Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet INGOLF

(getauft am 31.10.2017)

 

Am 31. Oktober 2017 wurde ein Tiefdruckgebiet über dem Nordatlantik auf den Namen INGOLF getauft. Es bildete sich in Folge der Angliederung eines abgeschlossenen Tiefdruckgebietes in der Höhe, eines sogenannten Kaltlufttropfens an den Jetstream. Der Jetstream ist ein Starkwindband in der Höhe, das für die Entwicklung und Bewegung von Bodentiefs mit verantwortlich ist. Durch die Angliederung des Höhentiefs an die Westwinddrift in der planetarischen Frontalzone der Nordhalbkugel unserer Erde sank nicht nur in höheren Luftschichten der Luftdruck, sondern es entwickelte sich auch am Boden ein Tiefdruckgebiet, eben das Tief INGOLF. Dieses befand sich mit einem Kerndruck von unter 1010 hPa etwa 800 km südlich von Island und war Teil eines umfangreichen Tiefdruckkomplexes über dem äußersten Nordwesten Europas. Vom Zentrum des Tiefs INGOLF ging eine ungefähr 300 km lange, von Nordwest nach Südost verlaufende Okklusionsfront aus, also eine Mischfront mit Warm- und Kaltfronteigenschaften. Am südöstlichen Ende, am sogenannten Okklusionspunkt, schlossen sich eine Warmfront und eine Kaltfront wie bei einem Reißverschluss zusammen. Die Warmfront beschrieb einen Bogen, der erst in südöstlicher, dann in östlicher und schließlich in nordöstlicher Richtung verlief und etwa 300 km nordwestlich von Irland in eine Kaltfront überging, die zu einem unbenannten Tief südöstlich von Island gehörte. Die Kaltfront des Tiefdruckgebietes INGOLF zog sich in etwa südlicher Richtung bis zur portugiesischen Inselgruppe der Azoren, von wo aus sie weiter in südwestlicher Richtung führte und ungefähr 700 km von den Azoren entfernt in eine Warmfront überging, die zu einem unbenannten Tiefdruckgebiet über dem südwestlichen Nordatlantik gehörte. Auf den Azoren war ein gewisser Unterschied bei der Höchsttemperatur zwischen Ost und West zu sehen. So stieg die Temperatur an der Wetterstation auf Santa Maria im Osten der Inselgruppe mit Erwärmung vor der Kaltfront auf 24°C, während es auf Flores, im Westen der Azoren gelegen, hinter der Kaltfront 21°C als Höchsttemperatur gab. Im Warmsektor des Tiefs INGOLF, der sich zwischen dessen Warm- und Kaltfront aufspannte, stieg die Temperatur in Drumnadrochit im schottischen Hochland am Loch Ness auf 17°C. Milder war es beispielsweise im Südwesten Frankreichs meist nicht, und in der englischen Hauptstadt London gab es lediglich ungefähr 12 bis 14°C. Neben der Lage im Warmsektor begünstigte im Falle der Wetterstation Drumnadrochit auch die Topographie, also das Gelände, die Erwärmung, denn so kann sich ein warmer Fallwind bilden, der nicht nur an den Alpen, dort als Föhn bezeichnet, auftritt.

Wegen der erwähnten Komplexität der Tiefdruckgebiete und ihrer Fronten im Nordwesten Europas ist eine eindeutige Zuordnung von Niederschlagsmengen in einem größeren Zeitraum an einem Ort zu einem bestimmten Tiefdruckgebiet schwierig. Daher soll etwa statt einer 24-stündigen Menge die 6-stündige Summe des Niederschlages bis zum Morgen des 1. November genannt werden, die im schottischen Tyndrum bei 20 l/m² Regen lag. Dort trat der gegenteilige Effekt wie bei der Erwärmung auf der trockenen Lee-, also Rückseite von Bergen auf. Im Luv, also auf der wind- bzw. strömungszugewandten Seite stauten sich die Wolken und damit auch die Niederschläge, was zu der relativ hohen Summe in 6 Stunden führte. Mittlerweile hatte sich das Tiefdruckgebiet INGOLF einerseits auf einen Kerndruck von unter 995 hPa verstärkt, andererseits hatte sich der Wirbel mit seinem Zentrum nach Nordosten verlagert und befand sich nun zwischen Island und den Faröer-Inseln. Von dort zog sich eine Okklusionsfront bis zum Okklusionspunkt etwa 150 km nordwestlich der zu Schottland gehörenden Shetland-Inseln. Die vom Okklusionspunkt in südöstlicher Richtung ausgehende Warmfront ging etwa gleich weit entfernt wie der Okklusionspunkt, nur in nordöstlicher Richtung, in eine Kaltfront über. Diese gehörte zu einem unbenannten Tief vor der Ostküste der norwegischen Insel Jan Mayen. Vom Okklusionspunkt des Tiefdruckgebietes INGOLF ging außerdem eine Kaltfront aus, die Schottland überquerte und vor der Nordküste Irlands in eine Warmfront eines unbenannten Tiefs südwestlich der Britischen Inseln überging.

