Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet GISELA

(getauft am 07.03.2020)

 

Am 07.03. wurde im Zuge der täglichen Prognose der Berliner Wetterkarte ein Tiefdrucksystem, welches von Amerika in Richtung Europa zog, als wetterwirksam eingestuft und auf den Namen GISELA getauft mit einem anfänglichen Kerndruck von 990 hPa.

Das Tiefzentrum lag am 08.03 um 00 Uhr UTC mit einem Kerndruck von ca. 985 hPa über dem westlichen Nordatlantik südlich der kanadischen Insel Neufundland. Die Zyklone GISELA besaß zu diesem Zeitpunkt bereits ein ausgeprägtes Frontensystem, bestehend aus einer vorlaufenden Warmfront, einer nachfolgenden Kaltfront sowie einer Okklusion. Eine Okklusion ist eine Mischfront, welche entsteht, wenn die schnellere Kaltfront die vorlaufende, jedoch langsamere Warmfront einholt und so die wärmere Luft aufsteigen lässt. Der Punkt, an dem sich die Okklusion in Kalt- und Warmfront aufteilt, wird als Okklusionspunkt definiert. Dieser Okklusionspunkt lag ebenfalls über dem Nordatlantik, etwa über dem 50. Längengrad West und dem 45. Breitengrad Nord. Von dort aus teilte sich das Frontensystem des Wirbels GISELA in eine Warmfront nach Südosten und eine Kaltfront nach Süden/Südwesten. Auf das europäische Festland hatte die Zyklone GISELA zu diesem Zeitpunkt noch keinen unmittelbaren Einfluss.

 

Am darauffolgenden Montag, den 09.03., hatte das für Nord- und Mitteleuropa wetterbestimmende Tiefdruckgebiet FLORA eine recht kräftige westliche Anströmrichtung eingeleitet und sich mit seinen mittlerweile zwei Tiefdruckkernen weiter nach Nordosten verlagert. Dies ebnete den Weg für unser Tiefdruckgebiet GISELA, welches sich rasch in Richtung europäisches Festland verlagerte und sich bereits südwestlich von Island, etwa auf dem 55. Breitengrad Nord und dem 35. Längengrad West befand. Der Kerndruck intensivierte sich weiter auf nunmehr knapp 975 hPa. Die Kaltfront hatte die Warmfront weiter eingeholt und angehoben, sodass sich die Okklusion, ausgehend vom Okklusionspunkt knapp nördlich von Irland, weiter nach Südwesten erstreckte. Bereits am Abend griff vergleichsweise kräftige Warmluftadvektion auf den Westen Deutschlands über und kam in der Nacht weiter ostwärts voran. Einhergehend mit dieser einfließenden wärmeren Luft breitete sich rasch mehrschichtige Bewölkung sowie nachfolgend länger anhaltender Regen aus. In der Nacht wurden im Ruhrgebiet und der Eifel vereinzelt mehr als 10 l/m² Regen oder Schnee verzeichnet, in Flandern auch über 15 mm.

 

Die Zyklone GISELA hielt für Deutschland am Dienstag, den 10.03. so einiges parat. Die Reste von Tief FLORA zogen nordostwärts ab, sodass nun das Tief GISELA die Vormachtstellung in Nord- und Mitteleuropa beanspruchen konnte. Während das Zentrum des Tiefs mit 975 hPa weiterhin südlich von Island lag, erstreckte sich eine langgestreckte Okklusion davon ausgehend ostwärts. Ausgehend vom Okklusionspunkt über der Nordsee erstreckte sich die Warmfront in der Bodenwetterkarte um 00 Uhr UTC über Frankreich bis zur Bucht von Biskaya. Derweil verlagerte sich die nachfolgende Kaltfront über Großbritannien hinweg langsam südostwärts. Deutschland befand sich zu diesem Zeitpunkt weiterhin unterhalb der kräftig ausgeprägten, vom mittleren Nordatlantik bis weit nach Osteuropa reichenden und nur leicht mäandrierenden Westströmung, mit der nach wie vor milde Atlantikluft in Richtung Nord- und Mitteleuropa geschaufelt wurde. Ganz Deutschland war an diesem Tag von Niederschlag in Zusammenhang mit Tief GISELA betroffen. Am stärksten war der Regen im Stau des Schwarzwalds mit maximalen 30 l/m² in Todtmoos in 12 Stunden bis 19 Uhr MEZ. In der Nacht konzentrierte sich das Niederschlagsfeld auf die Mitte Deutschlands, so dass 24-stündig im Harz, Sauerland und Thüringer Wald jeweils über 40 l/m² zusammenkamen.

 

