Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet
HILTRUD
(getauft
am 25.12.2014)
Mitte der letzten Dezemberdekade 2014
befand sich in der mittleren Troposphäre in einer Höhe von ca. 5,5 km ein
Vorstoß kalter Luftmassen über dem zentralen Nordatlantik. Dieser sogenannte Trog
verursachte eine Aufspaltung der Hauptströmung über Neufundland. Von dort
führte sie einerseits südlich an Grönland und Island vorbei und andererseits um
den Trog mit Achse auf Breite der Kanaren herum, bis sie sich nach nördlichem
Verlauf über die Azoren hinweg westlich der Britischen Inseln mit dem
nördlichen Zweig der Hauptströmung wieder vereinte und über West- sowie
Zentraleuropa bis zum Kaspischen Meer reichte. Südlich von Grönland entstand
dabei hervorgerufen durch eine Wellenstörung entlang der nördlichen
Hauptströmung ein Tiefdruckgebiet im Bodenniveau, welches im weiteren Verlauf
Einfluss auf Mitteleuropa nehmen sollte und deshalb am 25.12. in der Prognose
für den Folgetag auf den Namen HILTRUD getauft wurde.
Am 26.12. um 01 Uhr MEZ befand sich das
Tief HILTRUD mit einem Kerndruck von etwa 1025 hPa rund 800 km westlich von
Irland über dem Nordatlantik. Das Frontensystem des Wirbels ging von dessen
Zentrum aus und bestand zu diesem Zeitpunkt aus einer kurzen und nach Südwesten
weisenden Kaltfront sowie einer Warmfront, die sich nach südöstlichem Verlauf
über der nordspanischen Küste im Bereich des Hochs ULF mit der Kaltfront eines
anderen Tiefs verband. Der Wirbel HILTRUD zog im Laufe des Tages über die
Britischen Inseln und verursachte dabei länger anhaltende Niederschläge, die
überwiegend als Regen, teils mit Sprühregen vermischt oder mitunter auch als
Schnee fielen. Bis 19 Uhr MEZ konnten dadurch in Plymouth bzw. in Aberdaron jeweils 17 l/m², am Flughafen in Dublin 14 l/m²
und in Roches Point, Mullingar sowie Mona 13 l/m²
Niederschlag gemessen werden.
In der Nacht begann das Niederschlagsgebiet
durch die Verlagerung des Wirbels HILTRUD über Südostengland und den Ärmelkanal
auch auf Frankreich und die Benelux-Länder überzugreifen, wobei der Mix aus
Regen und Schnee weiter anhielt. Innerhalb 12 Stunden bis 07 Uhr MEZ am 27.12.
fielen dabei 20 l/m² im niederländischen Westdorpe Aws, 19 l/m² in Hoek Van Holland und 17 l/m² an den
französischen Stationen in Charleville, Chateauroux und Lille. Die höchsten Niederschlagsmengen
wurden allerdings in Belgien registriert, wie 28 l/m² in Melle,
27 l/m² an der Station Gent/Industrie-Zone und 22 l/m² in Antwerpen/Deurne.
Auch im Westen Deutschland kam es in der zweiten Nachthälfte zu Schnee- und
Regenfall, wodurch im selben Zeitraum wie zuvor maximale Niederschlagsmengen
von 3 l/m² in Freudenstadt, Düsseldorf und Nürburg-Barweiler
sowie 7 l/m² an der Station Saarbrücken/Ensheim
auftraten. Das Tief HILTRUD dagegen verstärkte sich während der Nacht derart,
dass es bereits um 01 Uhr MEZ einen Kerndruck von ca. 1000 hPa aufwies, was
eine Abnahme von 25 hPa in den vergangenen 24 Stunden bedeutete. Dadurch
entwickelte es sich zu einem kleinräumigen Sturmwirbel, welcher vor allem im
Norden Frankreichs im Bereich des Ärmelkanals teils schwere Sturmböen
verursachte. So wurden in Dieppe Spitzenböen mit bis
zu 98 km/h und etwas weiter nördlich am Cap Gris
sogar Orkanböen mit bis zu 118 km/h registriert. Auch im belgischen Zeebrügge konnten am Mittag und frühen Nachmittag Sturmböen
von bis zu 83 km/h gemessen werden.
