Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet GISLINDE
(getauft am 08.07.2018)
Anfang Juli dominierte in weiten Teilen Europas Hochdruckwetter
mit sonniger und trockener Witterung. So gab es in der Mitte und im Norden
Deutschlands bis zum 8. Juli vielerorts nicht einen Tropfen Regen in dem Monat,
sodass sich die Trockenheit und die Waldbrandgefahr weiter verschärfte. Am 8.
Juli befand sich das Hoch FALK nahe den Britischen Inseln und sorgte dafür,
dass Tiefdruckgebiete vom Atlantik her weiterhin nicht direkt auf Europa
übergreifen konnten. Nordwestlich des Hochdruckgebietes befand sich ein Tief
nahe Island von dem aus sich eine über 1000 km lange Kaltfront nach Südwesten
erstreckte. Diese Front stellte die Grenze zwischen polaren und subtropischen
Luftmassen dar und wird in der Meteorologie als Polarfront bezeichnet. Die
Polarfront verlagerte sich im Laufe des Tages langsam südostwärts und erreichte
am Abend Großbritannien und Norwegen. Über dem südnorwegischen Bergland kam es
gestützt von einem lokalen Luftdruckminimum und einem Kaltlufttropfen zu einer
Zyklogenese, was in der Meteorologie die Entstehung oder Verstärkung eines
Tiefdruckgebietes bezeichnet. Das daraus neu entstandene Bodentief wurde in der
Prognose auf den Namen GISLINDE getauft. Ein Tiefdruckgebiet dreht sich gegen
den Uhrzeigersinn und besitzt eine Kalt- und eine Warmfront. Die Kaltfront
weist eine höhere Zuggeschwindigkeit auf, sodass die vorgelagerte Warmfront
meist eingeholt wird und sich eine Mischfront bilden kann, die als Okklusion
bezeichnet wird.
Am 09. Juli um 01 Uhr MEZ, was 00 Uhr UTC entspricht, befand sich
das Tief über dem Skagerrak mit einem Druck von ca. 1012 hPa. Die kurze
Warmfront verlief nach Norden über dem norwegischen Bergland, die Kaltfront
reichte von Dänemark bis Dublin. Aufgrund der Höhenzirkulation und dem Hoch
FALK knapp westlich der Britischen Inseln musste Tief GISLINDE eine recht
ungewöhnliche Zugbahn von Nord nach Süd einschlagen. Bis zum 07 Uhr MEZ Termin
am 9. Juli brachte das Tief höchstens 0,1 bis 2,0 mm in Norwegen, ebenso traten
in Schottland geringe Niederschlagsmengen von 1 bis 2 mm entlang der Kaltfront
auf. Bis zum Folgetag verlagerte sich das recht kleinräumige Tief GISLINDE nach
Südwesten und erreichte in der Nacht vom 9. zum 10. Juli Deutschland. Dabei
griffen Regengebiete über, sodass es in der Nacht zwei
Niederschlagsschwerpunkte gab. Zum einen den Nordwesten Deutschlands, zum
anderen einen Streifen von Thüringen bis zur Lausitz. Im Nordwesten fielen die
Niederschläge am sogenannten Okklusionspunkt. Das ist der Punkt wo Kalt- und
Warmfront sich vereinigen und dadurch Hebungsimpulse generiert werden, die zu
Niederschlägen führen. Dabei fielen hauptsächlich in Niedersachsen 12-stündig bis
zum 07 Uhr MEZ Termin am 10. Juli 2 bis 8 mm, in Amelinghausen südlich von
Hamburg sogar 12,1 mm. Der zweite Schwerpunkt der Niederschläge trat entlang
der Kaltfront auf. Von Mittelthüringen über Westsachsen bis Südbrandenburg
konnten im selbigen Zeitraum 5 bis 10 mm registriert werden. Die höchste Menge
gab es im sächsischen Ort Strauch mit 14,2 mm.
