Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet ERNA

(getauft am 16.05.2020)

 

Zu Beginn der zweiten Maihälfte 2020 hatte sich in der mittleren Troposphäre, also in einer Höhe von rund 5,5 km, über Skandinavien ein kräftiges Höhentief etabliert. Korrespondierend dazu bestimmte das Tiefdruckgebiet AKI das Wettergeschehen im Norden Europas. Im südwestlichen Randbereich dieses hochreichenden Tiefdruckkomplexes entstanden über dem Nordmeer Wellenstörungen, die durch die zyklonale Drehrichtung von Tiefdruckgebieten in der nördlichen Hemisphäre in Richtung Südskandinavien gelenkt wurden. Durch den Impuls des skandinavischen Festlandes konnte sich daraus in den Abendstunden des 15.05.2020 über dem Süden Schwedens ein eigenständiges Tiefdruckgebiet entwickeln, das von den Meteorologen der Berliner Wetterkarte in der Analyse für den 16.05. auf den Namen ERNA getauft wurde.

Am 16.05. um 00 Uhr UTC, was 01 Uhr MEZ entspricht, konnte die Zyklone ERNA mit einem Kerndruck von knapp unter 1005 hPa über der Ostsee vor der Südküste Finnlands lokalisiert werden. Nordwestlich grenzte das über dem Nordmeer gelegene bereits okkludierte Tief AKI an und über West- und Mitteleuropa lag mit QUIRINIUS eine ausgedehnte Zone hohen Luftdrucks. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich auch das für Tiefdruckgebiete typische Frontensystem, bestehend aus einer vorlaufenden Warmfront und einer nachfolgenden Kaltfront, schon ausgebildet. Die Fronten innerhalb eines Tiefdrucksystems kennzeichnen die Luftmassengrenzen zwischen einer wärmeren und einer kälteren Luftmasse. Da der Tiefdruckwirbel ERNA nördlich der Frontalzone, also im Bereich kalter Luftmassen entstanden war, bildete kalte Polarluft die wärmere Luftmasse gegenüber der noch kälteren Arktikluft, die auf der Rückseite der Kaltfront herangeführt wurde. Die Warmfront erstreckte sich zu diesem Zeitpunkt bogenförmig in südöstliche Richtung über den Rigaischen Meerbusen und den Norden Litauens bis in den Nordwesten Russlands nördlich von Moskau. Die Kaltfront reichte südwestwärts über Südschweden, Norddänemark, dann die Nordsee und den Norden Schottlands überquerend bis zu einem unbenannten Tiefdruckgebiet südöstlich von Grönland. Bereits in der Nacht setzten entlang der Fronten leichte Niederschläge ein, die innerhalb von 12 Stunden bis 08 Uhr MEZ bis zu 2 mm, in exponierteren Lagen auch 4 mm, brachten. Im Bereich des nordwärts ziehenden Tiefdruckkerns, der in den Morgenstunden das finnische Festland erreichte und sich auf knapp unter 1000 hPa verstärkte, wurden im gleichen Zeitraum verbreitet 5 bis 8 mm gemeldet, zum Teil auch in Form von Schneeregen. Im vorgelagerten Schärenmeer wurden auf der Insel Russarö auch 12 mm genmeldet. Die Niederschläge ebbten auch den Tag über nicht ab. Vor allem an der Südküste wurden im Beobachtungszeitraum von 12 Stunden bis 20 Uhr MEZ Niederschlagsmengen von 6 bis 11 mm verzeichnet. In Salo meldete man im selben Zeitraum 14 mm. Auch im inmitten der finnischen Seenplatte gelegenen Leivonmäki wurden 10 mm gemessen. Während sich die Warmfront mitsamt des leichten Niederschlagsgebiets im Tagesverlauf weiter in Richtung Nordosten über den Nordwesten Russlands verlagerte und verbreitet 12-stündig bis 20 Uhr MEZ um 5mm Niederschlag brachte, erreichte auch die nachgelagerte Kaltfront mit ähnlichen Niederschlagsemengen das Baltikum. So wurden im lettischen Zīlāni im genannten Zeitraum 7,4 mm, in Jelgava 5,3 mm und in Riga 7,8 mm gemeldet. In Estland und Litauen fielen die Niederschläge mit maximal 2 bis 3 mm etwas geringer aus. Im Bereich des südlichen Ostseeraums und der Nordsee verlagerte sich die Kaltfront jedoch kaum, sodass auch im Süden Schwedens und im Norden Dänemarks leichte schauerartige Niederschläge, teils auch in Form von Schneegriesel oder Sprühregen mit bis zu 4 mm innerhalb von 12 Stunden bis 20 Uhr MEZ verzeichnet wurden. Heraus stach die höher gelegene Station Hästveda in der südschwedischen Gemeinde Hässleholm, die 10 mm Niederschlag meldete. Mit der nordwestlichen Strömung gelangten jedoch von der Nordsee her auch viele Wolken in den Norden Deutschlands. So wurden im Bereich des Norddeutschen Tieflandes verbreitet unter 8 Sonnenstunden gemeldet, während in der Südhälfte Deutschlands, im Einflussbereich des Hochdruckgebiets QUIRINIUS, vielerorts 12 bis 14 Sonnenstunden erreicht und im Südwesten auch die 20°C-Marke geknackt wurde. Niederschlag brachten die Wolken über der Nordhälfte Deutschlands jedoch kaum. Innerhalb von 24 Stunden fielen in einem Streifen von der Nordseeküste bis nach Brandenburg um 1 mm Niederschlag.

