Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet GERHARD

(getauft am 27.05.2017)

 

In den Abendstunden des 27.05.2017 entwickelte sich über dem Norden Portugals ein neues Tiefdruckgebiet, welches aufgrund seines vorhergesagten Einflusses auf Mitteleuropa in der Prognose für den Folgetag auf den Namen GERHARD getauft wurde.

Das Tief GERHARD bildete sich dabei entlang einer, auf die Iberische Halbinsel übergreifender, wellenförmig deformierten Kaltfront eines unbenannten Wirbels nahe des Ärmelkanals, welcher sich bis zum Ende des Monats dem Tief FALK über Nordeuropa anschließen sollte. Die Front, welche im Verlauf zum Teil vom Tief GERHARD übernommen wurde, trennte feuchte subpolare Kaltluft über dem Atlantik von trockener, heißer Tropikluft über Spanien. Dies hatte zur Folge, dass sich ein starker Temperaturgradient auf der Iberischen Halbinsel ausbildete. So konnten am 27.05. im Westen Portugals und im Nordwesten Spaniens 20 bis 24°C gemessen werden, während weiter östlich Maxima von deutlich über 30°C registriert wurden, wie in Madrid mit 33,5°C oder in Granada mit 36,6°C.

Der Kern der Zyklone GERHARD befand sich um 01 Uhr MEZ am 28.05. mit einem Druck von ca. 1014 hPa nordöstlich von Porto über der portugiesisch-spanischen Grenze. Ausgehend vom Tiefdruckzentrum verliefen eine Kaltfront nach Süden bis über Zentralportugal sowie eine Warmfront nach Nordosten über die Biskaya bis etwa zum französischen Le Havre am Ärmelkanal. Entlang der durch die starken Temperaturunterschiede kräftig ausgeprägten Fronten traten vor allem über dem Norden und Nordwesten Spaniens sowie in Nordwestfrankreich im Tagesverlauf lokal Schauer und Gewitter auf. Diese brachten in 12 Stunden bis 19 Uhr MEZ an der spanischen Station Lugo/Rozas 11 l/m², in Le Talut nordwestlich von Nantes 12 l/m², im bretonischen Landivisiau 15 l/m² und auf der vor der bretonischen Küste liegenden Insel Ouessant 16 l/m² Niederschlag. In Dinard wurden sogar in nur 3 Stunden bis 22 Uhr MEZ 31 l/m² Regen verzeichnet.

Der Höhenströmung in der mittleren Troposphäre folgend verlagerte sich der Wirbel GERHARD bis zum Folgetag nach Nordosten bis über die Bretagne. Mit 1012 hPa vertiefte sich der Kerndruck dabei nur wenig. Vom Zentrum erstreckte sich eine Warmfront nach Nordosten über Belgien bis zur Mitte Deutschlands. Entlang der Front traten erneut vereinzelt Schauer auf, die bis 07 Uhr MEZ 12-stündig für 7 l/m² in Amsterdam und 12 l/m² am Flughafen Cherbourg-Maupertus sorgten. Gleichzeitig verlagerte sich auch der Tiefdruckkern nach Norden, wodurch auch in England und Wales 12-stündige Niederschlagswerte von beispielsweise 11 l/m² auf Thorney Island sowie je 12 l/m² in Wattisham und am Lake Vyrnwy gemessen werden konnten. Die Kaltfront reichte derweil vom Zentrum des Tiefs GERHARD nach Süden über Westfrankreich, die Biskaya und Spanien bis Marokko. Auch entlang dieser Front wurden bis 07 Uhr MEZ Niederschläge gemeldet, wie in Nantes mit 13 l/m² oder in La Roche-sur-Yon. Die Kaltfront zog im Tagesverlauf über Spanien und Teile Frankreichs hinweg und sorgte so für ein Ende der anhaltenden Hitze in diesem Bereich. Die einfließenden subpolaren Luftmassen verursachten ein Absinken der Temperatur um bis zu 5 bis 6 Grad. Mit den Fronten verschob sich jedoch der Warmluftsektor, d.h. der Bereich zwischen Warm- und Kaltfront, etwas nach Norden, wodurch die Subtropikluft nun auch in den Benelux-Staaten und dem Westen Deutschlands Einzug hielt, wobei in letzterem am Tag zuvor bereits Tagesmaxima von über 30°C im Süden und Osten des Landes auftraten. So wurden zum Beispiel 30,8°C aus dem belgischen Dourbes, 32,4°C aus Hupsel in den Niederlanden und 34,4°C vom Flughafen Köln/Bonn gemeldet. In der warmen Luftmasse entwickelten sich abermals Schauer und Gewitter an sogenannten Konvergenzlinien aus, an welchen die Luft großflächig zusammenströmt und aufsteigt. Dadurch wurden innerhalb von 12 Stunden bis 19 Uhr MEZ 7 l/m² in Pamplona, 8 l/m² in Aachen-Orsbach, 11 l/m² in Dinard, 14 l/m² in Nantes und 16 l/m² in Laval registriert.

