Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet
EBERHARD
(getauft
am 29.12.2019)
Während der letzten Dezembertage
bestimmte ein markanter Hochdruckkeil, welcher sich von der Iberischer
Halbinsel nordwärts bis zu den Britischen Inseln, im Verlauf auch bis nach
Südskandinavien und ins Baltikum erstreckte, das Wettergeschehen in West- und
Mitteleuropa. Dem gegenüber stand ein markanter Langwellentrog über dem
Nordatlantik, der zeitweilig bis zu den Azoren bzw. in subtropische Gefilde
reichte. Ein Langwellentrog ist dabei nichts anderes als ein sich in höheren
Luftschichten ausdehnendes Gebiet mit verhältnismäßig niedrigen Temperaturen
und niedrigem Druck. Auf der Vorderseite solcher Druckgebilde herrschen
günstige Entwicklungsbedingungen für die Entstehung neuer Tiefdruckgebiete am
Boden, so auch in diesem Fall. Ausgelöst von einer kleinräumigen Druckstörung,
die mit der Höhenströmung nordostwärts wanderte, wurde ein sich eigentlich
schon auflösendes Tiefdruckgebiet südlich von Island und Grönland reaktiviert.
Das sich neu formende Tief sollte in den folgenden Stunden und Tagen über
Island und dem Nordmeer in Richtung Skandinavien ziehen und mit seinen
Ausläufern auch Mitteleuropa, respektive Deutschland streifen.
In der Berliner Wetterkarte vom
29.12.2019 wurde der Wirbel um 00 Uhr UTC, was 01 Uhr MEZ entspricht, mit
Zentrum wenige hundert Kilometer südwestlich von Island und einem Kerndruck von
knapp unter 975 hPa analysiert. Es erhielt den Namen EBERHARD. Mit dem Tief
verknüpft waren gleich eine Vielzahl von Fronten, etwa streckte sich eine
Warmfront vom Zentrum aus ostwärts über das Nordmeer bis vor die Norwegische
Küste, eine Kaltfront verlief dagegen südwärts über den Nordostatlantik bis zu
den Azoren. Weitere Ausläufer spannten sich nördlich und westlich des Kerns
über den Nordostatlantik.
In den folgenden Stunden verlagerte
sich die Zyklone ohne nennenswerte Druckänderung über Island hinweg Richtung
Nordmeer. Dabei griffen leichte bis mäßige Schnee-, Schneeregen und Regenfälle
auf die Insel über, die innerhalb von 12 Stunden meist wenige Liter pro
Quadratmeter Niederschlag brachten, vereinzelt auch über 10 l/m². In Reykjavik
wurden bis zum Abend knapp 2 l/m² gemessen. Regenwolken zogen auch entlang der norwegischen
Küste auf. Hier war es durch ein vorangegangenes Tief bereits tags zuvor zu
Niederschlägen gekommen, die sich nun fortsetzten und intensivierten und auch
weiter ins Landesinnere übergriffen. Vor allem im Stau des Skandinavischen
Gebirges kamen beachtliche Regenmengen zusammen. Schwerpunkt war die Region um
Bergen mit teils über 50 l/m² innerhalb von 12 Stunden (Bergen-Florida 56
l/m²), sowie der Bereich zwischen Trondheim und Bodø
(Hjartasen 23 l/m²). Mit dem Tief drang ein Schwall
maritimer Meeresluft bis nach Skandinavien vor und die Temperaturen erreichten
trotz vieler Wolken und gebietsweiser Niederschläge in Dänemark, aber auch
Südnorwegen und Schweden milde 6 bis 8°C. Beispielsweise zeigte das Thermometer
in Stockholm und Oslo 6°C, im dänischen Aalborg 7°C und in Bergen sogar 10°C,
am Vortag hatte es hier noch verbreitet Frost gegeben. Mit der Annäherung des
Tiefs frische auch der Wind über Teilen der Skandinavischen Halbinsel, aber
auch dem Norden der Britischen Inseln auf. Während über dem Festland meist nur
einzelne starke, stürmische Böen gemessen wurden (Helsinki bis 65 km/h,
Edinburgh bis 63 km/h), bließ der südwestliche Wind
in den Hochlagen der schottischen Highlands und Skanden,
aber auch an den Küsten mit Sturmstärke. Die Station Lerwick,
auf den Shetland-Inseln meldete einzelne Böen bis 91 km/h.
