Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet
CHRISTIAN
(getauft am
28.04.2021)
Auf der Bodenwetterkarte vom
28.04.2021 um 01 Uhr MEZ (Mitteleuropäische Zeit) konnte sich über
Südfrankreich ein Gebiet mit einem vergleichsweise niedrigen Luftdruck
entwickeln. Dieses neu entstandene Tiefdruckgebiet wurde von den Meteorologen
der Berliner Wetterkarte in der Analyse noch am gleichen Tag auf den Namen
CHRISTIAN getauft und wies bereits eine zwar schwache, jedoch eigenständige
Zirkulation auf. Auch der Kerndruck fiel in diesem noch sehr jungen Zyklonenstadium, mit kaum weniger als 1005 hPa, recht
verhalten aus. Zum Vergleich: der Normaldruck über der Erdoberfläche auf
Meeresniveau beträgt 1013,25 hPa. Zum Zeitpunkt der Namensgebung konnte die
Zyklone CHRISTIAN bereits eine Warmfront nach Osten über die Südalpen, Italien
und das Adriatische Meer vorweisen. Zudem erstreckte sich vom Zentrum des Tiefs
eine Kaltfront nach Südwesten über das Kantabrische Gebirge bis zur Portugiesischen
Atlantikküste. Während die Wetterstationen in der Nordhälfte von Frankreich
meist einen wolkenlosen Himmel vermeldeten, kam es im unmittelbaren
Einflussgebiet des Tiefs CHRISTIAN über Südfrankreich zur verstärkten
Wolkenbildung mit leichtem Regen oder Sprühregen. Dies sollte nur ein
Vorgeschmack sein, denn weitere Prognosen bezüglich der Zyklone ließen bereits
auf eine nördliche Zugrichtung sowie eine Intensivierung mit teils ergiebigen
Niederschlägen schließen.
Die vorangegangene Prognose einer
nördlichen Zugrichtung konnte bereits am darauffolgenden Tag, auf der
Bodenwetterkarte vom 29.04., vom Tiefdruckgebiet CHRISTIAN bestätigt werden.
Begünstigt durch die großräumige Zirkulation über Zentraleuropa konnte sich die
Zyklone innerhalb von lediglich 24 Stunden intensivieren. Der Kern des Tiefs
lag um 01 Uhr MEZ über
Nordrhein-Westfalen, dabei verzeichnete eine Station in Düsseldorf den
niedrigsten Luftdruckwert von 1000,4 hPa. Das äußere Erscheinungsbild dieses
Tiefs glich dem einer Idealzyklone, bestehend aus einer Okklusion, einem
Okklusionspunkt sowie daran anschließend einer Warm- und Kaltfront. Von der
Nordwestspitze Frankreichs ausgehend und entlang der Nordküste Frankreichs
sowie der Benelux-Staaten, erstreckte sich durch das Tiefdruckzentrum hindurch
die Okklusionsfront bis zum sogenannten Okklusionspunkt. Zur
Erklärung: Eine Okklusion ist eine Mischfront, welche entsteht, wenn die
schnellere Kaltfront die vorlaufende, jedoch langsamere Warmfront einholt und
so die wärmere Luft aufsteigen lässt. Der Punkt, an dem sich die Okklusion in
Kalt- und Warmfront aufteilt, wird als sogenannter Okklusionspunkt definiert.
Von dort aus erstreckte sich die vorlaufende Warmfront von Tiefdruckgebiet
CHRISTIAN nach Südosten über Tschechien und den Balkan hinweg bis zur Grenze
Griechenlands. Die nachfolgende Kaltfront verlief hingegen nach Südwesten über
Südfrankreich bis nördlich der Pyrenäen, wo sie in eine Warmfront eines weiteren
Tiefdruckkerns über der Ostküste Spaniens überging. Damit erreichten die
Frontenausläufer der Zyklone CHRISTIAN Deutschland bereits in der Nacht vom
28.04. auf den 29. April. Bis in die Morgenstunden hinein kamen 5 bis 10 l/m²,
örtlich sogar 15 l/m² zusammen. Der Flughafen Frankfurt/Main verzeichnete
beispielsweise 15,3 l/m². Zu Beginn des Tages sorgte das ausgedehnte
Niederschlagsfeld an der Okklusionsfront von Tief CHRISTIAN für teils
langanhaltenden Regen. Der Schwerpunkt lag zunächst in Niedersachsen, wo in
Braunschweig innerhalb von nur 6 Stunden 10,2 l/m² gefallen waren. Im weiteren
Verlauf dehnte sich das Regengebiet schließlich über den gesamten Nordosten
Deutschlands, östlich der Elbe aus. Rückseitig des Frontensystems von
Tiefdruckgebiet CHRISTIAN strömten zudem feucht-labile Luftmassen polaren
Ursprungs ein. Die Formulierung 'labil' bezieht sich hierbei auf die Temperatur
der betrachteten Luftmasse, die, im wärmeren Zustand als die Umgebungsluft,
Auftrieb erfährt und mit der Feuchtigkeit aufsteigt. Dieser Prozess resultierte
in zahlreichen Regenschauern und Gewittern, die sich über Deutschland von
Südwesten nach Nordosten ausbreiteten.