Das Tief HILTRUD verlagerte sich der
südwestlichen Höhenströmung folgend bis über den Norden Italiens, wobei um 01
Uhr MEZ von dessen Kern mit einem Druck rund 998 hPa eine Okklusion, also eine
Mischfront mit Warm- und Kaltfronteigenschaften, ausging, die nördlich um
diesen herumführte und sich nach bogenförmigen Verlauf über die Adria nahe der
Küste der Provinz Campobasso aufspaltete. Von diesem sogenannten
Okklusionspunkt erstreckten sich eine Warmfront nach Süden bis über die
Südspitze Siziliens und eine Kaltfront nach Westen über Sardinien und die
Pyrenäen bis über den Ostatlantik, wo sie sich westlich der Biskaya mit der
Warmfront eines anderen Tiefs verband. Das zum Wirbel zugehörige
Niederschlagsgebiet blieb aber auch weiterhin über Mitteleuropa wirksam.
Während im Norden Deutschlands nur wenig oder gar kein Niederschlag fiel,
hielten im Süden des Landes das dunstige Wetter und der leichte bis mäßige
Schneefall weiter an. In Weinbiet wurden innerhalb von 24 Stunden bis 07 Uhr
MEZ 20,5 l/m² Schnee gemessen, wobei insgesamt 15 cm Neuschnee zusammenkamen.
In Ulm stieg die Schneedecke sogar um 21 cm an. Die höchste
Niederschlagsmenge wurde derweil in Freudenstadt mit 32,7 l/m² und einem
Anstieg der Schneedecke um 31 cm registriert. Außerhalb Deutschlands konnten
auf der Rückseite des Tiefs HILTRUD sogar noch deutlich höhere
Niederschlagsmengen verzeichnet werden. So fielen in der Schweiz im selben
Zeitraum wie zuvor 50 l/m² am Bergpass Grand St. Bernard, 53 l/m² am Berg
Säntis und 57 l/m² Niederschlag auf dem Pilatus, wobei an dieser Station bis 19
Uhr MEZ nochmals 28 l/m² gemessen wurden. In Frankreich kamen die höchsten
Mengen im Bereich der Pyrenäen durch den Durchzug der Kaltfront des Wirbels
HILTRUD zustande. In Saint-Girons konnten dadurch
24-stündig 53 l/m² und in Socoa 57 l/m² gemeldet
werden. Auch östlich des Tiefdruckzentrums etablierte sich ein Regengebiet,
wodurch auch in Kroatien noch erhebliche Niederschlagssummen erreicht wurden.
In nur 12 Stunden bis 07 Uhr MEZ konnten 43 l/m² in Dubrovnik und 46 l/m² an
der Station Split/Resnik registriert werden. Auch
weiter nördlich wurden im selben Zeitraum beispielsweise im slowenischen Celje noch 26 l/m² und eine auf 27 cm angestiegene
Schneedecke vermeldet. Noch höhere Regenmengen konnten allerdings in Italien
verzeichnet werden. Durch die Nähe zum Tiefzentrum und den Durchzug des
Frontensystems wurden bis 19 Uhr MEZ in 12 Stunden 55 l/m² in Prizzi und 56 l/m² in Bonifati,
wobei dort alleine in nur 6 Stunden 39 l/m² Regen fielen, der auch teils mit
Schnee vermischt war.
An der Südflanke des ausgeprägten Troges
über Mittel- und Osteuropa zog die Zyklone HILTRUD weiter nach Osten und konnte
um 01 Uhr MEZ am 29.12. mit einem gleichgebliebenen Kerndruck über der nördlichen
Ägäis analysiert werden. Vom Zentrum des Tiefs nahe der Insel Thassos verlief eine Kaltfront über den Norden
Griechenlands bis westlich von Süditalien, welche allerdings in der Höhe als
Okklusion analysiert wurde. Eine weitere Kaltfront führte vom Kern aus über den
Süden Griechenlands und das Mittelmeer, erstreckte sich dann über den
Nordwesten Libyens, Tunesien und Algerien bis zur Straße von Gibraltar, bevor
sie nach nördlichem Verlauf über dem Ostatlantik etwa auf Breite von Bordeaux
in die Warmfront eines anderen, unbenannten Tiefs bei Südgrönland überging.
