Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet ECKARD

(getauft am 28.12.2015)

 

Ende des Jahres 2015 zeigte die Höhenkarte im 500-hPa-Niveau einen ausgeprägten Höhentrog über dem Nordatlantik, der sich von der Südspitze Grönlands bis zu den Azoren erstreckte. Gleichzeitig dehnte sich ein Hochkeil vom Mittelmeer über die Nordsee zunehmend nach Norden aus, von dem sich zum Jahreswechsel eine blockierende Hochdruckzelle über Nordosteuropa ablösen sollte. Von einem Höhentrog wird gesprochen, wenn kalte Luftmassen nach Süden vorstoßen und bei einem Vorstoß warmer Luftmassen nach Norden von einem sogenannten Keil. Eine Zone tiefen Luftdrucks gelangte mit Kerndruck von etwas unter 1005 hPa in den frühen Morgenstunden südlich von Neufundland auf die Rückseite dieses Höhentroges und verlagerte sich damit in den Darstellungsbereich der Berliner Wetterkarte. Durch die Westwindströmung sollte dieses Bodentief Europas Wettergeschehen beeinflussen. Daher wurde das Tiefdruckgebiet zum Nachttermin um 00 Uhr UTC, also 01 Uhr MEZ, am 28. Dezember in der Analyse auf den Namen ECKARD getauft. Tief ECKARD, am Rand des Höhentroges, also im Bereich der starken Höhenwinde befindlich, zog am Tauftag mit hoher Zuggeschwindigkeit korrespondierend mit der Höhenströmung etwa 1700 km ostwärts über den Nordatlantik.

Am Folgetag befand sich der Kern der Zyklone ECKARD um 00 Uhr UTC circa auf dem gleichen Breitengrad wie die Stadt Genf, ungefähr 2500 km vor der französischen Westküste. Die vorderläufige Warmfront verlief zunächst bogenförmig nach Süden, dann nach Osten, wo sie etwas südlich der portugiesischen Insel Madeira in die Kaltfront eines unbenannten Tiefdruckgebietes über Irland überging. Die Kaltfront verlief südwestwärts vom Kern über den Nordatlantik bis aus dem Analysebereich der Berliner Wetterkarte hinaus. Im Warmluftsektor, den Bereich zwischen Warm- und Kaltfront, wurde feucht warme maritime Subtropikluft herantransportiert und damit die vor ihr befindliche maritime Subpolarluft verdrängt. Bis zu diesem Zeitpunkt vertiefte sich der Kerndruck auf etwa 980 hPa und der Wirbel ECKARD hatte sich zu einem Sturmtief entwickelt. Dies erkennt man auch anhand der starken Drängung der Isobaren, also der Linien gleichen Luftdruckes. Liegen die Isobaren enger aneinander, so ist der Druckgradient größer und damit der Wind stärker. Ein Sturmtief wird als solches bezeichnet, sobald es Bodenwinde der Stärke 9 auf der Beaufortskala, also etwa 76 km/h, hervorbringt. Schon zu diesem Zeitpunkt bahnte sich bereits eine außergewöhnlich ausgeprägte Zyklogenese an, da der Wirbel ECKARD einen für Orkanbildung typisch großen Warmluftsektor mit starken Luftgradienten aufwies.

Im Laufe des 29. Dezembers zog das Frontensystem des Sturmwirbels ECKARD über die Azoren und sorgte innerhalb 24 Stunden bis zum 00 Uhr UTC Termin des darauffolgenden Tages besonders im Nordwesten auf der Insel Flores für große Niederschlagsmengen von maximal 27 mm und für Sturmböen von bis zu 94 km/h, wie beispielsweise auf Terceira. Im weiteren Tagesverlauf zog Sturmtief ECKARD der Höhenströmung folgend nordöstlich auf der Vorderseite des immer noch über dem Nordatlantik liegenden Höhentroges bis zu der südlichen Küste Islands. Der mächtige Höhenkeil über Nordosteuropa blockierte die klimatologisch überwiegende Westwindströmung. In einer Höhe von etwa 500 hPa reichte ein flächenmäßig großer Höhenkeil, der von zwei Höhentiefs westlich und östlich davon flankiert wurde nach Norden. Diese Wetterlage war auch die nächsten Tage für die nordwärts gerichtete Zugbahn vom Sturmtief ECKARD bestimmend.