Am
Nachmittag erreichte eine Gewitterkette schließlich auch Berlin und
Brandenburg, dabei kamen im Berliner Stadtgebiet vereinzelt sogar mehr als 10
l/m² in weniger als einer halben Stunde zusammen. Teilweise fiel dieser
Niederschlag sogar in Form von Hagel, so waren beispielsweise im Bezirk
Steglitz-Zehlendorf einige Straßen kurzzeitig komplett mit Hagelkörnern
bedeckt. Mit den Schauern einher gingen auch kurze, aber heftige Windböen: An
der Station Berlin Dahlem wurde als Maximum 83,2 km/h registriert, das
entspricht Windstärke 9 und wird als „Sturm“ bezeichnet. Lediglich auf dem 1141
Meter hohen Brocken im Harz gab es in Deutschland an diesem Tag noch stärkere
Windböen von 92,5 km/h (Beaufort 10), welcher im Wortlaut „schwerer Sturm“
bedeutet. Mit dem auf der Tiefrückseite raschen Einfließen der kühleren Luft
und der guten Durchmischung durch den Wind fiel auch die Temperatur teilweise
rapide ab. Innerhalb von lediglich fünf Stunden sank die Temperatur am frühen
Abend an mehreren Stationen in Berlin und Brandenburg um teilweise mehr als 6
Kelvin ab.
Auf der Bodenwetterkarte vom
30.04. blieb der Luftdruck im Kern vorerst stabil, zudem teilte sich die
Zyklone CHRISTIAN in zwei Teiltiefdruckgebiete, namentlich CHRISTIAN I und
CHRISTIAN II, auf. Verbunden wurden beide Tiefdruckzentren durch die
Okklusionsfront, ausgehend von den Niederlanden über Deutschland und Polen
hinweg bis zum Okklusionspunkt knapp südlich der Zyklone CHRISTIAN II. Nach
Südosten verlief die Warmfront bis knapp über das Schwarze Meer. Die Kaltfront
hingegen erstreckte sich nach Südwesten bis über die Südalpen und bildete eine
markante Luftmassengrenze zwischen vergleichsweise trockener Luft subtropischen
Ursprungs (xS) östlich davon und der aus Westen
vordringenden feuchten Kaltluft polaren Ursprungs (mP).
In der Nacht vom 29.04. auf den 30.04. weitete die Teilzyklone CHRISTIAN II
ihren Einfluss schließlich auch auf die Baltischen Staaten aus, jedoch blieben
die 12-stündigen Regenmengen bis in die Morgenstunden hinein um 07 Uhr MEZ mit
maximal 12 l/m² im litauischen Šiauliai eher
moderater Natur. Die mitgeführte Feuchtigkeit in der Luft in Kombination mit
einer Abkühlung resultierte in Polen, Litauen und Weißrussland in großräumigen
Gebieten in feuchtem Dunst oder sogar Nebel. Beispielsweise vermeldete die
polnische Wetterstation Elblag in der Nacht zunächst feuchten Dunst und
schließlich dichter werdenden Nebel, der sich bis in die Frühstunden
hineinhalten konnte.
