Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet FRANZISKA

(getauft am 22.11.2012)

 

Der November 2012 war in weiten Teilen Europas und damit auch in Deutschland immer wieder durch Tiefdruckgebiete geprägt die aus Westen und Südwesten über den Atlantik Richtung Mitteleuropa zogen. Dabei lag ein großräumiger Trog über dem gesamten Nordatlantik, der sich nach Süden bis knapp nördlich der Azoren erstreckte. Zu Beginn der dritten Novemberdekade herrschte ein starker Temperaturgradient in genau diesem Gebiet, da kalte subpolare bis arktische Luftmassen auf maritim erwärmte subpolare Luftmassen traf. So herrschten am 21.11. auf den Azoren um 18°C, nur wenig nördlich meldeten Schiffe rund 10°C. Aufgrund dieses Temperaturgradienten konnte sich in der Nacht zum 22.11. ein Wellentief ausbilden, welches am selben Tag auf den Namen FRANZISKA getauft wurde.

Um 00 Uhr UTC des Tauftages lag das Tief FRANZISKA mit einem Kerndruck von knapp 1000 hPa rund 400 km nordwestlich der Azoren. Vom Tiefzentrum gingen zu diesem Zeitpunkt zwei Warm- und zwei Okklusionsfronten aus. Die erste Warmfront reichte wenige hundert Kilometer nach Nordosten und ging in die Kaltfront eines Islandtiefs über. Die zweite Warmfront reichte in einem leichten Bogen bis rund 200 km östlich der Azoren. Ähnlich kurz gestalteten sich die Okklusionen, wobei die erste wenige hundert Kilometer nach Südwesten und die direkt nachfolgende mit ähnlicher Länge nach Westsüdwesten reichte. Infolge des starken Temperaturgradienten, der sich im Laufe des Tages weiter in Richtung Azoren verschob, kam es auf der Inselgruppe zu ergiebigen Niederschlägen. So fielen innerhalb von 12 Stunden bis zum Abend dieses Tages 63 mm Niederschlag.

Bis zum Morgen des Folgetages gelangte der Kern des Wirbels FRANZISKA mit der Höhenströmung auf der Vorderseite des Troges bis knapp nordöstlich der Azoren, wobei der Kerndruck nahezu gleichbleibend war. Jedoch organisierte das Tief seine Fronten neu. Die vorderseitige Warmfront reichte nun schon bis fast zur Nordwestspitze der Iberischen Halbinsel. Die beiden Okklusionen wechselten jeweils ihren Charakter in den einer Kaltfront. Die voranlaufende Kaltfront reichte vom Kern ausgehend rund 1500 km Richtung Südwesten über den Atlantik, die nachfolgende Kaltfront reichte hingehen weit nach Westen über den zentralen Nordatlantik, wo sie in eine nachfolgende Welle überging. Im Laufe des Tages näherte sich das Tief langsam dem europäischen Festland und die Warmfront reichte nun bis über die Bretagne. In Brest kamen durch die lang anhaltenden und nahezu stationären Niederschlagsfelder der Warmfront 6,4 mm Regen zusammen.

Am 24.11. um 00 Uhr UTC befand sich das Zentrum der Zyklone FRANZISKA rund 300 km westlich der spanischen Nordwestspitze und wies einen Kerndruck von weiterhin etwas unter 1000 hPa auf. Die Warmfront reichte nun nordöstlich über Frankreich hinweg ungefähr bis Brüssel. Die beiden Kaltfronten hatten sich zu einer verbunden, welche vom Kern ausgehend südwestlich über den Nordatlantik reichte, etwa bis auf Breite der Meerenge von Gibraltar. Die Niederschlagsgebiete, die auch am vorangegangenen Tag schon über Brest lagen, verlagerten sich kurzzeitig etwas weiter in den Norden, bevor sie sich dann wieder bis über Brest schoben und dabei sogar intensivierten. Bis zum nächsten Morgen wurden so innerhalb von 24 Stunden 16,0 mm Regen gemessen.