Im Laufe des 10. Juli verlagerte sich der Kern von Tief GISLINDE
weiter nach Süden. Das Frontensystem erstreckte sich dabei spiralförmig über
NRW, das südliche Niedersachsen, die Ostsee, Südostbrandenburg bis Sachsen und
Südostbayern. Verbreitet gab es
schauerartig verstärkten Regen sowie einzelne kräftige Gewitter. Bis 19 Uhr MEZ
fielen 12-stündig in den genannten Regionen 5 bis 15 mm, örtlich durch Gewitter
noch höhere Mengen. Rambin auf Rügen vermeldete 26,0 mm, Hannover 35,4 mm und
Bergen in Niedersachsen sogar 43,0 mm. Nach längerem Hochdruckeinfluss vor
allem im Norden des Landes war damit Deutschland nahezu vollständig zyklonal
geprägt. Lediglich in Baden-Württemberg konnte sich noch die Sonne einige Zeit
zeigen und die Luft am Bodensee und Hochrhein bis auf 26°C erwärmen. Sonst war
es wechselhaft und recht kühl mit Maxima zwischen 15,3°C bei längerem Regen wie
in Hannover und 20,3°C in Berlin-Tegel. Im Zentrum des Tiefs gab es nur wenige
und meist auch nur schwache Schauer. In Berlin fielen beispielsweise wenige
Tropfen, während im 85 km entfernten Cottbus bis 19 Uhr MEZ 16,8 mm in 12
Stunden fielen.
Am 11. Juli um 01 Uhr MEZ analysierte die Berliner Wetterkarte das
Tief bestehend aus zwei Teiltiefs über Bayern und über dem südlichen Polen.
Weiterhin erstreckte sich eine bogenförmige Okklusionsfront von Niedersachsen
über Mecklenburg-Vorpommern bis zum zweiten Tief über Südpolen. Von dort aus
erstreckte sich die Kaltfront bis ins südliche Österreich. In der Nacht zum 11.
Juli verstärkte sich an der Nordflanke des Tiefdruckgebietes durch Einbeziehung
von Warmluft aus dem polnischen Raum die Niederschlagsaktivität stark. So
regnete es von Hamburg bis Nord- und Ostbrandenburg zeitweise kräftig. Bis zum
Morgen fielen nochmals in 12 Stunden 10 bis 40 mm, örtlich auch 50 mm wie im
Mecklenburg-Vorpommerschen Tribsees mit 51,0 mm. Damit ist gebietsweise fast
das Monatssoll für den Juli an einem Tag gefallen. Erneut gab es große
räumliche Unterschiede bei den Niederschlägen. Östlich von Berlin in Strausberg
fielen bis 07 Uhr MEZ in 24 Stunden 24,3 mm, in Berlin-Buch noch 11,7 mm, in
Tegel 9,9 mm und in Berlin-Dahlem dagegen nur noch 0,7 mm. Es war in Dahlem der
erste messbare Niederschlag seit 16 Tagen. Potsdam meldete keine messbaren
Regenmengen und auch im Fläming und in ganz Sachsen-Anhalt setzte sich die
Trockenheit fort. Zudem vermeldeten die Wetterstationen in Osthessen und
Nordbayern in der Nähe des Kerns nochmals 10 bis 30 mm Niederschlag. In Wien
brachte die Kaltfront von Tief GISLINDE an der Station Hohe Warte 24-stündig 44
mm und im slowenischen Ljubljana 23 mm Regen.
Am 11. Juli verlagerte sich das wetterbestimmende Tief GISLINDE
mit seinem Kern langsam von Hessen in Richtung Sachsen. Zunächst gab es am
Vormittag nur im Bereich der als Okklusion analysierten Front über
Mecklenburg-Vorpommern und in einem Streifen vom südlichen Hamburger Raum bis
nach Ostwestfalen kräftige Niederschläge. Bis 19 Uhr MEZ wurden 12-stündig
beispielsweise aus Laage bei Rostock 50,0 mm und aus Hamburg-Neuwiedenthal 32,9
mm Regen gemeldet. Im Zentrum des Tiefs entwickelten sich aber infolge
höhenkalter Luft und bodennaher tagesbedingter Erwärmung rasch Schauer und
Gewitter. Am Nachmittag entluden sich erste lokale Gewitter über Berlin. Am
Abend schlossen sich in feuchter und energiereicher Luft über Ostdeutschland
mehrere Gewitter zusammen, sodass ein zusammenhängender Gewitterkomplex
entstehen konnte, welcher in der Nacht in Brandenburg und in Westpolen
verbreitet Stark- und Dauerregen brachte. Dabei fielen bis zum Morgen des 12.