Wiederum lassen sich die Niederschlagsmengen nicht eindeutig und vollständig, in einigen Gebieten wohl aber zu einem großen Teil den Fronten des Tiefdruckgebietes INGOLF zuordnen. So fielen im Nordosten und Norden Deutschlands bis zum Morgen des Folgetages innerhalb von 24 Stunden gebietsweise 15 l/m² oder mehr. Im nordwestbrandenburgischen Breese kamen sogar 27 l/m² zusammen, wovon ein Großteil innerhalb der 12 Stunden bis zum Morgen des 2. November fiel. Das Tief INGOLF lag nun mit einem Kerndruck von unter 1000 hPa über der Ostsee zwischen Mittelschweden und dem Baltikum. Nach Nordwesten verlief eine Okklusionsfront, die hauptsächlich in höheren Luftschichten aktiv war und im Wesentlichen dem zwischen dem norwegischen Festland und den ebenfalls zu Norwegen gehörenden Inseln bzw. Inselgruppen Jan Mayen und Spitzbergen liegenden unbenannten Tiefdruckgebiet zuzuordnen war, bis zu dessen Zentrum die Okklusionsfront führte. Außerdem waren zwei Warmfronten, ausgehend vom Kern der Zyklone INGOLF, zu erkennen. Die weiter nordöstlich gelegene Warmfront verlief über das zentrale und südliche Baltikum sowie Weißrussland bis über die zentrale Ukraine, während die weiter südwestlich gelegene Warmfront über das südliche Baltikum bis über das südöstliche Polen reichte. Außerdem ging vom Zentrum des Tiefdruckgebietes INGOLF eine Kaltfront aus, die über Südskandinavien und die Nordsee bis zu den Britischen Inseln analysiert wurde, wo sie in eine Warmfront eines unbenannten Tiefs nordwestlich der Iberischen Halbinsel überging. Vormittags kamen im südwestpolnischen Zielona Góra 15 l/m² in 6 Stunden zusammen, im etwas weiter östlich gelegenen Leszno waren es 12 l/m². Bis zum Abend summierte sich der Niederschlag 12-stündig im russischen Kaliningrad auf 16 l/m² und im litauischen Klaipeda auf 13 l/m². Im Südosten von Weißrussland machte sich die mildere Luft dank des zwischen den Warm- und Kaltfronten aufgespannten Warmsektors bei der Höchsttemperatur bemerkbar. Diese lag beispielsweise in Gomel und Schlobin bei jeweils 10°C gegenüber jeweils 3°C am Vortag.