Um 00 Uhr UTC des 30. Dezembers befand sich der Tiefdruckkern einige Kilometer südlich der Küste Islands. Der Kern verstärkte sich noch einmal um knapp 40 hPa und lag somit bei etwa 940 hPa, was für ein sehr ausgeprägtes Tiefdruckgebiet spricht. Bei einem Luftdruckabfall in 24 Stunden von mehr als 20 hPa spricht man von einer sogenannten Bombogenese. Damit bestand zwischen dem Orkanwirbel ECKARD und dem zum Baltikum ziehenden Hochdruckgebiet CHRISTINE, welches einen Druck im Zentrum von mehr als 1040 hPa besaß, ein Luftdruckunterschied von etwas über 100 hPa. Die größten Luftdruckunterschiede und damit die stärksten Windböen bis zur Orkanstärke blieben aber über dem Nordatlantik. Dennoch wurden Spitzenböen von 133 km/h, Orkanstärke entsprechend, z.B. auf der, an der Südküste Irlands gelegenen, Sherkin Island und in den schottischen Highlands sogar bis zu 180 km/h registriert. Als Orkan werden Starkwinde mit Geschwindigkeiten von mindestens 117 km/h bezeichnet. Dabei hob die Kaltfront immer weiter die warme Luft an, was zu einer zunehmenden Okkludierung führte. Die daraus entstandene Okklusion erstreckte sich um 00 Uhr UTC vom Tiefdruckkern in einem Bogen nördlich um diesen herum und wies schließlich nach Süden bis zum Okklusionspunkt direkt über dem Norden Schottlands. Von dort trennte ein schmaler Warmluftsektor die Warmfront, welche zunächst in Richtung Südosten, dann in Richtung Südwesten westlich von Portugal endete, von der nachfolgenden Kaltfront, die in einem Bogen zunächst nach Südwesten, dann nach Westen über den Nordatlantik führte. Ein Okklusionspunkt stellt den Ort dar, an welchem die schneller ziehende Kaltfront die vor ihr ziehende Warmfront einholt. Somit entsteht mit der Okklusion ein Frontentyp, der die Eigenschaften von Kalt- und Warmfronten in sich vereint. Bis 00 Uhr UTC diesen Tages wurden durch die Ausläufer von Tief ECKARD verbreitet Niederschlagsmengen über Irland verzeichnet. So kamen auf Valentia Island, eine von Europas westlichsten bewohnten Inseln, 12-stündig 27 mm und etwas weiter östlich im gleichen Zeitraum in Cork-Corcaigh sogar 40 mm zusammen. An der Westküste Schottlands wurden 4 bis 9 mm und im Landesinneren an der Station Tulloch Bridge 27 mm gemeldet. Im Verlauf des Tages zog der Kern von Tief ECKARD über Island und sein dazugehöriges Frontensystem über die Britischen Inseln sowie den Norden Spaniens, Portugals und Frankreichs hinweg. Mit dem Kaltfrontdurchgang blieb es im Norden Spaniens und Portugals ein stark bewölkter Tag mit vereinzelt höchstens 1 bis 2 Sonnenstunden. Trotzdem wurden für diese Jahreszeit relativ milde Tageshöchsttemperaturen von 11 bis 14°C im Nordwesten Spaniens gemeldet, wie beispielsweise in Ponferrada mit 13°C. An der Küste wurden sogar bis 22°C gemessen. Dabei fielen innerhalb von 12 Stunden bis zum Nachttermin des Folgetages am Atlantischen Ozean gelegenen Porto etwa 17 mm und im spanischen Vigo sogar 30 mm. Weiterhin fielen im gleichen Zeitraum in der Bretagne 2 bis 7 mm, wie z.B. 7 mm in Brest und 4 mm in Rennes. Des Weiteren wurden innerhalb 24 Stunden an der Westküste Großbritanniens und Schottlands sowie in Irland 11 bis 36 mm registriert, stellenweise sogar 43 mm wie im nordenglischen Keswick, 45 mm in Glasgow Bishopton und 56 mm im schottischen Tulloch Bridge. Im Tagesverlauf des 30. Dezembers zog der Tiefdruckkern über Island hinweg und brachte bei Höchsttemperaturen von 3 bis 6°C in Reykjavik innerhalb 24 Stunden bis zum 00 Uhr UTC Termin des 31. Dezembers 5 mm Niederschlag. In Dalatangi, der äußersten Landzunge an der Ostküste Islands, wurde im gleichen Zeitraum eine Niederschlagsmenge von bis zu 24 mm registriert. Ebenso wurden im Norden des Landes, genauer in Akureyri, Sturmböen knapp unter Orkanstärke von 109 km/h gemessen.

