Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet
ERHAN
(getauft am
11.01.2021)
In
der ersten Januarwoche 2021 stellte sich in weiten Teilen Nordamerikas eine
Nordströmung und demnach winterlich kaltes Wetter ein. Östlich
der nordamerikanischen Atlantikküste verschärften
sich allmählich die Temperaturgegensätze
zwischen der kontinentalen Kaltluft und der subtropischen Meeresluft im Bereich
des Golfstroms. Entlang dieser Front zogen in den folgenden Tagen vermehrt
Tiefdruckgebiete nach Nordosten. Ab dem 09. Januar wurde knapp östlich
der US Ostküste auf einer nördlichen
Breite von 30° ein Tiefdruckgebiet analysiert. Seine Niederschlagsgebiete
erfassten den nordamerikanischen Kontinent kaum, da das Tief am Folgetag rasch
auf den Atlantik hinauszog und einen Kurs nach Nordosten einschlug. Bis zum 12.
Januar überschritt das Tiefdruckzentrum den 40. Längengrad
westlicher Länge und den 50. Breitengrad nördlicher
Breite, wobei sich der Bodendruck im Zentrum von 1005 hPa auf unter 985 hPa
vertiefte. Da die Meteorologen der Berliner Wetterkarte schon am 11. Januar
sahen, dass das Tief sich in den kommenden Tagen weiter in Richtung Europa
verlagern und somit das dortige Wettergeschehen beeinflussen würde, tauften sie
es bereits an jenem Tag in der Prognose für den Folgetag auf den Namen ERHAN.
Am 12. Januar konnte das relativ weitläufige Tief erstmals in der
Berliner Wetterkarte namentlich erwähnt werden. Sein
Zentrum befand sich etwa 600 km südlich von Grönland und der Luftdruck lag bei
etwa 985 hPa. Im Zentrum sind die Frontenstrukturen deutlich zu sehen. Die Warmfront dehnte sich von
der Mitte des Atlantiks bis nach Irland
aus, wo sie in die Kaltfront des über Südskandinavien gelegenen Tiefs DIMITRIOS
überging. Die Kaltfront erstreckte sich derweil vom Okklusionspunkt aus bis
an die Ostküste Nordamerikas. Hinter
den beiden Fronten, deren
Ausdehnung mehrere tausend Kilometer
betrug, gab es eine Okklusion, welche vertikal
zum Breitengrand durch den Kern ERHANs verlief und einige hundert Kilometer
nördlich davon im Okklusionspunkt endete. Eine Okklusion definiert sich als
eine Mischfront, die durch das Einholen der Warmfront durch die Kaltfront
entsteht und daher auch Eigenschaften beider Frontentypen in sich vereint. Im
Laufe des Tages zog die Zyklone weiter nach Norden in
Richtung Grönland, mit einem fallenden Luftdruck auf 975 hPa.
Durch die dem Tief ERHAN zugehörige, über Irland und Südwestengland stationäre
Warmfront kamen dort mitunter zweistellige Regensummen innerhalb 24 Stunden bis
zum Morgen des 13. Januars, wie z.B. in Thomastown mit 10,6 mm oder in
Cardinham mit 10,2 mm, zusammen. Auf das restliche Europa hatte Tief ERHAN zu
diesem Zeitpunkt koch keinen Einfluss, da sich dort noch das Tiefdruckgebiet
DIMITRIOS breit machte.
Am 13. Januar hatte sich an der generellen Situation nichts
geändert. Jedoch
ist der Luftdruck im Zentrum des Tiefs wie bereits erwähnt um etwa 10 hPa gefallen, wodurch sich die
Luftdruckgegensätze erhöhten, sodass der
Wind im Areal des Tiefdruckgebiets kräftiger wehte. Die Warmfront
ERHAN´s verweilte derweil weiterhin über Großbritannien und verlagerte sich nur
minimal nach Nordosten, so dass in einem Streifen von Nordirland über die
Irische See bis hin zur Straße von Dover verbreitet zweistellige 24-stündige
Regenmengen zusammen kamen. So registrierte London knapp 20 mm, während im
irischen Ballypatrick gute 32 mm verzeichnet wurden. Die Kaltfront befand sich
zu Beginn des Tages noch mitten über dem Nordatlantik, beeinflusste daher
keinerlei Landmasse, holte aber die Warmfront im Tagesverlauf zunehmend ein, so
dass sich die Okklusionsfront bis zum nächsten Tag ausweitete. In den Folgetagen kam Tief ERHAN kaum noch nach Osten
voran. Relativ hoher Luftdruck über der Nordpolarregion
war dafür verantwortlich: So bildete sich über
Island eine Hochdruckzone, welche sich in den Folgetagen langsam nach Osten
verlagerte und später zur Bildung des Skandinavienhochs BOZENA
beitrug. Bis zum 14. Januar verlagerte sich ERHAN nach Norden und führte
vor allem im Seegebiet zwischen Island und Südgrönland
zu einem heftigen Sturm. So meldete ein Schiff südlich Islands
einen Mittelwind von 60 Knoten, entsprechend Windstärke
11.
