Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet FABIENNE
(getauft am 16.01.2012)
Am 16. Januar 2012 wurde ein Tiefdruckgebiet, das
sich entlang einer Luftmassengrenze als Wellentief südlich von Neufundland
gebildet hatte, auf den Namen FABIENNE getauft.
Mit einer kräftigen West- bis Südwestströmung in
der wetterbestimmenden Höhe von ca. 5,5 km verlagerte sich das Bodentief bis
zum Morgen des folgenden Tages bis etwa über die Mitte des Nordatlantiks, auf
halber Strecke zwischen Nordamerika und Europa. Der Kern des Tiefdruckgebietes
FABIENNE, in dem zu diesem Zeitpunkt ein Luftdruck von etwas unter 1000 hPa
gemessen wurde, lag am Rande eines großen, unbenannten Tiefs zwischen Grönland
und Island.
Bis zum Morgen des 18. Januar vereinigten sich die
beiden genannten Druckgebilde zum Tiefdruckgebiet FABIENNE mit Zentrum vor der
isländischen Südküste, in dem ein Kerndruck von knapp unter 960 hPa gemessen
wurde. Über Island zog sich von West nach Ost eine Mischfront mit Warm- und
Kaltfronteigenschaften, die sogenannte Okklusionsfront. Über der Ostküste
Islands spaltete sich zusätzlich eine Warmfront ab, die entlang des
Polarkreises über einige Hundert Kilometer nach Osten verlief. Die
Okklusionsfront reichte hingegen bis zu den Faröer-Inseln. Dort teilte sie sich
in eine über Großbritannien bis zur Biskaya verlaufende Warmfront, sowie eine
weiter westlich entlang der irischen Westküste verlaufende Kaltfront, die
wiederum Anschluss an die Warmfront eines nachfolgenden Tiefs über dem
zentralen Nordatlantik hatte. Für das Wetter an Land waren im Wesentlichen der
Kern des Tiefdruckgebietes FABIENNE und die über Island reichende
Okklusionsfront mit der zugehörigen Warm- und Kaltfront von Bedeutung, die von
Westen her die Britischen Inseln überquerten. Morgens wurde in Reykjavik
Schneefall bei einer nordwestlichen Windrichtung gemeldet, die isländische
Hauptstadt lag bereits auf der Rückseite des Tiefdruckkerns im Zustrom
maritimer Arktikluft. Der starke Luftdruckunterschied von über 45 hPa zwischen
dem Tiefdruckkern südlich von Island mit unter 960 hPa und etwa 1005 hPa über dem
Norden Schottlands führte zu starken Windgeschwindigkeiten. So wurde auf den
Faröer-Inseln nachmittags in Böen die Marke von 64 Knoten, ab der Wind als
Orkan gilt, bei weitem übertroffen. Der Wind erreichte an der Wetterstation
Thorshavn, der Hauptstadt der Faröer-Inseln, in Spitzen sogar 87 Knoten, was
161 km/h entspricht. Die Niederschlagsmengen innerhalb von 24 Stunden bis zum
Morgen des Folgetages zeigen, dass nicht nur die Britischen Inseln, sondern
auch Teile Skandinaviens von den Fronten des Tiefdruckgebietes FABIENNE
beeinflusst wurden. Während im Süden Schottlands in Glasgow bis zu 4 l/m²
gemessen wurden, kamen auf den westlich vor Schottland liegenden Äußeren
Hebriden in Stornoway 10 l/m² zusammen. Ähnliche Niederschlagsmengen konnten in
Thorshavn registriert werden. An der in Dänemark liegenden Station Karup fielen
9 l/m² und in Bergen an der norwegischen Westküste waren es sogar 23 l/m². Die
im Vergleich zu umliegenden Orten deutlich höhere Niederschlagssumme in Bergen
ist zum einen dadurch zu erklären, dass von Westen an das Norwegische Gebirge
gedrückte feuchte Luftmassen dort verstärkt zum Abregnen gezwungen wurden.
Weiterhin entwickelte sich im Tagesverlauf des 18. Januar am Okklusionspunkt
ein Teiltief.
