Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet GERLINDE

(getauft am 12.01.2020)

 

Am 12.01.2020 lag Mitteleuropa im Bereich eines Höhenkeils. Dieser wurde im Laufe des Tages von einem großen Langwellentrog, welcher sich über dem Nordatlantik erstreckte, in Richtung Süden gedrängt. Unter einem Höhenkeil bzw. Höhentrog versteht man in der Meteorologie Bereiche von relativ hohen bzw. geringen Druckes im Bereich der mittleren Troposphäre, welche ungefähr bei 5,5 km liegt. Diese bilden zusammen eine Welle, die entlang der Höhenströmung fließt. Ein Keil ist dabei immer die nach Norden hin ausgebeulte Wölbung, während ein Trog die nach Süden hin ausgebeulte Wölbung der Welle ist. Dadurch geriet Deutschland immer mehr in eine südwestliche Strömung und es sollten in den nächsten Tagen mehrere Tiefdruckgebiete über Nordeuropa hinwegziehen. So auch ein Tiefdruckgebiet, welches in den Abendstunden des 12.01. entlang der Kaltfront von dem vorlaufenden Tief FENJA entstand und in der Prognosekarte für den 13.01. auf den Namen GERLINDE getauft wurde. An ihrem Entstehungsort südwestlich von Neufundland, hatte das Wellentief GERLINDE, also ein Tiefdruckgebiet ohne geschlossenen Tiefdruckkern, um 00 Uhr UTC, was 01 Uhr MEZ entspricht, einen Kerndruck von knapp unter 1010 hPa. In ihrem weiteren Verlauf sollte die Zyklone jedoch an Druck verlieren und sich somit verstärken.

