Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet DIMITRIOS

(getauft am 10.01.2021)

 

In der Nacht vom 10. auf den 11.01.2021 bildete sich über Schottland ein neues Tiefdruckgebiet. In der Berliner Wetterkarte war es ab dem 11.01.2021 abgebildet. Schon am Vortag wurde die Entstehung dieses Tiefs und die weitere Verlagerung dessen in Richtung Europa prognostiziert. Damit war klar, dass es in der kommenden Zeit die Wetterlage Europas maßgeblich beeinflussen würde. Aus diesem Grund tauften die Meteorologen der Berliner Wetterkarte diese Zyklone noch am 10.01.2021 in der Prognose für den Folgetag auf den Namen DIMITRIOS. Das Tief entstand als ein sogenanntes Randtief des zwischen Island und Norwegen gelegenen Tiefs CEMAL. In der folgenden Woche verdrängte DIMITRIOS das über Süd- und Mitteleuropa ausgeweitete Hoch ANTJE und bescherte Deutschland abwechslungsreiches Wetter.

 

Am 10.01.2021 entwickelte sich Tief DIMITRIOS als ein sogenanntes Wellentief an einer Luftmassengrenze über dem nördlichen Schottland auf der Rückseite der Kaltfront von Tief CEMAL. Im Norden der Luftmassengrenze lag maritime arktische Luft, während im Süden wärmere maritime subtropische Luft von Westen herangeführt wurde. Möglicherweise war diese Strömung die Ursache für die Auslenkung entlang der Luftmassengrenze, aus der sich schließlich ein ausgewachsenes Tiefdruckgebiet entwickeln sollte. Das Zentrum von Tief DIMITRIOS bildete sich etwa über Leuchars (55 km nördlich von Edinburgh). Hier sank der Luftdruck auf Meereshöhe von 1017 hPa innerhalb von 24 Stunden auf 998 hPa (gemessen am 11.01.2021 um 12 UTC). Jedoch war zu diesem Zeitpunkt noch kein zyklonales, also gegen den Uhrzeigersinn gerichtetes Strömungsmuster um das Zentrum herum auszumachen. Die Zyklone war also noch keine eigenständige Zyklone, sondern war wie schon erwähnt gerade mal ein Randtief, folgte also am Rand des Strömungsmusters von Tief CEMAL dessen Spuren. Das bedeutet, dass sich das Tief DIMITRIOS nur auf den bodennahen Teil der Atmosphäre erstreckte und dass es sich im Einflussgebiet des nördlich gelegenen steuernden Zentraltiefs CEMAL befand, welches sich auch in höhere Luftschichten erstreckte und so in seinem Zentrum für einen Luftmassenaufstieg sorgte. Beide Tiefs bewegten sich in Richtung Skandinavien, CEMAL schwächte sich dabei ab, während DIMITRIOS sich verstärkte, bis schließlich Tief CEMAL in die Zirkulation von Tief DIMITRIOS mit aufgenommen wurde und als eigenständiges Tief von der Wetterkarte verschwand. Das Tief DIMITRIOS konnte sich nun, verstärkt vom Höhentief, das zuvor das Tief CEMAL begleitete, voll entwickeln und als eigenständige Zyklone mit umschlossener Isobare (Linie gleichen Luftdrucks) agieren.

 

Am 12.01.2021 war Tief DIMITRIOS mit unter 985 hPa im Kern (50 km nördlich von Uppsala) und einem deutlichen, vom Kern aus bereits okkludierenden Frontensystem am kräftigsten ausgeprägt. Die Warmfront erstreckte sich von Südschweden über Rügen, Hamburg und Amsterdam bis zum Ärmelkanal und brachte bereits verbreitet mäßige Niederschläge mit sich; so wurde in einem Band zwischen Rügen und Dünkirchen bereits um 00 UTC mäßiger Regen gemeldet. Die Kaltfront beschrieb zur gleichen Zeit von Südschweden aus einen Bogen etwa 80 km vor der deutschen und niederländischen Nordseeküste über England auf Höhe von Leeds und Manchester bis an das Nordende Irlands. Im Laufe des Tages holte die Kaltfront die Warmfront immer mehr ein, bis das Frontensystem vollständig okkludiert war. Diese okkludierte Front schob in südöstlicher Richtung schauerartige Niederschläge vor sich her. Um 16 UTC meldete Salzburg das erste Mal an diesem Tag Schneefall. In der Tagessumme zeigten sich am 12.01.2021 leichte bis mäßige Niederschlagsereignisse über Deutschland, in der Südhälfte Deutschlands kam es gebietsweise auch zu stärkeren Intensitäten: regionale Höchstwerte innerhalb 24 Stunden von 43,1 mm wurden in Baiersbronn-Ruhestein und 32,0 mm in Oberstdorf-Rohrmoos gemeldet. Okklusionsfront bedeutet hier, dass sich die kalte Luftmasse vom Tiefdruckzentrum aus unter die warme Luftmasse schiebt, sodass am Boden keine beachtliche Luftmassengrenze mehr besteht, sondern nur in der Höhe. Tatsächlich war die wärmere Luft anhand der gemessenen Temperaturen nur bis zum Nachmittag über dem Nordwesten Deutschlands zu erkennen. Lässt man sich die stündlichen Temperaturmesswerte graphisch darstellen, ist für den 12.01.2021 schön zu erkennen, wie sich die zwei Fronten reißverschlussartig zusammenziehen und das Warmluftband in südwestliche Richtung verdrängen.

