sich davon aber noch nichts. Tief BERND lag mit ca. 1013 hPa über Irland, die Okklusion reichte vom westlichen Schottland bis Nordspanien. Der Warmluftsektor mit tropischer Luft lag dabei über Südostspanien. Hier gab es verbreitetet Höchstwerte über 40°C. Murcia verzeichnete mit 45,0°C die höchste Temperatur. Rückseitig der Kaltfront wurde es deutlich kühler, so vermeldete Madrid-Getafe 27,6°C als Maximum (12 Kelvin kälter als am Vortag). Im Nordwesten Spaniens wurden sogar kaum 20°C überschritten. Im Tagesverlauf des 12. Juli wirkte sich die Hebung des Höhentiefs aus, sodass sich BERND wieder verstärken konnte. Bereits am Abend lag der Kern über der Schweiz mit einem vertieften Druck von 1006 hPa. Dabei kam es an der Okklusion zu kräftigen Niederschlägen. So fielen bis zum Morgen des 13. Juli von Ostfrankreich bis ins westliche Baden-Württemberg oftmals über 30 mm. Lyon vermeldete 48,8 mm, Bern 48,3 mm und in Malsburg-Marzell im Schwarzwald kamen 58,3 mm zusammen. Im Tessin verzeichneten einzelne Station über 100 mm in 24 Stunden.

Am 13. Juli befand sich BERND über dem Alpenraum. Von dort aus erstreckte sich die Okklusion südwärts bis Sardinien, noch weiter südlich befand sich Korsika im Warmluftsektor. Nördlich des Kerns drehte sich die Okklusion um das Zentrum herum ein und reichte von Süddeutschland bis Westfrankreich. Tagsüber löste die Okklusion im Westen Deutschlands Regenfälle aus, welche von der Eifel bis zum Sauerland oftmals 30 bis 50, örtlich bis 96 mm (Hagen) betrugen. Auf der Vorderseite des Tiefs wurde Warmluft aus Südosteuropa weit nach Norden, transportiert, und sozusagen in das Frontensystem eingespeist. Dabei bildete sich durch die zunehmenden Temperaturunterschiede ein neuer Warmluftsektor über Nordostdeutschland aus. Das entsprechende Höhentief verlagerte sich noch am selbigen Tag und befand sich am Abend über dem östlichen Alpenraum. Seinen tiefsten Luftdruck wies Tief BERND mit 1003 hPa am Mittag des 13. Juli über dem Bayerischen Wald auf.

 

Am 14. Juli um 02 Uhr MESZ lag der Kern von Tief BERND bereits westlich von Berlin mit ca. 1006 hPa. Dabei erstreckten sich vom Kern aus drei Fronten. Die Okklusionsfront reichte bogenförmig über NRW bis Westfrankreich, die Warmfront verlief vom Kern in Richtung Nordsee, und die Kaltfront reichte von Berlin über Tschechien bis zum östlichen Alpenrand. An der Kaltfront entwickelte sich am Nachmittag des 13. Juli ein großes zusammenhängendes Gewittersystem, welches als mesoskaliges konvektives System bezeichnet wird. Dabei fielen vor allem in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt örtlich über 50 mm, wie beispielsweise in Querfurt mit 82,0 mm. Das Gewittersystem erreichte in der Nacht zum 14. Juli auch Berlin, aufgrund der ungünstigen Tageszeit fielen aber die Gewitter in sich zusammen. Die intensiven Wettervorgänge erreichten tagsüber am 14. Juli ihren Höhepunkt. Am Rande des Höhentiefs über dem Alpenraum gelangten vom Mittelmeerraum immer wieder warme und sehr feuchte Luftmassen über Polen nach Norddeutschland, wo sie gehoben wurden und Gewitter und Starkregen verursachten. Bedingt durch diese weitgehende Stationarität der Druckgebilde konnte ein Starkregengebiet an der Okklusion über dem westlichen Deutschland an Ort und Stelle verharren. Betroffen von dem Starkregen war vor allem ein Gebiet vom südlichen NRW über große Teile von Rheinland-Pfalz bis nach Luxemburg und Ostfrankreich. Dabei wurden teilweise Stundenmengen von 20 bis 30 mm registriert. In Köln-Stammheim, wo schon zwischen 08 und 14 Uhr MESZ 62 mm Regen gefallen waren, kamen bis zum Abend (20 Uhr MESZ) weitere 83 mm hinzu. Das heißt, es fielen dort in 12 Stunden bis zum Abend 145 mm Regen. Zum Vergleich: An dieser seit 1945 messenden Station lag der bisher höchste Tages-Niederschlagsrekord bei 95 mm am 19.07.2017. 24-stündig fielen bis zum Morgen des 15. Juli sogar 154 mm Regen. Damit fiel hier an einem Tag beinahe das Doppelte der normalen Monatssumme für den Juli. Über 100 mm kamen an etlichen Orten in der Eifel und im Bergischen Land zusammen. Beispielsweise wurden aus Lüdenscheid 114 mm, aus Wipperfürth 112 mm, aus Kall-Sistig 145 mm und Schneifelforsthaus 124 mm Regen gemeldet. Eine private Wetterstation in Hagen-Nahmer (Nordrhein-Westfalen) verzeichnete eine 24-stündige Niederschlagsmenge von 211,2 mm. An vielen Orten wurden neue absolute Tagesrekorde gemeldet. Diese historischen Wassermassen riefen in Teilen Mitteleuropas eine Hochwasserkatastrophe hervor, mit Pegelständen wie sie noch nie gemessen worden sind.

