Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet HILDEGUND
(getauft am 17.08.2016)
Mitte der zweiten
Augustdekade befand sich über Kanada ein Tiefdruckgebiet, das sich entlang der
Höhenströmung in 5,5 km weiter nach Osten verlagerte. Da es das Wetter in
Mitteleuropa beeinflussen sollte, wurde dieses Tief in der Analyse vom 17.08.2016
um 00 Uhr UTC, was 02 Uhr MESZ entspricht, auf den Namen HILDEGUND getauft. Am
Tauftag befand sich das Tief HILDEGUND mit einem Druck von unter 1015 hPa zum
Zeitpunkt der Analyse mit zwei voneinander unterscheidbaren Kernen auf der
gedachten Schnittlinie von Rom und Tasiilaq in
Grönland. Vom östlicheren der beiden Kerne erstreckte sich eine Okklusionsfront
nach Südosten. Als Okklusionsfront wird dabei eine Mischfront verstanden, die
sich aus dem Zusammenschluss von Kalt- und Warmfront bildet und somit
Eigenschaften beider Systeme in sich vereint. Die Stelle, an der die schnellere
Kaltfront in die ihr vorausgehende Warmfront übergeht, wird als Okklusionspunkt
bezeichnet. Vom Okklusionspunkt, der circa 500 Kilometer östlich des Kerns lag,
erstreckte sich die Warmfront weiter nach Osten und ging westlich der
Iberischen Halbinsel in das Frontensystem eines kleineren Wirbels bei Irland
über. Die Kaltfront reichte hingegen vom Okklusionspunkt in einem engen Bogen
nach Westen, verband sich aber bereits nach wenigen Hundert Kilometern mit der
Warmfront des zweiten, dem Tief HILDEGUND zuzuordnenden Kern, vom dem sich
wiederum eine Kaltfront nach Westen in Richtung Nordamerika zog.
Um 00 Uhr UTC des 18.08.
befand sich das Zentrum der sich verstärkenden und sich nach Osten verlagernden
Zyklone HILDEGUND mit einem um 10 hPa gefallenen Druck auf einem Breitengrad
mit Bordeaux, etwa 800 Kilometer nördlich der Azoren. Vom nunmehr einzigen Kern
ging eine kurze Okklusionsfront nach Südosten aus, die sich an ihrem
Okklusionspunkt in eine nach Südosten reichende, über Südspanien in die
Kaltfront eines unbenannten Wirbels übergehende Warm-, und in eine sich in
einem Bogen über den Atlantik nach Westen erstreckende Kaltfront aufspaltete.
Auf seiner Zugbahn nach Nordosten hatten gegen 18 Uhr UTC erste Ausläufer des
Tiefs HILDEGUND Irland erreicht, welche sich in den folgenden 12 Stunden auch
auf weite Teile Süd- und Mittelenglands ausweiteten. Schwache bis mäßige und teils
schauerartig verstärkte Niederschläge brachten binnen dieser 12 Stunden bis 06
Uhr UTC des Folgetages in Plymouth 6,8 mm, bei Camborne
8,6 mm und an der Station Roches Point in Irland 14 mm.
Mit einem auf unter 980 hPa
gefallenen Kerndruck lag das Zentrum des sich weiter verstärkenden
Tiefdruckwirbels HILDEGUND am 19.08. gegen 00 Uhr UTC etwa 500 Kilometer
westlich von Irland. Große Teile der Warmfront waren in den vergangenen 24
Stunden von der ihr nachfolgenden Kaltfront eingeholt
worden, sodass sich eine markante Okklusionsfront ausbilden konnte. Diese zog
sich nordwestlich des Kerns ausgehend in einem Bogen um das Zentrum herum bis
zu ihrem Okklusionspunkt über der Keltischen See südlich von Irland. Von der
Keltischen See reichte die zugehörige Warmfront anschließend weiter bis etwa
Santander in Nordspanien während die Kaltfront die Azoren passierend in
westlicher Richtung über den Atlantik hinaus verlief. Des Weiteren erstreckte
sich nördlich des Wirbels eine nicht direkt mit dem Zentrum verbunden Kaltfront
über Dublin und Wales nach Orléans sowie eine
ebenfalls nicht mit dem Zentrum verbundene Warmfront über die Färöer-Inseln
nach Nordosten, welche sich über dem Nordmeer mit der Kaltfront eines vor
Nordgrönland liegenden Wirbels verband. Das Niederschlagsgebiet weitete sich
auf Schottland aus und streifte dabei auch den Norden Frankreichs, die Benelux-Staaten
sowie, in abgeschwächter Form, den Norden Deutschlands sowie die Harzregion.