Das Tief GERHARD zog in der Folge weiter nach Nordosten und konnte am 30.05. um 01 Uhr MEZ mit nahezu unverändertem Kerndruck zentral über der Nordsee analysiert werden. Von dort führte die Warmfront nach Osten über Hamburg, Berlin und Warschau, wo sie in die Kaltfront des Wirbels FALK mit Zentrum über Nordrussland überging. Des Weiteren verlief die zum Tief GERHARD zugehörige Kaltfront nach Süden über Belgien, Frankreich und die Pyrenäen bis zur Mitte Spaniens. In der Nacht konzentrierten sich die Niederschläge vor allem auf Frankreich. Während bis 07 Uhr MEZ in Essen 7 l/m² und in Stavoren bei Heerenveen 8 l/m² in 12 Stunden zusammenkamen, wurden im selben Zeitraum 16 l/m² in Cazaux, 17 l/m² in Bourges, 19 l/m² in Saint Laurent und 28 l/m² in Brive verzeichnet. Mit der Verlagerung des Frontensystems nach Osten verdrängte die einfließende Subpolarluft zusehends die warmen subtropischen Luftmassen über Mitteleuropa. Dadurch sanken im Norden und Westen Deutschlands sowie in den Beneluxstaaten und Zentralfrankreich die Tageshöchstwerte unterhalb der 30°C-Marke. Lediglich im Rhein-Graben, in Hessen, Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg und Sachsen konnten noch Werte von über 30°C registriert werden, wie in Rheinstetten, Potsdam und Frankfurt a.M. mit jeweils 31,6°C und in Regensburg mit 32,3°C. Weiterhin bildeten sich im Tagesverlauf Schauer und Gewitter aus, die im Vergleich kräftiger ausfielen, als an den Tagen zuvor. Dabei fielen bis 19 Uhr MEZ 12-stündig 26 l/m² im polnischen Gorzów Wielkopolski, 30 l/m² in Leipzig, 45 l/m² an der Station Muret-L‘Herm, 47 l/m² in Toulouse und 49 l/m² in Clermont-Ferrand.

Bis zum 31.05. verlagerte sich das Tief GERHARD bis über die Ostsee und lag um 01 Uhr MEZ mit seinem Zentrum und einem Druck von knapp unter 1000 hPa über dem südlichen Bottnischen Meerbusen. Der Wirbel begann nun zu okkludieren, wobei die Warmfront von der schneller ziehenden Kaltfront eingeholt und die warme Luft angehoben wird, wodurch ein neuer Frontentyp entsteht, welcher als Okklusion bezeichnet wird und Eigenschaften beider Frontenarten in sich vereint. Solch eine Okklusion verlief vom Kern ausgehend nach Süden bis zur Ostseeküste Lettlands, wo sich der sogenannte Okklusionspunkt befand, an welchem Warm- und Kaltfront aufeinandertreffen. Von dort erstreckte sich die Warmfront bis nach Südpolen, während die Kaltfront nach Südwesten über Brandenburg, Baden-Württemberg und Frankreich reichte. Im Bereich des Warmsektors bildete sich bereits in der Nacht eine Konvergenzlinie vom Norden Polens bis zu den Ostalpen aus, an welcher sich erneut Schauer und Gewitter entwickeln konnten. Weiterhin traten entlang der Fronten ebenfalls schauerartige Niederschläge auf. Die damit einhergehenden 12-stündigen Niederschlagsmengen betrugen dabei beispielsweise 21 l/m² im russischen Toropets, 22 l/m² in Ueckermünde, 39 l/m² auf dem Kasprowy Wierch in der westlichen Tatra und 45 l/m² im niederösterreichischen Mönichkirchen. Vor allem im Alpenraum wurden die Schauer durch Hebungsprozesse nochmals verstärkt. Innerhalb von nur einer Stunde wurden so in der Schweiz 26 l/m² in Flühli, 33 l/m² in Thun und 42 l/m² in Les Charbonnières registriert.

