Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet ELVIS
(getauft am 09.11.2019)
Ein
neues Tief bildete sich am 08. November über dem äußersten Nordosten des
amerikanischen Kontinents, als arktische Luftmassen aus dem kanadischen Raum
südostwärts Richtung Westatlantik vordrangen und eine Zyklogenese in Gang
setzten. Bereits in den frühen Morgenstunden des darauffolgenden Tages konnte
der Tiefdruckwirbel, der auf den Namen ELVIS getauft wurde, im Ausschnitt der
Berliner Wetterkarte analysiert werden. Das Zentrum mit einem Luftdruck von
knapp unter 995 hPa befand sich zu diesem Zeitpunkt über Neufundland. Und auch
das für ein Tief typische Frontensystem, bestehend aus Warm- und Kaltfront,
hatte sich bereits herausgebildet. Die Warmfront verlief südostwärts über den
Nordatlantik bis ins Seegebiet der Azoren, während die Kaltfront südwärts über
die Sargassosee bis in tropische Gewässer vor Florida reichte.
Im
Verlauf des 09.11. kam es zu einer beinahe schon explosionsartigen Intensivierung
des Tiefs hin zu einem Orkanwirbel. Ursache war der vor allem in der Höhe
scharf ausgeprägte Temperaturkontrast zwischen der heranströmenden,
kontinentalen Kaltluft zu verhältnismäßig milder und feuchter Meeresluft. So
wurden mittels Radiosondenmessungen in etwa 5,5 km
Höhe an der Nordostmündung des Sankt-Lorenz-Stromes Temperaturen von unter
-40°C gemessen, während sie im Seegebiet östlich von Neufundland noch bei -14°C
lagen. Die Intensivierung ging mit kräftigen Niederschlägen und der Ausbildung
eines Sturmfeldes einher. Bereits am 08.11. sowie in der Nacht zum 09.11. waren
Schnee- und Regenfälle über Neufundland und Nova Scotia niedergegangen, wobei
bis zu 25 l/qm innerhalb von 24 Stunden gemessen wurden. Ähnlich intensiv
dürften die Niederschläge auch tagsüber gewesen sein, wobei sich die
Hauptaktivität über dem Nordwestatlantik und damit außerhalb von Messstationen
abspielte.
Gleiches
traf auch auf den Wind zu, welcher über dem Nordwestatlantik, zwischen
Neufundland, Grönland und der Sargassosee stürmisch auffrischte. Nach Analyse
des amerikanischen GFS-Modells erreichte der Wind in den Abend- und
Nachtstunden über dem Süden und Südosten des Grönländischen Eisschilds in
Spitzen 148 km/h und damit Orkanstärke. Messungen an der Südspitze Grönlands
lieferten in Narsarsuaq Böen von bis zu 139 km/h
(Stärke 12), dagegen blieb es in der grönländischen Hauptstadt Nuuk, welche im
Lee der Gletscherberge liegt, mit Windböen bis 48 km/h (Stärke 6) fast schon
windschwach. Unterdessen sollte Tief ELVIS bereits in der Nacht zum 10.11. den
niedrigsten Druck in seiner Entwicklung erreichen. Um 00 UTC lag der Luftdruck
vor der Südspitze Grönlands bei nur noch knapp unter 955 hPa. Die Zyklone hatte
sich weiterentwickelt, so waren Warm- und Kaltfront in Nähe zum Kern bereits
zusammengelaufen. Der sogenannte Okklusionspunkt befand sich mehrere hundert
Kilometer südwestlich von Island. Hier spalteten sich die Ausläufer in eine
Warmfront, die über den mittleren Nordatlantik südwärts verlief, und eine
Kaltfront, die südwestwärts bis zur nördlichen Sargassosee reichte, auf.
