Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet INGRID

(getauft am 13.08.2020)

 

Zu Beginn der zweiten Augustdekade 2020 bildete sich im Höhenströmungsfeld über dem Nordatlantik, ausgehend von einem Höhentief über Westgrönland eine Austrogung, die in der mittleren Troposphäre, in ca. 5,5 km Höhe, mit einem markanten Kaltlufttropfen, also ein mit Kaltluft angefüllter isolierter, zyklonaler Wirbel, korrespondierte. An dessen Ostflanke entwickelte sich über dem Atlantik südlich von Island und westlich der britischen Inseln im Laufe des 11. und 12.08. ein Bodentief, welches entsprechend der Strömungsrichtung des steuernden Kaltlufttrogs in Richtung der Biskaya zog. Ausgehend von dieser Zugrichtung, die eine bevorstehende Beeinflussung des mitteleuropäischen Wetters ankündigte, wurde die Zyklone in der Analyse durch die Meteorologen der Berliner Wetterkarte am 13.08. auf den Namen INGRID getauft. An diesem Tag lag der Kern des Tiefdruckgebiets um 02 Uhr MESZ über dem offenen Atlantik vor der Biskaya, ca. 250 km südwestlich von Irland. Der Kerndruck betrug zu diesem Zeitpunkt etwas unter 1015 hPa. Satellitenaufnahmen vom frühen Morgen zeigten INGRID als einen Wirbel ohne viel Konvektionsgeschehen, vom Kern der Zyklone erstreckte sich eine okkludierte Front bogenförmig bis über den zentralen Nordatlantik, wo sie mit der Warmfront eines nachfolgenden Tiefdruckgebiets verschmolz. Als okkludiert wird eine Front bezeichnet, die sich aus dem Zusammenfluss der schneller ziehenden Kaltfront mit der vorgelagerten Warmfront bildet. Im Fall von Tief INGRID geschah dies bereits früh im Prozess der Zyklogenese über dem Nordatlantik.

 

Die erste Interaktion von Tief INGRID mit dem europäischen Festland fand im Laufe des 14.08. statt. Gegenüber dem Vortag hatte sich das Zentrum der Zyklone bis 02 Uhr MESZ südwärts in Richtung der Iberischen Halbinsel verlagert, mit einem unveränderten Kerndruck. Die sich in Zentrumsnähe südwärts, dann westwärts über den Atlantik ziehende Okklusionsfront erreichte in den frühen Mittagsstunden die spanische Region Galizien, die sie am Nachmittag überquerte. Dabei blieb die Front nur wenig wetteraktiv. In den Morgenstunden meldeten die Wetterstationen an der galizischen Westküste im Vorfeld der Front verbreitet Nebelschwaden, die später in feuchten Dunst übergingen. Die durch den Frontdurchgang verursachten Niederschläge waren zumeist zu schwach, um von den Messgeräten registriert zu werden.  Einzig Fisterra im äußersten Westen Galiziens meldete 12-stündig bis 20 Uhr MESZ eine Regenmenge von 0,2 mm.

 

In der Nacht zum 15.08. verschmolz Tief INGRID mit den Überresten eines namenlosen Randtiefs, welches über der Normandie gelegen hatte. An diesem Tag lag der Kern des Tiefdruckgebiets INGRID um 02 Uhr MESZ weiterhin über der westlichen Biskaya, mit einem Zentrumsdruck von knapp unter 1015 hPa. Die vom Kern aus südlich verlaufende Okklusionsfront hatte sich weiter ostwärts bis an die Westseite der Pyrenäen verschoben. Für signifikante Niederschlagsmengen sorgten im Einflussbereich von INGRID auf der Iberischen Halbinsel vor allem die sich hinter der Front bildenden Regenschauer. Diese blieben räumlich auf Galizien beschränkt, wo in den Morgenstunden die Station Vimianzo-Castrelo 12-stündig bis 08 Uhr MESZ 18,4 mm Niederschlag meldete. Weitere Schauer sorgten wenige Kilometer weiter südlich am Nachmittag für den Messzeitraum bis 20 Uhr MESZ für Niederschlagswerte von 26,8 mm in Casas do Porto und 28,4 mm an der Station Mazaricos. Im westlichen Pyrenäenvorland fielen im Bereich der Okklusionsfront 12-stündig bis 08 Uhr MESZ meist zwischen 5 und 7 mm. Ausreißer war die Station in Noáin in der Metropolregion Pamplona, an der sich durch ein nächtliches Gewitter im selben Zeitraum 35 mm Niederschlag akkumulierten. Die Überreste des absorbierten Randtiefs bildeten eine weitestgehend okkludierte Front, welche sich vom Kern der Zyklone INGRID über die Britischen Inseln in einem Bogen über Frankreich zog. Über dem europäischen Festland war diese Front nur wenig wetteraktiv, die registrierten Niederschläge blieben unter dem messbaren Mengenbereich. Auf den Britischen Inseln wurden hingegen im Frontbereich signifikante Niederschlagsmengen registriert. Die Station auf Shirkin Island vor der Südküste Irlands meldete bis 08 Uhr MESZ eine 12-stündige Menge von 22 mm und Valentia Island, eine von Europas westlichsten bewohnten Inseln, konnte 24 mm aufweisen.