In der Nacht zum 30. Dezember
verlagerte sich die Zyklone mit samt seiner Ausläufer weiter nordostwärts,
dabei begann das Tief zu okkludieren, sprich Warm- und Kaltfront
zusammenzulaufen. Da dies über Skandinavien geschah, griffen die Niederschläge
rasch weiter nach Schweden, Finnland bis ins Baltikum und nach Karelien aus.
Während vor allem an der norwegischen Westküste die Niederschlagsintensität
anhielt (Fossmark bei Bergen weitere 52 l/m², Straumsnes bei Narvik 32 l/m²), fielen die Mengen im
Landesinneren mit um die 5 l/m² in 12 Stunden eher moderat aus. Bis zum drauf
folgenden Morgen wurden beispielsweise im finnischen Oulo
3 l/m² gemessen, dagegen blieb es in Stockholm und Oslo trocken. Aufgrund der
anhaltenden Warmluftzufuhr fielen die Niederschläge bis nach Lappland
verbreitet als Regen, nur in höher gelegenen Gebieten des Skandinavischen
Gebirges und im nördlichen Norwegen fiel noch Schnee. Einflüsse auf die etwa in
Lappland 30 bis 50 cm mächtige Schneedecke hatte dies jedoch kaum. Unter einer
vielerorts dichten Wolkendecke blieb es in weiten Teilen Skandinaviens
frostfrei und die Minima lagen z.B. in Stockholm bei sehr milden 5°C, in Oslo,
Helsinki oder Kopenhagen bei 4°C.
Am drauf folgenden 30.12. zog die
Zyklone rasch über das nördliche Skandinavien und die Kola-Halbinsel hinweg in
Richtung Barentssee, wo es sich mit einem dort befindlichen Tief vereinigte.
Hierdurch kam auch das okkludierende Frontensystem zügig weiter nach Osten
voran. Über Nordwestrussland setzte dabei verbreitet leichter Schneefall ein,
während es über dem Baltikum und Finnland noch regnete. Die Messstationen registrierten
zwischen 06 und 18 Uhr UTC durchschnittlich 2 bis 5 l/m², lokal auch etwas mehr
(St. Petersburg 7 l/m², Smolensk 2 l/m²).
Unverändert setzte sich auch der
Regen entlang Norwegens Westküste fort, wo mit einem nun westlichen Wind
feuchtkalte Meeresluft vom Nordmeer gegen das Skandinavische Gebirge drückte. So
kamen bis zum Abend stellenweise weitere 10 bis 20 l/m² an Niederschlag
zusammen. Apropos Wind, dieser blieb vor allem an der Südflanke des Tiefs,
zwischen Nordsee, Ostsee, Baltikum bis nach Weiß- und Westrussland noch
lebhaft, hier und da mit Windböen etwas über 50 km/h (Stärke 7). Stürmisch bließ der Wind weiterhin an der Fjordküste Norwegens,
ansonsten jedoch lediglich im Bereich der südlichen Ostsee, wie etwa am Kap
Arkona oder im polnischen Elblag.
Neben dem Wind machte sich der Wirbel
auch durch eine Vielzahl mittelhoher und hoher Wolkenfelder bemerkbar, die
zwischen Südskandinavien, dem Baltikum und Mitteleuropa aufzogen und im
Zusammenhang mit Warmluftadvektion standen. So gestaltete sich auch dieser
Dezembertag recht mild mit Höchsttemperaturen von beispielsweise 10°C in
Stockholm oder Antwerpen, 7°C in Warschau und Breslau und 11°C in Hannover.
Temperaturspitzenreiter war jedoch das anhaltinische Wernigerode. Begünstigt
durch Lee-Effekte des Brockengebirges kletterte das Thermometer bis auf 15°C
und damit auf ein ähnlich hohes Niveau wie im Süden Spaniens oder der Türkei.