Das Tief GERHARD geriet durch seine nordöstliche Zugbahn unter den Einfluss eines ausgeprägten Höhentroges in der mittleren Atmosphäre, also eines Vorstoßes kalter Luft nach Süden, welcher den Bodenwirbel GERHARD unterstützte. Damit einhergehend war eine Vertiefung des Kerndrucks verbunden, welcher um 01 Uhr MEZ am 01.06. einen Wert von rund 990 hPa aufwies. Das Zentrum des Tiefs GERHARD wurde zu diesem Zeitpunkt über der Südküste des Weißen Meeres, nahe der Stadt Onega analysiert. Die Okklusion führte vom Kern ausgehend nach Süden über den Norden Russlands, bis sie sich etwa auf Breite von Sankt Petersburg an ihrem Okklusionspunkt in eine Warm- und eine Kaltfront aufspaltete. Die Warmfront erstreckte sich anschließend nach Südosten über den Südural in Richtung Kasachstan. Die Kaltfront reichte hingegen nach Süden bis zur ukrainischen Schwarzmeerküste bei Odessa und von dort nach Westen bis zu den französischen Alpen. Außerdem zog sich eine weitere Kaltfront westlich des Okklusionspunktes bogenförmig über Litauen, die Ostsee bis nach Südnorwegen. Auch an diesem Tag sorgten vor allem Schauer verbreitet für zweistellige Niederschlagsmengen. In 12 Stunden wurden dabei 19 l/m² in Kem in Karelien, 21 l/m² im rumänischen Ramnicu Valcea, 27 l/m² in Twer nordöstlich von Moskau und 33 l/m² in Kologriw in der Oblast Kostroma gemessen.

Bereits in den Morgenstunden bildete sich am Okklusionspunkt des Wirbels GERHARD ein weiterer Tiefdruckkern mit etwa 990 hPa aus, der sich bis zum Folgetag nach Nordosten bis zur Küste der Barentssee bei Indiga verlagerte und dabei das Frontensystem übernahm. Das ursprüngliche Tiefdruckzentrum befand sich derweil frontenlos über Karelien mit ca. 995 hPa und sollte sich im Tagesverlauf vollständig auflösen. Nochmals konnten dem Tiefdrucksystem GERHARD Niederschlagsmengen von je 12 l/m² in Kem und Uchta, 13 l/m² in Biser und 22 l/m² in Novyj Tor‘jal zugeordnet werden.

Am 03.06. wurde das Tief GERHARD mit nur noch einem Kern und knapp unter 1005 hPa über der Barentssee südwestlich der Doppelinsel Nowaja Semlija analysiert. Das Frontensystem wurde zuvor von einem anderen System übernommen, wodurch die Zyklone GERHARD an diesem Tag keine Fronten mehr aufwies. Bis zum Nachmittag löste sich das Tiefdruckgebiet GERHARD schließlich auf und konnte somit am Folgetag nicht mehr auf der Berliner Wetterkarte namentlich verzeichnet werden.

 


Geschrieben am 03.08.2017 von Sebastian Wölk

Berliner Wetterkarte: 30.05.2017

Pate: Gerhard Matthies