Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet HERMINE
(getauft am 23.12.2020)
Am
22.12.2020 entwickelte sich über Neufundland ein Tiefdruckkomplex, welches sich
vom Jetstream (Starkwindband in der oberen Troposphäre) gesteuert, auf den Weg
über den Nordatlantik nach Europa machte. Dabei wurde es von den Meteorologen
der BWK (Berliner Wetterkarte) am 23.12. auf der Prognosekarte von 12 UTC (13
Uhr MEZ) für den Folgetag auf den Namen HERMINE getauft, da dieses Tief im
weiteren Verlauf das Wetter zu Weihnachten und Silvester in weiten Teilen
Mittel- und Westeuropas bestimmen sollte.
An
Heiligabend passierte das Tiefdruckgebiet die Südspitze Grönlands. Während es
auf Ostkurs zunehmend an Ausprägung gewann, konnte
dahinter vermehrt maritime Arktikluft in Richtung
Süden vordringen. Eine kräftige Strömung auf der Rückseite sorgte für eine
Verstärkung, während auf der Vorderseite wärmere maritime Subtropikluft in
Richtung Norden vordrang. Die Temperaturen auf Island, wo das Tief mit
einsetzender Warmluftadvektion Einzug hielt (Advektion = Heranführen einer
Luftmasse), kletterten von zweistelligen Minusgraden im Landesinneren tagsüber
landesweit bis über 0°C. Dabei wurden an den Küsten verbreitet Werte um 5°C bis
8°C erreicht. Beim Überqueren der Warmfront fielen verbreitet auch ergiebige Niederschläge
aus Schichtbewölkung (stratiformer Bewölkung). So
meldete eine Station im Nordosten der Insel um 06 UTC 24-stündige Mengen von
149 mm, was 149 Liter pro Quadratmeter entspricht. Auch zwei weitere Stationen
im Ostteil des Landes meldeten im gleichen Bezugszeitraum Niederschlagssummen
von über 100 mm.
Bis
zum 25.12. hatte der Kaltluftsektor die Insel vollständig erreicht. Es bildeten
sich hinter der Kaltfront teils Schnee- und Graupelschauer mit einfließender
Höhenkaltluft.
Am
26.12. begann sich Tief HERMINE kräftig zu intensivieren, wobei der Kerndruck
von rund 985 hPa auf ca. 960 hPa fiel. Mit einem ersten Frontensystem, das die
Britischen Inseln überquerte, nahm auch der Wind über Nordosteuropa merklich
zu. Der Kern, nun in zwei Teilkerne (HERMINE I und II) gespalten, welcher sich
um 00 UTC noch zwischen Grönland und Island befand, zog im Tagesverlauf über
die Vulkaninsel hinweg und schlug eine südliche Zugrichtung ein. Mit dem
Eintreffen einer weiteren Okklusions- oder auch Mischfront genannt über den Britischen
Inseln nahm der Druckgradient unterdessen stark zu, was man auch gut anhand der
eng gedrängten Isobaren (Linien gleichen Luftdruckes) auf der Bodenwetterkarte
erkennen konnte. In Wales sorgten andauernde 10-minütige Mittelwinde der Stärke
10 (entspricht Windgeschwindigkeiten von ca. 90-100 km/h), sowie 6-stündige
Regenmengen von rund 40 mm für nass-stürmisches Wetter. So gab der britische
Wetterdienst amtliche Warnungen vor heftigen Sturmböen und Schnee- und
Graupelschauern für Nordengland und Schottland heraus. Das Sturmtief HERMINE,
welches dort den Namen BELLA trug, sorgte
landesweit für Stromausfälle sowie Einschränkungen im Flug- und Bahnverkehr. In
Berlin fiel im Vorfeld der Zyklone HERMINE am Vormittag des zweiten Weihnachtsfeiertages
der erste Schnee des Winters. Zwei Niederschlagsbänder hatten sich über
Westbrandenburg gebildet und anschließend die Hauptstadt überquert.
In
der Nacht zum 27.12. griff das Windfeld von HERMINE auf
das europäische Festland über. Island
befand sich derweilen schon auf der Rückseite des Tiefs, wo ein steifer
Nordostwind das gesamte Festland unter seine Fittiche nahm. Dabei wurde an
vielen Stationen landesweit ein Mittelwind von 8 bis 10 Beaufort gemessen. Unangefochtener
Spitzenreiter war hier die Station Skálafell (771 m
über NN), nordöstlich der Hauptstadt Reykjavík, welche um 11 UTC einen
Mittelwind von 152 km/h registrierte. Dies übertrifft die volle Orkanstärke um
gut 30 km/h. Auch für das sturmerprobte Land im Nordatlantik war das kein
alltägliches Ereignis. Entlang der Küstenlinie von Frankreich über die
Niederlande hinweg bis nach Deutschland nahm der Wind stündlich spürbar zu. So
waren es die Station auf Ouessant (westlichste Insel
Frankreichs, zur Bretagne gehörend) und die Bergwetterstation auf dem Brocken,
die um 05 UTC als erste Sturmböen in Orkanstärke (> 120 km/h) registrierten.
