Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet IMKA

(getauft am 18.10.2020)

 

Ein Höhentief, welches sich Mitte Oktober vom Seegebiet südlich von Grönland in Richtung subtropischen Nordatlantik verlagerte, bildete den Ausgangspunkt für die Entstehung eines neuen Tiefs. Hierbei gelangte höhenkalte Luft subpolaren und polaren Ursprungs bis ins Seegebiet nördlich der Azoren. Messungen am Morgen des 18. Oktober ergaben in einer Höhe von knapp 5,5 km eine Temperatur von unter -25°C, während zeitgleich die Meeresoberflächentemperatur bei 20 bis 21°C lag. Dieser kräftige Temperaturgradient führte zur Bildung hochreichender Quellbewölkung und zu schauerartigen Niederschlägen über dem Ostatlantik. Die Azoren lagen an dessen Rand und wurden von einzelnen, schwachen Schauern gestreift. Zunächst sah es so aus, als ob dieses Höhentief über dem Atlantik zur Ruhe kommen und sich auflösen würde, Wettermodelle prognostizierten jedoch eine andere Entwicklung. Danach sollte ein Teil des Höhentiefs sich abspalten und unter Verstärkung mit der Strömung nordostwärts Richtung Britische Inseln ziehen. Diese Dynamik sollte sich am 19. Oktober bis in bodennahe Schichten fortsetzen und eine neue, kräftige Zyklone über dem Ostatlantik induzieren, die zweifelsohne auch Einfluss auf das Wetter in Mitteleuropa nehmen würde. Uns so wurde das neu entstehende Tief von den Meteorologen der Berliner Wetterkarte auf den Namen IMKA getauft.

 

Am frühen Morgen des 19. Oktober war von Tief IMKA im Bodendruckfeld noch wenig zu sehen. Vielmehr existierte eine eher diffuse Tiefdruckzone, mit mehreren Kernen über dem Ostatlantik. Jener Kern, aus dem sich Tief IMKA formen sollte, befand sich etwa 500 km westlich der Iberischen Halbinsel, wo der Luftdruck bei nur wenig unter 1005 hPa lag. In den folgenden Stunden setzte eine rasante Entwicklung über dem Ostatlantik ein, an dessen Ende sich bis Mitternacht ein kräftiges Sturmtief formte. Satellitenbilder zeigen bereits mittags ein breites Wolkenband, welches sich von den Britischen Inseln, über die Bretagne und Biskaya bis nach Portugal und vor die nordwestafrikanische Küste erstreckt (Frontensystem), sowie das wolkenfreie Zentrum über dem Ostatlantik (Kern). Mit den Wolken zogen erste Niederschläge vom Atlantik her über Britannien auf, dabei registrierten die Messstationen bis zum Abend über Irland, Schottland und Wales Mengen von typischerweise um 10 mm innerhalb von 12 Stunden (z.B. Belfast 8 mm, Glasgow 16 mm). Kräftiger fielen die Niederschläge über der Iberischen Halbinsel aus, die ebenfalls in den Einfluss des Tiefs IMKA gelangte (Porto 16 mm, Lissabon 33 mm). Gleichzeitig frischte der Wind über dem Westen Europas markant auf. Vor allem über den Britischen Inseln, aber auch entlang der französischen Atlantikküste, wie auch über dem Nordwesten Spaniens und Portugals kam es ab den Mittagsstunden zu Windböen der Stärke 7 bis 8. In den Hochlagen waren auch Sturmböen der Stärke 9 bis 10 anzutreffen. In A Coruña wurden Böen bis 56 km/h gemessen, in San Sebastián bis 83 km/h und in Cadíz bis 94 km/h. An der sehr exponiert gelegenen Messstation Fisterra, direkt an der nordwestspanischen Atlantikküste wurden sogar vereinzelt orkanartige Böen bis 119 km/h registriert.