Am 15. Juli änderte sich an der Position von Tief BERND wie auch vom Höhentief kaum etwas. Das Höhentief kam nahe München zum Liegen und der Kern des Tiefs BERND befand sich mit ca. 1010 hPa über Belgien. Von dort aus erstreckte sich die Okklusion nordostwärts. Über der Ostsee befand sich der Warmluftsektor mit der wärmsten Luftmasse. So lag die 12-stündige Tiefsttemperatur an zwei Orten im südlichen Finnland bei 24,2°C und zwar einmal in Lappeenranta Hiekkapakka, ca. 230 km nordöstlich von Helsinki nahe der russischen Grenze, und in Porvoo Kalbådagrund, einem Leuchtturm in der Ostsee ca. 45 km südöstlich von Helsinki. Dies stellt in Finnland die wärmste Nacht seit Beginn der Wetteraufzeichnungen dar. Tagsüber stieg hier die Temperatur bis 34°C. Im Bereich der Okklusion kam es örtlich noch zu kräftigen Niederschlägen, wie in Brüssel mit 56 mm. Auch im Alpenraum löste das dort liegende Höhentief kräftige Niederschläge bis 100 mm aus, sodass es hier zu ersten Überschwemmungen kam. Im Bereich konvergenter Windzonen entstanden ebenso im Osten Deutschlands lokale Unwetter. Am Nachmittag erstreckte sich eine Konvergenz, also ein Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Windströmungen, vom Nordwesten Polens, entlang der Oder bis zum Riesengebirge. In der labilen Luftmasse bildeten sich einzelne Gewitterzellen aus. Wie regional diese Zellen waren, zeigt ein Beispiel aus dem Märkisch-Oderland im Osten Brandenburgs. Neutrebbin verzeichnete keinen Tropfen, während im 15 km entfernten Haselberg 76,2 mm Regen fielen.

Am 16. Juli okkludierte das Frontensystem von BERND weiter. Die lange Okklusion erstreckte sich von der Schweiz bis zur polnischen Ostseeküste. Hier bildete sich auch ein neues, aber schwaches Tiefdruckzentrum. Weiter östlich befand sich immer noch die Warmluft über Osteuropa, sodass sich hier das heiße Sommerwetter fortsetzte. So stieg die Temperatur von Nordwestrussland bis zur Ukraine auf 30 bis 35°C, während es im östlichen Frankreich und im Nordwesten Deutschlands örtlich unter 20°C blieb. Entlang der Okklusion kam es vor allem in Sachsen noch zu kräftigen Regenfällen. Schwerpunkt war die Sächsische Schweiz, wo in 24 Stunden 20 bis 40 mm fielen. Auch an den Alpen und in Südosteuropa gab es kräftige Niederschläge. Diese standen aber nicht mehr im direkten Zusammenhang mit den Fronten des Tiefs BERND, sondern hier war das Höhentief das niederschlagsauslösende System.

 

Am 17. Juli befand sich Tief BERND letztmalig auf der Berliner Wetterkarte. Die Okklusion verlagerte sich im Vergleich zum Vortag weiter nach Südosten, und reichte von Sardinien über der Schweiz bis nach Polen. Der schwache Tiefdruckkern lag nahe Warschau. Noch fielen entlang der Front im Zusammenspiel mit dem Höhentief über Italien kräftige Niederschläge. So spitzte sich die Hochwasserlage in Sachsen, Bayern und Österreich noch einmal zu. Durch Staueffekte intensivierten sich die teils gewittrigen Niederschläge weiter. Durch die Verlagerung der Okklusion von Nordwest nach Südost wurden die Wolken förmlich gegen das Erzgebirge und die Alpen gedrückt, sodass diese sich abregnen mussten. Ein Unwetterschwerpunkt befand sich über dem östlichen Sachsen, wo beispielsweise in Lichtenhain-Mittelndorf im Elbsandsteingebirge eine Niederschlagssumme von 78,4 mm dokumentiert wurde. In der Stunde zum 17 Uhr MESZ-Termin fielen dort allein 44,4 mm. Wenig verwunderlich waren die Überschwemmungen im Kirnitzschtal. Im Berchtesgadener Land musste der Katastrophenfall ausgerufen werden. 24-stündig fielen dort häufig mehr als 100 mm. In Bischofswiesen-Winkl wurde der Spitzenwert von 131 mm gemessen. In der Nacht zum 18. Juli fielen in 12 Stunden (von 20 bis 08 Uhr MESZ) beispielsweise in Berchtesgaden 68,7 mm Niederschlag.

 

Bis zum 18. Juli löste sich das Bodentief BERND auf, die staubedingten Niederschläge ließen dadurch langsam nach. Dennoch vermeldete das Berchtesgadener Land noch eine 24-stündige Niederschlagsmenge von bis zu 70 mm. Erst am 20. Juli endeten dort alle Niederschläge mit Abzug des Höhentiefs. Im Anschluss setzte sich das Hoch DANA über England durch, sodass sich in Deutschland das Wetter deutlich beruhigte und Niederschläge kaum noch auftraten.

 

Tief BERND war zwar zumindest in der deutschen Medienlandschaft in aller Munde, dennoch ist aufgrund des Klimawandels die Wahrscheinlichkeit hoch, dass künftig auch weitere Tiefdruckgebiete solche Extremniederschläge nach Deutschland bringen werden.