Zweitere ist aufgrund ihrer besonderen geographischen Lage (1.142 m über NN)
prädestiniert dafür, hohe Windspitzen zu melden, und gilt bei Sturmlagen oft als
der windigste Ort in Mitteleuropa. Auf dem europäischen Festland waren
hauptsächlich die Normandie und die Bretagne in Frankreich betroffen. In Paris
kam es am Flughafen Charles de Gaulle zu Flugverspätungen und auf dem Eifelturm
wurde eine Spitzenböe von 152 km/h gemessen. In Deutschland sorgte das Tief HERMINE
an diesem Tag mit einer weitläufigen Okklusion, die von Spanien bis Norwegen reichte
und an den Kern über den Britischen Inseln anschloss, in den westdeutschen
Mittelgebirgen für ein winterliches Intermezzo. Dabei fielen dort bis 06 UTC
des Folgetages teils 10 bis 15 cm, im Schwarzwald bis 30 cm, Neuschnee.
Vielerorts wehte dabei ein lebhafter, auf den Gipfeln teils stürmischer Wind. Insgesamt
kam Deutschland jedoch vergleichsweise glimpflich davon, und es blieb bei
einzelnen Sachschäden.
Im
Laufe des 28.12. weitete sich der Einfluss des Tiefdruckgebietes HERMINE bis auf
Südeuropa aus. Ein mächtiger Tiefdruckkomplex, welcher erneut aus zwei
Teilkernen bestehend auf dem Höhepunkt seiner räumlichen Entwicklung, eine
horizontale Nord-Süd-Ausdehnung von ca. 3.700 km erreichte, steuerte nun das
Wettergeschehen in ganz Mitteleuropa.
In
den folgenden Tagen begann das Zentraltief HERMINE dann langsam zu zerfallen.
Am südöstlichen Ende konnte sich eine Randtiefentwicklung über der Adria
etablieren, welche den Namen KIRA bekam und mit der Höhenströmung gegen den
Uhrzeigersinn um den Kern nach Nordosten zog. HERMINE selbst wies am 29.12. drei
Teilzentren auf, welche gemeinsam eine große Tiefdruckzone bildeten, die von
Skandinavien bis nach Mitteleuropa reichte. Gleichzeitig fing der Tiefdruckkomplex
mit Verlust seiner kompakten Struktur allmählich zu schwächeln an. In der Nacht
vom 28. zum 29.12. zog ein Schnee- und Regengebiet des Teiltiefs HERMINE I von
Bayern über den Osten des Landes hinweg bis nach Schleswig-Holstein an die
Nordsee. Dabei sorgte die Okklusionsfront örtlich bis ins Flachland für eine
weiße Überraschung. Im Süden und Osten Bayerns reichte es 24-stündig für 3 bis 6
cm Neuschnee. Im Norden fielen von Mecklenburg-Vorpommern bis Schleswig-Holstein
ca. 2 bis 5 cm. In der Hauptstadt kam hingegen nur Regen herunter.
Der
Kern von HERMINE I verlagerte sich dabei gleichzeitig in Richtung Dänemark, wo
er sich am 30.12. auf der Karte von 00 UTC befand. Dort verweilte er den Rest
seines Lebenszyklus fast stationär, wobei er bodennah wie ein Motor Luftmassen
aus der Umgebung ansaugte und in Form von Okklusionsfronten um seinen Kern
schaufelte. So stieg mit Auffüllen des Kerns der Luftdruck bis zum Silvestertag
um 00 UTC auf 1000 hPa an.
Der
Jahreswechsel gestaltete sich oft ruhig, wobei in Norddeutschland eine in der
Höhe schwach ausgeprägte Okklusionsfront für leichten Regen in der
Silvesternacht sorgte. Dieselbe Front brachte am Neujahrstag sowie an den Tagen
darauf hin und wieder leichten Regen in der Nordhälfte des Landes, bevor sie
sich ganz auflöste.
Am
02.01.2021 tauchte das Tiefdruckgebiet HERMINE letztmalig auf der Bodenwetterkarte
der BWK auf. So verlor sich die Spur eines sehr wetterwirksamen
Tiefdrucksystems irgendwo auf der Ostsee zwischen Finnland und Deutschland,
bevor neue Tiefdruckgebiete, gekoppelt an den großen Trog über Mitteleuropa,
das Wetter beeinflussen sollten. Im Folgenden blieb die blockierende
Großwetterlage mit dem Hoch ALEXANDER über dem Atlantik, welches zunehmend eine
Hochdruckbrücke über Nordeuropa ausbildete, erhalten.