Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet GÜNTHER

(getauft am 01.06.2013)

 

Am 01.06. war über Mittel-, Ost- und Südosteuropa ein Kaltlufttropfen, ein abgeschlossener Bereich kalter Luft in einer Höhe von ca. 5,5 km, wetterbestimmend, wobei sich in dessen Zentrum zwei Höhentiefs befanden. Dadurch hatte sich um das Zentrum, welches sich von den Westalpen bis zu den Karpaten erstreckte, eine ebenfalls abgeschlossene Höhenströmung gebildet, die entgegen des Uhrzeigersinnes verlief. In der mittleren Troposphäre wurden durch Radiosondenaufstiege von Wien bis zum Schwarzen Meer -22°C bis -24°C gemessen. Außerhalb des Kaltlufttropfens wurden -16 bis -18°C registriert, z.B. in Paris, Rom, Izmir, Kiew, Danzig und Hamburg. Durch die Lage des Kaltlufttropfens strömte auf der Westseite nordatlantische Meeresluft nach Frankreich und zur Iberischen Halbinsel, auf der Ostseite hingegen Subtropikluft über den Kaukasus bis weit in den Norden zur Kola-Halbinsel.

Im Bodenniveau unter den beiden Höhentiefs befanden sich das Tief FREDERIK mit Zentrum über den Westalpen und ein neues Tief mit Zentrum über Ostpolen, welches noch am gleichen Tag auf den Namen GÜNTHER getauft wurde. Die Okklusionsfront von Tief FREDERIK verlief vom Schwarzwald über Berlin bis zum Zentrum von Tief GÜNTHER. Das Tiefdruckgebiet GÜNTHER selbst war mit einem Kerndruck von knapp 1000 hPa noch in der Entstehungsphase, sodass von dem direkt östlich angrenzenden, namenlosen Tief eine langgezogene Kaltfront über die Halbinsel Krim, Ankara und Zypern bis zur libyschen Mittelmeerküste reichte.

Im Laufe des Tages verlagerte sich Tief GÜNTHER von Polen über den Osten Deutschlands. Dabei sorgten die bereits bestehenden Niederschlagsgebiete in Verbindung mit Tief FREDERIK und den von Tief GÜNTHER neu gebildeten Niederschlagsgebieten für teils ergiebige Regenmengen in Deutschland, der Schweiz, Österreich, Lichtenstein und Tschechien. In Deutschland wurden die höchsten 24-stündigen Niederschlagsmengen in Carlsfeld im Erzgebirge mit 95 l/m², auf dem Großen Arber  im Bayrischer Wald mit 68 l/m², in Stötten in der Schwäbische Alb mit 45 l/m² und im oberbayrischen Chieming mit 81 l/m² gemessen. Auch in Prag mit 38 l/m², im Vaduz (Lichtenstein) mit 51 l/m², in Innsbruck mit 53 l/m³ und insbesondere in Salzburg mit 101 l/m² gab es ergiebige Regenmengen. Gleichzeitig stiegen die Höchsttemperaturen in den Dauerregengebieten nicht über 15°C, z.B. in  Salzburg mit 13°C und Vaduz mit 12°C.

Am 02.06. hatte sich an der Großwetterlage nichts verändert. Der Kaltlufttropfen befand sich noch immer über denselben Gebieten wie am vorangegangenen Tag. Nur die beiden Höhentiefs in seinem Zentrum hatten sich aufgrund der Drehung entgegen des Uhrzeigersinns in ihrer Lage verändert und waren nun in Nord-Süd-Richtung angeordnet. Das nördliche Zentrum lag über Westösterreich, das südliche über Süditalien. Da sich Tief FREDERIK über Korsika auflöste, war Tiefdruckgebiet GÜNTHER, trotz der Abschwächung des Kerndrucks auf 1005 hPa, das alleinige Bodentief im Bereich des Kaltlufttropfens. Von dem Zentrum über Westpolen aus verlief die Warmfront über Südschweden bis zur nördlichen Ostsee, die Kaltfront von Polen aus über Weißrussland bis zur nördlichen Ukraine. Im Warmluftsektor zwischen Kalt- und Warmfront befand sich weiterhin osteuropäische Festlandsluft subtropischen Ursprungs, die über dem Baltikum, Weißrussland, Finnland und weiten Teilen Westrusslands sommerliche Höchsttemperaturen bis knapp über 30°C ermöglichte. Beispielsweise wurden in der russischen Hafenstadt Murmansk, die sich nördlich des Polarkreises auf der Kola-Halbinsel befindet, 29,6°C registriert.

