Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet EVI

(getauft am 14.01.2018)

 

Um den 09./10. Januar herum bildete sich, wie für atlantische Tiefdruckgebiete der mittleren Breiten typisch, vor der Kanadischen Küste ein neuer Tiefdruckwirbel, der mit der Höhenströmung über den Nordatlantik in Richtung Island zog. Da jedoch ein kräftiges Hoch über Skandinavien und dem Nordwesten Russlands die weitere Zugbahn gen Osten blockierte, wurde die Zyklone nordwärts nach Grönland abgelenkt. Dort hätte es sich vermutlich aufgelöst, allerdings sorgte ein Kaltluftvorstoß aus dem arktisch-kanadischen Raum im Bereich der mittleren Troposphäre für neue Impulse, sodass sich das Tief in der Nacht zum 14.01. rasch zu einem Sturmwirbel verstärkte.

Die Meteorologen der Berliner Wetterkarte analysierten das Tief in den frühen Morgenstunden mit einem Kerndruck von knapp unter 965 hPa wenig östlich von Island über der Dänemarkstraße und tauften es auf den Namen EVI. Es sollte in den folgenden Tagen mit seinen Ausläufern neben Nordwesteuropa auch Mitteleuropa erreichen und damit auch das Wetter bei uns beeinflussen.

Im Laufe des Tages bildeten sich die für ein Tief typischen Strukturen mit Warm- und Kaltfront heraus. Schaut man auf das NOAA-Satellitenbild vom 14. Januar mittags, so erkennt man den Wolkenwirbel knapp nördlich von Island. Vom Zentrum ausgehend erstreckt sich ein lang gezogenes Wolkenband in südliche Richtungen über die Britischen Inseln hinweg bis zum nahen Ostatlantik, dahinter wird das für eine Kaltfront typische postfrontale Wolkenmuster sichtbar. Die Warmfront dagegen verläuft mit weniger deutlichen Konturen in nordöstliche Richtungen über das Nordmeer und Spitzbergen hinweg bis zur Barentssee.

Zuerst machte sich Tief EVI im Umfeld des sich weiter vertiefenden Kerns über Island bemerkbar. Hier hatte es bereits an den Tagen zuvor durch das Vorgängertief wiederholt Niederschläge gegeben. Mit der Reaktivierung lebten diese wieder auf und schon aus der Nacht heraus kam es zu Regen- und Schneeschauern, die verbreitet zweistellige Regenraten innerhalb von 12 Stunden brachten, wie in Reykjavik wo bis zu 11 l/m² Niederschlag verzeichnet wurde. Zeitgleich lebte der Wind in den Morgen- und Vormittagsstunden auf und erreichte verbreitet Sturmstärke, also Windgeschwindigkeiten von mehr als 75 km/h. Während Wind und Schauer im weiteren Tagesverlauf ostwärts abzogen, erreichten Ausläufer der Zyklone EVI in den Nachmittags- und Abendstunden mit kräftigen Regenfällen und auffrischendem Wind von Westen her die Britischen Inseln. Nachts breitete sich der Regen über das gesamte Inselreich aus, wobei innerhalb eines zwölfstündigen Messintervalls zwischen einigen Litern pro Quadratmeter bis über 10 l/m², an exponierten Stellen vereinzelt auch über 30 l/m², registriert wurden, z.B. im nordwestenglischen Shap 34 l/m². Dazu gab es verbreitet starke bis stürmische Böen, vereinzelt auch Sturmböen wie etwa im walisischen Mumbles bei Swansea mit 87 km/h.

