Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet BIBIANA
(getauft am 04.01.2012)
Zwischen warmer Luft über dem westlichen Nordatlantik
und kalter Luft über Ostkanada bildete sich am 4. Januar 2012 ein
Tiefdruckgebiet zwischen den Bermuda-Inseln und Neufundland, das auf den Namen
BIBIANA getauft wurde.
Das Tief BIBIANA zog, der südwestlichen
Höhenströmung folgend, im Tagesverlauf nach Nordosten und erreichte zum Morgen
des Folgetages mit seinem Kern, in dem ein Luftdruck von knapp unter 975 hPa
gemessen wurde, das östliche Neufundland. Vom Tiefdruckkern verlief über einige
hundert Kilometer nach Osten eine Mischfront mit Warm- und
Kaltfronteigenschaften, die sogenannte Okklusionsfront. Von ihrem östlichen
Ende, dem Okklusionspunkt, ging zum einen die Warmfront aus, die bis etwa zur
Hälfte der Strecke nach Europa reichte und dann in die Kaltfront des
nordeuropäischen Tiefdruckgebietes ANDREA überging. Zum anderen verlief vom
Okklusionspunkt aus eine Kaltfront nach Südwesten, die über mehrere tausend
Kilometer bis in subtropische Gebiete vor der Karibik reichte. Im Bereich des
Tiefdruckzentrums und auf der Rückseite der Kaltfront schneite es zum Teil
ergiebig. An der Wetterstation Gander auf Neufundland wurde bis zum Morgen des
5. Januar eine 24-stündige Niederschlagsmenge von 18 Litern pro Quadratmeter
gemessen. Davon fiel ein Teil auch als flüssiger Niederschlag, genauer als Regen
und Sprühregen.
Bis zum Morgen des 6. Januar hatte sich der Wirbel
BIBIANA mit seinem Zentrum bis vor die südgrönländische Küste verlagert. Dort
herrschte ein Luftdruck von knapp unter 980 hPa. Vom Tiefdruckkern reichte die
Okklusionsfront nach Osten bis zum Okklusionspunkt vor Island, von dem aus die
Warmfront bis südlich von Irland verlief, gefolgt von der Kaltfront, die vom
Okklusionspunkt nach Südwesten bis zu einem Wellentief im zentralen
Nordatlantik reichte. Im Tagesverlauf überquerten die Fronten des
Tiefdruckgebietes BIBIANA Island und die Britischen Inseln und erreichten bis
zum Morgen des Folgetages den äußersten Nordwesten Frankreichs sowie Teile der
norwegischen Westküste. Dabei zeigte sich eine verstärkte Wetteraktivität im
Bereich des Okklusionspunktes. Während beispielsweise die Station Valentia vor
der Südwestküste von Irland bis zum Morgen des 7. Januar eine 24-stündige
Regenmenge von 1 l/m² in Folge des Warmfrontniederschlages weitab vom
Tiefdruckzentrum und vom Okklusionspunkt registrierte, kamen im gleichen
Zeitraum in Stornoway auf den zu Schottland gehörenden Äußeren Hebriden 5 l/m²
und im norwegischen Bergen sogar 13 l/m² Niederschlag zusammen. Bei der
letztgenannten Wetterstation werden die Niederschläge zusätzlich begünstigt
durch Staueffekte am skandinavischen Gebirge.
Mittlerweile lag das Zentrum des Tiefdruckgebietes
BIBIANA vor der Ostküste Islands und besaß einen Kerndruck von etwas unter 985
hPa. Einerseits verlief von dort eine Okklusionsfront über die Insel bis zur
Westküste, zum anderen reichte eine Okklusionsfront bis ins südnorwegische
Küstengebiet, wo die Warm- und die Kaltfront im Okklusionspunkt zusammenliefen.
Die Warmfront reichte über die Nordsee, die Niederlande, Belgien und Frankreich
bis zur Biskaya, während sich die Kaltfront über die Britischen Inseln bis
einige hundert Kilometer westlich von Irland erstreckte, wo sie in die
Warmfront eines nachfolgenden Tiefs mit Kern zwischen Neufundland und Grönland
überging. Im Tagesverlauf okkludierte das Tief BIBIANA weiter, das heißt, auf
ihrem Weg nach Osten holte die schnellere Kaltfront die langsamere Warmfront
immer mehr ein und bildet die Okklusionsfont.
Mittags befand sich der Okklusionspunkt über der
Region Hunsrück / Saarland. Somit war das Wetter in Mitteleuropa von den
Fronten des Tiefdruckgebietes BIBIANA geprägt und zeichnete sich vielerorts
durch Niederschlag aus, der in höheren Lagen als Schnee und im Tiefland teils
als Schnee, teils als Regen fiel. Mit einer westlichen bzw. hinter der
Okklusions- und Kaltfront nordwestlichen Strömung kam es besonders im Stau der
Mittelgebirge zu ergiebigem Niederschlag. Bis zum Morgen des Folgetages wurden
auf dem Brocken im Harz innerhalb von 24 Stunden 19 l/m² registriert, was einer
Neuschneemenge von 8 cm entsprach. Auf dem Fichtelberg im Erzgebirge konnte
sogar eine Erhöhung der Schneedecke um 16 cm beobachtet werden. In den höheren
Lagen der Mittelgebirge wie im Oberharz kam es zudem zu schweren Sturmböen. Auf
dem Brocken wurden Windspitzen von 29 m/s gemessen, was der Windstärke 11, also
orkanartigem Sturm, entspricht. Im Tiefland war der Wind weit weniger kräftig,
aber immer noch deutlich spürbar. An der Wetterstation Berlin-Dahlem wurden die
höchsten Windböen mit 16 m/s bereits kurz vor dem Durchgang der Okklusionsfront
am Morgen des 7. Januar erreicht. Dies entspricht der Windstärke 7.