Im weiteren Verlauf entwickelte sich die Zyklone FRANZISKA rasch zu einem Sturmtief. Um 00 Uhr UTC des 25.11. lag das Zentrum des Wirbels über dem englischen Bristol. Der Druck im Kern fiel auf knapp unter 990 hPa und die Isobarendrängung um den Kern herum, der an seiner
Ost- und Südflanke von kleinen Hochs umgeben war, nahm deutlich zu. Die Warmfront erstreckte sich östlich bis etwa nach Zentralpolen, die schnellere Kaltfront beschrieb einen Bogen vom Kern ausgehend über den Ärmelkanal, Paris und Bordeaux hinweg bis Bilbao im zentralen Nordspanien. Um 12 Uhr UTC wurden an der niederländischen  Nordseeküste bereits knapp 100 km/h gemessen, an der Station Weinbiet in der Pfalz waren es 101 km/h und auf dem Brocken im Harz 108 km/h. In dieser kräftigen Südwestströmung, die subtropische Luftmassen advehierte, wurden Höchstwerte von verbreitet über 10°C, im Süden und Westen sogar über 15°C erreicht. Spitzenreiter waren Stuttgart und München mit 17°C. In Mannheim wurde mit 16,3°C der Rekordwert von 16,6°C nur knapp verfehlt.

Um 12 Uhr UTC befand sich der Kern des Tiefs FRANZISKA bereits zentral über der Nordsee und vertiefte sich weiter bis auf unter 975 hPa. Durch die voranschreitende Zyklogenese verschärfte sich das Windfeld an der Südflanke des Wirbels, der nun als Orkantief eingestuft werden konnte. Nicht nur auf dem Brocken im Harz wurde mit 126 km/h die Orkanschwelle überschritten, sondern auch auf dem Feuerschiff „Tiefenwasser Ems“ mit 130 km/h. Aber auch auf den Nordseeinseln von den Niederlanden bis nach Dänemark wurden Windgeschwindigkeiten von etwa 100 km/h gemessen, wie zum Beispiel auf Sylt mit 108 km/h als Maximum.

Im Einflussgebiet des Tiefs wurden in Deutschland nicht nur hohe Windgeschwindigkeiten, sondern auch zweistellige Regensummen verzeichnet, wie auf Sylt mit 10,0 mm. Nach dem Durchzug des Tiefs strömte auf der Rückseite etwas kühlere Luft nach Deutschland herein. Gleichzeitig klarte es nach einem durchweg grauen Tag deutlich auf, wodurch die Temperaturminima am Morgen des 26.11. teils im Frostbereich lagen, wie in Holzdorf mit -1°C und in Marburg mit -2°C.

Bis um 00 Uhr UTC des Folgetages verlagerte sich das Orkantief FRANZISKA weiter über Jütland und schwächte sich dabei ab. Die Fronten drehten sich bis zu diesem Zeitpunkt klassisch ein, sodass eine Okklusion vom Kern aus um das Tief herum führte und dann über das südliche Schweden und die Ostsee bis über das südöstliche Baltikum reichte. Dort teilte sie sich in eine Warmfront, die sich südlich bis zu den Karpaten erstreckte, und eine Kaltfront, die nach Südwesten bis nach Passau reichte. Durch die starke Zyklogenese setze sich das Tief FRANZISKA auch in der Höhenströmung durch und veränderte dort die Struktur des großräumigen Troges, welche sich nun leicht nach Osten verschob. Das Tief FRANZISKA konnte sich am Boden nicht länger halten und ging in das Nachfolgetief GABRIELE über, wodurch es bereits am 26.11. auf der Berliner Wetterkarte nicht mehr analysiert werden konnte. Dennoch stellte es die Grundlage einer durchgreifenden Wetteränderung in Mitteleuropa dar, denn zusammen mit dem Tief GABRIELE konnte die Zyklone FRANZISKA die Strömung vor allem in Deutschland auf eine nördliche Richtung drehen, womit pünktlich zum ersten Advent des Jahres 2012 der Winter in Deutschland Einzug hielt und bis zum Ende der zweiten Dezemberdekade anhielt.


Geschrieben am 06.01.2013 von Paul Heger

Berliner Wetterkarte: 25.11.2012

Patin: Franziska Menzel