Zudem gehörte eine Warmfront zum Frontensystem des Wirbels HILTRUD, die
ebenfalls von dessen Zentrum aus nach Osten über das Schwarze Meer wies. Mit
dem Tiefdruckzentrum zog auch das Niederschlagsgebiet weiter nach Osten. Somit
kamen nun auch in Griechenland hohe Regenmengen zustande. Bis 07 Uhr MEZ dieses
Tages fielen am Flughafen in Ioannina in den 24
Stunden zuvor 71 l/m² und in Kerkyra auf Korfu 56
l/m². Auch auf der Nord- und Nordostflanke des Tiefs HILTRUD konnten im Zuge
des Regengebietes 24-stündig bis 19 Uhr MEZ im rumänischen Tulcea
54 l/m² und im bulgarischen Razgrad 20 l/m²
Niederschlag gemessen werden, der dort auch mitunter als Schnee fiel. Bis zum
Abend um 19 Uhr MEZ erreichten die Niederschläge auch die Türkei, wobei diese
hier überwiegend in Form von Schauern auftraten und dadurch innerhalb von
6 Stunden in Bandirma 24
l/m² und in Mugla 21 l/m² verzeichnet werden konnten.
Da sich das Tief HILTRUD bis zum Folgetag
auf der Vorderseite des Troges befand, der sich ein wenig nach Osten verschoben
hatte, gelangte es in den Bereich einer nordöstlichen Strömung, wodurch es zum
Nachttermin am 30.12. mit einem leicht verstärkten Kerndruck von 995 hPa über
der östlichen Ukraine analysiert wurde. Vom Zentrum erstreckte sich eine kurze bogenförmige
Okklusion nach Osten, die nahe Rostow am Don ihren Okklusionspunkt erreichte.
Von dort führte einerseits eine Warmfront nach Südosten in Richtung des
Kaspischen Meeres und andererseits eine Kaltfront nach Südwesten über Ankara
und Izmir, wo sie sich mit der Warmfront einer über Südgriechenland neu
entstandenen Zyklone verband. In Zentrumsnähe wurden 24-stündig bis 07 Uhr MEZ
in der Ukraine 21 l/m² in Zaporizhzhia, 23 l/m²
in Dnipropetrovsk sowie Izium
und 36 l/m² in Odessa verzeichnet. In der Türkei fielen bedingt durch Regen-
und Schneeregenschauer sowie kräftigen Gewittern in 12 Stunden bis 19 Uhr MEZ
in Kutahya 27 l/m², in Aydin
30 l/m² und in Zonguldak 32 l/m² Niederschlag. Auf
der Westflanke des Wirbels HILTRUD strömten kalte arktische Luftmassen nach
Ost- und Südosteuropa ein, welche die dort vorherrschende subtropische Luft
verdrängte. Dadurch sanken die Höchsttemperaturen vor allem in der Türkei und
Griechenland deutlich ab. Während in Athen am Vortag noch 16°C erreicht wurden,
stieg die Temperatur nun nur noch auf 5°C. In Izmir fiel das Maximum um 8 Grad
auf 8°C und in Istanbul um 11 Grad auf 3°C herab. In Adana im Süden der Türkei
konnte die kalte Luft noch keinen Einfluss nehmen, wodurch dort ein Höchstwert
von 16°C gemessen wurde.
Nach weiterer nordöstlicher Verlagerung und
einer Abschwächung um 10 hPa befand sich das Zentrum des Tiefs HILTRUD um
01 Uhr MEZ am 31.12. südlich der russischen Stadt Perm in der Nähe des
Südurals. Vom Kern verlief eine Okklusion über das Uralgebirge nach Osten bis
außerhalb des Darstellungsbereiches. Das zugehörige Niederschlagsgebiet
schwächte sich nun zusehends ab und es wurden bis 04 Uhr MEZ noch 12-stündige
Mengen von maximal 7 l/m² in Ufa registriert, wobei diese überwiegend in Form
von Schneeschauern fielen. An diesem Tag floss die Arktikluft nun auch in den
Südwesten Russlands ein, wodurch die Temperatur in Wolgograd in der Nacht zuvor
auf -21°C herabsank und am Tag auch nur auf -12°C anstieg. Am Vortag wurde dort
noch ein Höchstwert von +3°C gemeldet.
Das Tief HILTRUD verlor bis zum Tag darauf
vollends seinen Einfluss auf das europäische Wettergeschehen, wodurch der
31.12. der letzte Tag war, an dem es auf der Berliner Wetterkarte namentlich
verzeichnet wurde. In den folgenden beiden Tagen verlagerte sich der Wirbel
weiter nach Nordosten und verließ daraufhin den Darstellungsbereich in Richtung
Westsibirien.
Geschrieben am 22.02.2015 von
Sebastian Wölk
Berliner
Wetterkarte: 27.12.2014
Pate:
Hiltrud Peper