Durch die Auflösung des zuvor über Mitteleuropa liegenden Tiefs HEIKE begann sich die Zyklone INGRID zum 16.08. in östliche Richtung zu verlagern. Zum Haupttermin um 02 Uhr MESZ hatte sich der Kern des Tiefs bis über die Küste der Bretagne bewegt. Der Druck im Kern sank gegenüber dem Vortag auf knapp über 1010 hPa ab. Eine Okklusionsfront reichte von dort aus über Westfrankreich bis zu den Pyrenäen. Der Durchgang dieser Front sorgte bis 08 Uhr MESZ in der gesamten Westhälfte Frankreichs für 12-stündige Niederschläge um 10 mm. Etwas stärker fielen diese in der Bretagne aus, wo die meisten Messstationen Werte um die 20 mm meldeten, mit einem 12-stündigen Spitzenwert von 22 mm am Flughafen Lannion-Servel. Gesteuert durch den zunehmend abgeschnittenen, aber immer noch dominanten Warmluftkeil über Südskandinavien in der mittleren Troposphäre, wurde der mit dem Tief INGRID assoziierte Kaltlufttropfen nordostwärts gelenkt. Die im Bodenniveau befindliche Zyklone INGRID hatte sich dementsprechend bis zum Abend mit ihrem Kern über die Normandie verschoben. Die nun vom Tiefdruckkern und dem Ärmelkanal bis über Belgien reichende Okklusionsfront sorgte im Norden Frankreichs, im Süden Englands und in Belgien für teils länger anhaltenden Regen, wobei vor allem die sich im Frontbereich über dem östlichen Belgien bildenden Gewitter hohe Niederschlagsmengen brachten. Die durch eines dieser Gewitter getroffene Station Stabroek bei Antwerpen meldete bis 20 Uhr MESZ 12-stündig 32 mm Niederschlag.

Mit dem Einzug von Tief INGRID gelangten kühlere Luftmassen nach Mitteleuropa, wodurch sich die Hitze, welche die vorherigen Tage bestimmt hatte, am 17.08. merklich abschwächte. Bis 02 Uhr MESZ hatte sich der Kern der Zyklone weiter bis ans östliche Ende des Ärmelkanals verschoben, bei einer anhaltenden Verstärkung auf knapp unter 1010 hPa. Vom Zentrum aus zog sich eine nur in Kernnähe okkludierte Kaltfront über die Niederlande und Westdeutschland bis an den nordwestlichen Alpenrand. Hinter der Kaltfront lösten maritime Polarluftmassen, die bis dahin vorherrschende Subtropikluft ab, was eine rapide Abkühlung zur Folge hatte. Wurden am Vortag etwa in Stuttgart noch 31°C gemessen, blieb die Höchsttemperatur am 17.08. mit 24,2°C unter der für eine Bezeichnung als Sommertag nötigen Marke von 25°C und auch die anderen von der Front überquerten Stationen erreichten die 30°C nicht mehr. Entlang der Luftmassengrenze bildeten sich bereits in der Nacht teils heftige Gewitter über Baden-Württemberg und dem Rhein-Main-Gebiet. Verbreitet fielen im Westen Baden-Württembergs bis 08 Uhr MESZ 12-stündig über 10 mm Niederschlag, vereinzelt auch über 30 mm. So sorgten besonders kräftige Zellen in Ohlsbach für Niederschlagsmengen von 47 mm und in Biberach an der Riß von 53 mm. Auch in Hessen gingen hohe Regenmengen nieder, das südhessische Kahl am Main verzeichnete bis 08 Uhr MESZ 36 mm an Niederschlag, im Nordwesten des Bundeslandes waren es in Driedorf 41 mm. Bis zum Abend griffen die Schauer und Gewitter auch auf Niedersachsen, Thüringen und Sachsen über. Die höchsten Niederschlagswerte verzeichneten hierbei die thüringische Station in Neuhaus am Rennweg, mit 53 mm im Messzeitraum bis 20 Uhr MESZ und die Stationen westlich von Hannover wie Rehburg-Loccum, wo im gleichen Zeitraum 56 mm fielen. Im Vorfeld der Front konnte sich die Hitze in Nordostdeutschland den gesamten Tag über halten, die Station Berlin-Dahlem verzeichnete eine Höchsttemperatur von 31,7°C.

