Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet GISELA

(getauft am 07.06.2016)

 

Am 7. Juni 2016 bildete sich, angetrieben durch die Entwicklung eines Tiefs in höheren Luftschichten, ein Bodentiefdruckgebiet zwischen der Insel Jan Mayen und dem nordnorwegischen Festland, das auf den Namen GISELA getauft wurde. Zum Zeitpunkt der Taufe lag das Zentrum des Wirbels GISELA mit einem Kerndruck von unter 1015 hPa ungefähr 200 km von der Küste Norwegens entfernt, wobei sich vom Tiefdruckkern eine Mischfront mit Warm- und Kaltfronteigenschaften, eine sogenannte Okklusionsfront, zunächst in nordöstlicher bis östlicher Richtung bis knapp westlich des Nordkaps erstreckte, um weiter in südlicher bis südwestlicher Richtung die Küstengebiete Nordnorwegens inklusive der Inselgruppe der Lofoten zu streifen. Die vor allem in höheren Luftschichten aktive Okklusionsfront ging etwa 200 km westlich der norwegischen Küste knapp nördlich des Polarkreises in eine Kaltfront über, die sowohl in der höheren Atmosphäre als auch am Boden aktiv war, und den Nordosten Islands streifte, um nordwestlich von Island und südöstlich von Grönland zu enden.

Entsprechend der Verlagerung des zuvor angesprochenen Höhentiefs nach Südosten bewegte sich auch das Bodentief GISELA nach Südosten. Bis zum Morgen des Folgetages kamen in der norwegischen Hauptstadt Oslo lediglich 0,4 l/m² Niederschlag zusammen, während in der finnischen Hauptstadt Helsinki 6 l/m² und im mittelschwedischen Uppsala 18 l/m² fielen. Mittlerweile hatte sich das Tiefdruckgebiet GISELA in drei Teiltiefs aufgespalten. GISELA I lag mit einem Kerndruck von weniger als 1000 hPa über Lappland, während GISELA II mit etwas unter 1015 hPa über Südskandinavien und GISELA III mit knapp 1020 hPa über dem äußersten Nordosten Deutschlands analysiert wurden. Vom Zentrum des Teiltiefs GISELA I reichte eine Warmfront bis südwestlich des Weißen Meeres. Ebenfalls vom Kern des Teiltiefs GISELA I ausgehend, erstreckte sich eine Kaltfront über den Westen Finnlands und die Ostsee und ging etwas westlich der schwedischen Hauptstadt Stockholm in eine Warmfront über, die zum Teiltief GISELA II führte. Von dort wiederum verlief eine Kaltfront über Südnorwegen bis zum Seegebiet zwischen den jeweils zu Schottland gehörenden Inselgruppen der Shetlands und der Orkneys. Zu den Auswirkungen der unterschiedlich stark ausgeprägten Teiltiefs und deren Fronten über Nordeuropa kamen lokale Effekte, die beispielsweise durch das Landschaftsrelief und damit verbundene Stau- und Abschattungseffekte Einfluss auf die Niederschlagsintensität genommen haben. Zudem entstehen besonders an Kaltfronten, teils aber auch an Okklusionsfronten schauerartige Niederschläge, die oft recht große Unterschiede in den registrierten Mengen auf relativ kleinem Raum zur Folge haben können. Das Teiltief GISELA III war nicht durch Fronten mit den beiden zuvor genannten Teiltiefs verbunden. Von Vorpommern über Nord- und Westdeutschland bis etwa in die niederländische Provinz Nordbrabant auf halbem Wege zwischen Brüssel und Amsterdam wurde eine zum Teiltief GISELA III gehörende Kaltfront analysiert. An dieser waren die beschriebenen Effekte durch schauerartige Niederschläge auch deutlich zu sehen. So betrug beispielsweise die Niederschlagsmenge im niedersächsischen Diepholz bis zum Morgen des 8. Juni 19,0 l/m², während im gleichen Zeitraum im knapp 80 km weiter westlich gelegenen Lingen kein messbarer Niederschlag fiel, obwohl beide Orte von der Kaltfront überquert wurden. Ähnliches ließ sich auch in Nordrhein-Westfalen beobachten, wo in Düsseldorf am Flughafen 3,6 l/m² und im etwa 25 km nordöstlich gelegenen Essen-Bredeney 22,8 l/m² fielen.

