Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet HANNA

(getauft am 11.03.2020)

 

Zu Beginn der zweiten Märzwoche standen West- und Mitteleuropa unter dem Einfluss einer klassischen Westwindwetterlage. Im 500 hPa Niveau, in einer Höhe von rund 5,5 km, verlief die Polarfront zwischen einem Tief südlich von Island und einem Hoch über Südspanien von Neufundland über den Atlantik und Großbritannien bis hin nach Osteuropa. Die Polarfront, auch Frontalzone genannt, ist die Grenze zwischen der Polarluft und den subtropischen Luftmassen, die an dieser Grenzfläche in entgegengesetzter Richtung aneinander vorbeiströmen, und ist gekennzeichnet von großen Temperatur- und Luftdruckgegensätzen.  Dadurch entsteht in rund 10 km Höhe der Polar-Jetstream, ein Starkwindband, das mit der Erdrotation von West nach Ost weht und Tiefdruckgebiete über den Atlantik nach Europa lenkt.  Am Boden bestimmte, korrespondierend zum Höhentief, der Tiefdruckkomplex GISELA mit seinen Ausläufern das Wettergeschehen. An dessen Kaltfront entwickelte sich aus einer Wellenstörung durch Hebungsprozesse im divergenten Bereich des Jetstreams über der Nordsee in der Nacht vom 11.03. zum 12.03.2020 ein eigenständiges Tiefdruckgebiet, welches von den Meteorologen der Berliner Wetterkarte auf den Namen HANNA getauft wurde.

Am 12.03. um 00 Uhr UTC, also um 01 UHR MEZ, konnte das Zentrum von Tief HANNA mit einem Kerndruck von rund 990 hPa über der Nordsee analysiert werden. Auch das für ein Tiefdruckgebiet typische Frontensystem hatte sich ausgebildet. Die Warmfront erstreckte sich zu diesem Zeitpunkt vom Tiefdruckkern über die Nordsee und Dänemark bis nach Schweden, die Kaltfront in südwestliche Richtung über den Ärmelkanal. Bis zum frühen Morgen verlagerte sich das Tiefdruckgebiet HANNA rasch entlang der Höhenströmung in Richtung Nordosten. Dabei verstärkte sich die Zyklone schnell zu einem Sturmtief und konnte um 06 Uhr UTC mit einem Kerndruck von nur noch rund 980 hPa über dem Skagerrak analysiert werden. Die von Nordwest nach Südost ziehende Kaltfront erreichte in den frühen Morgenstunden die Nordseeküste und brachte teils heftige schauerartige Niederschläge. So fielen innerhalb von 12 Stunden bis 7 Uhr MEZ im Gebiet von der niederländischen Provinz Zeeland bis zum Wendland bis zu 15 mm. Entlang der Nordseeküste wurden zudem Windböen bis 100 km/h gemessen. Büsum meldete sogar orkanartige Böen bis 113 km/h. Diese Geschwindigkeiten übertrafen lokal selbst die der beiden Sturmtiefs SABINE und VICTORIA im Februar und für die gesamte Nordseeküste wurde eine Sturmflutwarnung ausgegeben. Das Starkwindfeld erfasst hauptsächlich Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, speziell die Küstenregionen. Im Laufe des Vormittags erreichte die Front mit orkanartigem Wind und kräftigen Schauern auch die Ostseeküste. In Kiel und Rostock sowie auf Rügen wurden Böen bis zu 109 km/h gemessen. Über Warnemünde zog die Front mit einem kräftigen Graupelschauer und Böen bis zu 106 km/h. Umstürzende Bäume sorgten für Verkehrschaos und die Bahnstrecke Hamburg-Schwerin musste bis in den nächsten Vormittag gesperrt werden. Sturmböen konnten teils auch weiter im Landesinneren gemessen werden. In Berlin-Dahlem wurden beispielweise zwischen 11 Uhr und 12 Uhr Windböen bis 87 km/h registriert.  Auf dem Brocken meldete man sogar Windgeschwindigkeiten bis zu 154 km/h. Entlang der südostwärts ziehenden Kaltfront kam es am Vormittag örtlich zu teils kräftigen Schauern. In Hilgenroth im Westerwald fielen so zwischen innerhalb von 3 Stunden bis 10 Uhr 4,5 mm, in Braunlage im Harz zwischen 8 Uhr und 9 Uhr 4,5 mm und in Berlin-Buch zwischen 9 Uhr   und 10 Uhr 4,6 mm.  Im Tagesverlauf schwächte der Wind allmählich ab. An den Nord- und Ostseeküsten blieb es allerdings den ganzen Tag über recht stürmisch. Insbesondere an der Ostseeküste wurden auch am Nachmittag noch Windböen um 100 km/h gemessen. Bis zum Nachmittag verstärkte sich Tief HANNA noch weiter und der Luftdruck im Kern sank auf rund 975 hPa ab.

