Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet CHARLOTTE

(getauft am 27.02.2020)

 

Am 26.02.2020 trat über dem Nordatlantik, knapp 500 Kilometer östlich von Boston in den USA, ein neues Tiefdruckgebiet in den Darstellungsbereich der Berliner Wetterkarte. Dieses war an der Polarfront irgendwo über den USA entstanden. Als Polarfront bezeichnet man die Grenze zwischen den kalten, polaren Luftmassen im Norden und den milden, subtropischen Luftmassen im Süden. Entlang dieser weht in der höheren Troposphäre bei ca. 8-12 km Höhe der sogenannte Polar - Jetstream. Ein Jetstream ist ein Starkwindband, welches Geschwindigkeiten zwischen 100 und 500 km/h erreichen kann und von West nach Ost weht. Infolge der großen Temperatur- und damit zusammenhängenden Druckunterschiede zwischen den warmen und kalten Luftmassen, wird dieses Starkwindband beim Versuch die Druckunterschiede auszugleichen zunehmend turbulenter und die Polarfront erhält einen wellenartigen Charakter. Durch dieses Mäandrieren wird der Jetstream also abwechselnd beschleunigt und wieder abgebremst, sodass der Wind nicht mehr parallel entlang der Isobaren weht. Dort, wo dadurch die Luftmassen vom Wind weggeströmt werden, diese somit divergieren, versucht die Atmosphäre das Ungleichgewicht zu kompensieren und weitere Luftmassen strömen vom Boden aufwärts nach. Damit entsteht ein Unterdruck am Boden und ein Tiefdruckgebiet wird gebildet. So auch dieses Tief, welches sich im Laufe des Tages entlang des Jetstreams nach Osten verlagerte und über dem Nordatlantik auf Europa zusteuerte. Da die Zyklone das Wettergeschehen in den darauffolgenden Tagen, vor allem in Nordeuropa maßgeblich beeinflussen sollte, wurde sie am 27.02. in der Prognosekarte für den Folgetag auf dem Namen CHARLOTTE getauft.

Im Tagesverlauf des 28.02. verlagerte sich Tiefdruckgebiet CHARLOTTE unter erheblicher Verstärkung des Kerndruckes weiter nach Osten, sodass es am 29.02. um 01 Uhr MEZ mit einem Kerndruck von unter 960 hPa nordwestlich von Irland analysiert wurde. Dies entspricht einer Verringerung des Luftdruckes um mehr als 30 hPa in einem Tag, da der Kerndruck 24 Stunden zuvor noch einen Wert von knapp unter 995 hPa besaß. Die Zyklone hatte dabei schon eine Kaltfront entwickelt, die sich entgegen dem Uhrzeigersinn oder auch zyklonal, um das Zentrum eindrehte und sich dadurch bogenförmig, vom Zentrum des Tiefs ausgehend, nach Süden bis über den Azoren erstreckte. Der Durchzug der Kaltfront von Tief CHARLOTTE führte auf den Azoren zu ersten Niederschlägen in Form von Regen. So wurden an der Messstation Horta-Castelo Branco am 28.02. um 19 Uhr MEZ über einem Zeitraum von zwölf Stunden 13,0 l/m² Niederschlag registriert. Der meiste Niederschlag fiel jedoch in der Nacht zum Samstag den 29. Februar. Rückseitig der Kaltfront bildeten sich durch Hebungsprozesse große Regengebiete, welche vor allem an der Westküste Europas zu ergiebigen Niederschlagsmengen führten. So meldete die Messstation Casas do Porto in der Nähe von Santiago de Compostela in Spanien, am 29.02. in nur zwölf Stunden bis 06 Uhr MEZ 48,8 l/m² Regen. Beim Eindrehen der Kaltfront um das Zentrum des Tiefs CHARLOTTE, schoben sich die kalten Luftmassen, wegen ihrer geringeren Dichte, unter die wärmeren Luftmassen vor der Kaltfront und hoben diese an. Dadurch entwickelte sich in der Nähe des Zentrums von Tief CHARLOTTE eine Mischfront aus warmer und kalter Luft, welche auch Okklusionsfront genannt wird. Diese sorgt vor allem um dem Okklusionspunkt, dem Gebiet, an dem die kalten Luftmassen auf die vorlaufenden warmen Luftmassen treffen, vermehrt für Niederschlag. So wurden in der Nacht zum 29.02. bis 06 Uhr MEZ in einem Zeitraum von zwölf Stunden überall in Großbritannien Niederschlagsmengen um 20 l/m² gemessen. Spitzenreiter war die Messstation Eskdalemuir in Schottland, welche 23,0 l/m² registrierte.