 

Am Folgetag, dem 13.01.2021, wies Tief DIMITRIOS zwei Teilkerne, einer über Südnorwegen (DIMITRIOS I) und der andere über Südschweden (DIMITRIOS II), auf, um welche sich jeweils eine Okklusionsfront kringelte. Im Tagesverlauf verlagerten sich die beiden Kerne nach Süden, vereinigten sich schließlich wieder zu einem Kern, welcher dann letztendlich in der Nacht auf den 14.01.2021 Berlin überquerte. Gleichzeitig schob sich in höheren Luftschichten ein kräftiger Hochdruckrücken über dem Nordmeer in Richtung Skandinavien, welcher die Luft aus der Arktis bis in den Mittelmeerraum transportierte sowie die Luftdruckgegensätze im Bodenniveau zwischen dem neu getauften Hoch BOZENA über dem nördlichen Skandinavien und dem Tief DIMITRIOS über Ostdeutschland verschärfte und so über der Nordsee und im allgemeinen ganz Deutschland eine Starkwindzone entstehen ließ. In Deutschland wurden in Spitzen Windböen mit etwa 50-70 km/h bzw. Windstärke 7-8 gemessen, am Brocken erreichte die stärkste gemessene Böe 119 km/h; das entspricht der höchsten Stufe der Beaufortskala: Windstärke 12 (Orkanstärke). Einhergehend mit dieser Strömung transportierte Tief DIMITRIOS von Norden her eine feuchte arktische Luftmasse mit einer Kaltfront in den Nordosten Deutschlands, wo sie in Berlin (Dahlem) für einen Temperaturabfall von 3,4°C um 16 UTC auf 0,4°C um 18 UTC sorgte. Die Front brachte teils feste und teils flüssige Niederschläge mit sich und machte Berlin zum Zeugen einer seltenen Wettererscheinung. Aufgrund extremer Temperaturunterschiede von der bodennahen feuchten Luft zu den darüber liegenden Luftmassen (in etwa 5 km Höhe zeigten die Höhenwetterkarten am 13. und 14.01.2021 um jeweils 00 UTC Temperaturen von -36 °C über Deutschland) entstanden entlang der Kaltfront Schneegewitter. Die Sichtweite verringerte sich in Berlin-Tegel aufgrund des Schneefalls um 17 UTC vorübergehend von 18 km auf 3 km. Diese Nord-Süd-Bewegung der Front bzw. des ganzen Tiefdruckgebietes DIMITRIOS am 14.01.2021 lässt sich eindrucksvoll anhand der Regen- und Blitzradarbilder jenes Tages verfolgen.

In der Nacht auf den 15.01.2021 überquerte auch die zweite, sich neu gebildete Front des Tiefs DIMITRIOS mit erneuten Niederschlägen den Nordosten Deutschlands. Sie okkludierte jedoch rasch und löste sich bis zum Morgen über Sachsen und Tschechien auf; das Tief wurde insgesamt schwächer und der Kerndruck stieg während der Wanderung an die polnisch-ukrainische Grenze bis Mitternacht auf etwa 1000 hPa an. Damit verlor das Tief seinen Einfluss auf die Wetterlage über Deutschland; über Polen zeigte es noch eine schwache Kaltfront. Hier brachte die Zyklone arktische Luft mit sich, die für kalte Temperaturen mit bis zu -10°C in der ukrainischen Stadt Winnyzja sowie für Schneefall sorgte.

 

Am 16.01.2021 war das Tief DIMITRIOS mit einem Kerndruck von über 1005 hPa südlich von Moskau zum letzten Mal auf der Berliner Wetterkarte zu sehen, bevor es sich schließlich auflöste. Auf der Rückseite von DIMITRIOS konnte sich der Einfluss von Hoch BOZENA von Skandinavien bis zum Ural ausdehnen. Dieser Hochdruckeinfluss sollte sich im Zusammenspiel mit einem weiteren von Frankreich her kommenden Hoch namens CHANA für ein paar Tage über Deutschland halten und für freundlicheres Wetter sorgen, während vom Atlantik her bereits neue Tiefdruckgebiete (FLAVIU und GORAN) auf dem Weg sind.