In der Nacht zum 8. Januar sank die Temperatur auf
der Rückseite des Tiefdruckgebietes BIBIANA vor allem in Teilen Nordeuropas
stark ab, weil arktische Luft von Norden einfloss. Die Tiefstwerte erreichten
beispielsweise im norwegischen Trondheim -13,7°C.
Am Morgen des 8. Januar befand sich der Kern des
Tiefdruckgebietes BIBIANA mit einem Luftdruck von knapp unter 1000 hPa über der
Ostsee zwischen Schweden und dem Baltikum. Von dort führte zum einen eine
Okklusionsfront nach Nordwesten über Südskandinavien bis ins Europäische
Nordmeer, zum anderen reichte vom Tiefdruckzentrum eine Okklusionsfront über
Polen und die Slowakei bis nach Österreich, um dort allmählich nach Westen
weiter über Norditalien bis zur französischen Atlantikküste in der Gegend von
Bordeaux zu verlaufen. Dort trafen die Warmfront, die sich entlang der
spanischen Nordküste erstreckte, und eine weitere Okklusionsfront, welche bis
zur Biskaya reichte und dort in die Warmfront des Islandtiefs CELINE überging,
zusammen. Entlang der Fronten des Tiefs BIBIANA kam es vielerorts zu
Niederschlägen, die in tiefen Lagen meist als Regen fielen, beispielsweise im
lettischen Riga, im polnischen Breslau und im ungarischen Budapest. In höheren
Lagen gab es dagegen zum Teil kräftige Schneefälle. Bis zum Morgen des 9.
Januar fielen zum Beispiel auf der Zugspitze 49 l/m² Niederschlag als Schnee,
aber auch im tiefer gelegenen Oberstdorf im Allgäu war es mit 48 l/m² kaum
weniger Schnee.
Am 9. Januar lag der Kern des Wirbels BIBIANA über
dem nördlichen Baltikum, von wo aus eine Okklusionsfront nach Südwesten bis ins
südliche Polen sowie eine Okklusionsfront über die Ukraine bis nach
Westbulgarien, wo sich ein neues Tiefdruckzentrum befand, reichten. Vor allem
die östlichere der beiden Okklusionsfronten brachte gebietsweise Niederschläge.
Im bulgarischen Sofia schneite es zeitweise, während der Niederschlag im
serbischen Belgrad als Regen fiel. Die 24-stündigen Niederschlagsmengen bis zum
Morgen des Folgetages waren recht unterschiedlich: In Belgrad kamen 12 l/m²
zusammen, während es in Sofia 0,7 l/m² waren.
Bis zum 10. Januar hatte sich der Kern des
Tiefdruckgebietes BIBIANA über die Region von Sankt Petersburg in Rußland
verlagert. Ausgehend vom Osten Lettlands über das Tiefdruckzentrum verlaufend
und dann einen Bogen nach Süden beschreibend, reichte eine Okklusionsfront bis
ins östliche Ungarn. Diese Okklusionsfront brachte unter anderem Sankt
Petersburg und dem weißrussischen Minsk gelegentlich Schneefall.
Am 11. Januar war das Tief BIBIANA, dessen Zentrum
mittlerweile über der zu Rußland gehörenden Kola-Halbinsel lag, mit einer Warm-
und einer Okklusionsfront im Nordosten Europas aktiv. Die Warmfront verlief vom
Kern des Tiefs BIBIANA nach Osten bis zum nördlichen Ural und brachte im Norden
des europäischen Russlands Schneefall, der zum Teil schauerartig verstärkt war.
Die Okklusionsfront reichte vom Tiefdruckzentrum ausgehend nach Südrussland, wo
sie sich bis zum nächsten Tag mit der Warmfront eines über der Südtürkei
liegenden Tiefs verband.
Somit verlief am 12. Januar über dem östlichsten
Teil Europas an der Grenze zu Asien eine Luftmassengrenze, die, vom Zentrum des
Tiefs BIBIANA über der Barentssee ausgehend, entlang des Urals verlief und über
das Schwarze Meer hinaus bis in die nordwestliche Türkei reichte. In Wolgograd
im Süden Russlands kam es zu Schneefall, und die Tiefsttemperatur in der Nacht
zum 13. Januar lag dort, hinter der Kaltfront, mit -7°C im mäßigen
Frostbereich.
Am 13. Januar war das Tiefdruckgebiet BIBIANA über
dem Nordwesten Sibiriens zum letzten Mal als eigenes Druckgebilde auf der
Berliner Wetterkarte zu erkennen. Sein Kern über dem nordrussischen Workuta
hatte sich deutlich auf rund 1015 hPa abgeschwächt und sein Frontensystem befand
sich über der Sibirischen Tiefebene, außerhalb des Analysebereiches der
Berliner Wetterkarte. Bis zum nächsten Tag löste sich der Wirbel vollständig
auf und konnte daher nicht mehr analysiert werden.
Geschrieben am 05.04.2012 von Heiko Wiese
Berliner Wetterkarte: 08.01.2012
Pate: Bibiana Sobkowski