Auch am Mittwoch, dem 11.03., wurde mit der weiterhin nur leicht mäandrierenden Frontalzone, vergleichsweise milde Atlantikluft nach Mitteleuropa herangeführt. Das Tiefdrucksystem GISELA, nunmehr mit insgesamt drei Drehzentren ausgestattet, war an einen markanten Höhentrog gekoppelt. Als Trog bezeichnet man ein Gebiet mit vergleichsweise geringem atmosphärischem Luftdruck, dabei befindet sich ein Höhentrog in den oberen Luftschichten oberhalb von etwa 4000 m. Sowohl Tröge als auch Rücken sind Effekte, hervorgerufen durch Rossby-Wellen, die auch als großräumige Wellenbewegungen des Jetstreams vereinfacht werden können. Auf der Vorderseite des Höhentroges wölbte sich aufgrund von kräftiger Warmluftadvektion ein flacher Höhenrücken über Mitteleuropa auf. Während sich die beiden mit einer Okklusionsfront verbundenen  Tiefs GISELA I und GISELA II zwischen Island und der Westküste Norwegens quasistationär verhielten, schlug das Drehzentrum GISELA III einen etwas anderen Weg ein. Von Gotland verlagerte sich GISELA III etwas weiter nach Südfinnland. Die Okklusion des Tiefs GISELA III verlief dabei am Mittag bogenförmig vom Baltikum über Weißrussland bis zum Okklusionspunkt über dem südwestlichen Polen. Ausgehend vom Okklusionspunkt zogen sowohl die Warm- als auch die Kaltfront weiter nach Südwesten. Während die Warmfront recht schnell endete, verlief die Kaltfront bis über den offenen Atlantik. Im Rahmen einer Verwellung ebenjener Kaltfront und wegen der Hebung der Luftmassen besonders am Erzgebirge hielt sich an diesem Tag ein persistentes Regenband über der Mitte Deutschlands, was bis 19 Uhr MEZ lokal beträchtliche Niederschlagssummen in 12 Stunden hervorbrachte, wie z. B. 33,9 l/m² in Aue.

 

Am Donnerstag, 12.03., war die großräumige Druckverteilung über Europa der des Vortags relativ ähnlich. Zahlreiche Tiefdruckgebiete, darunter GISELA I bis GISELA III dominierten dabei den Norden und Nordosten Europas, während am Mittelmeer weitgehend ungestörter hoher Druck herrschte. Das Tiefzentrum GISELA II, um 12 Uhr UTC etwa auf dem 60. Breitengrad an der Nordspitze Großbritanniens gelegen, verzeichnete einen Kerndruck von ca. 985 hPa. Es sorgte weiterhin für eine westliche Anströmrichtung sowie eine stete Zufuhr maritimer Polarluft zu den Britischen Inseln. Mit leichter Unterstützung durch das Tiefdruckgebiet HANNA gelangte mittlerweile sogar leicht erwärmte Polarluft auch bis nach Deutschland und Nordwestpolen. Die beiden Zyklonen GISELA I und GISELA III verlagerten sich derweil etwas weiter nordostwärts und bildeten mit einem Kerndruck von jeweils rund 975 hPa das Intensitätszentrum unterhalb des großräumigen Höhentroges über Nordeuropa. In einer weiteren Verwellung dieser Strömung war das Tiefdruckgebiet HANNA entstanden, was an diesem Tag für einige Schauer, besonders aber für starke Windböen an der Küste sorgte.

 

Damit war es um Tief GISELA aber noch nicht getan. Bis zum Freitag, dem 13.03. hatte sich die Teilzyklone GISELA III bei gleichgebliebenem Luftdruck im Zentrum bis an die russische Weißmeerküste verlagert. Indes schwächte sich das Teilzentrum GISELA I, nunmehr an der Grenze zwischen Finnland und Russland verharrend, auf einen Kerndruck von ca. 980 hPa etwas ab.  Die Zyklone GISELA II war in der Zwischenzeit ostwärts gezogen und lag am Mittag über der Südspitze Schwedens. Der Luftdruck lag derweil bei Werten zwischen 995 hPa bis 1000 hPa. Verbunden wurden die Teiltiefs GISELA I und GISELA II von einem wellenden Frontensystem, bestehend aus Warm- und Kaltfronten, welches sich von Dänemark über die Ostsee, das nördliche Baltikum und Karelien bis zur Karasee, nördlich des 70. Breitengrades, erstreckte. Für den deutschsprachigen Raum war an diesem Tag das Tief GISELA II relevant, das im Nordwesten Deutschlands für zum Teil anhaltenden Regen sorgte, dies bei Temperaturen um 5°C.

 

Am Samstag, den 14.03. wurde in Mitteleuropa der zuvor langanhaltende Tiefdruckeinfluss nun vollends durch das Hochdruckgebiet HELGE abgelöst. Das Tief GISELA war jedoch noch an vielen Stellen über Osteuropa wetteraktiv. Während Tief GISELA I in der Nacht noch für anhaltenden Schneefall in der Region um Archangelsk sorgte, wurde es im Tagesverlauf in die Zirkulation des Tiefs HANNA aufgenommen. Das Tief GISELA III verließ derweil im Bereich der russischen Arktis den Darstellungsbereich der Berliner Wetterkarte und Tief GISELA II bescherte dem Baltikum, Belarus  und dem Westen Russlands eine Schneedecke von mehreren Zentimetern sowie einen Temperatursturz auf rund -6°C nach einer weitgehend frostfreien ersten Märzhälfte.

 

Zum 15.03. schwächte sich das Tiefdruckgebiet GISELA weiter ab. Der verbleibende Tiefdruckkern, östlich von Moskau gelegen, hatte in Richtung Norden eine Warmfront ausgebildet sowie in den Südwesten bis zu den Karpaten eine Kaltfront. Durch den Hochdruckeinfluss in Mittel-Osteuropa verlagerte sich das Tief im Verlauf des Tages nordöstlich.

 

Am 16.03.2020 um 00 Uhr UTC lag das Zentrum von Tief GISELA über der Stadt Kasan mit einem Kerndruck von 1010 hPa. Die Warmfront vom Vortag blieb an diesem Tag noch bestehen, jedoch wurde die Kaltfront durch den Verbund mit einem unbenannten Tief zur Okklusionsfront.

 

Am 17.03., den letzten Tag des Tiefs auf der Bodenwetterkarte der Berliner Wetterkarte, lag es mit 1010 hPa östlich der Stadt Perm, bevor es weiter über Sibirien zog.