Juli um 07 Uhr MEZ in 24 Stunden in Passow nördlich von Angermünde 76,3 mm, in
Jühnsdorf-Blankenfelde knapp südlich von Berlin 72,0 mm, in Berlin-Buch 57,7
mm, in Berlin-Dahlem 38,5 mm und in Wiesenburg im Fläming 23,1 mm Regen. Weiter
außen vor blieb die Börde und auch nördlich des Harzes gab es in den zwei Tagen
nur sehr wenig Niederschlag. In Magdeburg fielen nur 1,6 mm und in
Schackensleben westlich von Magdeburg nur 0,4 mm. Auch in Nordthüringen blieben
die Niederschläge praktisch aus, so dass sich dort die Trockenheit kaum
linderte. Interessant war die Temperaturverteilung in Deutschland. Während im
größten Teil die Maxima je nach Sonnenscheindauer zwischen 17 und 23°C lagen,
stieg die Temperatur in Nordfriesland bei länger anhaltendem Sonnenschein auf
über 25°C. Als wärmster Ort in Deutschland stellte sich die Insel Hallig Gröde
mit 27,1°C heraus.
Am 12. Juli um 01 Uhr MEZ befand sich Tiefdurckzone GISLINDE mit
nur noch einem Tief knapp westlich von Warschau. Die Okklusion reichte bis
Berlin, die bogenförmige Kaltfront bis Budapest. Aufgrund dessen wurde nur noch
der Osten von Regenfällen beeinflusst. Im östlichen Brandenburg und Sachsen
fielen bis zum Abend nochmals 10 bis 30 mm. Somit summierten sich die
Niederschlagsmengen 72-stündig auf teils über 100 mm. Vom 10. Juli 07 Uhr MEZ
bis zum 13. Juli 07 Uhr MEZ verzeichnete Passow in der Uckermark 110,1 mm,
Wustrow 108,0 mm, Angermünde 102,3 mm und Berlin-Buch 94,0 mm. Damit fiel in
drei Tagen fast das doppelte an der üblichen Monatsregensumme. Hier linderte
der Regen die Trockenheit, Nordthüringen und das südliche Sachsen-Anhalt wurden
durch die Lage nahe des Kerns des Tiefs deutlich benachteiligt. Südöstlich des
Harzes fielen in drei Tagen nur 0,1 bis 1,0 mm. Unter zunehmendem Einfluss von
Hoch FALK setzte in Deutschland von Westen her eine deutliche Wetterberuhigung
ein. Während es im Osten Brandenburgs unter den Regenwolken mit 18°C kühl
blieb, stieg die Temperatur im Westen auf sommerliche Werte. Erneut wurde es im
äußersten Nordwesten am wärmsten. Nordhorn vermeldete 29,0°C und Schleswig
28,7°C. Tief GISLINDE schwächte sich am 12. Juli tagsüber etwas ab. Dennoch
konnten in Nordpolen und im Baltikum gebietsweise 24-stündige Regenmengen von
10 bis 30 mm verzeichnet werden. Die höchste Menge vermeldete Kaunas in Litauen
mit 52,0 mm.
Vom 13. bis 15. Juli zog das vollständig okkludierte Tief GISLINDE unter weiterer Abschwächung nach Osten in Richtung Schwarzes Meer. Dabei wurden weiterhin Regenfälle ausgelöst, welche aber nicht mehr so stark waren wie an den vorangegangenen Tagen. Besonders im Osten Polens und im südlichen Litauen summierten sich die 72-stündigen Regenmengen auf 20 bis 50 mm, im polnischen Ostroleka sogar auf 81,0 mm. Letztmalig konnte das Tief GISLINDE am 14. Juli um 01 Uhr MEZ knapp nordöstlich von Minsk analysiert werden. Im Laufe des Tages löste sich das Tief auf, es traten aber am Folgetag aufgrund der labilen Luftmasse noch einzelne Schauer und Gewitter im Westen Russlands und der Ukraine auf. Insgesamt brachte Tief GISLINDE auf ungewöhnlicher Zugbahn dem Norden und Osten Deutschlands nach langer Trockenheit teils intensive Regenfälle mit großen räumlichen Unterschieden. Durch die hohen Regenmengen wurde das Tief in den Medien humorvoll auch als „Gießlinde“ bezeichnet.