Doch schon im Laufe der Nacht zum
31.12. wurde die Warmluft mit dem Vordringen der Kaltfront von Tief EBERHARD
aus Skandinavien langsam nach Süden und Osten abgedrängt. Messbare
Niederschläge fiel entlang der Luftmassengrenze, die am Morgen etwa bis zum
Rhein-Maas-Delta, dem Ruhrgebiet, den nördlichen Mittelgebirgen sowie ins
polnische Wielkopolski und Masuren vorgedrungen war, kaum. In der postfrontal
einsickernden, nur mäßig-kalten, aber wolkenreichen Meeresluft blieb es eine
weitere Nacht frostfrei. Stockholm meldete Tiefstwerte von lediglich 4°C, in
Kristiansand und Hamburg waren es 5°C und in Kopenhagen sogar 6°C.
Ganz anders gestaltete sich derweilen
das Wetter über Osteuropa. Während es im Baltikum bis in den Süden Finnlands
und nach Weißrussland bei leichten Plusgraden immer noch regnete, schneite es
über West- und Nordwestrussland zumeist. Der Moskauer Raum lag dabei genau im
Übergangsbereich, so meldeten die dortigen Wetterstationen bei Temperaturen um
den Gefrierpunkt zeitweilig Schneefall, zeitweilig gefrierenden Regen und
zwischendrin sogar Eiskörner. Allgemein lagen die nächtlichen
Niederschlagsmengen zwischen wenigen Zehntel bis hin zu einigen Litern pro
Quadratmeter.
Unterdessen befand sich das neu
formierte Tief EBERHARD am Morgen des 31. Dezembers mit Zentrum über der
russischer Arktisinsel Nowaja Semlja. Ausläufer
erstreckten sich als Okklusion über Nordwestrussland südwärts bis zur mittleren
Wolga, die sich anschließende Warmfront verlief noch ein Stückchen weiter bis
zur Ukraine, die Kaltfront hingegen spannte sich über West- und Weißrussland,
das Baltikum und die südliche Ostsee bis zur südlichen Nordsee. Mit knapp unter
960 hPa lag der Kerndruck deutlich niedriger als noch tags zuvor, was sich über
Nordrussland auch durch Luftdruckfall und auflebenden Wind bemerkbar machte und
natürlich auch durch weitere, leichte Niederschläge. In Kasan wurden
beispielsweise zwischen 03 und 15 Uhr UTC 1 l/m² gemessen, in Perm waren es 4
l/m² und in Samara 10 l/m². Nicht überall fiel dabei Schnee, gerade zwischen dem
Petersburger und dem Moskauer Raum, bis nach Riga, Minsk und Warschau, wo Reste
der Warmluft lagerten, regnete es bei Temperaturen von 5 bis 6°C. Hierdurch
taute die ohnehin nur einige Zentimeter mächtige Schneedecke in Osteuropa
weiter auf. Über Mitteleuropa hingegen rückte die Kaltfront aus Skandinavien
langsam weiter südwärts voran, schwächte sich jedoch zusehends ab. Nur selten
tröpfelte es noch, in Lodz fielen bis zum Abend beispielsweise 0,8 l/m², in
Hameln 0,2 l/m² und in Görlitz kaum Messbares (0,0 l/m²). Ohnehin war die
Kaltfront nicht mehr am Boden, sondern nur noch in der Höhe ausgeprägt. Dies
führte zu dem merkwürdigen Effekt, dass hinter der Front die Temperaturen mit 7
bis 8°C (Berlin +8°C) höher waren, wie vor der Front, wo kaum 5°C erreicht
wurden (vgl. Nürnberg 2°C).
In der Silvesternacht beschränkte
sich der Einfluss des Tiefs immer mehr auf Russland und Osteuropa. Hier setzten
sich die zeit- und gebietsweise leichten Schneefällen mit ähnlichen
Intensitäten wie am Tage fort, Regen fiel nun keiner mehr und auch der Wind
spielte keine entscheidende Rolle. Über Skandinavien dagegen machte sich bereits
ein anderes Nordmeertief mit seinen Ausläufern und neu aufkommenden
Niederschläge bemerkbar und über Mitteleuropa begann sich ein Hochdruckgebiet
neu aufzubauen.
In den Frühstunden des 01. Januar
wurde Tief EBERHARD schließlich zum letzten Mal im Ausschnitt der Berliner
Wetterkarte analysiert, mit Zentrum bei Nowaja Semlja
und einem Luftdruck von knapp unter 965 hPa. In den folgenden Stunden entfernte
sich der Wirbel weiter nordostwärts Richtung Nordpolarmeer und die Ausläufer
zogen mit leichten Schneefällen ostwärts über den Ural nach Sibirien ab.