Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet GERTRAUD
(getauft am 25.09.2018)
In der Nacht zum 24.09.2018 entwickelte sich etwa 100
km östlich vom südlichsten Punkt Grönlands ein Tiefdruckgebiet entlang der zonal
geprägten Struktur der Polarfront. Diese bezeichnet die Grenze zwischen polarer
Kaltluft und subtropischer Warmluft. Im Laufe des Tages verlagerte sich die Zyklone
mit der Höhenströmung in ca. 5,5 km Höhe Richtung Europa, wobei sie im
folgenden Verlauf Einfluss auf das europäische Wettergeschehen nehmen sollte.
Somit taufte die Berliner Wetterkarte die Zyklone in der Analyse des 25.09.2018
auf den Namen GERTRAUD.
Der Wirbel GERTRAUD lag am Morgen des 25.09. ca.
1000 km westlich von Island. Dabei hatte er einen außergewöhnlich niedrigen
Kerndruck von ca. 993 hPa, welcher deutlich unter dem durchschnittlichen
Luftdruck von ca. 1013 hPa in den mittleren Breiten liegt. In der Regel gilt,
je niedriger der Druck ist, desto stärker ist auch der Einfluss der Zyklone.
Hurrikans oder auch Taifune können im Auge sogar einen Druck von bis zu 900 hPa
erreichen. Bereits am Tauftag besaß das Tiefdruckgebiet GERTRAUD ein ausgebildetes
Frontensystem, welches sich aus einer Warmfront, einer Kaltfront und einer
Okklusion zusammensetzte. Warm- und Kaltfront bezeichnen die Grenzen zwischen
zwei unterschiedlich temperierten Luftmassen. Bei einer Okklusionsfront handelt
es sich hingegen um eine Mischfront, welche durch den Zusammenschluss von Warm-
und Kaltfront entsteht und die Eigenschaften beider Typen vereint. Die
Okklusion besaß eine Länge von etwa 200 km und spaltete sich am Okklusionspunkt
südwestlich von Island in Warm- und Kaltfront auf. Die Warmfront erstreckte
sich in einem konvexen Bogen nach Osten bis Nordosten und mündete über den
Färöern in die Kaltfront eines vorangehenden, unbenannten Tiefdruckgebietes. Die
stark ausgedehnte Kaltfront des Tiefs GERTRAUD verlief hingegen nach Südwesten
und endete etwa über Boston. Eine weitere Warmfront erstreckte sich im
Warmsektor des Wirbels von Nord nach Süd, zog ebenfalls ostwärts und schloss
sich im Tagesverlauf an das Frontensystem der Zyklone GERTRAUD an. Dabei
überquerte sie den nördlichen Teil Großbritanniens, sodass dort leichter Regen
zu verzeichnen war. Auf der schottischen Insel Tiree wurden innerhalb von 24
Stunden bis zum Folgetag um 08 Uhr MESZ, was 06 Uhr UTC entspricht, 15,4 mm Regen
verzeichnet und in Lerwick auf den Shetlandinseln ähnliche 15,8 mm. Ansonsten
beliefen sich die Niederschlagsmengen meist auf Werte zwischen 2 und 8 mm Regen
in Schottland im gleichen Zeitraum. Im Tagesverlauf zog das Tief GERTRAUD
ostwärts über Island hinweg, sodass auch hier große Niederschlagssummen zu
vermelden waren. An der gesamten Westküste Islands fielen ganztägig über 20 mm,
Spitzenreiter war Hellisskard mit 31,9 mm. Der Frontdurchgang war auch durch
die steigenden Windgeschwindigkeiten auf Island gut zu erkennen. Bereits ab 10
Uhr MESZ gab es an der Südwestküste vereinzelt Windböen von rund 90 bis 100
km/h. Ab 16 Uhr MESZ erreichte der Sturm auch die Mitte und Ostküste der Insel
und es wurden vereinzelt sogar Orkanböen gemessen. Der Wind erreichte im
Südwesten in Hellisskard 183 km/h, im Osten an der Station Hallsteinsdalsvarp
in 640 m Höhe sogar 202 km/h. Somit war die Windstärke 12 auf der
Beaufort-Skala, was ab 118 km/h einem Orkan entspricht, weit überschritten. Die
höchste je gemessene Windgeschwindigkeit in Island stammt aus dem Jahr 1963 und
liegt bei 224 km/h. Auch in Schottland konnten teilweise Orkanböen verzeichnet
werden, so z.B. auf der Berggruppe Cairngorms oder auf dem Bergpass Bealach na Bà. In den Großstädten wurden zwischen 60 und 80 km/h erreicht, wobei auch
das bereits Windstärke 8 entspricht.
