Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet CHUCK

(getauft am 24.12.2015 )

 

Nahezu den gesamten Monat Dezember über wurde das Wettergeschehen über dem atlantisch-europäischen Raum durch zwei umfangreiche und beständige Druckgebilde bestimmt. Zum einen befand sich über dem Nordatlantik ein breiter und weit südwärts reichender Höhentrog, also ein Gebiet niedrigen Luftdrucks in der Höhe, gefüllt mit hochreichender Kaltluft. Zum anderen breitete sich von Südeuropa hoher Luftdruck keilförmig bis nach Zentraleuropa, zeitweilig sogar bis nach Skandinavien, aus. Zwischen beiden Druckgebilden konnte sich eine recht beständige südwestliche Höhenströmung ausbilden, mit der wiederholt Tiefdruckwirbel, die sich am Rande des Troges bildeten, vom Atlantik gen Westeuropa zogen.

Um den 23. Dezember herum ereignete sich eine weitere Zyklogenese infolge eines Kaltluftvorstoßes aus dem arktisch-kanadischen Raum in den Bereich des subtropischen Atlantik. Aufgrund günstiger atmosphärischer Bedingungen konnte sich das Tief rasch zu einem Sturmwirbel entwickeln und sich dabei vom Seegebiet nördlich der Azoren bis zum Tagesende bis vor die Westküste Großbritanniens verlagern. Gleichzeitig bildeten sich die für ein Tief typischen Strukturen mit Warm- und Kaltfront heraus.

In der Folge erreichten bereits in den Nachmittagsstunden dichtere Wolkenfelder ohne nennenswerte Niederschläge die Britischen Inseln und zum Abend auch das Sturmfeld der Zyklone. Dabei wurden im Flachland verbreitet starke bis stürmische Böen gemessen, an der Westküste Irlands, Schottlands und Wales sowie in den schottischen Highlands auch einzelne Böen in Orkanstärke. An der exponiert gelegenen Bergstation Cairngorm Mountains in 1245 m Höhe wurde gar eine Spitzenböe von 176 km/h registriert.

Im weiteren Verlauf sollte die Zyklone mit ihren Ausläufern schon bald auch das Wetter in Mitteleuropa beeinflussen und so wurde das bis dato noch namenlose Tief in den Frühstunden des 24. Dezembers auf den Namen CHUCK getauft.

Um 00 UTC, was 01 Uhr MEZ entspricht, befand sich das Tief CHUCK mit einem Kerndruck von knapp unter 975 hPa wenige Hundert Kilometer westlich von Schottland. Die Warmfront hatte zu diesem Zeitpunkt die Britischen Inseln bereits vollständig überquert und erstreckte sich bogenförmig bis zur mittleren Nordsee. Die Kaltfront indes verlief vom Zentrum aus südwestwärts über Irland hinweg über das Seegebiet der Azoren. Bereits in der Nacht hatten schauerartige Niederschläge im Zusammenhang mit der Kaltfront Irland, Schottland und Wales erfasst. Hier fielen meist um die 10 l/m² in 12 Stunden, in Glasgow etwa 14 l/m², in den Schottischen Highlands vereinzelt auch bis zu 37 l/m² wie in Tulloch Bridge.

Tagsüber überquerte das Niederschlagsband die Britischen Inseln ostwärts und erfasste später auch den Norden Frankreichs sowie die westnorwegische Küste. Während es über England durchschnittlich 5-10 l/m² in 12 Stunden regnete, blieben die Niederschläge über Frankreich von meist nur geringer Intensität mit 2 bis 5 l/m² in 12 Stunden. Ganz anders stellte sich die Situation vor der westnorwegischen Küste dar. Einhergehend mit der Verlagerung des Tiefdruckkerns Richtung Norwegische See kamen hier stärkere Regenfälle auf, die begünstigt durch Staueffekte an den Südskanden örtlich bis zu 32 l/m² Regen zwischen 06 bis 18 UTC brachten.

Das Hauptwindfeld dehnte sich in den Vormittagsstunden von den Britischen Inseln weiter Richtung Skandinavien und bis ins nördliche Mitteleuropa aus. Über den Britischen Inseln blieb der Wind bis zum Abend noch stürmisch, wobei in Küstennähe auch einzelne schwere Sturmböen bis Stärke 10, in den Bergen vereinzelt auch orkanartige Böen registriert wurden, beispielsweise in Edinburgh mit bis zu 98 km/h. Über Norwegen frischte der Wind ab den Morgenstunden vor allem entlang der Westküste stark bis stürmisch auf, so wurden z.B. in Bergen wiederholt Sturmböen bis 83 km/h registriert. Deutschland hingegen erreichte das Sturmfeld weniger stark, allerdings wehte auch hier der Wind vor allem im Nordseeumfeld und angrenzendem Binnenland ab den Mittagsstunden frisch bis stark und in Böen stürmisch.