Die Kaltfront brachte am Nachmittag auch der Südhälfte Deutschlands noch vereinzelte Schauer, bevor sie am Abend schließlich die Alpen erreichte.

Hinter der Kaltfront stellte sich typisches Rückseitenwetter ein und die dichte Bewölkung löste sich langsam auf.  Mit der Kaltfront gelangte die subpolare Meeresluft auch in den Süden Deutschlands, der zuvor noch unter dem Einfluss wärmerer subtropischer Luftmassen stand. Die Temperaturen erreichten hier zunächst noch Werte um 15°C, in Garmisch-Partenkirchen wurde sogar 22,3°C gemessen. Mit dem Eintreffen der subpolaren Luftmassen gingen die Temperaturen jedoch auch hier auf etwa 10°C zurück. Dies entspricht auch den Tageshöchsttemperaturen, die in der Nordhälfte Deutschlands erreicht wurden,

da hier bereits zuvor subpolarer Luftmassen wirksam waren. An der Nordseeküste blieb es mit maximal rund 7°C noch ein wenig kühler. Währenddessen verlagerte sich der Tiefdruckkern bei gleichbleibenden Kerndruck rasch mit der Höhenströmung in nordöstliche Richtung und konnte am 13.03.2020 um 00 Uhr UTC, also 01 Uhr MEZ, bereits über dem Finnischen Meerbusen analysiert werden und auch die Fronten hatten begonnen zu okkludieren, also sich zu überlappen. Vom Tiefdruckkern ausgehend erstreckte sich die Okklusionsfront bogenförmig bis zum Okklusionspunkt über Moskau. Von dort aus reichte die Kaltfront in südwestliche Richtung über Kiew, Budapest und den Alpen bis über die Pyrenäen, wo sie in die Warmfront eines unbenannten Tiefs über Lissabon überging. Die Warmfront war dagegen weniger ausgeprägt und reichte bis über Odessa an der Schwarzmeerküste. Im Stau der Alpen hatte es bis in die Morgenstunden noch leichten Regen oder Sprühregen gegeben. So fielen im Alpenvorland 6-stündig bis 7 Uhr des 13.03.2020 durchschnittlich 1 bis 2 mm, in höheren Lagen 5 bis 8 mm. In Balderschwang im Oberallgäu wurden sogar 12,3 mm gemessen. Heftigere Niederschläge wurden im Westen des Schweizer Kantons Wallis gemeldet. Hier fielen innerhalb von 12 Stunden bis 7 Uhr über 20 mm. In dem kleinen Dorf La Fouly maß man sogar 25,8mm. Nach der Alpenüberquerung entwickelte sich entlang der Kaltfront in den frühen Morgenstunden ein eigenständiges unbenanntes Tiefdruckgebiet über der Poebene und in den Vormittagsstunden ein weiteres Gebiet tieferen Luftdrucks über der Walachei. Hinter der Kaltfront hatten die kühleren polaren Luftmassen die warmen subpolaren Luftmassen in West- und Mitteleuropa bis zum Alpenrand verdrängt. Wurde beispielsweise in Lyon am 12.03. noch eine Höchsttemperatur von 17,7°C gemeldet, waren es am 13.03. nur noch 13,1°C. Auch in der Alpenregion war die Abkühlung deutlich spürbar. Vielerorts blieb es im Vergleich zum Vortag über 5°C kühler. Im schweizerischen Thun sank die Temperatur im Vergleich zum Vortrag sogar von maximal 21°C auf maximal 8°C. In Deutschland stieg die Temperatur auch nur vereinzelt über 11°C. An den Küstenregionen blieb es mit 7 bis 9°C kühler.

Bis zum 14.03. 1 Uhr MEZ verlagerte sich Tief HANNA bei gleichbleibenden Kerndruck von 975 hPa weiter entlang der Höhenströmung in Richtung Nordosten bis über den nördlichen Ural. Die Fronten waren zu diesem Zeitpunkt vollständig okkludiert, womit das Tiefdruckgebiet sein Alterungsstadium erreicht hatte. Die Okklusionsfront ging in das Frontensystem des unbenannten Tiefdruckgebiets über der Poebene über. Im Laufe der nächsten Stunden verlagerte sich Tief HANNA weiter in nordöstliche Richtung und verschwand schließlich vom Kartenausschnitt der Berliner Wetterkarte.