 

In der Nacht zum 20. Oktober drangen die Niederschläge weiter über die Britischen Inseln und die Iberische Halbinsel vor und erreichten auch den Nordwesten Frankreichs. Während über Südwesteuropa ergiebiger Dauerregen niederging, in Faro beispielsweise betrug die 12-stündige Regenmenge 32 mm, waren die Regenmengen weiter nördlich über dem Vereinigtem Königreich und Irland sehr unterschiedlich verteilt. Im nordirischen Belfast z.B. kamen bis zum darauffolgenden Morgen 12 mm zusammen, während es im nordenglischen Blackpool nur 3 mm waren. Ansonsten überdeckten hohe und mittelhohe Wolkenfelder rasch Frankreich und die Benelux-Staaten und drangen über die Nordsee bis Skandinavien vor. Dabei traf die herangeführte, milde Meeresluft über dem Süden der Skandinavischen Halbinsel auf arktische Luftmassen und kräftige Niederschläge setzten ein. Über Schweden und Norwegen waren die Nächte bereits frostig und so fiel zunächst Schnee, später gingen die Niederschläge in Schneeregen und Regen über. Die Wetterstation in Stavanger meldete bis zum 20. Oktober 06 UTC, was 07 Uhr MEZ entspricht, 30 mm Niederschlag, die am Flughafen Oslo 8 mm. Der Wind blieb im Einfluss des Tiefs lebhaft. Vor allem über den Britischen Inseln und Frankreich gab es weitere starke bis stürmische Böen mit bis zu 64 km/h, an exponierten Stellen auch Sturmböen, wie z.B. im irischen Cork mit 76 km/h, im französischen Clermont-Ferrand mit 87 km/h oder im baskischen San Sebastián mit 93 km/h. Unterdessen hatte sich IMKA als kräftiges Sturmtief herausgebildet. Das Zentrum lag um 00 UTC mit etwas weniger als 980hPa Kerndruck südwestlich von Irland. Ausläufer reichten vom Kern aus über die Britischen Inseln (Okklusion) und darüber hinaus als Warmfront ostwärts über die Nordsee bis nach Dänemark. Die Kaltfront dagegen spannte sich südwärts über die Bretagne und Biskaya, weiter über Portugal bis zu den Azoren. Sie wurde flankiert von einer vorgelagerten, zweiten Warmfront, die ihrerseits quer über Frankreich bis nach Spanien reichte. Neben weiterem Regen über den Britischen Inseln, in Nähe zum Tiefdruckzentrum (mit durchschnittlich 2-5 mm, in Spitzen über 20 mm im Bereich der Orkney-Inseln), sowie über Südskandinavien an der Warmfront (mit meist 5-20 mm), drang das Frontensystem weiter nordostwärts auch nach Benelux, Dänemark und in den Westen und Norden Deutschlands voran. Hierbei fiel meist nur leichter Regen, wobei Mengen von wenigen Millimetern bis hin zu einigen Liter pro Quadratmeter beobachtet wurden. Zwischen 06 und 18 UTC fielen beispielsweise in Paris 4 mm, in Hamburg und Köln 2 mm, in Eindhoven 0,5 mm und in Aarhus 0,1 mm. Mit der Zyklone gelangte ein Schwall milder Subtropikluft von Südwesteuropa über Frankreich und Benelux bis nach Deutschland. So erreichten die Temperaturen über Frankreich 15-20°C, in Belgien und den Niederlanden um 15°C und in Deutschland meist 10-15°C, am Oberrhein wurden sogar bis knapp 20°C (vgl. Freiburg-Flugplatz 19,9°C) gemessen. Die Annäherung der Front lässt sich exemplarisch an den Wettermeldungen des Flughafens Hannover nachvollziehen. Während nach einer zeitweilig wolkenarmen Nacht in den Morgen- und Vormittagsstunden hauptsächlich lockere und dünne Wolkenfelder vom Typ Altocumulus und Cirrus durchzogen, verdichtete sich die Bewölkung zum Nachmittag mehr und mehr zu sogenannten Nimbostratus- oder auch Regenwolken und ab 14:40 UTC setzte leichter Regen ein. Damit einhergehend stieg die Temperatur von 6,4°C um 06 UTC auf bis zu 13,5°C kurz nach 12 UTC, um sich mit den leichten Niederschlägen nachmittags und abends bei 12°C einzupendeln. Mit Herannahen der Front lebte auch der Südost- bis Südwind in den Mittagsstunden auf und erreichte mit 39 km/h die Grenze zu Windstärke 6. Spannend stellte sich daneben auch die Situation über der Iberischen Halbinsel dar. Hier kam es im Vergleich zum Vortag zu einer weiteren Intensivierung der Regenfälle, sowie einer markanten Windzunahme. Ursache war ein kräftiges Hoch über Südosteuropa namens OTMAR, was das Frontensystem am weiteren Vorankommen gen Osten hinderte und quasi stationär werden ließ. 12-stündige Regenmengen von verbreitet 20-50 mm wurden über Portugal und Westspanien beobachtet, in der Spitze auch über 100 mm, so wie im portugiesischen Portalegre mit 114 mm zwischen 06 und 18 UTC. Im Bereich der Front frischte der Wind vor allem zum Nachmittag stürmisch auf. In einem Streifen zwischen Baskenland bis nach Andalusien wurden verbreitet Sturmböen der Stärke 9 oder 10 gemessen, so wie im zentralspanischen Segovia mit 98 km/h. Trotz des Regens und der Regenschauer blieben die Temperaturen über der Iberischen Halbinsel maritim geprägt mild, mit oft nur wenig unter 20°C. Vor der Front wurden vielfach noch sommerliche Temperaturen von 25-30°C angetroffen, wie etwa in Sevilla (27°C) und Almeria (28°C).