Am 9. Juni hatte sich wieder ein einzelnes Zentrum des Tiefdruckgebietes GISELA gebildet. Dieses befand sich mit einem Kerndruck von unter 995 hPa über dem mittleren und nördlichen Finnland. Von dort verlief eine halbkreisförmige Höhenokklusionsfront erst nach Norden bis zum Weißen Meer, um nach Osten und südwestlich der russischen Stadt Archangelsk nach Süden abzubiegen. Ungefähr zwischen Sankt Petersburg und Moskau ging sie in eine am Boden und in der Höhe analysierte Kaltfront über, die knapp südlich der Hauptstädte Weißrusslands und Polens, Minsk und Warschau, und weiter über die Mitte Deutschlands bis über die Gegend der französischen Hauptstadt Paris reichte. Die aus den Teiltiefs des Vortages und deren Fronten resultierenden Niederschläge sowie der Regen, der aus der sich bildenden Okklusions- und Kaltfront fiel, summierten sich bis zum Morgen des 9. Juni gebietsweise zu hohen Summen auf. Im sächsischen Plauen fielen 29,6 l/m², am Stuttgarter Flughafen 38,3 l/m², und auf dem Feldberg im Schwarzwald erreichte die Niederschlagsmenge sogar 58,3 l/m². In einer ähnlichen Größenordnung lag die Regensumme aus dem schwedischen Haparanda nahe der Nordspitze des Bottnischen Meerbusens, wo 51 l/m² fielen. Das nordwestrussische Murmansk registrierte 54 l/m², was zeigt, daß sowohl nahe am Tiefdruckzentrum als auch mehr oder weniger deutlich weit davon entfernt ähnliche Niederschlagsaktivität auftreten kann.

Bis zum Morgen des 10. Juni verzeichnete Moskau eine Niederschlagssumme von 12 l/m², während in der näheren und weiteren Umgebung einige Wetterstationen gar keinen messbaren Niederschlag abbekamen. So blieb es unter anderem in Sankt Petersburg und Minsk sowie in den ukrainischen und lettischen Hauptstädten Kiew und Riga trocken. Das Tiefdruckgebiet GISELA konnte nun mit einem Kerndruck von unter 1000 hPa über Karelien, dem Grenzgebiet von Russland zu Finnland analysiert werden. Von dort reichte eine Okklusionsfront, Archangelsk knapp nördlich streifend, bis etwa 200 km westlich des Urals, um sich nach Südwesten zu erstrecken und zwischen den Städten Perm und Archangelsk in eine Kaltfront überzugehen. Diese verlief südöstlich von Moskau und nördlich von Kiew und ging über dem südwestlichen Polen in die Warmfront eines unbenannten Tiefs mit Kern über dem Berliner Raum über.

Am 11. Juni war das Tiefdruckgebiet GISELA zum letzten Mal als eigenes Druckgebilde auf der Berliner Wetterkarte zu erkennen. Der Kerndruck in der Region der nordrussischen Stadt Workuta am Nordrand des Urals lag bei unter 1010 hPa. Von dort zog sich eine Okklusionsfront meist etwas östlich des Urals, also über Nordwestsibirien, bis zwischen die Städte Tobolsk und Perm. Den Ural nach Südwesten überquerend, verlief die Luftmassengrenze weiter als Okklusionsfront. Diese konnte aber ebenso wie die zwischen Perm und Moskau anschließende und bis vor die russische Hauptstadt reichende Warmfront aufgrund der gegensätzlichen, nämlich südöstlichen statt nordwestlichen Anströmungsrichtung eher einem bei Moskau liegenden Tiefdruckgebiet als dem Tief GISELA zugeordnet werden. Dementsprechend schwierig ist die Zuordnung der, meist moderaten, Niederschlagsmengen im Laufe des 11. Juni bis zum Morgen des Folgetages. Über dem Raum Moskau bestimmte nachfolgend das Tief HELMA das Wetter, während sich entlang des Ural eine Hochdruckzone erstreckte. Über Westsibirien herrschte wiederum tiefer Luftdruck.

 

 

Geschrieben am 18.08.2016 von Heiko Wiese

Berliner Wetterkarte: 08.06.2016

Pate: Gisela Heller