Während
sich das nasskalte, stürmische Wetter in der Nähe des Zentrums über dem Süden
Grönlands und dem nördlichen Nordatlantik am 10.11. fortsetzte und gleichzeitig
Island erfasste, näherten sich die okkludierenden Ausläufer vom Atlantik her an
die Britischen Inseln und auch an die Iberischen Halbinsel. Die damit
verknüpften leichten bis mäßigen Regenfälle sorgten bis zum Abend für zunächst
nur geringe Regenmenge. Beispielsweise fielen zwischen 06 und 18 UTC im
westirischen Belmullet 7 l/qm, im portugiesischen
Coimbra 3 l/qm und in Reykjavík 4 l/qm. Auch über Island wurden nun verbreitet
Sturm-, teils sogar Orkanböen gemessen. In den Nachmittagsstunden erreichte der
Wind hier seinen Höhepunkt, wobei im Raum Reykjavík ein stürmischer Südwestwind
etwa an der Station Kjaljarnes Böen bis zu 107 km/h, um
15 Uhr UTC, brachte. Währenddessen hielten die Niederschläge auch in der Nacht
entlang der weiter ostwärts vordringenden Ausläufer an. Über Portugal und dem
Norden Spaniens fielen bis zum darauffolgenden Morgen zumeist 2-5 l/qm, über
den Britischen Inseln oder auch Island durchschnittlich 5-10 l/qm in innerhalb
von 12 Stunden. Gleichzeitig frischte nun auch über dem Vereinigten Königreich Englands
und Irland der Wind merklich auf, verbreitet mit starken bis stürmischen Böen,
teils auch mit Sturmstärken. Im walisischen Mumbles,
unweit von Swansea, wurden etwa um 04 UTC schwere Sturmböen bis 94 km/h
gemessen.
Am
11.11. kam es zu einer Weiterentwicklung des Wirbels. Während sich der erste
Kern über dem Nordatlantik zwischen Grönland und Island festsetzte, bildete
sich über Britischen Inseln ein zweiter Kern. Dieser verlagerte sich unter
Vertiefung auf unter 985 hPa in Richtung Nordsee. Hierdurch zogen die zuvor nur
zögerlich nach Westeuropa übergreifenden Fronten des Tiefdruckgebietes nun
rasch über die Iberische Halbinsel und Frankreich hinweg und erreichten zum
Abend auch die Benelux-Staaten und den äußersten Westen Deutschlands. Dabei
wurden zwölfstündige Regenmengen von beispielsweise 4 l/qm in Paris, 5 l/qm in
Luxemburg, 9 l/qm in Amsterdam sowie 3 l/qm in Duisburg gemessen. Ähnliche
Werte wurden weiterhin auch aus Großbritannien und Irland gemeldet, unter
dichten Regenwolken fielen zum Beispiel im schottischen Glasgow zwischen 06 und
18 UTC 3 l/qm.
Über
den Britischen Inseln, aber auch entlang der holländisch-deutsch-dänischen
Nordseeküste blieb der Wind lebhaft bis stürmisch. Im nordenglischen Crosby bei
Liverpool wurden im Tagesverlauf in Spitzen 83 km/h gemessen, in Belfast oder
auch im niederländischen Hoek van Holland waren es 65
km/h (Stärke 8). Mit dem Wind und den Regenwolken sickerte vom Atlantik her nur
mäßig-kalte Meeresluft nach Nordwesteuropa. Dabei erreichten die Temperaturen
über den Britischen Inseln 6-10°C, über Frankreich meist 8-12°C und in den
Benelux-Staaten 7-8°C.
Nach
einer windigen und regnerischen Nacht über Teilen Nordwesteuropas kam es am 12.
November zu einer abermaligen Weiterentwicklung der Zyklone. Noch um 00 UTC
befand sich Tief ELVIS mit seinen beiden Schwerpunkten über der Dänemarkstraße,
respektive der Nordsee. Der Luftdruck lag allerdings bei nur noch wenig unter
990 hPa. Während in den folgenden Stunden der alte Kern von dem nachfolgendem
Atlantiktief GÜNTHER aufgenommen wurde, verblieb Tief ELVIS II mit seinem Kern
über der Nordsee, wo es sich einkringelte. Begünstigt durch diese Entwicklung
ließ der Wind im Umfeld der Zyklone nun spürbar nach. Die Niederschläge setzten
sich hingegen mit unveränderter Intensität fort. Beispielsweise fielen in
Amsterdam bis zum Abend weitere 8 l/qm, in Paris bis zu 6 l/qm und in London 2
l/qm. Auch entlang der über Deutschland ostwärts und Skandinavien nordwärts
dringenden Okklusionsfront regnete bzw. schneite es gelegentlich. Über
Deutschland regnete es vor allem westlich von Weser und Werra verbreitet,
wenngleich mit nur geringer Intensität von unter 5 l/qm sowie in Bad Salzuflen mit
4 l/qm, oftmals sogar von unter 1 l/qm in 12 Stunden. Deutlich kräftiger fielen
dagegen die Niederschläge über Südskandinavien aus, die nördlich von Oslo und
Stockholm auch als Schnee niedergingen. Bis zum Abend wurden vielfach um die 5
l/qm registriert, im Bereich des südlichen Skandinavischen Gebirges auch
deutlich darüber, wie die gemessenen 30 l/qm aus Tveitsund,
westlich von Oslo, bestätigen.