Die Warmfront von Tief GÜNTHER traf bei der Westverlagerung über dem Osten Deutschlands auf einfließende Kaltluft in den bodennahen Schichten eines namenlosen Tiefdruckgebietes mit Zentrum über dem europäischen Nordmeer. Dadurch wurde die feuchtwarme Luft zum Aufstieg gezwungen und es konnten sich weitere intensive Niederschlagsgebiete bilden. So fielen entlang der Oder, über dem Spreewald, dem Erzgebirge, dem Vogtland, dem Bayrischen Wald bis zu den Alpen länger andauernde und ergiebige Niederschläge. In nur 12 Stunden wurden z.B. in Lindenberg 27 l/m², in Zinnwald-Georgenfeld 22 l/m², in Chemnitz 33 l/m², in München 42 l/m² und erneut in Chieming 49 l/m² gemessen. Da sich die Regengebiete nach Süden verlagerten und sich dabei von Norden her abschwächten, lag der Niederschlagsschwerpunkt bis zum Morgen des 03.06. am Erzgebirge und im Frankenland. Als maximale 12-stündige Regenmenge kamen weitere 18 l/m² in Bamberg und 23 l/m² in Zinnwald-Georgenfeld hinzu. In den niederschlagsreichen Regionen lagen die Tageshöchsttemperaturen verbreitet um oder unter 10°C, z.B. in Chemnitz mit 8°C, in Hof mit 7°C und in München mit 9°C. Die Tiefstwerte gingen auf Werte zwischen 7 und 3°C zurück. Östlich einer Linie Greifswald-Harz-Thüringer Wald-Zugspitze schien zudem den ganzen Tag keine Sonne.

Am 03.06. verlagerte sich Tiefdruckgebiet GÜNTHER in Richtung Osten zur Ukraine. Grund hierfür war die ebenfalls nach Osten gerichtete Verlagerung des Kaltlufttropfens, dessen Zentrum sich über der südlichen Ukraine und dem westlichen Schwarzen Meer befand. Gleichzeitig erwärmte sich die Kaltluft langsam, was gleichbedeutend mit einer beginnenden Abschwächung war. Neben der Warmfront, die von Kiew über Warschau bis nach Helsinki reichte, war Tief GÜNTHER noch eine kurze Okklusionsfront zugeordnet, die bis zur Ostgrenze der Ukraine reichte. Im Bereich der Warmfront wurde weiterhin feuchtwarme Luft beim Aufeinandertreffen mit der subpolaren Meeresluft von der Nordsee her zum Aufsteigen gezwungen, sodass über Polen und Tschechien erneut länger anhaltender Regen auftrat. So fiel beispielsweise innerhalb von 24 Stunden bis 06 Uhr UTC am Folgetag, was 08 Uhr MESZ entspricht, in Prag 14 l/m², in Brünn 13 l/m² und in Leba 12 l/m² Niederschlag. Aber auch in der Lausitz und dem Osterzgebirge trat letztmalig schauerartig verstärkter Regen auf, der nochmals für eine 24-stündige Niederschlagssumme von über 20 l/m² sorgte, wie z.B. in Cottbus mit 22 l/m², in Boxberg mit 29 l/m² und in Bad Muskau mit 32 l/m².

Am 04.06. schwächte sich das Bodentief GÜNTHER ebenso wie das zugehörige Höhentief ab. Der Kerndruck stieg weiter leicht an und lag an diesem Tag bei 1008 hPa. Das Zentrum von Tief GÜNTHER wurde über dem Südosten Polens analysiert. Die zugehörige Okklusionsfront verlief vom Zentrum aus über die Westkarpaten und das zentrale Polen nach Kaliningrad. Nennenswerter Niederschlag wurde nur noch aus Kaschau in der Slowakei mit 26 l/m² innerhalb von 24 Stunden gemeldet, da keine zusammenhängenden Regengebiete mehr vorhanden waren, sondern sich in der labil geschichteten Luft nur noch örtlich begrenzte Schauer- und Gewitterzellen bildeten. Hier lag die Höchsttemperatur bei 18°C, welche die Folge der von Westen eingeflossenen subpolaren Meeresluft im Bodenniveau war. Warschau befand sich noch auf der warmen Ostseite der Okklusionsfront, sodass hier noch eine Höchsttemperatur von 23°C gemessen wurde.

Am 05.06. konnten dem Tiefdruckgebiet GÜNTHER mit Zentrum über dem Südwesten der Ukraine keine Fronten mehr zugeordnet werden. Auch der Kerndruck unterschied sich mit etwa 1012 hPa kaum noch von der Umgebung. Es bildeten sich in der weiterhin noch vorhandenen, labil geschichteten Luft einzelne Schauer und Gewitter, die aber mit einem maximal gemeldeten 24-Stunden-Wert von 9 l/m² aus Kaschau nicht mehr so intensiv ausfielen, wie an den Tagen zuvor. Das Tief GÜNTHER löste sich am Ende des Tages weitgehend auf und erschien damit letztmalig auf der Berliner Wetterkarte.

 


Geschrieben von Matthias Treinzen

Berliner Wetterkarte: 03.06.2013

Pate: Günther Woicke