Gleichzeitig befanden sich weite Teile Mitteleuropas und insbesondere Deutschlands im Warmsektor des Tiefs, wobei die durch das Tief herangeführte Warmluft subtropischen Ursprungs war. So blieb es an Weihnachten für diese Jahreszeit ungewöhnlich mild mit Höchstwerten von verbreitet 13 bis 14°C in den Benelux-Ländern und der Westhälfte Deutschlands. In Freiburg im Breisgau wurde sogar ein Maximum von 16,8°C gemessen.

Währenddessen erreichte das Tief in den Abendstunden bereits den Höhepunkt seiner Entwicklung. Nach Analyse des britischen MetOffice hatte sich die Zyklone um 18 UTC über der Norwegischen See auf einen Luftdruck von 964 hPa vertieft.

In der sich anschließenden "Heiligen Nacht" überquerte die Kaltfront mit teils schauerartigem Regen zügig den Süden Skandinaviens, die Benelux-Länder und auch die Nordhälfte Deutschlands. Niederschlagsschwerpunkt blieb weiterhin die Westküste Norwegens mit gebietsweise zweistelligen Regenmengen von z. B. 18 l/m² in Evanger in der Provinz Hordaland. Im übrigen Skandinavien fielen die 12-stündigen Niederschlagssummen mit 2 bis 6 l/m² geringer aus und in Deutschland und den Benelux-Staaten regnete es kaum mehr als 1 l/m² in 12 Stunden. Lediglich in einem Streifen zwischen Ardennen - Rheinland bis zur Lüneburger Heide fielen zwölfstündlich 2 bis 4 l/m², in Essen 5 l/m².

Am 25. Dezember verlagerte sich der Kern entlang der norwegischen Küste weiter nordostwärts Richtung Nordskandinavien. Damit einhergehend zog auch das Frontensystem über Skandinavien und dem Ostseeraum hinweg weiter ostwärts, wobei sich Warm- und Kaltfront zu einer Okklusion vereinigten. Die in diesem Zusammenhang leichten bis mäßigen Niederschläge brachten um die 2 bis 5 l/m² in 12 Stunden, wobei die Niederschläge mit der herantransportierten feucht-kühlen Meeresluft verbreitet bis nach Lappland und ins Baltikum als Regen fielen. Dabei stiegen die Temperaturen nahezu überall in Fennoskandien auf leichte Plusgrade, etwa lagen die Maxima in Stockholm und Helsinki bei +7°C und selbst im finnischen Rovaniemi am Polarkreis wurden noch bis zu +2°C gemessen. Doch auf der Rückseite des Tiefs erreichte zum Nachmittag bereits wieder ein Schwall arktischer Kaltluft von Nordwesten her die Skandinavische Halbinsel. Die mit der Kaltfront verbundenen Schneeschauer zogen mit unterschiedlicher Intensität vom Nordmeer über Norwegen hinweg weiter ostwärts, wobei z.B. in Tromsö 3 l/m², in Trondheim 8 l/m² und im Raum Bergen bis zu 20 l/m² fielen. Der Wind blieb vor allem südöstlich vom Tiefdruckzentrum über Skandinavien und im Ostseeumfeld lebhaft und in Böen stürmisch. In exponierten Lagen direkt an der Westküste Norwegens sowie dem Skandinavischen Gebirge wurden erneut einzelne Orkanböen registriert, wie z.B. auf dem 1036 m hohen Stekenjokk mit 155 km/h oder auf der westnorwegischen Insel Svinøya mit 133 km/h. Auch in der Nacht setzten sich die Niederschläge über Skandinavien, dem Baltikum und dem Westen Russlands mit ähnlicher Intensität fort, z.B. fielen in Moskau 5 l/m². Dagegen ließ der Wind zumindest über großen Teilen des skandinavisch-baltischen Raums allmählich nach. Lediglich im Bereich des nordwärts ziehenden Tiefdruckkerns, im Küstenumfeld von Nord- und Ostsee sowie im oberen Bergland der Skandinavischen Alpen blieb es weiter stark stürmisch.

