Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet DOROTHEE
(getauft am 24.05.2016)
Im Laufe des 24. Mai 2016 bildete sich nordwestlich
des über den Balkan von West nach Osten ziehenden Tiefdruckgebietes CHRISSY ein
Tiefdruckgebiet, das am 24. Mai in der Prognose der Berliner Wetterkarte für
den 25. Mai auf den Namen DOROTHEE getauft wurde.
Am 25. Mai lag das Zentrum des Tiefdruckgebietes
DOROTHEE mit einem Kerndruck von unter 1015 hPa über Norddeutschland und
Süddänemark. Von dort verlief eine Warmfront bis über das südliche Schweden, um
in eine vor allem in höheren Luftschichten ausgeprägte Mischfront mit Warm- und
Kaltfronteigenschaften, eine sogenannte Okklusionsfront, überzugehen. Diese
Okklusionsfront gehörte zu einer verwellten Luftmassengrenze, die sich über
Nord- und Nordosteuropa bis zum Zentrum eines unbenannten Tiefdruckgebietes mit
Kern westlich der zu Russland gehörenden Doppelinsel Nowaja Semlja erstreckte.
Südlich vom Zentrum des Wirbels DOROTHEE ausgehend verlief außerdem eine
Höhenokklusionsfront bis über den Norden Bayerns, wo der Anschluss zu einer
Warmfront bestand, welche ihrerseits über dem östlichen Österreich in eine
Höhenokklusion überging, die zum Tief CHRISSY über Rumänien gehörte.
Zusammenfassend trennten also die Fronten des Tiefs DOROTHEE wärmere Luft über
dem östlichen Europa von weniger warmer Luft über Westeuropa, und die Fronten
waren in ein umfangreiches Tiefdrucksystem eingebunden, das vom nördlichen Teil
des europäischen Russlands bis fast zum Schwarzen Meer reichte. Bis zum Morgen
des 25. Mai kamen in Deutschland maximal 20 l/m² Regen innerhalb von 24 Stunden
zusammen. Dies war in Feldberg in Mecklenburg-Vorpommern der Fall. Die
Niederschläge, die mit der Entwicklung des Tiefdruckgebietes DOROTHEE und
seiner Fronten vom 24. Mai zum 25. Mai verbunden waren, waren nicht gleichmäßig
verteilt, denn die nicht allzu weit vom nassesten Ort Feldberg gelegenen
Wetterstationen Neuruppin und Angermünde in Brandenburg meldeten im ersten Fall
gar keinen messbaren Niederschlag, im zweiten Fall kamen lediglich 0,7 l/m²
zusammen. In Ueckermünde am Oderhaff stieg die
Temperatur tagsüber in der relativ warmen Luftmasse immerhin auf 21,5°C an, was
an diesem Tag innerhalb des Messnetzes des Deutschen Wetterdienstes der höchste
Wert war. Weiter westlich war es dagegen gebietsweise ausgesprochen kühl. So
wurde im niedersächsischen Soltau gerade einmal eine Höchsttemperatur von
14,0°C erreicht, in Lüdenscheid in Nordrhein-Westfalen betrug das Maximum
13,6°C und im thüringischen Leinefelde stieg die Temperatur auf 13,1°C.
Bis zum Morgen des Folgetages lag die höchste
24-stündige Niederschlagssumme in Deutschland mit 8,5 l/m² auf Helgoland. In
der litauischen Hauptstadt Vilnius kamen im gleichen Zeitraum 26 l/m²
Niederschlag zusammen. Wiederum gab es in der näheren Umgebung dieser relativ
niederschlagsreichen Orte, sowohl an der Nordsee als auch in den baltischen
Staaten, Wetterstationen mit wenig oder gar keinem messbaren Niederschlag.
