Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet CHARLY

(getauft am 20.12.2017)

 

Mitte Dezember spielten zwei Druckgebilde für das Wettergeschehen in Nord-, Mittel- und Westeuropa eine zentrale Rolle. So zog am 19. Dezember Islandtief BOB mitsamt der zugehörigen Ausläufer in einer westlichen Höhenströmung ostwärts. Ein Ausläufer war eine langgestreckte Kaltfront, die über den Nordatlantik verlief. Wie der Name schon beschreibt, führte die Kaltfront kalte Luftmassen mit sich. Als Gegenspieler offenbarte sich das kräftig ausgeprägte Hoch CARINA, welches mit dem Zentrum über der Biskaya positioniert war. Durch deren Drehung im Uhrzeigersinn wurden maritime subtropische Luftmassen nordwärts geradezu auf den Nordatlantik geführt. Durch das Aufeinandertreffen der kühlen Luft von Tief BOB und der warmen Luft von Hoch CARINA konnte sich eine Welle in der Kaltfront ausbilden. Nachfolgend entstand aus dieser Welle ein Tiefdruckgebiet. Dieser  Vorgang wird in der Meteorologie auch als Zyklogenese bezeichnet. Dabei stellt sich zunächst an einer nahezu ortsfesten Front eine wellenförmige Verformung ein, die sich zunehmend verstärkt. Durch diese Wellenbildung an der Kaltfront von Tief BOB glitt die Warmluft an der Vorderseite der Welle auf die Kaltluft auf. Indes verdrängte die kalte Luftmasse auf der Rückseite die Warmluft, die dadurch zum Aufsteigen gezwungen wurde. Beide Prozesse führen zur Wolkenbildung und einsetzenden Niederschlägen. Diese Hebungsvorgänge verursachen im Zusammenspiel mit der kräftigen Höhenströmung einen Druckabfall am Boden und damit die Ausbildung eines Tiefdruckgebietes. In diesem Fall handelte es sich um ein Wellentief, da es sich um ein kleinräumiges und relativ flaches Luftdruckminimum an einer wellenförmig deformierten Bodenfront ohne eigenständige Zirkulation handelte. Dieses Wellentief trat das erste Mal am 20. Dezember auf der Bodenwetterkarte auf und wurde von der Berliner Wetterkarte auch an diesem Tag in der Analyse auf den Namen CHARLY getauft.

Wellentief CHARLY befand sich um 00 Uhr UTC, also 01 Uhr MEZ mitten auf dem Nordatlantik mit einem Luftdruck von knapp unter 1020 hPa. Der Normaldruck liegt bei 1013 hPa. Infolgedessen ist das Wellentief in dem Sinne kein „klassisches“ Tiefdruckgebiet, sondern nur eine schwach ausgeprägte Wellenstörung. Die dazugehörige Warmfront erstreckte sich bis kurz vor Westirland, wo sie dann in eine Kaltfront eines weiteren Tiefs nördlich von Schottland überging. Die Kaltfront verlief dagegen nur kurzläufig nach Südwesten.

Bis zum Tag nach der Taufe zog das Wellentief mit der westlichen Höhenströmung nordostwärts. Dabei fiel auf, dass das Tief mit weiterer Annäherung an Hoch CARINA zunehmend nach Norden abgedrängt wurde. Der Grund, dass das Wellentief nicht weiter nach Osten vorankommen konnte, war der hohe Luftdruck von 1040 hPa des Hochdruckgebiets. Dagegen kam das bereits erwähnte nur sehr schwach ausgeprägte Wellentief CHARLY nicht an.