Bis zum 17.05. um 00 Uhr UTC hatte das Tiefdruckgebiet ERNA schließlich das Grenzgebiet zwischen Finnland und Russland erreicht. Auch das Frontensystem hatte sich weiter in östliche Richtung verlagert, wodurch die Warmfront ausgehend vom Tiefdruckkern in südöstliche Richtung bis zum Kuibyschewer Stausee in Westrussland reichte und die Kaltfront in südwestlicher Richtung entlang der Waldaihöhen, Litauen, sowie dem südlichen Ost- und Nordseeraum lag. Dabei begannen die beiden Fronten im Bereich des Tiefdruckkerns bereits zu okkludieren, das heißt, die schneller vordringende Kaltfront hatte die Warmfront bereits eingeholt und hob diese vom Boden ab. Es bildete sich dadurch eine Mischfront, auch Okklusion genannt, die Eigenschaften beider Fronten in sich vereint und sich ausgehend vom Tiefdruckkern reißverschlussartig fortsetzt. Im Tagesverlauf verlagerte sich der Kern des Tiefs ERNA nur leicht in nordöstliche Richtung, während das Frontensystem weiter okkludierte. Im Einflussbereich des Tiefdruckkerns konnten den ganzen Tag teils auch kräftigere Regenschauer, zeitweise auch Schneeregenschauer beobachtet werden. So wurden beispielweise im finnischen Savilahti und Lampela bis 20 Uhr MEZ 12-stündig 9,0 bzw. 8,0 mm Niederschlag gemessen. Auch im Einflussgebiet des Frontensystems in einem Bereich von Moskau bis zum Baltikum und dem Süden Schwedens, sowie entlang der polnischen Ostsee traten im Tagesverlauf immer wieder leichte Regenschauer auf. So wurden im russischen Demjansk am Nordrand der Waldaihöhen 12-stündig bis 20 Uhr MEZ 6,0 mm, im lettischen Alūksne 9,9 mm, im estländischen Türi 10,9 mm und in Šiauliai im Norden Litauens 4,0 mm Niederschlag verzeichnet. Auch in der südschwedischen Provinz Blekinge meldete man bis 5 mm Niederschlag, an der Station Hästveda sogar 16,0 mm. Mit nur knapp 1 mm innerhalb desselben Zeitraums fielen die Niederschläge entlang der polnischen Ostseeküste geringer aus. Entlang der deutschen Ostseeküste fielen keine nennenswerten Niederschläge. Durch die Wolkenfelder im Einflussbereich der Front wurden entlang der Ostseeküste jedoch nur 6 bis 9 Sonnenstunden verzeichnet. Mit dem Durchzug der Kaltfront waren die Temperaturen vom Westen Russlands bis zum Baltikum im Vergleich zum Vortag meist nur minimal gesunken. Wurden im westrussischen Weliki Nowgorod am Vortag 11,7°C gemessen, blieb es am 17.05. mit 10,7°C 1°C kühler. Auch in Jelgava südwestlich von Riga sank die Temperatur von maximal 12,8°C am 16.05. auf 12,0°C am 17.05. Ähnliche Temperaturen wurden im gesamten Einflussbereich des Tiefs ERNA verzeichnet. Im Süden Finnlands konnte man dagegen nach dem Durchzug des Kerns von Tief ERNA einen Temperaturanstieg um rund 3°C feststellen. Wurden am 16.05. an der Wetterstation Salo Kärkkä, westlich von Helsinki noch maximal 6,0°C erreicht, waren es einen Tag später schon maximal 9,5°C.

