Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet GUNDULA

(getauft am 18.11.2010)

 

Aus einer Wellenstörung im 500 hPa-Niveau, das entspricht einer Höhe von ungefähr 5,5 Kilometern, entstand über dem Nordatlantik etwa 1000 Kilometer südlich von Island am 18. November 2010 ein Tiefdruckgebiet, das auf den Namen GUNDULA getauft wurde. Am Südrand des zunächst steuernden Tiefs FELICE westlich von Schottland wanderte die Zyklone GUNDULA weiter ostwärts, um am 20. November über der Biscaya deutlich gereift zunehmend Einfluss auf das Wettergeschehen in Europa zu nehmen.

Mittlerweile war sowohl auf der Bodenkarte als auch auf Satellitenbildern die Wirbelstruktur von GUNDULA gut zu sehen. Die Okklusionsfront, also eine Front mit Warm- und Kaltfronteigenschaften, reichte aus dem Kern, in dem ein Luftdruck von unter 1000 hPa gemessen wurde, bis nach Nordspanien heraus. In ihrem Bereich fiel gebietsweise Regen, wie anhand von Wettermeldungen einiger Schiffe nachvollzogen werden konnte. In der Bretagne in Frankreich erreichte der Wind aufgrund des Luftdruckgradienten, also dem Gegensatz zwischen tiefem Luftdruck im Kern des Wirbels und höherem Luftdruck am Rand,  in Böen die Stärke 9 und damit Sturmstärke. Südlich schlossen sich kurz hintereinander die Warm- und die Kaltfront an. Diese brachten auf der Iberischen Halbinsel zum Teil ergiebige Niederschlagsmengen, wie an den spanischen Stationen La Coruña im Nordwesten des Landes mit 20 Litern Regen pro Quadratmeter und in Sevilla im Süden mit 21 l/m², jeweils innerhalb von 24 Stunden bis zum Morgen des 21. November. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Kern des Tiefdruckgebietes GUNDULA über der Biscaya dem Festland genähert, gleichzeitig bildete sich über dem Golfe du Lion, einer Mittelmeerbucht vor Südwestfrankreich, ein weiterer Kern des Tiefs aus. Zwischen beiden Tiefdruckzentren verlief die Okklusionsfront, die weitere teils ergiebige Regenmengen zur Folge hatte. So fielen innerhalb von 12 Stunden auf dem etwa 1500 Meter hohen Mont Aigoual in den südfranzösischen Cevennen 40 l/m².

Bis in die Nacht zum 22. November zog das Tiefdrucksystem GUNDULA über Italien zunächst nach Osten. Es änderte dann entsprechend der Höhenströmung in 500 hPa aufgrund eines blockierenden Hochdruckgebietes über Südosteuropa seine Bewegungsrichtung mehr nach Nordost bis Nord. Der Wirbel überquerte den östlichen Alpenraum entlang der Zugbahn der sogenannten Vb-Tiefdruckgebiete, die sich im Golf von Genua durch den Unterschied zwischen kühler Luft aus Nordwesten und warmer Luft über dem Mittelmeer bilden oder verstärken, in diesem Falle verstärkt durch die Zufuhr warmer nordafrikanischer Luft. Um 13 Uhr Mitteleuropäischer Zeit lag ein nördlicher Kern des Tiefs GUNDULA mit 995 hPa über Tschechien, ein südlicher Kern befand sich mit dem gleichen Luftdruck über dem Osten Österreichs. In Deutschland machte sich das Tiefdrucksystem besonders in der Osthälfte bemerkbar. Auf dem Brocken im Harz fielen beispielsweise 47 l/m² Niederschlag, so dass dort die Schneedecke auf 55 cm anwuchs. Auch im Flachland ging der Regen zunehmend in Schnee über, wie in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt, die bis zum Abend 5 cm Neuschnee verbuchte.

Am 23. November zog der Wirbel GUNDULA weiter nach Nordosten über Brandenburg und die polnische Ostseeküste und führte an der deutschen Küste örtlich zu Böen der Stärke 8 bis 9. Auf der Rückseite des Tiefs wurden kalte Luftmassen aus Norden herangeführt, so dass es oberhalb von 300 bis 500 Metern schneite, und zwar besonders in den Mittelgebirgen. Auf dem Brocken war die Schneehöhe auf 80 cm angestiegen. Analog zur über Nordosteuropa nach Osten abknickenden Höhenströmung schlug auch das Tief GUNDULA im Bodendruckfeld eine östliche Richtung ein und war am Folgetag, wiederum mit jeweils 990 hPa in zwei Kernen, über der mittleren Ostsee bzw. der Ukraine zu finden. Während sich der nördlichere, GUNDULA I, zum 25. November Richtung Moskau bewegte und dann wieder das alleinige Zentrum GUNDULA stellte, wanderte der südliche, GUNDULA II, im gleichen Zeitraum zum Schwarzen Meer und spielte nur eine untergeordnete Rolle. In der russischen Hauptstadt kamen bis zum Morgen des 25. November 21 l/m² Niederschlag zusammen. Am nächsten Tag machte das Tief GUNDULA, deren Kern sich in seiner Lage kaum verändert hatte, durch die kalte Luft die beispielsweise in Moskau zu Schneeschauern bei einer Tageshöchsttemperatur führte, eher bemerkbar als durch große Niederschlagsmengen. Am 27. November war das Tiefdruckgebiet mit einem Kerndruck von ungefähr 1010 hPa, also gewissermaßen weiter aufgefüllt, über Russland zum letzten Mal als eigenes Druckgebilde auf der Berliner Wetterkarte zu erkennen.

 

 


Lebensgeschichte am 06.12.2010 geschrieben von Heiko Wieso

Ausgewählte Berliner Wetterkarte: 22.11.2010

Pate: anonym