Aufgrund des starken Druckabfalls im Tiefdruckkern und den damit zusammenhängenden dicht gedrängten Isobaren um das Zentrum, hatte sich die Zyklone CHARLOTTE mittlerweile zu einem kräftigen Sturmtief verstärkt. Auf den Britischen Inseln wurden vielerorts sogar orkanartige Sturmböen registriert. Von orkanartigen Böen spricht man, wenn die Windgeschwindigkeiten 104 km/h überschreiten. Dies entspricht Stufe 11 oder höher auf der Beaufortskala. Die stärkste Windböe meldete dabei die Messstation Great Dunn Fell in England. Dort wurden am 29.02. um 23 Uhr MEZ auf 847 Metern Höhe Orkan - Windböen aus südwestlicher Richtung von 137 km/h gemessen. Auch Island stand nördlich vom Zentrum stark im Einflussbereich von Tief CHARLOTTE. So wurden dort vielerorts noch stärkere Windgeschwindigkeiten gemeldet. Spitzenreiter war die Messstation Oraefi auf 75 Metern Höhe, wo das Anemometer am selben Tag um 22 Uhr MEZ Windspitzen von 179,6 km/h aus nordöstlicher Richtung registrierte. In diesem Fall konnte man bereits von extremen Orkanböen sprechen, da die Windböe eine Windgeschwindigkeit von 140 km/h überschritten hat. In Mitteleuropa brachte Tief CHARLOTTE am 29.02. zunächst milde maritime Luftmassen subtropischen Ursprungs. Während auf den Britischen Inseln Temperaturwerte von maximal 10°C erreicht wurden, stiegen die Thermometer in Mitteleuropa fast überall auf Werte um 15°C an. Vor allem in Baden – Württemberg, an der Grenze zu Frankreich und der Schweiz, wurden besonders hohe Werte registriert. So wurde an der Messstation in Ihringen um 14 Uhr MEZ eine Temperatur von 17,7°C gemessen. Eine Stunde später, um 15 Uhr MEZ, meldeten Mitarbeiter der Messstation am Basler Flughafen 18,3°C. Übertroffen wurde dieser Wert nur von der Messstation am ehemaligen Militärflughafen Colmar - Meyenheim in Frankreich, die mit einem um 14 Uhr MEZ gemessenen Temperaturwert von 18,4°C, das Schweizer Maximum um 0,1°C überstieg. Mit dem Durchzug der Kaltfront von der Zyklone CHARLOTTE am späten Nachmittag, welche sich im Laufe des Tages um das Tiefzentrum zyklonal eindrehte und somit über ganz Mitteleuropa zog, änderten sich jedoch die frühlingshaften Temperaturen rapide. So sank beispielsweise die Temperatur in Bad Kreuznach in Rheinland – Pfalz in weniger als einer Stunde um ganze 5,2°C.  Um 15 Uhr MEZ wurden noch 15,9°C gemessen, während das Quecksilber im Thermometer eine Stunde später auf 10,2°C abgesunken war. Verursacht wurden diese Temperaturstürze vor allem von den teils schauerartigen Niederschlägen rückseitig der Kaltfront. An der Messstation Bad Wildbad – Calmbach im Schwarzwald führte der Durchzug der Kaltfront zu einer Niederschlagsmenge von 12,1 l/m². Auch der Wind nahm kräftig zu. So wurden vielerorts im Westen Deutschlands, sowie Frankreich und den Benelux-Staaten schwere Sturmböen zwischen 80 und 104 km/h verzeichnet. Besonders in höheren Lagen sowie an den Küsten der Nord - und Ostsee verstärkten sich diese noch weiter zu orkanartigen Böen. Beispielsweise wurden in Bremerhaven um 18 Uhr MEZ Windspitzen von 116,7km/h erreicht. An der Messstation in Feldberg im Schwarzwald auf 1490 Metern Höhe wurden zur selben Zeit sogar Orkan Böen von 133,3 km/h gemessen. Etwas später erreichte der kräftige Wind auch den Nordosten Deutschlands. Am Brocken im Harz auf 1134 Metern Höhe wehte der Wind um 20 Uhr MEZ mit einer Geschwindigkeit von 109,3 km/h, während zur selben Zeit das Anemometer am Kieler Leuchtturm Orkan Böen von 133,3 km/h registrierte. Jedoch kam es nicht nur in besonders ausgesetzten Lagen zu solchen Windspitzen. So meldete die Messstation in Düsseldorf um 16 Uhr MEZ kurzzeitig Böen von 109,3 km/h. Dies sorgte zusammen mit den Schauern zu einigen Schäden im Raum Nordrhein – Westfalen.