Währenddessen befand sich Sturmtief EVI in den Frühstunden des 15. Januar mit einem Luftdruck von knapp unter 945 hPa wenige hundert Kilometer nördlich von Island. Wie schon auf den Satellitenbildern des Vortages zu erkennen spannten sich die Ausläufer vom Zentrum ausgehend zunächst bis zur Grönlandsee und von dort aus einmal in östliche Richtungen bis zur Barentssee als Warmfront, sowie südwärts über das Nordmeer und die Britischen Inseln bis zum Ostatlantik als Kaltfront. Genau genommen handelte es sich um eine Okklusion, also eine Mischform aus Warm- und Kaltfront, die hier jedoch mehrheitlich Kaltfrontcharakter besaß. Skandinavien, aber auch West- und Teile Mitteleuropas befanden sich dementsprechend hinter der Warm- und vor der Kaltfront, in einem breit gefächerten Warmsektor. In zuvor eingeflossener maritimer Subpolarluft erreichten die Temperaturen an diesem Tage über Deutschland zumeist leichte Plusgrade bis 5°C in Hamburg oder 4°C in München. In Belgien und Frankreich erwärmte sich die Luft auf Werte zwischen 5 bis 10°C, wie beispielsweise in Brüssel mit 7°C oder in Paris mit bis zu 10°C. Noch milder wurde es trotz dichter Regenwolken in Großbritannien und Irland mit Temperaturen um die 10°C. Hier brachte der schauerartige Regen bis zum Abend weitere 2 bis 8 l/m² Niederschlag in 12 Stunden, vor allem in Küstennähe auch etwas über 10 l/m². Auch über Frankreich, den Benelux-Staaten, sowie Südskandinavien begann es durch den Frontenaufzug mit vergleichbarer Intensität zu regnen. Beispielsweise meldete Paris zwischen 06 und 18 UTC, als 19 Uhr MEZ, 8 l/m², Antwerpen 10 l/m² und Amsterdam 12 l/m². Entlang der süd- und südwestnorwegischen Küste waren die Niederschlagsmengen vielfach zweistellig, so sorgten Schnee- und Schneeregenschauer an der Station Konsmo-Hoyland bei Kristiansand für 29 l/m². Der Wind blieb vor allem im frontalen Bereich der langgezogenen Okklusion, die abends etwa von der Norwegischen See über die Nordsee, Benelux und Frankreich bis zur Biskaya reichte, lebhaft mit einzelnen starken bis stürmischen Böen, teils auch Sturmböen, wie etwa nachmittags im Pariser Raum gemessen mit bis 85 km/h in Paris-Montsouris. An exponierten Stellen wie der westnorwegischen Küste wurden auch noch stärkere Böen, z.T. bis Stärke 12 gemessen, so z.B. auf der Insel Eigeroya westlich von Egersund mit Böen bis 119 km/h. Dies ist nicht untypisch für diese Region, zumal die Windgeschwindigkeiten meist schon wenig Richtung Landesinnere schnell abfallen. Nachts ließ der Wind vorübergehend etwas nach, allerdings setzten sich die Niederschläge entlang des weiter über süd- und ostwärts vordringenden Frontensystems mit unveränderter Intensität und Stärke fort. Dabei zogen von Nordwesten her die Niederschlagsfelder auch nach Deutschland, teils begleitet von Blitz und Donner. In Saarbrücken beispielsweise wurde bis zum darauf folgenden Morgen 06 UTC zwölfstündig 15 l/m² gemessen, in Bielefeld 10 l/m² und in Potsdam 4 l/m². Der Niederschlagsschwerpunkt lag jedoch über Südskandinavien, genauer im Bereich des Skagerrak, wo sich aufgrund der Orographie ein kleinräumiges und kurzlebiges Wellentief bildete, was besonders im südlichen Norwegen für kräftige Schauer von verbreitet 10 bis 40 l/m² sorgte, an der Station Nelaug, nordwestlich von Kristiansand wurden sogar 78 l/m² gemessen.