In der Nacht zum 21. Oktober zerfiel Sturmtief IMKA in gleich 3 Kerne. Neben dem ursprünglichen Kern (IMKA I) über Irland, entstand ein weiterer Kern (IMKA II) südwestlich davon über dem Ostatlantik, sowie im frontalen Bereich über der Iberischen Halbinsel ein Wellentief. Letzt genanntes sollte aufgrund der Wettererscheinungen und weiteren Entwicklung von nun an als eigenständiges Tief JADRANKA weiter existieren. Nichtsdestotrotz war dies bereits das erste Anzeichen für die Abschwächung der Zyklone. Zeitgleich stieg der Luftdruck über Südwest- und Westeuropa an und lag am Tagesende bei nur noch knapp unter 990 hPa. Abgesehen davon setzten sich die Niederschläge im Umfeld der Zyklone fort. Während das neu entstehende Wellentief vor allem über Iberischen Halbinsel weiteren Regen brachte (punktuell über 30 mm, in Spitze bis 90 mm in Navacerrada) und in der zweiten Nachthälfte Nordwestfrankreich und Benelux erfasste, brachte Tief IMKA weitere Niederschläge, von den Britischen Inseln über Südskandinavien und das nördliche Mitteleuropa bis ins Baltikum. Diese waren meist von nur noch leichter Intensität mit beispielsweise 4 mm in Helsinki, 5 mm in Magdeburg, sowie 2 mm in Riga.

 