In
der sich anschließenden Nacht zum 13.11. erfassten die Regenwolken schließlich
auch das Baltikum sowie das restliche Skandinavien. Der
Niederschlagsschwerpunkt befand sich zwischen Mittel- und Nordschweden, dem Bottnischem
Meerbusen und Finnland. Hier fielen durchschnittlich 2-5 l/qm in 12 Stunden,
stellenweise auch über 10 l/qm, wie beispielsweise in Helsinki Kaisaniemi mit 14 l/qm. Während es dabei über Schweden
vorrangig schneite, fielen die Niederschläge von Finnland bis nach Lappland
zunehmend in flüssiger Form. Ursache war das kräftige Mittelmeertief DETLEF,
welches auf seiner Vorderseite kontinentale Warmluft aus Südosteuropa nordwärts
bis nach Skandinavien schob. Ansonsten kam es noch zu vereinzelten Regenschauern
über Benelux und den Britischen Inseln (Mengen bis 10 l/qm). Gleichzeitig sickerte
auf der Rückseite des Tiefdruckgebietes ein Schwall kühlerer Meeresluft,
subpolaren Ursprungs nach Nordwesteuropa ein. So sanken die Temperaturen vor
allem über Schottland und Norden Englands auf bis auf -5°C. Edinburgh meldete
ein nächtliches Minimum von -3°C, nachdem die Nächte zuvor durchweg frostfrei
geblieben waren.
An
den folgenden Tagen hielt sich der Tiefdruckeinfluss über dem Nordwesten
Europas und Skandinaviens. Allerdings bestimmte nicht mehr nur allein Tief
ELVIS das Wettergeschehen, sondern in zunehmendem Maße das sich vom Atlantik
nähernde neue Tief GÜNTHER, indirekt auch die oben erwähnte Mittelmeerzyklone. So
sorgten Ausläufer von Tief GÜNTHER am 13. und 14.11. für neuerliche Regenfälle
über den Britischen Inseln und Frankreich. Gleichzeitig setzte sich über dem
Baltikum, sowie Finnland bis nach Nordskandinavien das regnerische, nasskalte
Wetter fort, weil weiterhin feuchte und recht milde Luftmassen durch das
Mittelmeertief in hohe Breiten transportiert wurden. Der Einfluss von Tief
ELVIS wurde dagegen immer geringer. Es verblieb mit seinem Kern über der
Norwegischen See, wo es sich abschwächte. Es sorgte entlang der norwegischen
Küste bis zur Monatsmitte noch für einzelne Regenschauer, im Landesinneren auch
für einzelne Schneeschauer. Die gemessenen Mengen blieben mit meist unter 1
l/qm in 12 Stunden jedoch insgesamt gering. Lediglich punktuell fielen die
Schauer auch mal etwas kräftiger aus, wie beispielsweise am 13. November
tagsüber, mit 13 l/qm in Melsom am Oslofjord.
Am
frühen Morgen des 15. November wurde Tief ELVIS noch einmal mit Kern über der Norwegischen
See, einige hundert Kilometer nordwestlich von Trondheim analysiert. Der
Luftdruck lag zu diesem Zeitpunkt bei nur noch knapp unter 1010 hPa, Fronten
fehlten der Zyklone bereits. Dort verblieb der Kern, ehe er sich in der Nacht
zum 16.11. auflöste.