Am 21. Dezember positionierte sich das Tief mit einem leicht gestiegenen Kerndruck auf ungefähr 1023 hPa etwa 1300 km westlich vor Irland. Somit schwächte sich Tief CHARLY im Vergleich zum Vortag sogar noch ab. Die Warmfront erstreckte sich bis Westengland, die Kaltfront ist dagegen kaum noch ausgeprägt. Durch die Drehung von Hoch CARINA im Uhrzeigersinn konnte maritime Subtropikluft heranströmen. Südlich der Warmfront wurden daher selbst in der Nacht Temperaturen zwischen 7 und 12 Grad erreicht. Nördlich der Warmfront führten maritim erwärmte Subpolarluftmassen zu kühleren Temperaturen. Dort lagen die Tiefstwerte bei 2 bis 7 Grad. Bis 00 Uhr UTC des 21. Dezembers brachte die Warmfront 6-stündige Niederschlagssummen zwischen 1 und 4 mm in Irland, Südwestengland sowie Wales. An der Station Mace Head, an der Westküste Irlands gelegen, kamen sogar 11 mm im gleichen Zeitraum zusammen. Im weiteren Verlauf zog der Tiefdruckkern vom Wellentief CHARLY unter weiterer Abschwächung bis an die Nordküste Irlands. Der Kerndruck erhöhte sich auf knapp unter 1030 hPa. Dabei löste sich das Tief von der Kaltfront von Tief BOB ab.

Bis 00 Uhr UTC des 22. Dezembers fielen innerhalb von 24 Stunden in Großbritannien und Irland weitere 1 bis 7 mm. In Shannon, der einzigen nach dem 2. Weltkrieg angelegten Stadt Irlands, wurden 8 mm registriert und auf Walney Island in der Irischen See, der achtgrößten Insel vor der Küste Englands, konnten 9 mm gemessen werden. Dabei ließ sich nur ganz vereinzelt mal die Sonne blicken, ansonsten blieb es weitestgehend bedeckt. Zu dem Nachttermin hatte die Kaltfront die vorderläufige Warmfront bereits eingeholt. Es entstand eine Mischfront, die in der Meteorologie als Okklusion oder okkludierte Front bezeichnet wird. Diese Front weist sowohl die Eigenschaften von Kalt- als auch von Warmfronten auf. Die okkludierte Front verlief vom Kern abgehend bogenförmig Richtung Südwesten über den Nordatlantik. Ostwärts vom Tiefdruckkern ging eine weitere Front ab, die zunächst die Eigenschaften einer Warmfront aufwies und ab der Mitte Frankreichs als Kaltfront bis zu den Balearen weiter verlief. In der Nacht und im Laufe des 22. Dezembers sorgte dieses Frontensystem für weitere Niederschläge in Form von Regen in einem breiten Streifen von Südirland über Südwestengland, dem Norden und der Mitte Frankreichs bis zum Südwesten Deutschlands. Bis 06 Uhr UTC hatten die Ausläufer von Tief CHARLY den Westen von Wales erreicht. Dort kamen innerhalb von 6 Stunden noch einmal 2 mm in Pershore und bis 5 mm in Sennybridge zusammen. Im weiteren Tagesverlauf schwächte sich die Zyklone nun allmählich ab. In Nord- und Mittelfrankreich wurden bis 12 Uhr UTC im 6-stündigen Zeitraum nur noch wenige Millimeter bis maximal 3 mm, beispielsweise in der Hafenstadt Rouen registriert. Bis zum Mittag zog das Frontensystem von Zyklone CHARLY über Südwestdeutschland hinweg und brachte dort auch noch ein wenig Regen. Bei milden Temperaturen von 5 bis 8°C fielen in Baden-Württemberg gebietsweise 1 bis 6 mm, wie beispielsweise im Schwarzwald gelegenen Baiserbronn-Ruhestein, wo bis 12 Uhr UTC innerhalb von 6 Stunden 11 mm Niederschlag verzeichnet wurde. Selbst in den höchsten Lagen des Schwarzwaldes fiel der Niederschlag bei 2 bis 4°C als Regen. Nachfolgend löste sich Tief CHARLY mit seinen Fronten vollständig auf. Aufgrund dessen konnte die Zyklone das letzte Mal am 22. Dezember als sehr abgeschwächtes, aber dennoch eigenständiges Tiefdruckgebilde auf der Berliner Wetterkarte lokalisiert werden.

 


Geschrieben am: 28.03.2018 von Lisa-Marie Schulze

Berliner Wetterkarte: 20.12.2017

Pate: Dr. Karl Dirr