 

Am 18.08. geriet aber auch der Nordosten Deutschlands in den Einflussbereich von Tief INGRID, womit die Hitze auch dort vorerst beendet war. Die Zyklone INGRID, deren Struktur durch den wachsenden Einfluss eines starken Höhentiefs, welches von Grönland heranzog, und durch den Einfluss des über Spanien entstandenen Bodenhochs FREDERIK zunehmend gestört wurde, erstreckte sich um 02 Uhr MESZ als schmale Tiefdruckzone von den Britischen Inseln, über Dänemark bis über Polen. Die entlang der Zone verlaufende Okklusionsfront lag in den frühen Morgenstunden auf einer Linie Schwerin-Magdeburg-Dresden und überquerte im weiteren Tagesverlauf die nordöstliche Ecke Deutschlands. Die auf der Rückseite der Front einfließenden polaren Luftmassen sorgten für geringere Temperaturen wie tags zuvor. Die Station Berlin-Dahlem erreichte einen Höchstwert von 26,1°C. Die Niederschlagsmengen blieben dabei zumeist unter den Höchstwerten des Vortages, bis 20 Uhr MESZ fielen im Nordosten Deutschlands häufig unter 10 mm, vereinzelt wurden höhere Mengen gemessen, wie in Teterow in Mecklenburg-Vorpommern wo 28 mm fielen, oder in Ostritz an der Grenze zu Polen, das 38 mm meldete.

 

Unter zunehmender Abschwächung des darüber geschichteten Höhentiefs wurde die Zyklone INGRID zum 19.08. von nachfolgenden Tiefdruckgebieten in Richtung Osteuropa abgedrängt. Zum ersten Haupttermin des Tages um 02 Uhr MESZ lag der Kern des Tiefs INGRID mit einem Druck von knapp unter 1010 hPa über dem Grenzgebiet zwischen Polen, Belarus und der Ukraine. Die zunehmend okkludierte Front auf der nördlichen Seite des Tiefdruckkerns überquerte in der Nacht endgültig Nordostdeutschland und löste sich über Polen auf. Auf der Rückseite der Front sorgten die labil geschichteten maritimen Polarmassen für die Bildung von Regenschauern, die vereinzelt starke Niederschlagsereignisse verursachten. So wurden auf der Wasserkuppe im südwestlichen Hessen bis zum 08 Uhr MESZ-Termin 41 mm Niederschlag gemessen. Im südlichen Teil, der über Rumänien bis ans Balkangebirge reichte, hielt sich die Front länger und brachte im Tagesverlauf Regenschauer und Gewitter in weite Teile Rumäniens. Besonders im Südwesten des Landes wurden hohe Niederschlagssummen gemeldet, wie etwa in der Station Cuntu, die 24-stündig bis 20 Uhr MESZ 71 mm Niederschlag meldete.

 

Die Abflachung des Tiefdruckgebiets INGRID setzte sich in der Nacht zum 20.08. fort. In der mittleren Troposphäre zeigte sich das dazugehörige Höhentief nur noch als eine schwache Austrogung. Am Boden hatte sich die Zyklone INGRID bis 02 Uhr MESZ mit ihrem Kern über den nördlichen Schwarzmeerraum verlagert, bei konstantem Druck um 1010 hPa. Eine westlich des Kerns verlaufende, okkludierte Front sorgte in Rumänien verbreitet für 12-stündige Niederschlagsmengen von bis zu 20 mm. In der zweiten Tageshälfte sorgten einzelne Schauer für höhere Mengen, so wie im westrumänischen Buzău, wo bis 20 Uhr MESZ 34 mm fielen. In den Abendstunden verlagerte sich Tief INGRID über das Schwarze Meer, wo sich die Zyklone in der Nacht schließlich auflöste. In der Bodenwetterkarte vom 21.08. konnte das Tief INGRID dann nicht mehr analysiert werden.