Nach dem stürmischen Durchzug der Kaltfront am Samstag den 29.02. über Mitteleuropa, hatte die Zyklone CHARLOTTE am 01.03. einen zweiten Tiefdruckkern entwickelt. Der als CHARLOTTE II bezeichnete zweite Tiefdruckkern befand sich am 01.03. um 01 Uhr MEZ mit einem Kerndruck von knapp unter 975 hPa kurz vor Göteborg über der Skagerrak, dem Teil der Nordsee zwischen Dänemark und dem Süden von Norwegen sowie Schweden. Der Kern von Tief CHARLOTTE I befand sich zur selben Zeit mit einem Druck von weiterhin ca. 960 hPa nur wenige Kilometer nordwestlich von Schottland und hatte sich in den letzten 24 Stunden nur langsam nach Nordosten verlagert. Verbunden waren die beiden Kerne durch eine Okklusionsfront, die sich vom Tiefdruckkern von CHARLOTTE I bogenförmig nach Norden bis über Island und östlich von Grönland weiter erstreckte. Diese brachte im Tagesverlauf an den Küsten Norwegens und Schottlands immer wieder Niederschläge in Form von Regen- und Schneeregenschauern. So summierten sich beispielsweise an der Messstation Eik Hove im Süden Norwegens bis um 06 Uhr MEZ des zweiten März in 24 Stunden 37,3 l/m² Niederschlag. Bei geringeren Temperaturen im negativen Bereich brachte die Okklusionsfront des Tiefdrucksystems CHARLOTTE im Landesinneren Skandinaviens auch leichten bis mäßigen Schneefall. So meldete exemplarisch die Messstation Hamra in Schweden in den 24 Stunden zwischen dem ersten März um 07 Uhr MEZ und dem zweiten März um 07 Uhr MEZ, bis auf eine kurze Unterbrechung am Nachmittag, fast durchgängig Schneefall. Dadurch fielen in diesem Zeitraum insgesamt 13,2 l/m² Niederschlag, was einer Neuschneemenge von ca. 18 cm entsprach. In Island sorgten die dicht gedrängten Isobaren um das Zentrum der Zyklone CHARLOTTE I weiterhin für sehr starken Wind. Im ganzen Land registrierten die Anemometer Windgeschwindigkeiten von deutlich über 100 km/h. Spitzenreiter war die Messstation Hvammur, welche um 14 Uhr MEZ extreme Orkan – Böen aus nordöstlicher Richtung von 187,1 km/h meldete. Das Frontensystem von CHARLOTTE II bestand am 01.03. noch aus einer vom Kern ausgehenden nach Süden über Polen erstreckten Kaltfront und einer ihr vorlaufenden Warmfront. Rückseitig der Kaltfront waren mancherorts durch Hebungsprozesse noch einige Regenschauer und Gewitter entstanden, die einige wenige l/m² an flüssigen Niederschlag brachten. Dabei wurden an der Messstation Dahlem in Berlin, dem Sitz der Berliner Wetterkarte, Mammaten beobachtet. Mammaten sind beutelförmige Wolken, welche ansonsten meistens nur im Sommer zu beobachten sind. An der Messstation in Coschen in Brandenburg, an der Grenze zu Polen, wurden mit 4,9 l/m² bis zum 02.03. um 07 Uhr MEZ die größte Niederschlagsmenge gemessen.