Binnen 24 Stunden wurden bis 06 Uhr UTC des 20.08 im bretonischen Landivisiau 6,4 mm, an der Messstation in Hoek Van Holland
in Rotterdam 14,9 mm und am Flughafen von Amsterdam 27 mm registriert. In
Wittmund fielen im selben Zeitraum 5,3 mm, auf dem Brocken, von steifen, teils
stürmischen Böen bis 61,2 km/h begleitet,
6,6 mm und im südlich des Brockens gelegen Braunlage 7,7 mm. Aus Helgoland und
Norderney wurden hingegen lediglich 2,7 mm Regen gemeldet. Wesentlich intensiver
fielen die Regenmengen über Großbritannien und insbesondere in den Hochlagen
Schottlands aus, wo die Niederschläge aufgrund orographisch erzwungener
Hebungsvorgänge zusätzliche Verstärkung erfuhren. So wurden am Lake Vyrnwy 28 mm, in Capel Curig 36,4 mm und in Dundrennan
45,2 mm Niederschlag gemessen. Über Schottland und einigen teilen Irlands wehte
zudem ein frischer bis starker Wind aus Südost bis Südwest, der je nach Region
in Böen Sturmstärke erreichte. Die Anemometer
registrierten auf der irischen Sherkin Island
Sturmböen bis 86,5 km/h, in Capel Curig
schwere Sturmböen bis 90,8 km/h und auf dem Cairngorm
in Schottland gar Orkanböen bis 122,3 km/h.
Bis zum 20.08 hatte sich
das Zentrum des sich zu einem Sturmtief verstärkenden Wirbels HILDEGUND in
Richtung der Westküste Irlands verlagert und befand sich um 00 Uhr UTC mit
einem auf 990 hPa gestiegenen Kerndruck unmittelbar über Galway.
Die Okklusionsfront hatte sich weiter ausprägen können und erstreckte sich
südwestlich des Kerns ausgehend in einem Bogen über Schottland bis zur zentralen
Nordsee, über der sie den Charakter eine Kaltfront annehmend weiter über Rotterdam,
Toulouse und Faro in Portugal
nach Südwesten reichte und unweit der Azoren über dem Nordatlantik endete. Eine
über der Nordsee von der Okklusionsfront ausgehende Warmfront zog sich über
Hamburg bis etwa Zürich. In Großbritannien gestaltete sich der
Witterungscharakter weiter recht windig. So erreichte der vorwiegend westliche
Wind, der im Mittel zumeist 50 bis 55 km/h betrug, auf der Sherkin
Island Sturmböen bis 79,3 km/h, in Shap ebenfalls
Sturmböen bis 81,5 km/h und am Great Dun Fell, einem Berg in Nordengland,
Orkanböen bis 122,3 km/h. Dort wurde während der Mittagsstunden zudem ein mittlerer
Wind zwischen 85 und 100 km/h gemessen, was der Stärke
9 bis 10 auf der Beaufortskala entspricht. Nachdem das Hauptniederschlagsband
mit der Okklusionsfront über die Nordsee gezogen war, wurden an der Rückseite
des sich nach Schottland verlagernden Wirbels HILDEGUND erneut feuchte
Luftmassen nach Großbritannien und Irland geführt. Lokal brachten diese
nochmals teils sehr ergiebige Regenmengen mit sich. Innerhalb von 24 Stunden
wurden bis 6 Uhr UTC im irischen Mullingar 45,0 mm,
am Lake Vyrnwy 51,5 mm, und in Shap
bis zu 62,2 mm registriert, wobei dort mit 55 mm der Großteil des Niederschlags
in nur 12 Stunden fiel. Auf der Vorderseite des Tiefs HILDEGUND hatte das über
die Nordsee gezogene Niederschlagsband die Küsten Norwegens und Dänemark
erreicht und verlagerte sich im Tagesverlauf unter Abschwächung über
Mittelschweden weiter nach Nordosten. Die höchsten Niederschlagsintensitäten
konzentrierten sich dabei neben dem südnorwegischen Küstenbereich im Wesentlichen
auf den Raum um Norddänemark, Oslo und dem See Vänern.