Trocken blieb es beispielsweise in Leck im Norden von Schleswig-Holstein und in
der lettischen Hauptstadt Riga. Zu erklären sind sowohl die recht hohen
Regenmengen als auch die teils komplett trockenen Gebiete in der Umgebung mit
der zwischenzeitlichen Entwicklung des Tiefdruckgebietes DOROTHEE. Dieses hatte
sich mittlerweile in zwei Teiltiefs aufgespalten. Während sich das Teiltief
DOROTHEE I vor der ostenglischen Küste befand, lag das Tief DOROTHEE II
ungefähr zwischen den Hauptstädten Finnlands und Estlands, Helsinki und
Tallinn. Vom Kern des Tiefs DOROTHEE I mit einem Luftdruck von unter 1020 hPa führte
eine Okklusionsfront bis zum Okklusionspunkt über der südlichen Nordsee und
damit in der Nähe Helgolands. Von dort verlief eine Kaltfront über den
Nordosten Deutschlands und Polen bis über die Slowakei. Außerdem ging vom
Okklusionspunkt eine Warmfront aus, die nahe der nordostdeutschen und
polnischen Küste entlang führte und etwa im Bereich von Danzig in eine
Kaltfront überging, die über das westliche Baltikum bis zum Zentrum des Tiefs
DOROTHEE II reichte. Der dortige Kerndruck lag mit unter 1010 hPa tiefer als
beim Tief DOROTHEE I. Dies ist ein Erklärungsansatz für die höhere
Niederschlagssumme von Vilnius im Vergleich zu der von Helgoland. Weiter
nördlich bis nordöstlich schloss sich eine Warmfront an, die etwa im Bereich
der nordwestrussischen Stadt Archangelsk in die Kaltfront eines über Nowaja
Semlja liegenden unbenannten Tiefs überging. Ein weiterer Grund kann
möglicherweise darin gesehen werden, dass die Wetterstationsdichte im Bereich
der Nordsee abseits der unmittelbaren Küstengewässer gering ist und somit ein
eventuell höherer Wert im Bereich des Okklusionspunktes nicht registriert
wurde. Nicht nur in der Nähe eines Okklusionspunktes, sondern auch an
Kaltfronten ist oft recht starker Niederschlag zu beobachten, der gelegentlich einer
sehr viel geringeren oder gar nicht vorhandenen Niederschlagsmenge in der
Umgebung gegenübersteht. Zusätzlichen Antrieb für starke, aber lokal eher eng
begrenzte Niederschläge besonders über dem Ostseeraum sowie dessen näherem
Umfeld dürfte ein sogenannter Kaltlufttropfen gegeben haben, der sich über
Schweden etwa im Bereich der Hauptstadt Stockholm befand. Durch große
Unterschiede zwischen warmer Luft am Boden vor der Kaltfront und kalter Luft in
höheren Luftschichten konnte es in Teilen des Baltikums, konkret eben im Raum
Vilnius, zu stärkeren Niederschlägen gekommen sein, während sich andernorts in
der Region keine oder nur wenig wetteraktive Schauer bildeten. Die
Konstellation mit zwei Teiltiefs und diversen Fronten im Zusammenspiel zwischen
Land- und Wassermassen begünstigte eine recht komplexe Wetterlage mit
unterschiedlichen meteorologischen Erscheinungen über dem nördlichen Europa.
Bis zum Morgen des 27. Mai wurden innerhalb von 24
Stunden im russischen Sankt Petersburg 30 l/m² Niederschlag registriert,
während im schottischen Edinburgh 6 l/m² und in Helsinki 17 l/m² zusammenkamen.
Wiederum liefert das Tiefdruckgebiet DOROTHEE eine Erklärung für die Lage und
Intensität der genannten Niederschläge. So lag das Zentrum des Wirbels DOROTHEE
mittlerweile mit einem einzigen Zentrum und einem Kerndruck von unter 1015 hPa
über dem Raum Stockholm sowie der angrenzenden Ostsee. Von dort reichte eine
Okklusionsfront, die Region Helsinki streifend und dort moderate
Niederschlagsmengen produzierend, bis zum Okklusionspunkt etwas östlich von
Sankt Petersburg. In diesem Fall waren die Regenmengen im Gebiet um den
Okklusionspunkt der Theorie entsprechend hoch, und dies wurde im Zusammenspiel
mit einer in recht dicht besiedeltem Gebiet aufgestellten Wetterstation auch in
der Praxis registriert. Vom Okklusionspunkt, in dessen Umgebung der Luftdruck
ebenfalls unter 1015 hPa lag und die somit ein unbenanntes, abgeschlossenes
Tiefdruckgebiet darstellte, verlief eine Warmfront in nordöstlicher Richtung,
um nach etwa 600 km in die Kaltfront eines über dem Nordural und nördlich davon
analysierten, wiederum unbenannten Tiefdruckgebietes überzugehen. Vom
Okklusionspunkt ausgehend verlief außerdem eine bogenförmige Kaltfront westlich
von Moskau, südlich der weißrussischen Hauptstadt Minsk und knapp nördlich
einer Linie Warschau - Berlin - Hamburg bis zur Deutschen Bucht, wo sie in eine
Okklusionsfront überging, die über Schottland bis nördlich von Irland reichte
und den Niederschlag in Edinburgh in der Größenordnung des Regens von Helsinki
brachte. In Minsk und Warschau wurde bis zum Morgen des 27. Mai kein messbarer
Niederschlag registriert. Einerseits war die bogenförmige Kaltfront in einigen
Gebieten des östlichen sowie zentralen Europas hauptsächlich als Höhenkaltfront
aktiv, andererseits sind gerade an Kaltfronten die Unterschiede zwischen recht
hohen Regenmengen und trockenen Gebieten mitunter auf kleinem Raum anzutreffen.
Betrachtet man die Regensummen bis zum nächsten Morgen, erkennt man wiederum
keinen messbaren Niederschlag in Minsk, dagegen ergiebige 34 l/m² in Warschau,
wo in feucht-warmer Luft teils kräftige Niederschläge entstanden, verursacht
teils direkt durch das Tief DOROTHEE, teils durch die Nähe zu kalter Luft in
der Höhe über Schweden.
Am 27. Mai war das Tiefdruckgebiet DOROTHEE zum
letzten Mal als eigenes Druckgebilde auf der Berliner Wetterkarte zu erkennen.
In den Folgetagen herrschte nach anfänglich gebietsweise starker
Niederschlagsaktivität verschiedener Fronten Wetterberuhigung über dem
östlichen Europa zwischen dem fennoskandischen
Hochdruckgebiet SÖREN und dem mittel- bis westeuropäischen Tiefdrucksystem
ELVIRA.
Geschrieben
am 28.07.2016 von Heiko Wiese
Berliner
Wetterkarte: 25.05.2016
Pate:
Dorothee Neumann-Kleinpaul