Bis zum 02.03. um 01 Uhr MEZ hatte sich der Kern von Tief CHARLOTTE II weiter nach Osten verlagert und befand sich mit einem Druck von knapp unter 990 hPa wenige Kilometer westlich vom Weißen Meer über Russland. Dessen Kaltfront hatte die davor laufende Warmfront inzwischen vollends eingeholt, sodass eine Okklusionsfront entstanden war, die sich vom Zentrum des Tiefs ausgehend bogenförmig bis nach Minsk in Weißrussland erstreckte. Zur selben Zeit befand sich der Kern von CHARLOTTE I nur wenige Kilometer östlich über den Shetland Inseln. Dabei hatte sich dieser nur wenig zu einem Druck von knapp unter 970 hPa abgeschwächt. Verbunden waren die beiden Kerne nach wie vor von einer Okklusionsfront, welche über Skandinavien weiterhin vielerorts für Niederschlag in Form von Regen und Schnee sorgte. Diese Wetterlage über Skandinavien sollte sich in den darauffolgenden Tagen kaum ändern. Die Okklusionsfront zwischen CHARLOTTE I und CHARLOTTE II sorgte vor allem im Süden Norwegens und Schwedens immer wieder für Niederschlag in Form von Regen und Schnee. Der meiste Niederschlag wurde dabei am 03.03. an der Messstation in Nelaug im Süden von Norwegen gemessen. Dort registrierte das Distrometer in 24 Stunden bis zum 04.03. um 07 Uhr MEZ eine Niederschlagsmenge von 30,4 l/m².

Innerhalb der nächsten Tage zog der Tiefdruckkern von CHARLOTTE II über Russland entlang der Barentssee nach Nordosten weiter, bis sie am 06.03 aus dem Darstellungsbereich der Berliner Wetterkarte trat. Dabei sorgte die Okklusionsfront bis auf Schneefall, bei Temperaturen im negativen Bereich, für keine signifikanten Wettererscheinungen.

Die Zyklone CHARLOTTE I hingegen wurde aufgrund eines sich ausbildenden Höhenkeils entlang der Höhenströmung nach Nordwesten gedrängt. Unter einem Höhenkeil versteht man in der Meteorologie einen Bereich relativ hohen Druckes in der mittleren Troposphäre bei ca. 5,5 km Höhe. Dieser befand sich über Osteuropa und wölbte sich in den darauffolgenden Tagen immer weiter nach Nordwesten aus. Damit drängte er den Höhentrog, jener Bereich relativ geringen Druckes in der mittleren Troposphäre, leicht ab und bildete eine klar definierte Welle, entlang welcher die Strömung in der Höhe fließen konnte. Unterhalb des Höhentroges befand sich die Zyklone CHARLOTTE I, welche dadurch nach Nordosten gedrückt wurde. Dabei schwächte sich das Tiefdruckgebiet immer weiter ab und wurde am 04.03. um 01 Uhr MEZ mit einem Kerndruck von knapp unter 980 hPa über Island analysiert. Dort verursachte es in den nächsten 48 Stunden noch einige Niederschläge in flüssiger und fester Form, bis es sich in der Nacht zum 06.03. kurz vor der Inseln Jan Mayen, nordöstlich von Island, mit dem Tiefdruckkern des Tiefs DIANA verschmolz und somit auflöste.