Innerhalb von 24 Stunden fielen beispielsweise im schwedischen Sunne 11,9 mm an der dänischen Messstation in Brandelev 17,6 mm und nördlich von Oslo auf dem Berg Tryvasshøgda 18,1 mm. Zusätzlich zu diesem
Niederschlagsfeld hatte sich in der Nacht zum 20.09. entlang des nach Osten ziehenden
und sich allmählich wellenförmig deformierenden Frontensystem über
Südfrankreich ein neues, kleinräumiges Tiefdruckgebiet ausbilden können,
welches sich, durch Tief HILDEGUND gesteuert, im Tagesverlauf Richtung Genua
verlagerte. Im Einflussbereich dieses zunächst nur schwer als eigenständiges
Tief analysierbaren Wirbels, entwickelte sich ein sehr ausgeprägtes
Niederschlagsgebiet, welches von Frankreich über Norditalien nach Österreich
und Deutschland zog. Schauer und Gewitter brachten innerhalb der 24 Stunden bis
06 Uhr UTC des 21.08 bei Ljubljana Regenmengen von 25,5 mm, an den Flughäfen
von Venedig und Salzburg je 41 mm und im schweizerischen Lugano gar 62,3 mm mit
sich. In Deutschland fielen im selben Zeitraum in Potsdam 11 mm, in Görlitz
18,7 mm und im Kempten
24,1 mm Niederschlag.
Zum 21.08 hatte der sich
allmählich abschwächende Tiefdruckwirbel HILDEGUND Südschottland überquert und befand
sich um 00 Uhr UTC mit einem um 10 hPa gestiegenen Kerndruck westlich von
Edinburgh über der Nordsee. Nicht mehr mit dem Kern direkt verbunden gingen vom
Zentrum zwei Okklusionsfronten aus. Die Erste zog sich südöstlich des Zentrums
über London und Dublin nach Nordwesten und die Zweite nordwestlich des Zentrums
beginnend über Bergen bis zu ihrem Okklusionspunkt nahe Örebro
über Zentralschweden. Von Örebro reichte eine
Warmfront bis nach Lettland und eine Kaltfront über Danzig und Wien bis nach
Genua und dort Warmfrontcharakter annehmend weiter bis nach Valencia. Entlang
der nach Nordosten ziehenden zweiten Okklusionsfront entwickelte sich im
Tagesverlauf ein neues, ausgeprägtes Tiefdruckgebiet, welches wetterbestimmend
für das östliche Mitteleuropa wurde, sodass die dort teils ergiebigen
Niederschläge nicht mehr direkt dem Tief HILDEGUND zuzuordnen waren. Das
verliebende Niederschlagsfeld entlang des Zentrums des Wirbels konzentrierte
sich im Wesentlichen auf die Küstengebiete der unmittelbaren Nordseeanrainer.
Ehe sich das Niederschlagsfeld zum 22.08. fast vollständig auflöste,
registrierten die Messstationen in den 24 Stunden bis 06 Uhr UTC im auf den
Shetlandinseln gelegenen Lerwick 4,4 mm, am
Leuchtturm in Lindesnes
9,8 mm und in der dänischen Gemeinde Vester Vedsted 24,0 mm. Auf der Südseite des Tiefdruckzentrums
brachte anhaltender und teils von schauern durchsetzter Regen am Flughafen von
Amsterdam noch 45,2 mm Niederschlag mit sich, ehe auch hier der Einfluss des Tiefs
HILDEGUND nachließ.
Mittlerweile ohne
analysierbares, eigenständiges Frontensystem befand sich das Zentrum des sich
weiter rasch abschwächenden Tiefdruckgebiets HILDEGUND mit einem auf knapp
unter 1015 hPa angestiegenem Kerndruck am 22.08. um
00 Uhr UTC über der Nordsee, mittig zwischen Schottland und Südnorwegen. In den
frühen Morgenstunden wurde das Tief HILDEGUND in die Zirkulation des ihm von
Westen nachfolgenden Wirbels IRMTRAUD aufgenommen, sodass das regenreiche
Sturmtief HILDEGUND am 23.08. nicht mehr auf der Berliner
Wetterkarte als eigenständiger Wirbel analysiert werden konnte.
Geschrieben am 26.09.2016 von
Christian Ulmer
Berliner Wetterkarte: 20.08.2016
Pate: Diether Klockner