In den Frühstunden des 26. Dezembers befand sich das Tief CHUCK mit dem Zentrum bereits nördlich des Nordkaps mit einem Kerndruck von unter 970 hPa. An der Messstation Fruholmen nahe dem Nordkap wurde z.B. um 00 UTC ein Luftdruck von 966,8 hPa gemessen. Die Ausläufer des Tiefs hatten zu diesem Zeitpunkt bereits Fennoskandien vollständig überquert und erstreckten sich als Okklusion von der Barentssee, über das Weiße Meer bis über den Moskauer Raum, um von dort als Warmfront weiter bis nach Südrussland, bzw. als Kaltfront bis zur Ukraine zu reichen. Dahinter folgte eine weitere Kaltfront, die vom Zentrum ausgehend über Skandinavien südwestwärts bis zur nördlichen Nordsee verlief.

Entlang des langsam ostwärts ziehenden Frontensystems kam es auch am 2. Weihnachtsfeiertag zu weiteren, zumeist nur leichten Niederschlägen. Über Skandinavien fielen diese mit weiter einfließender Arktikluft durchweg als Schnee, über dem Baltikum und Westrussland in erwärmter Meereskaltluft als Nieselregen oder Regen und schließlich im Übergangsbereich zu kontinentaler Subpolarluft über Zentralrussland wieder als Schnee. Der Niederschlagsschwerpunkt lag dabei zwischen Karelien und oberer Wolga mit 2 bis 5 l/m² in 12 Stunden, sonst lagen die 12-stündigen Niederschlagsmengen meist bei nur wenigen Zehntel Litern. Der Wind blieb in Nähe zum Tiefdruckkern über dem äußersten Norden und Nordwesten Norwegens zeitweilig noch stürmisch mit vereinzelten Orkanböen an den Küsten, ließ aber im weiteren Verlauf auch hier allmählich nach, da sich der Tiefdruckwirbel von der Barentssee Richtung Nordpolarmeer entfernte. Gleichzeitig entwickelte sich auch die Struktur der Zyklone weiter. So verliefen Okklusion und Kaltfront mehr und mehr zusammen und an der Verknüpfungsstelle bildete sich bis zum Tagesende ein neuer, eigenständiger Kern, der in den folgenden Stunden die Rolle des steuernden Tiefs übernahm.

Am Morgen des 27. Dezembers befand sich das neue Zentrum von Tief CHUCK über Nordwestrussland wenig südlich vom Weißen Meer mit knapp unter 990 hPa. So wurden in Archangelsk um 00 UTC etwa 987,4 hPa gemessen. Über eine schwache Okklusion bestand noch eine Verbindung zum alten Kern, welcher mit knapp unter 970 hPa mittlerweile im Bereich der Franz-Josef-Land-Inseln an der Grenze zur Arktis und damit außerhalb des Ausschnitts der Berliner Wetterkarte lag. Die quasi wetterinaktive Warmfront erstreckte sich vom Zentrum ausgehend südostwärts über das Uralvorland bis zum südlichen Ural. Die Kaltfront dagegen in südwestliche Richtungen über den Moskauer Raum bis nach Weißrussland.

In den folgenden Stunden zog das Tiefdrucksystem mit seinen Fronten unter Abschwächung langsam weiter südostwärts in Richtung Ural. Die ebenfalls in ihrer Intensität weiter nachlassenden Niederschläge beschränkten sich im Wesentlichen auf den Bereich rund um den Tiefdruckkern. So meldete etwa die Station Syktyvkar zwischen 03 und 15 UTC 0,9 l/m² Niederschlag und zwischen 15 und 03 UTC des Folgetages weitere 0,4 l/m². Ähnliche Mengen wurden auch in Perm mit jeweils 0,7 l/m² in 12 Stunden gemessen. Die in dieser Region ohnehin schon vorhandene mächtige Schneedecke erhöhte sich dabei kaum, in Perm etwa von 37 cm bis zum 28.12. auf 38 cm.

Letztmalig konnte Tief CHUCK am Morgen des 28. Dezember mit mittlerweile nur noch 995 hPa und mit Zentrum über dem südlichen Uralvorland zwischen den Städten Perm und Ufa analysiert werden. In den folgenden Stunden entfernte es sich langsam über das Uralgebirge hinweg ostwärts Richtung Westsibirien und verließ damit den Ausschnitt der Berliner Wetterkarte.

 

 

Geschrieben am 11.02.2016 von Gregor Pittke

Berliner Wetterkarte: 25.12.2015

Pate: Steven Günther