Bis zum 31. Dezember 00 Uhr UTC war der Kern mit einem leicht erhöhten Kerndruck von circa 955 hPa von Tief ECKARD etwa 300 km nördlich von Island an der Ostküste Grönlands angelangt. Die Zone der stärksten Drängung der Isohypsen reichte im 500-hPa-Niveau von der Bretagne über den Ärmelkanal, das Europäische Nordmeer bis nach Spitzbergen. Im Bodenniveau erstreckten sich in diesem Bereich die Ausläufer des Sturmwirbels ECKARD. An diesen hat sich an einer Welle über den Britischen Inseln in der Nacht das kleine Tiefdruckgebiet FRIEDBERT gebildet. In der gleichen Zone tiefen Luftdruckes bildete sich ein weiteres Tiefdruckgebiet westlich von Island über dem Nordatlantik aus, welches über eine Okklusionsfront mit Tief ECKARD verbunden war. Eine weitere Okklusionsfront verlief nordostwärts vom Kern bis zum Okklusionspunkt, wo sich einerseits die Warmfront nordostwärts bis zum Arktischen Ozean und andererseits die Kaltfront südwärts bis zum Übergang in die Warmfront von Tief FRIEDBERT über die Nordsee erstreckten. Entlang der starken Drängung der Isobaren traten besonders an der Nordmeerküste Norwegens Spitzenböen von 101 bis 115 km/h auf, besonders auf dem Berg Juvvasshøe wurden Orkanböen mit bis zu 137 km/h erreicht. Bis 18 Uhr UTC diesen Tages wurden im Süden von Norwegen 12-stündige Regenmengen von 3 bis 13 mm registriert. Im gleichen Zeitraum kamen auf Spitzbergen in Ny-Ålesund 12 mm zusammen. Im Laufe des Tages holte die Kaltfront die Warmfront immer schneller ein, so dass die Okklusion sich weiter ausbildete. Somit war Tief ECKARD bis zum Nachttermin des Neujahrtages 2016 eine vollständig okkludierte Zyklone. Der Kerndruck erhöhte sich auf circa 965 hPa und die Drängung der Isohypsen nahm zunehmend ab, so dass sich das Tief mehr und mehr abschwächte. Der Kern lag nun ungefähr 200 km östlich der Südspitze Grönlands und die Okklusionfront erstreckte sich, den Kern umlaufend, über Island, die Nordsee bis zur französischen Westküste, wo sie in die Warmfront des nordatlantischen Sturmwirbels GERD überging. Im Tagesverlauf löste sich diese Okklusionsfront rasch auf. Sturmböen wurden im Küstenbereich Grönlands wie beispielsweise am Scoresbysund, der in Ostgrönland gelegene längste Fjord der Welt, mit 115 km/h gemessen.

Bis zum Folgetag blieb der Kern von Tief ECKARD quasistationär mit einem leicht erhöhten Kerndruck von circa 975 hPa. Das Tief ECKARD wies keine Fronten mehr auf. In den nächsten Stunden füllte sich der Kern mehr und mehr mit Kaltluft auf, die Temperaturunterschiede und der Wind ließen allmählich nach. Schließlich löste sich der Wirbel ECKHARD im Laufe des Tages vollständig auf und konnte am Folgetag nicht weiter auf Berliner Wetterkarte verzeichnet werden.

 

 

Geschrieben am 13.04.2016 von Lisa-Marie Schulze

Berliner Wetterkarte: 29.12.2015

Pate: Eckard Röhrl