Am 14. Januar hat sich die Zyklone in ERHAN I und II zwischen Grönland und Großbritannien, aufgegliedert. Der Kerndruck von ERHAN I betrug an diesem Tag um 985 hPa, während ERHAN II mit knapp
unter 1015 hPa wesentlich schwächer im Bereich der Britischen Inseln unterwegs
ist. Seine Kaltfront erstreckte sich bis nordöstlich der
Azoren und seine Warmfront reichte bis
in die Alpen. An jenem Tag konnte der
Tiefdruckkomplex Europa maßgeblich beeinflussen. Insbesondere mit dem Teiltief
ERHAN II waren kräftige Niederschlagsprozesse verbunden. Innerhalb
von drei Tagen fielen verbreitet 20 bis 30 mm, im Bereich der Irischen See
sogar bis über 50 mm (z.B. Killylane/Nordirland 56 mm bis
zum 16. Januar 06 UTC). Anfangs waren die Niederschläge
nach Osten hin auch mit Schnee vermischt. Selbst in Edinburgh wurde am Morgen
des 14. Januars Schneeregen gemeldet und westlich der Stadt verbuchte die
Station Strathallan (35 m üNN) um 11 UTC
eine 12 cm dicke Schneedecke. Auch im Südwesten
Deutschlands hielten die Schneefälle den ganzen Tag über an. Das verantwortliche
Teiltief ERHAN II war im Tagesverlauf von den Britischen Inseln mit der
kräftigen nordwestlichen Höhenströmung rasch über den Ärmelkanal bis in den
Nordwesten Frankreichs gezogen und brachte bis zum Morgen des 15. Januars
innerhalb 24 Stunden Niederschlagsmengen vielfach über 20 mm, im Südschwarzwald
auch über 30 mm. Dieses führte südwestlich einer Linie Baiersbronn-Pfronten zu
einem Zuwachs bei der Schneedecke von meist 30 bis 40 cm, vereinzelt auch
darüber, wie in Oberstdorf-Birgsau, von wo eine Neuschneehöhe von 55 cm
gemeldet wurde. Auf dem Feldberg im Schwarzwald ist mit einer Schneehöhe von
104 cm nun das erste Mal in diesem Winter die 1 m-Marke überschritten worden. Derweil
verweilte das andere Teilteif (ERHAN I) vor der Südküste Grönlands
und sorgte in dessen Umfeld weiterhin für hohe Windgeschwindigkeiten.
Am 15. Januar verblieb das Teiltief ERHAN I nach wie vor an der Südküste Grönlands, während das zweite Teiltief (ERHAN II) in Mitteleuropa angekommen war. Verbunden waren die beiden
Tiefs über eine Okklusionsfront. ERHAN II befand sich über Ostfrankreich mit
einem Kerndruck von knapp unter 1015 hPa. Die Temperatur in Brüssel sank auf 1°C und in Paris auf 3°C. Im Bereich des
Frontensystems von ERHAN II kamen von Frankreich bis Deutschland meist nur noch
einstellige Niederschlagssummen zusammen. Im Tagesverlauf drang bereits vom
Ostatlantik her die Hochdruckzone CHANA voran, welche dem Südwesten
Deutschlands bis zu 8 Stunden strahlenden Sonnenschein über der dort meist auf
40 bis über 100 cm angewachsenen Schneedecke bescherte. Die 24-stündigen
Niederschlagsmengen betrugen im Südosten der Schweiz noch einmal teils über 20
mm, nachdem tags zuvor gebietsweise schon mehr als 50 mm gefallen waren, was
daher nochmals zu einer Erhöhung der Schneedecke im gesamten Alpenraum führte.
In der Nacht auf den 16. Januar sank hier wie auch im Süden Baden-Württembergs die
Temperatur über den Schneeflächen verbreitet unter -10°C, in Bernau, im Hochtal
des Hochschwarzwaldes, sogar unter - 20°C. Im Tagesverlauf löste sich die
Okklusionsfront zwischen ERHAN I und ERHAN II auf und ERHAN II machte sich nun
auf dem Weg in Richtung Südosten, wo er Einfluss auf den südlichen und
östlichen Mittelmeerraum nehmen sollte.
Am
16. Januar um 00 UTC wurde ERHAN II bereits knapp östlich
von Sizilien analysiert. Entlang seiner weiteren Zugbahn in Richtung Nordosten
hinweg über die Türkei brachte das Teiltief ungewöhnlich hohe Niederschlagssummen.
Mit Gewittern und teilweise kräftigen Regenfällen
griff die Zyklone auf die südliche und östliche
Türkei über, im
Norden und Westen der Türkei kam es dagegen zu Schneefällen,
und auch in Istanbul bildete sich eine Schneedecke von einigen Zentimetern.
Zuvor
kam es nach der Überquerung der Alpen auf der Rückseite
von Tief ERHAN II zu Mistralwinden über Südfrankreich
mit Sturmböen (z.B. Marseille mit 8 Beaufort und Cassis mit 10
Beaufort). Unterdessen
hielt sich das Teiltief ERHAN I seit Tagen an der Südküste Grönlands auf und
verlagerte sich nicht mehr groß. Der Kerndruck lag bei 1005 hPa und das
zugehörige Frontensystem hatte sich bereits vollständig aufgelöst, jedoch war
zumindest die südwestliche Region Grönlands am Rande des Tiefdruckkerns von leichten Schneefall
betroffen. Der Wind hatte sich in diesen Regionen wieder abgeschwächt.
Am 17. Januar konnte der Kern von Teiltief ERHAN I zwar noch zu
Tagesbeginn zwischen Grönland und Island analysiert werden, jedoch schwächte er
sich nun mehr und mehr ab und löste sich schließlich in Gänze auf, so dass nur
noch ERHAN II existierte, welcher sich nun im Norden der Türkei am Schwarzen
Meer mit einem
Kerndruck von unter 1000 hPa befand. Dessen Kaltfront brachte auch noch etwas
Niederschlag: in
der Stadt Ankara kamen innerhalb 3 Stunden 2,8 mm Schneefall und in Antalya im
gleichen Zeitraum 1,5 mm zusammen. Aber auch
dieses Teiltief löste sich letztendlich im Verlauf des 17. Januars über dem Süden
Russlands auf. Dabei kam es auch dort noch zu Niederschlägen, die in kalter Frostluft meist als Schnee, örtlich auch als gefrierender Regen fielen.