Die schauerartigen Niederschläge im genannten Einflussgebiet hielten auch in der Nacht und in den frühen Morgenstunden des 18.05. an, blieben aber verbreitet mit einer Niederschlagssumme höchstens 8 mm 12-stündig bis 8 Uhr MEZ einstellig. Auch im Norden Polens fielen die Regenschauer mit bis zu 8 mm stärker aus als am Vortag. Eine Ausnahme bildete dabei ein Gebiet von Kaliningrad bis Vilnius in dem durchweg zweistellige Niederschlagssummen erreicht wurden. Heraus stachen hier vor allem Kybartai und Marijampolė mit 18,0 bzw. 15,0 mm im gleichen Beobachtungszeitraum. Im Tagesverlauf verlagerte sich das Frontensystem, das zwischenzeitlich mit dem des Tiefdrucksystem FIONA über dem Nordatlantik verbunden war,  mit der Höhenströmung weiter in Richtung Südosten wodurch das Niederschlagsgebiet mit bis zu 7 mm innerhalb von 12 Stunden bis 20 Uhr MEZ nun vor allem im Bereich von Moskau über Weißrussland dem Norden Polens und entlang der Deutschen Ostseeküste und Dänemark wirksam war. Im Bereich des Tiefdruckkerns fielen die Niederschläge mit bis zu 3 mm im gleichen Zeitraum bereits geringer aus.  

Am 19.05. um 00 Uhr UTC wurde der Kern des Tiefs ERNA mit beständigem Kerndruck über dem Nordrussischen Landrücken östlich von Sankt Petersburg lokalisiert. Von ihm ausgehend erstreckte sich eine Okklusionsfront zunächst in nördliche Richtung, bevor sie dann als Warmfront in nordöstliche Richtung entlang der Küste bis auf die Höhe des Pai-Choi reichte. Vom Tiefdruckkern verlief die Kaltfront, die sich aufgrund in Richtung Südwesten vorstoßender polarer Luftmassen neu ausbilden konnte, zunächst in südwestliche Richtung bis zum Schwarzen Meer, dann in Richtung Nordwesten über den Westen der Ukraine und dem Osten Polens, bis sie über Kaliningrad in die Warmfront des Tiefs FIONA überging. In den frühen Morgenstunden dauerten die Regenschauer vor allem im Norden und Osten Polens, sowie im Westen Weißrusslands mit durchschnittlich 3 bis 4 mm bis 8 Uhr MEZ weiter an. Im Laufe des Tages intensivierten sich die Schauer im Nordosten Polens noch einmal. So wurden innerhalb von 12 Stunden bis 20 Uhr MEZ in Elbląg 19,0 mm und in Olsztyn 10,0 mm Niederschlag verzeichnet. Auch in Baranawitschy südwestlich von Minsk meldete man 9,0 mm und in Kiew 4,0 mm. Bis zum 20.05. verlagerte sich das Tiefdruckgebiet ERNA weiter in Richtung Nordosten und wurde zum 00-Uhr-UTC-Termin mit seinem Kern am Rande des Urals nordöstlich von Perm analysiert. Südwestlich von Perm hatte sich unterdessen im Randbereich des über Westrussland liegen Höhentrogs ein weiteres unbenanntes Tiefdruckgebiet gebildet. Das Frontensystem des Tiefdruckwirbels ERNA reichte in nordöstliche Richtung ausgehend vom Tiefdruckkern über den Ural, bevor es aus dem Kartenausschnitt der Berliner Wetterkarte verschwand. Nachdem es zwei Tage nach Norden gezogen war, konnte das Tiefdruckgebiet ERNA auf der Bodenwetterkarte vom 22.05. noch einmal mit einem Kerndruck von knapp unter 1005 hPa über der Barentssee westlich von Nowaja Semlja analysiert werden, bevor es schließlich aus dem Kartenausschnitt der Berliner Wetterkarte verschwand.