Südlich von Neufundland ausgehend, überquerte Wirbel GERLINDE am 13.01. den Nordatlantik in Richtung Osten. Dabei bildeten sich sowohl eine Warm- und eine Kaltfront aus, welche entgegen dem Uhrzeigersinn oder auch zyklonal, um das Zentrum des Tiefdruckgebietes zog. Die Kaltfront verlief südwestlich vom Kern aus, der mittlerweile einen Druck von 995 hPa besaß, bis über den Zentralnordatlantik, wo sie in die Warmfront eines unbenannten Tiefs, welches südöstlich von Boston zu verorten war, überging. Die Warmfront hingegen, die dadurch charakterisiert ist, dass warme Luft über die voranlaufende aufsteigt, befand sich am Ende des Tages südwestlich von Irland und bildete ein dichtes Wolkenpaket. Aus diesem fielen erste Niederschlagsmengen in Form von Regen und Sprühregen.
Am 14.01. verlagerte sich das Tiefdruckgebiet GERLINDE entlang der Höhenströmung nach Nordosten. Im Verlauf des Tages zog es über die Britischen Inseln hinweg und wurde am 15.01. um 01 Uhr MEZ einige Kilometer westlich vor Bergen in Norwegen mit einem Kerndruck von knapp unter 980 hPa analysiert. Dabei führte das Durchziehen der Warmfront auf den Britischen Inseln, sowie Nordfrankreich und den Benelux-Staaten vielerorts zu starken Niederschlägen. So wurden an der Messstation in Capel Curig in Wales bis 19 Uhr MEZ in zwölf Stunden Spitzenwerte von 24,2 l/m² registriert. Durch die großen Druckunterschiede zwischen Hoch CHRISTIAN über Südosteuropa und dem Tiefdrucksystem von FENJA und GERLINDE, stieg auch der Wind stark an. Dieser wehte aus südwestlicher Richtung und erreichte am Ärmelkanal zwischen England und Frankreich in den Abendstunden Spitzen von knapp 100 km/h, was Windstärke 10 auf der Beaufortskala entspricht. In der Nacht zum 15.01. sorgte die Zyklone GERLINDE auch an der Nordsee für hohe Windgeschwindigkeiten. So wurden beispielsweise an der Insel Sylt Böen von 92 km/h registriert. Aus diesem Grund stieg vielerorts an den Küsten der Wasserpergel. So wurde unter anderem auf Husum im Nordfriesland um 04 Uhr MEZ ein Pegel von knapp 1,7 m über dem mittleren Hochwasser gemessen, sodass man schon von einer Sturmflut sprechen konnte. Auch der Regen, welcher aus den Wolkenfeldern der Warmfront fiel, hielt weiterhin an. Während in Landvik im Süden Norwegens zwölfstündig am 15.01. bis 07 Uhr MEZ noch 24,0 l/m² Regen fielen, wurden im selben Zeitraum im Nordwesten Deutschlands zwischen Niedersachsen und Schleswig-Holstein nur noch geringe Regenmengen von 1-2 l/m² erfasst. Die überaus lange Kaltfront von Tiefdruckgebiet GERLINDE, welche sich inzwischen vom Tiefdruckkern über Norwegen bogenförmig bis über die Azoren erstreckte, hatte sich im Laufe der Nacht zum 15.01. weiter nach Südosten verlagert. Rückseitig von dieser Kaltfront fiel ebenfalls starker Regen. Im Nordwesten Spaniens und Portugals an der Küste zum Atlantik wurden besonders große Regenmengen gemessen. Spitzenreiter war dabei die Messstation Porto/Intl in der Nähe von Porto an der bis um 07 Uhr MEZ 43,0 l/m² fielen. Somit lag Mitteleuropa in einem großen Warmsektor, also der Bereich warmer Luft hinter der Warm- und vor der Kaltfront. Dieser sorgte für eine überaus milde Nacht mit Minimaltemperaturen um die 10°C. Beispielsweise wurden am 15.01. in Neuwiedenthal-Hamburg um 04 Uhr MEZ noch 12,6°C gemessen.
Am 15.01. zog die Zyklone GERLINDE der Höhenströmung entlang weiter nach Nordosten und wurde am nächsten Tag um 01 Uhr MEZ südlich über dem weißen Meer mit einem Kerndruck von ca. 990 hPa analysiert. Dabei sorgte der Warmsektor des Tiefs GERLINDE weiterhin für überdurchschnittlich warme Temperaturen. Vor allem im Nordosten Deutschlands war es vielerorts für die Jahreszeit viel zu warm. So wurden in Lenzen an der Elbe in Brandenburg um 14 Uhr MEZ 14,6°C gemeldet. Auch an der Wetterstation Berlin-Dahlem, dem Sitz der Berliner Wetterkarte, sorgte der Warmsektor des Tiefdruckgebietes GERLINDE beinahe für Rekordtemperaturen. So wurden dort um 13 Uhr MEZ eine Maximaltemperatur von 13,3°C registriert. Dieser Wert verfehlte lediglich um knapp 0,4°C den bisherigen Dekadenhöchstwert für den Januar von 13,7°C aus dem Jahr 2007. Selbst die Zugspitze in Bayern blieb frostfrei und erreichte auf 2964 Metern Höhe zur selben Uhrzeit eine Temperatur von 2,4°C. Ebenso kam es erneut zu hohen Windgeschwindigkeiten. Auf der Messstation auf dem Brocken in Sachsen-Anhalt auf 1134 Metern Höhe wurden um 10 Uhr MEZ Böen von 116,7 km/h registriert. Dies entspricht Orkanböen der Stufe 11 auf der Beaufortskala. Hinter dem Warmsektor zog die Kaltfront der Zyklone GERLINDE über Mitteluropa nach Nordosten und sorgte auf ihrer Rückseite weiterhin für Regen. Die größten Niederschlagsmengen wurden dabei in den Benelux-Staaten verzeichnet. Beispielsweise wurde in Heino bei Zwolle in den Niederlanden zwölfstündig bis 19 Uhr MEZ 4,0 l/m² gemessen.
Während des 16.01. zog Tief GERLINDE weiter nach Nordosten ab. Die dadurch über Mitteleuropa ziehende Kaltfront sorgte für Temperaturstürze. Im Vergleich zum Vortag wurden auf der Messstation 159 Metern über dem Meeresniveau in Arnsberg-Neheim in Nordrhein-Westfalen um 09 Uhr MEZ kühle -1,5°C gemessen. Dies entspricht einem Unterschied von ganzen 11 Kelvin in nur 24 Stunden, da am Vortag zum selben Zeitpunkt mit dem Durchzug des Warmsektors noch 10,5°C herrschten. Die Zyklone GERLINDE hatte sich inzwischen in eine Okklusionsfront entwickelt. Diese entsteht im Reifestadium eines Tiefdruckgebietes meist in der Nähe des Tiefdruckkerns dadurch, dass die Kaltfront sich zyklonal schneller fortbewegt als die vorlaufende Warmfront und letztere somit irgendwann eingeholt wird und die kalten Luftmassen die warmen anheben. Die Okklusionsfront ist somit eine Mischfront aus kalter sowie warmer Luft und sorgt meistens am Ort wo die beiden Fronten zusammentreffen, dem sogenannten Okklusionspunkt, vermehrt für Niederschlag. Aus diesem Grund wurden beim Abziehen von Tief GERLINDE noch Spitzen in den Niederschlagsmengen gemessen. Beispielsweise wurden an der Messstation Tichwin in Russland bei für die Jahreszeit milden Temperaturen um die 4°C zwischen 07 und 19 Uhr MEZ in einem Intervall von 12 Stunden 15,0 l/m² Niederschlag gemessen.

Durch die Ausbreitung von Hoch DIRK über Mittel- und Osteuropa wurde Tief GERLINDE weiter nach Osten verdrängt und wurde am 17.01.2020 nicht mehr auf der Berliner Wetterkarte verzeichnet.