Am Morgen des 16. Januar hatte das Tief EVI den Höhepunkt seiner Entwicklung überschritten. Dabei befand es sich unverändert im Raum Island mit einem Kerndruck von leicht unter 955 hPa. Während der Luftdruck im Zentrum langsam stieg, in folgenden 24 Stunden um +17 hPa, drang die Kaltfront-okklusion weiter nach Schweden, Polen und Tschechien vor und erreichte auch den Alpenraum. Nicht nur im frontalen Bereich, sondern auch in der dahinter einfließenden, feuchtkühlen Meeresluft kam es von den Britischen Inseln über Frankreich und Benelux bis nach Deutschland zu schauerartigen Niederschlägen. Bis zum Abend brachten Regen-, Schneeregen- und Schneeschauer recht gleichmäßig verteilt zwischen 2 l/m² bis an 10 l/m², z.B. in Belfast 6 l/m², in Paris 5 l/m², in Wuppertal 12 l/m² und im polnischen Thorun 6 l/m². In den Mittelgebirgen, aber auch in den Bergen Süddeutschlands und den Alpen wurden auch zweistellige Werte gemessen, so etwa in Oberstdorf mit 19 l/m² zwischen 06 und 18 UTC. Mit den Schauern einhergehend frischte der Wind verbreitet mit stürmischen Böen auf, entlang der Küsten und auf den Bergen wurden auch Sturmböen gemessen. Hinsichtlich der Temperaturen gab es über West- und Mitteleuropa kaum nennenswerte Veränderungen im Vergleich zum Vortag, allenfalls über England blieb es wenige Grad kühler. Norddeutschland verzeichnete leichte Plusgrade, zwischen England, den Niederlanden und Süddeutschland wurden 5 bis 10°C gemessen und südlich und westlich davon in Frankreich über 10°C. In der sich anschließenden Nacht konzentrierte sich das Wettergeschehen mehr und mehr auf den Alpenraum. Hier traf die kühle Meeresluft aus dem Norden auf warme Mittelmeerluft, was nicht nur mit teils kräftigen Regen- und Schneeschauern, sondern ebenfalls teils mit Blitz und Donner einherging. In höher gelegenen Regionen fielen meist 20 bis 40 l/m² Niederschlag, auf dem 2500 m hohen Säntis sogar 83 l/m² binnen 12 Stunden. Mit der einströmenden Luft sank die Schneefallgrenze im Laufe der Nacht von über 1200 m auf unter 600 m, folglich bildete bzw. erhöhte sich vielerorts die Schneedecke. Beispielsweise wuchs die Schneehöhe im ostschweizerischen Sedrun von 24 cm bis auf 40 cm.

Unterdessen drang die Kaltfront des Tiefs EVI bis zum Morgen des 17.01. bis zu den Pyrenäen, Südfrankreich, den Südalpen und den Westkarpaten voran und erreichte nach Osten hin die Weichsel und mittlere Ostsee. Viel weiter kamen die Ausläufer nicht mehr voran, sondern lösten sich bis zum Tagesende weitestgehend auf. Ursache war nicht zuletzt das sich weiterhin über Russland befindliche, kräftige Hochdruckgebiet BORCHERT. Allerdings führte die noch etwa bis zur Balkanhalbinsel vorstoßende maritime Subpolarluft zu einer Tiefneuentwicklung in diesem Gebiet, die mit kräftigen Konvektions- und Niederschlagsprozessen einherging. Auch über Südskandinavien kam es im Lee der Skandinavischen Alpen zu einer Randtiefentwicklung, die aber nur leichte Schneefälle mit Mengen von unter 5 l/m², meist sogar unter 2 l/m² in 12 Stunden induzierte. Das Tief EVI hingegen sorgte wie schon an den Vortagen für einzelne Schnee-, Schneeregen- oder Graupelschauer von Belgien bis Polen und von Dänemark bis zur Schweiz, die nicht mehr ganz so kräftig wie tags zuvor ausfielen. Auch der Wind spielte kaum mehr eine Rolle, was in erster Linie auf die spürbare Abschwächung des Tiefs zurückzuführen war. Gleichzeitig gingen die Temperaturen über Mitteleuropa bei zumeist tiefhängender Bewölkung und kaum Sonne gegenüber dem Vortag weiter zurück. Über Deutschland wurden nur noch leichte Plusgrade gemessen, und über Frankreich und Großbritannien blieb es mit Temperaturen von 5 bis 10°C ebenfalls kühler. In den folgenden Stunden gelangte West- und Mitteleuropa in den Einfluss eines neuen Tiefdruckwirbels, der vom Atlantik rasch über die Britischen Inseln und am folgenden Tag entlang von Nord- und Ostsee Richtung Baltikum zog.

Das Tief EVI hingegen verblieb an den folgenden Tagen quasistationär über dem Nordmeer, beziehungsweise dem Isländischen Raum, wo es sich immer mehr auffüllt. Die Zyklone hatte allenfalls noch indirekt Einfluss auf das Wettergeschehen, wovon vereinzelte schwache Schauer über Island, der norwegischen Westküste oder aber dem Westen der Britischen Inseln am 18. und 19. Januar zeugten.

Letztmalig analysiert werden konnte Tief EVI in den frühen Morgenstunden des 20.01. mit einem Kerndruck von knapp unter 995 hPa über dem Nordmeer. Im Tagesverlauf verringerten sich die Luftdruckunterschiede über dem Nordmeer weiter, bis Tief EVI sich auflöste und so von den Wetterkarten verschwand.