Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet EUGEN

(getauft am 11.11.2015)

 

Am 11. November 2015 wurde in der Prognose für den Folgetag ein Tiefdruckgebiet über Nordeuropa auf den Namen EUGEN getauft.

Im Laufe des Tages bildete sich erwartungsgemäß bei den zu Schottland gehörenden Shetland-Inseln das Tiefdruckgebiet EUGEN. Der Wirbel EUGEN entstand als Wellentief an einer Luftmassengrenze, die sich vom zentralen Nordatlantik über die Britischen Inseln und Südskandinavien bis zur Ukraine zog, wo der Übergang zu einer Kaltfront des über dem südlichen Russland liegenden Tiefs DIETER II erfolgte. Die Luftmassengrenze verwellte vom 11. zum 12. November am Übergangsbereich von der nördlichen Nordsee zum Europäischen Nordmeer. Analog zu dieser Verwellung entstand in höheren Luftschichten ein sogenannter Kurzwellentrog, in dem ein umfangreicher Höhentiefdruckkomplex in einer Höhe von etwa 5,5 km, im Bereich von Ostgrönland und Island lag. Am Morgen des 12. November lag der Kerndruck im Zentrum der Zyklone EUGEN bei etwas unter 1000 hPa. Damit kann das Tief EUGEN als Randtief der mit dem angesprochenen Höhentiefdruckkomplex korrespondierenden Bodentiefs CARSTEN nördlich der Insel Jan Mayen und östlich der arktischen Ostküste Grönlands sowie DIETER I westsüdwestlich von Island und östlich von Südgrönland angesehen werden. Vom Kern des Tiefs EUGEN bei den Shetland-Inseln zog sich in südöstlicher Richtung eine Okklusionsfront, also eine Mischfront mit Warm- und Kaltfronteigenschaften, die bis zum Okklusionspunkt knapp westlich der Südspitze Norwegens reichte. Von dort verlief zum einen eine Warmfront, die über Norddänemark, Südschweden, weiter über den Nordosten Polens und nördlich der Karpaten bis zum Gebiet zwischen den Mündungen von Donau und Dnister reichte und dort in die Kaltfront des Tiefs DIETER II überging. Zum anderen ging vom Okklusionspunkt eine Kaltfront aus, die über die Nordsee und den Südosten Englands bis zum Übergang des westlichen Ärmelkanals zur nördlichen Biskaya reichte, wo der Anschluss zu einer Warmfront bestand, die Teil einer verwellten Luftmassengrenze war, welche sich bis etwa 1200 km westsüdwestlich der Inselgruppe der Azoren fortsetzte.

Die 24-stündigen Niederschlagssummen bis zum Morgen des 13. November in Südskandinavien, Norddeutschland sowie im Bereich der Britischen Inseln sind sowohl durch das Tief EUGEN als auch mit dem nachfolgenden Tief FRANK entstanden, da im betrachteten Zeitraum auch die Niederschlagsgebiete des Tiefdruckgebietes FRANK auf die genannten Regionen Einfluss nahmen. Dennoch können die Niederschlagsereignisse der Fronten des Tiefdruckgebietes EUGEN auf kürzere Bezugszeiträume der Niederschlagsmessung herangezogen werden. So fielen am 12. November zwischen 7 und 13 Uhr MEZ im Bereich der südnorwegischen Hochfläche Hardangervidda örtlich zweistellige Niederschlagsmengen, teils als Regen, teils als Schnee, wie an der Wetterstation Roldalfjellet mit 12 l/m². Im schwedischen Strömsfors/Kolmarden bei Norrköping kamen im gleichen 6-stündigen Zeitraum 9 l/m² in Form von teils schauerartigem Regen zusammen. Auf Maseskär, einer schwedischen Insel nordnordwestlich von Göteborg, kam es morgens aufgrund des großen Luftdruckgradienten beim Durchzug des Tiefs EUGEN häufiger zu Sturmböen der Stärke 9 mit maximal 80 km/h. Auf Hanö, einer der südschwedischen Küste in der Provinz Blekinge vorgelagerten Insel, wurden um 12 Uhr MEZ schwere Sturmböen der Stärke 10 bis 91 km/h registriert. Das Hauptwindfeld verlagerte sich entsprechend der Zugbahn des Kerns des Wirbels EUGEN zum Nachmittag über die Ostsee nach Südosten und sorgte an der polnischen Küste in Leba für Böen bis 76 km/h, was der Sturmstärke 9 entspricht. Zeitweiliger Regen brachte innerhalb von 12 Stunden bis 19 Uhr MEZ 12 l/m² im litauischen Kaunas. Im gleichen Zeitraum wurden in der weißrussischen Hauptstadt Minsk 17 l/m² in Folge von länger anhaltendem, teils schauerartig verstärkten Regen registriert. In Krasnaja Gora in der westrussischen Oblast Brjansk kamen durch ebenfalls mit Schauern durchsetzten Landregen 12-stündig bis um 03 Uhr MEZ am 13. November 22 l/m² zusammen. In Minsk fielen bis zum Morgen um 07 Uhr MEZ des 13. November innerhalb von 24 Stunden 40 l/m², die durchweg auf die Fronten des Tiefdruckgebietes EUGEN zurückzuführen sind.

Am 13. November war das Tiefdruckgebiet EUGEN zum letzten Mal als eigenes Druckgebilde auf der Berliner Wetterkarte zu erkennen. Das Zentrum des Tiefdruckgebietes EUGEN lag in etwa im Gebiet des Dreiländerecks zwischen Russland, Weißrußland und der Ukraine. Vom Kern, in dem ein Luftdruck von unter 1010 hPa herrschte, führte eine hauptsächlich in höheren Luftschichten aktive Okklusionsfront bis in die Region nördlich des Asowschen Meeres, wo sich der Okklusionspunkt befand. An diesem traf eine über Südrussland und das östliche Schwarze Meer bis nach Ostanatolien reichende Warmfront auf eine Kaltfront. Diese verlief über die Krim, das nordwestliche Schwarze Meer und Rumänien bis in das slowakisch-ungarische Grenzgebiet auf halbem Wege zwischen Wien und Budapest. Das Tiefdruckgebiet EUGEN zog in der Folgezeit in Richtung des Kaspischen Meeres außerhalb des von der Berliner Wetterkarte dargestellten Kartenausschnittes und brachte im äußersten Süden des europäischen Russlands, der Osttürkei und den Kaukasusstaaten kräftige Niederschläge mit 24-stündigen Summen von gebietsweise mehr als 50 l/m², örtlich mehr als 100 l/m².

 

 

Geschrieben am 14.01.2016 von Heiko Wiese

Berliner Wetterkarte: 12.11.2015

Pate: Eberhard Fugger