Nachdem sich die beiden
Tiefdruckteilzentren CHRISTIAN I und CHRISTIAN II auf der Bodenwetterkarte vom
01.05. wieder zusammenfinden konnten, verlagerte sich die nun wieder nur als
CHRISTIAN bezeichnete Zyklone rasch weiter nach Nordosten und befand sich knapp
nördlich des 60. Breitengrades über Nordwestrussland. Das Zentrum von Tief CHRISTIAN
konnte sich auf einen Kerndruck von etwas weniger als 1000 hPa stabilisieren,
dabei wurde die vorlaufende Warmfront weiter von der nachfolgenden Kaltfront
eingeholt. So erstreckte sich die Okklusionsfront von Polen über Litauen und
Weißrussland bis zum Tiefdruckzentrum und dem Okklusionspunkt. Die Warmfront
verlief geradewegs nach Süden, während sich die Kaltfront nach Südwesten weiteren
Tiefdrucksystemen anschloss. Wettertechnisch verlor die Zyklone CHRISTIAN so
langsam ihren unmittelbaren Einfluss auf Zentraleuropa, jedoch wurde rückseitig
des Tiefdrucksystems polare und teilweise sogar arktische Luft über
Skandinavien nach Süden geführt.
Auf der Bodenwetterkarte vom
02.05. verlagerte sich die Zyklone CHRISTIAN weiter nach Norden, dabei
intensivierte sich das Tiefdruckgebiet nochmals kräftig, innerhalb von
lediglich 24 Stunden, auf einen Kerndruck von etwas weniger als 990 hPa. Das
Tiefdruckzentrum von der Zyklone befand sich nun über dem 70. Breitengrad und
dem 45. Längengrad über der russischen Nordwestküste zur Barentssee. Zu diesem
Zeitpunkt konnte das Tiefdruckgebiet CHRISTIAN noch eine kurze Okklusionsfront,
eine kaum noch wetterwirksame Warmfront nach Süden, als auch eine
langgestreckte Kaltfront nach Südwesten bis über Wolgograd vorweisen. Die teils
deutliche Intensivierung sowie die Positionierung der Zyklone CHRISTIAN in
unmittelbarer Nähe zu einem blockierenden Hochdruckgebiet über Russland sorgte
aufgrund der Luftdruckgegensätze für signifikante Windverhältnisse östlich von
Moskau. Der Flughafen Kazan vermeldete um 06 Uhr MEZ einstündige Böen von 54
km/h, das entspricht „starkem“ bis „stürmischem“ Wind und Beaufort 7. Etwas
später konnten die Stationen Vjatskie Poljany und Ohansk sogar
einstündige Windböen von 65 und 72 km/h registrieren, also stürmischen Wind der
Stärke 8 Beaufort.
Auf den nachfolgenden
Bodenwetterkarten vom 03.05. und 04.05. verblieb die Zyklone zwar weiterhin
quasistationär über dem 70. Breitengrad, jedoch wurde das Tiefdruckgebiet
CHRISTIAN, von einem großräumigen Hochdruckgebiet über Grönland und dem Europäischen
Nordmeer, als auch von dem oben bereits beschriebenen Hochdruckgebiet über
Russland allmählich mit Luft aufgefüllt. Damit schwächte sich die Zyklone CHRISTIAN
zunächst auf einen Kerndruck von etwas weniger als 995 hPa und schließlich auf
kaum weniger als 1005 hPa ab. Zudem konnte die nachfolgende Kaltfront die
vorlaufende Warmfront nun vollends einholen, sodass sich in einem östlich
ausufernden Bogen die nun schwach ausgeprägte Okklusionsfront zunächst nach
Süden erstreckte und sich schließlich aus dem Kartenbereich der Berliner
Wetterkarte hinaus verlagerte.
Schließlich konnte die Zyklone
CHRISTIAN nach einer beträchtlichen Lebensdauer von insgesamt sieben Tagen von
den Meteorologen nicht mehr auf der Bodenkarte der Berliner Wetterkarte vom
05.05. analysiert werden. Nachdem es sich zunächst als schwaches
Luftdruckdefizit über Südfrankreich ausgebildet hatte, zog es unter
Intensivierung rasch nach Deutschland und sorgte für zahlreiche signifikante
Wettererscheinungen, wie teils langanhaltender Regen, Regenschauer und Gewitter
mit markanten Böen als auch größere Hagelansammlungen. Ebenso die Temperatur
wurde in Mitteleuropa maßgeblich mitbeeinflusst. Im weiteren Verlauf zog es das
Tiefdruckgebiet CHRISTIAN unter kurzzeitiger Aufteilung in CHRISTIAN I und
CHRISTIAN II nach Osteuropa und schließlich bis zur Barentssee nördlich des
Polarkreises, wo es dann aus dem Darstellungsbereich der Berliner Wetterkarte verschwand.