Am 21. Oktober drang milde Luft mit dem Frontensystem über Skandinavien langsam weiter nordwärts voran. Während es in Lappland bei Höchstwerten von z.B. -4°C in Rovaniemi zu leichten bis mäßigen Schneefällen kam, blieb es in Stockholm mit 11°C regnerisch und mild. Die Luftmassengrenze lag zu diesem Zeitpunkt quer über Skandinavien, was gerade im Übergangsbereich in Mittelschweden bzw. Südfinnland zu mitunter ergiebigeren Niederschlägen von stellenweise über 10 mm (z.B. in Holmon bei Umeå) führte und die Schneedecke in Lappland um einige Zentimeter wachsen ließ. Die frontalen Ausläufer mit ihren Wolken- und Niederschlagsfeldern erreichten an diesem Tag auch Osteuropa, wobei über dem Baltikum, Weißrussland sowie Westrussland hier und da leichter Regen fiel, z.B. in Smolensk 5 mm, in Klaipėda 2 mm und in Moskau 1 mm. Auch über dem Vereinigtem Königreich regnete es zeit- und gebietsweise weiter, wenngleich mit nur noch geringer Intensität (kleiner 1 mm in 12 Stunden). Es gab jedoch zwei Ausnahmen, mit Schottland, den Orkney- und Shetland-Inseln (z.B. Kirkwall 9 mm zwischen 06 und 18 UTC) auf der einen Seite, und dem Süden Englands auf der anderen (London-Heathrow 13 mm im selben Zeitraum). Über Deutschland, respektive West- und Mitteleuropa hingegen bestimmte mehr und mehr Wellentief JADRANKA das Wettergeschehen. Es verlagert sich rasch von der Bretagne über den Ärmelkanal und die Nordsee nach Dänemark und sorgte hier für weitere Niederschläge. Die Abgrenzung zwischen Tief IMKA und Tief JADRANKA, gerade die Frage welches Tief für welche Wettererscheinungen verantwortlich war, ist dabei nicht immer eindeutig. Festzuhalten bleibt, dass letztgenanntes Tief allmählich die Wetterregie in Europa übernahm. So war es Tief JADRANKA, was an diesem Tage für weitere Wind- und Sturmböen über Teilen Frankreichs, den Benelux-Staaten, bis nach Deutschland, Dänemark und den Alpenraum sorgte.

 

In den Frühstunden des 22. Oktober befand sich Tief IMKA mit seinen zwei Kernen weiterhin über Britannien, sowie dem Atlantik südwestlich davon. Der Luftdruck lag beispielsweise um 00 UTC im alten Kern bei knapp unter 995 hPa, im abgespalteten Kern bei nur noch wenig unter 1005 hPa. Beide Kerne waren durch eine Okklusionsfront, also einer Mischform zwischen Warm- und Kaltfront miteinander verbunden, die sich als schwache Warmfront noch weiter nordostwärts über Skandinavien bis ins Baltikum spannte. In den folgenden Stunden setzte sich die weitere Abschwächung des Wirbels fort. Über Großbritannien und Irland gab es neben dichten Regenwolken, die kaum mehr nennenswerte Niederschläge über 1 mm brachten, auch 5 bis 6 Stunden Sonne über Südengland. Dabei erreichten die Temperaturen in der einfließenden subpolaren Meeresluft meist 10 bis 15°C und damit gut 5 Kelvin weniger als an den vorangegangenen Tagen. Dagegen kam es über Spanien und Portugal noch einmal zu einer leichten Belebung der Niederschlagsaktivitäten. Hier näherte sich Tief IMKA II vom nahen Ostatlantik der Iberischen Halbinsel an. Die Niederschlagsmengen waren aber auch hier schwächer als an den Vortagen. Meist regnete es wenige Zehntel bis hin zu einigen Litern pro Quadratmeter innerhalb eines 12-stündigen Messintervalls, so wie beispielsweise in Santiago de Compostella mit 9 mm, in Zaragosa mit 2 mm oder in Madrid mit 0,1 mm. Auch über der Pyrenäenhalbinsel sickerte nun kühlere Meeresluft ein, sodass meist 15 bis 20°C, an der Mittelmeerküste auch etwas über 20°C, erreicht wurden. Der stürmische Wind der vorangegangenen Tage hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon fast vollständig gelegt, lediglich rund um die Biskaya wurden küstennahe noch von einzelnen starken bis stürmischen Böen berichtet, wie etwa aus Punta Galea mit 52 km/h, was Windstärke 7 entspricht.

Während sich Kern IMKA II über dem Atlantik in den folgenden Stunden vollständig auflöste, fand IMKA I mehr und mehr Anschluss an Tief JADRANKA. Bevor der Wirbel am 23. Oktober aus den Bodendruckkarten verschwand, wurde er ein letztes Mal in den Frühstunden eben jenes Tages in der Berliner Wetterkarte analysiert. Nicht mehr als eigenständiges Tief, sondern nur noch als Randtief von Zyklone JADRANKA, welche mittlerweile über Weißrussland angekommen war. Der zuletzt ermittelte Luftdruck lag bei knapp unter 1000 hPa, womit die Lebensgeschichte unseres Tiefs an dieser Stelle endet.