Zum nächsten Tag verlagerte sich Zyklone GERTRAUD
bis über das europäische Nordmeer etwa 500 km westlich von Norwegen. Ihr
Kerndruck intensivierte sich auf ca. 980 hPa, nahm also nochmals um rund 15 hPa
ab. Außerdem gab es einen starken Druckgradienten zwischen Tief GERTRAUD und
dem über Mitteleuropa befindlichen Hochdruckgebiet SCHORSE, was erneut hohe
Windgeschwindigkeiten zur Folge hatte. Der Okklusionspunkt lag in der Nähe vom
norwegischen Bergen, von dort erstreckte sich die Okklusionsfront
halbkreisförmig nach Norden und Westen. Vom Okklusionspunkt verlief zudem die
Warmfront nach Süden über die Nordsee und von dort nach Südwesten über
Großbritannien bis über Wales. Die Kaltfront verlief nach Südwesten und mündete
über dem Atlantik westlich von Irland in die Warmfront des Tiefs LESLIE. Im Bereich
der Okklusionsfront kam es erneut zu unwetterartigen Regenfällen. So wurden
innerhalb von 24 Stunden bis zum Folgetag um 08 Uhr MESZ an der gesamten
Westküste Norwegens Niederschlagsmengen zwischen 20 und 40 mm verzeichnet. So
z.B. an der Station Meråker-Egge mit 38 mm oder in Marstein mit 35,2 mm. Doch
besonders in der Nacht vom 25.09. zum 26.09. erreichten die Regenmengen
innerhalb von zwölf Stunden bis zum Morgen um 08 Uhr MESZ Spitzenwerte von
beispielsweise 80 mm an der Station Takle oder 73 mm in Fossmork. An vielen
Stellen der Küste traten ganztägig immer wieder schwere Sturmböen bis Orkanböen
auf, das entspricht 10 bis 12 Beaufort. Dabei wurden z.B. an der Station Somna/Kvaloyfjellet
um 14 Uhr MESZ Windgeschwindigkeiten von bis zu 181 km/h gemeldet und auch in Røldal
mit immerhin 130 km/h. Außergewöhnlich war auch der starke Temperaturanstieg in
Schweden von bis zu 13 K am Vormittag des 26.9 im Vergleich zum Vortag. In
Malung stieg die Temperatur um jeweils 08 Uhr MESZ von -3°C des Vortages auf
zweistellige Plusgrade.
Bis zum 27.09. um 02 Uhr MESZ hatte sich der Wirbel
GERTRAUD bis über die finnisch-russische Grenze und die Küste des Weißen Meeres
Nordfinnlands verlagert und der Kerndruck blieb im Vergleich zum Vortag ähnlich
bei etwas unter 980 hPa. Das Tief war weiter okkludiert, sodass nun auch der
Okklusionspunkt weiter südlich etwa über der Grenze zwischen Lettland, Litauen
und Weißrussland lag. Von dort erstreckte sich die Kaltfront nach Westen über Vilnius,
die Nordküste Polens und Kopenhagen, bevor sie über Dänemark in die Warmfront
der Zyklone HELENA überging. Die Warmfront des Tiefdruckgebietes GERTRAUD hatte
nur noch eine geringe Ausdehnung nach Süden, da die Antizyklone SCHORSE weiter
südlich die Zirkulation des Tiefs GERTRAUD begrenzte. Warm- und Kaltfront okkludierten
bereits in den Morgenstunden vollständig, sodass im weiteren Verlauf nur noch
eine ausgedehnte Okklusionsfront nach Osten weiterzog und das Wetter in
Osteuropa beeinflusste. Dabei traten verbreitet immer wieder Regenschauer auf,
die verbreitet 5 bis 15 mm Niederschlag innerhalb von zwölf Stunden bis 08 Uhr
MESZ brachten. So meldete z.B. Moskau 15 mm oder auch die russische Ortschaft
Krestzy 13 mm Regen im genannten Zeitraum.
Am Freitag, den 28.09.2018, lag die Zyklone
GERTRAUD um 02 Uhr MESZ mit ihrem Zentrum etwas weiter östlich über dem Weißen
Meer und der Oblast Archangelsk, wobei sich ihr Kerndruck auf knapp 990 hPa
erhöht hatte. Dies ist ein Zeichen dafür, dass sich das Tiefdruckgebiet in der
Auflösung befand. Dabei hatte es kaum noch Einfluss auf das Wetter in
Mitteleuropa. Die Okklusionsfront verlief in einem konvexen Bogen von der
Hafenstadt Archangelsk zunächst nach Osten und Süden, bevor sie sich über der
russisch-kasachischen Grenze nach Westen bog und etwa über der Nordwestküste
des Schwarzen Meeres endete. Entlang dieser traten erneut einige Regenschauer
mit Niederschlagsmengen zwischen 5 und 15 mm innerhalb von zwölf Stunden bis 20
Uhr MESZ auf, wie beispielsweise im ukrainischen Myroniwka mit 12 mm Regen. Der Druckgradient zum Hoch SCHORSE hatte sich abgeschwächt, sodass
keine außergewöhnlichen Windgeschwindigkeiten mehr verzeichnet wurden. Im
späteren Tagesverlauf schwächte sich die Zyklone GERTRAUD immer weiter ab und
wurde daher ab dem Folgetag nicht mehr auf der Berliner Wetterkarte erwähnt.