Im Südwesten Russlands war am Morgen des 3. November gut der Einfluss des Tiefdruckgebietes INGOLF mit seinen Fronten, also Niederschlagsgebieten und Luftmassengrenzen, zu erkennen. So meldete die in der Oblast Smolensk gelegene Stadt Gagarin leichten Schneefall bei einer Temperatur von -2°C um 05 Uhr Ortszeit, während die in der gleichen Oblast gelegene Stadt Wjasma bei ebenfalls -2°C einen leichten Schneeschauer registrierte und aus dem in der Oblast Kaluga gelegenen Suchinitschi bei -1°C auch ein leichter Schneeschauer gemeldet wurde. Dagegen gab es in Spas-Demensk, ebenfalls in der Oblast Kaluga gelegen, bei 0°C leichten gefrierenden Regen, der auch als Glatteisregen bekannt ist. In Roslawl in der Oblast Smolensk sowie in Schukowka in der Oblast Brjansk regnete es bei jeweils 2°C leicht. Das die beschriebenen Orte im Südwesten Russlands umfassende Gebiet ist ungefähr vergleichbar mit der Größe Brandenburgs. Die hier genannten Beziehungen zwischen Temperatur und Niederschlagsart müssen nicht immer so idealtypisch auftreten, denn es sind auch Schneefall bei Plusgraden oder nicht gefrierender Regen bei einer Temperatur unter dem Gefrierpunkt möglich. Unter anderem kann sich in Luftschichten wenig über der Erdoberfläche sehr kalte Luft befinden, aus der Schnee fällt, der auch in wärmerer Luft bis zum Boden nicht in Regen übergehen kann. Im anderen Fall ist es möglich, dass die Temperatur am Boden unter 0°C liegt und aus wärmeren Luftschichten fallender Regen beim Auftreffen auf die kalte Oberfläche gefriert und zu Glätte führen kann. Das erwähnte Roslawl lag mit 7 l/m² in 12 Stunden an zweiter Stelle der niederschlagsreichsten Orte im Südwesten Russlands hinter dem in der Oblast Kursk liegenden Obojan, wo 8 l/m² fielen. Mittlerweile befand sich das Tiefdruckgebiet INGOLF mit einem Kerndruck von unter 1005 hPa über dem nördlichen Weißrussland etwa 150 km nordöstlich der Hauptstadt Minsk. Von dort führte eine Höhenokklusionsfront nach Westen bis Nordwesten und ging etwa im lettisch-estnischen Grenzgebiet nahe des Rigaischen Meerbusens in eine zu einem unbenannten Tiefdruckgebiet nördlich des Nordkaps gehörende Höhenokklusionsfront über. Vom Zentrum des Tiefs INGOLF bis ins zuvor im Hinblick auf die unterschiedlichen Niederschläge zum Morgen des 3. November beschriebene Gebiet im Südwesten Russlands, wo sich ein Okklusionspunkt befand, wurde eine Bodenokklusionsfront analysiert. Von dort setzte sich eine Warmfront in südöstlicher Richtung bis nach Südrussland ins Vorland des westlichen Kaukasus fort. Eine weiter westlich gelegene Kaltfront führte bogenförmig über die Ukraine, Moldawien, Rumänien und Ungarn bis zu den Ostalpen im österreichisch-slowenischen Grenzgebiet. Vom Osten der Ukraine bis in den Südwesten von Russland lag die 12-stündige Niederschlagsmenge bis zum Abend meist im Bereich um 5 l/m². Als Höchsttemperatur wurden zum Beispiel im südrussischen Konstantinowsk 13°C erreicht, während im knapp 700 km weiter nördlich gelegenen Kirsanow in der Oblast Tambow eine maximale Temperatur von 1°C gemessen wurde. Etwa 200 km ostnordöstlich fiel, nachdem es einen Höchstwert von 3°C gegeben hatte, im Verlauf Schnee, teils als Schauer.

Bis zum Morgen des 4. November summierte sich der Niederschlag in 12 Stunden sozusagen in einem der östlichsten Winkel Europas, in Jerschow in der Oblast Saratow nahe der Grenze zu Kasachstan, auf 11 l/m². Einige Hundert Kilometer nach Norden von der russisch-kasachischen Grenze entfernt gab es mitunter einige Zentimeter Neuschnee durch die mit dem Tiefdruckgebiet INGOLF herangeführten, feuchten und zunehmend kalten Luftmassen, nachdem es dort um den Monatswechsel herum mit dem vorangegangenen Tief HERWART recht mild bei knapp zweistelliger Höchsttemperatur war. Am 4. November war das Tiefdruckgebiet INGOLF zum letzten Mal als eigenes Druckgebilde auf der Berliner Wetterkarte zu erkennen. Sein Zentrum lag mit einem Kerndruck von unter 1010 hPa etwa im Bereich der russischen Städte Saransk in der Republik Mordwinien und Pensa in der gleichnamigen Oblast. Ein breiter Warmsektor spannte sich zwischen einer vom nahegelegenen Okklusionspunkt am südöstlichen Ende einer nahe dem Zentrum des Wirbels INGOLF verlaufenden Okklusionsfront ausgehenden bis über das westliche Kasachstan verlaufenden Warmfront und einer über Südrussland bis über das Grenzgebiet zwischen der nordwestlichen Ukraine und Weißrussland auf. Dies bedeutete einerseits Tauwetter in einigen Regionen, in denen zuvor Schnee gefallen war, beziehungsweise in Regen übergehenden Niederschlag. Andererseits verlagerte sich das Schneefallgebiet des Tiefdruckgebietes INGOLF in Richtung der russischen Republik Baschkortostan am Südwestrand des Uralgebirges. Im westlichen Kasachstan gab es dagegen dank der milden Luftmassen des Warmsektors eine teils bis zu 10 Grad höhere Höchsttemperatur als am Vortag. Nachfolgend setzte sich in den zuvor beschriebenen Regionen des Hochdruckgebiet WIETE durch.


Geschrieben am 21.12.2017 von Heiko Wiese

Berliner Wetterkarte: 02.11.2017

Pate: Ingolf Berger