Am Morgen des 19. Januar lag der Kern des Teiltiefs
FABIENNE I zwischen Island und Norwegen, etwas nördlich des Polarkreises und
besaß einen Kerndruck von knapp unter 960 hPa. Es war durch eine
Okklusionsfront mit dem Teiltief FABIENNE II über Mittelschweden verbunden, das
einen Kerndruck von unter 995 hPa aufwies. Von dort ging einerseits eine
Warmfront über das Baltikum bis zu den Karpaten aus, andererseits verlief eine
Okklusionsfront über die Ostsee bis über den Norden Deutschlands. Dort schloss
sich eine Warmfront an, die bis über den Süden Frankreichs verlief, sowie eine
verwellte Luftmassengrenze, die nach Westen auf den Nordatlantik führte. Diese
komplexe Gliederung der Tiefdruckkerne und Fronten hatte Niederschläge
unterschiedlicher Stärke und Art zur Folge. Während sich das Teiltief FABIENNE
I bis zum Morgen des Folgetages kaum verlagerte, zog das Teiltief FABIENNE II
weiter nach Osten. So wurden im Bereich der Fronten über Nord- und
Nordosteuropa bis zum Morgen des 20. Januar meist 24-stündige
Niederschlagsmengen im einstelligen Bereich gemeldet, wie zum Beispiel im
estnischen Tallinn mit 4 l/m² oder im finnischen Helsinki mit 7 l/m². Dagegen
brachten die weiter südlich gelegenen Tiefausläufer besonders in höheren Lagen
Mitteleuropas noch deutlich höhere Werte mit sich. Im österreichischen Salzburg
kamen im gleichen Zeitraum 24 l/m² zusammen, und auf dem Kahlen Asten in
Nordrhein-Westfalen waren es 30 l/m². Auch in tieferen Lagen waren die
Niederschlagsmengen teils beträchtlich, wie in Aachen mit 16 l/m² oder in Essen
mit 24 l/m². Die Verteilung des Niederschlags nach seinem Aggregatzustand war
nicht einheitlich, denn es gab sowohl flüssige Anteile beim Niederschlag in
höheren Lagen, als auch feste Schnee- oder Schneeregenanteile beim Niederschlag
in tieferen Gebieten wie beispiesweise über dem Norddeutschen Tiefland. Am 20.
Januar lag das Tief FABIENNE I mit einem Kerndruck von unter etwas 980 hPa, bei
fast unveränderter Position zwischen Island und Norwegen und FABIENNE II über
der nördlichen Ostsee mit einem Kerndruck von leicht unter 995 hPa. Beide Tiefs
waren dabei vollständig okkludiert. Die Okklusion des Tiefs FABIENNE I zog sich
spiralförmig um dessen Kern und über die Nordsee bis nahe der norwegischen
Südwestküste bei Bergen. Die Okklusion des Tiefs FABIENNE II lag hingegen entlang
des Bottnischen Meerbusens über der schwedischen Ostseeküste. Erneut fielen die
24-stündigen Niederschlagsmengen bis zum Folgetag im Bergland deutlich höher
aus als in tieferen Lagen, wie der Vergleich von Innsbruck in Österreich mit 28
l/m² und der polnischen Hauptstadt Warschau mit 5 l/m² zeigt. Die aus
subpolaren oder sogar arktischen Regionen eingeflossene kalte Luft führte
mancherorts zu sehr tiefen Temperaturminima. Im weißrussischen Minsk sank die
Temperatur auf bis zu -11°C, im norwegischen Oslo betrug die Tiefsttemperatur
sogar nur -13°C.
Am 21. Januar erstreckte sich der Einfluss des
Tiefdruckgebietes FABIENNE von Finnland bis zur Ägäis. Der an diesem Tag
einzige Kern des Tiefs lag mit ca. 1005 hPa über der mittleren Ostsee. Vom
diesem Kern ausgehend erstreckte sich eine Okklusion südostwärts über Tallinn
bis Kiew. Dort schloss sich eine Warmfront an, die bis über das Schwarze Meer
reichte. In den nördlichen vom Tief FABIENNE beeinflussten Bereichen herrschte
gebietsweise Dauerfrost, der im Frontbereich von Schneefällen begleitet war.
Besonders auf der Ostseite stieg die Temperatur tagsüber in sehr kalter Luft,
die mit einem über Sibirien liegenden Hochdruckgebiet aus Osten angezapft
wurde, nicht über -10°C. Über Südosteuropa machte sich das Tiefdruckgebiet
FABIENNE durch gebietsweise kräftige Niederschläge bemerkbar. In Constanza am
Schwarzen Meer fielen bis zum Morgen des Folgetages 28 l/m² innerhalb von 24
Stunden, und in Larnaca auf Zypern waren es im gleichen Zeitraum 34 l/m².
Am 22. Januar hatte das Tief FABIENNE zwei
eigenständige Zentren ausgebildet, wobei sich eine Tiefdruckrinne vom
nördlichsten Kern über Minsk über das Schwarze Meer bis zum südlichsten Kern
bei Antalya bildete. Bis zum Folgetag löste sich diese Tiefdruckrinne jedoch
weitgehend auf.
Bereits bis zum Morgen des 23.02. löste sich diese
Tiefdruckrinne aufgrund des herannahenden Sibirienhochs aus nordöstlicher
Richtung und weiterer Zyklonen aus westlicher Richtung auf, sodass das Tief
FABIENNE seit diesem Tag nicht mehr analysierbar war.
Geschrieben am 18.04.2012 von Heiko Wiese
Berliner Wetterkarte: 20.01.2012
Pate: Fabienne Muriset