Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet
IREK
(getauft am
21.01.2021)
Ein neues Tief bildete sich in der
Nacht vom 21. auf den 22. Januar auf der Rückseite eines umfangreichen
Tiefdruckkomplexes über Nordwesteuropa und dem Nordmeer. Genauer gesagt
entstand es einige hundert Kilometer von der Iberischen Halbinsel entfernt im Bereich
einer Luftmassengrenze, die sich um Mitternacht quer über Frankreich, die
Biskaya bis zum Ostatlantik erstreckte. Hier "prallte" die Kaltluft,
die mit dem System aus subpolaren und polaren Breiten angezapft wurde auf
wärmere Luftmassen aus dem mediterranen Raum. Am frühen Morgen des 22.01. um 01
Uhr MEZ wurde es als sogenanntes Wellentief erstmals in der Berliner
Wetterkarte analysiert, einige hundert Kilometer nordwestlich von Kap Finisterre, also dem äußersten Nordwesten Spaniens. Hier
lag der Luftdruck knapp unter 995 hPa. Ein Wellentief entsteht an kleinräumigen
Störungen entlang von Fronten und bildet den ersten Entwicklungsschritt im
Leben einer Zyklone. Da es in seiner weiteren Entwicklung einmal Einfluss auf
das Wetter in Mitteleuropa haben sollte, so wie es die Wettervorhersagen
andeuteten, wurde es auf den Namen IREK getauft.
Bereits am Vortag war es zu leichten
Niederschlägen über der Iberischen Halbinsel gekommen (z.B. Valladolid 2 l/m²,
Lissabon 3 l/m²), die sich nachts durch die Bildung des Wellentiefs noch einmal
intensivierten. Dabei zog kräftiger Regen und Regenschauer vom Atlantik über
Spanien und Portugal hinweg. Verbreitet wurden Mengen von 5-10 l/m² (z.B.
Madrid 6 l/m²), regional auch 20-30 l/m² (Portalegre
20 l/m²) zwischen 19 Uhr und 07 Uhr MEZdes Folgetages
beobachtet. Den Hotspot bildete Galizien mit punktuell mehr als 50 l/m²
Niederschlag (Santiago Labacolla 54 l/m²), vereinzelt
gesellten sich auch Gewitter und/ oder Hagelschauer zu den Niederschlägen, so
wie in Santiago Labacolla um 02 Uhr MEZ, oder in
Valladolid um 04 Uhr MEZ beobachtet. Tagsüber zog Tief IREK rasch über
Südfrankreich weiter in Richtung Italien und den Westalpen. Während in den
Vormittagsstunden vor allem über dem Osten Spaniens und den Pyrenäen, sowie
über den Balearen und Süden Frankreichs weiterer Regen und Regenschauer
niedergingen, mit ähnlicher Intensität, vereinzelt von Blitz und Donner
begleitet (z.B. Elgoibar 24 l/m²), griffen die
Niederschläge in den Nachmittagsstunden rasch bis zu den Seealpen und auf den
gesamten Norden Italiens über (u.a. Mailand 17 l/m²). Ungewöhnlich kräftige Niederschläge
trafen dabei die ligurische Küste und die Toskana. In Genua fielen etwa
zwischen 07 und 19 Uhr MEZ 71 l/m² Regen. Ursache für die ungewöhnlich
kräftigen Regenfälle war zum einen die Verstärkung des Tiefs von einer Welle zu
einer vollwertigen Zyklone. Zum anderen war das Bodentief mit einem markanten
Kurzwellentrog in der Höhe gekoppelt. Als Kurzwellentrog bezeichnet man eine
kleinräumige, meist intensive Anomalie im Druck- und Temperaturfeld der
mittleren Atmosphäre, welche für Turbulenz und Labilisierung der Luft sorgt.
Ferner gelangte mit dem Tief ein Schwall höhenkalter Luft (Temperaturen in 5,5
km über den Balearen bei rund -28°C) gen Südeuropa, wo es auf das
verhältnismäßig warme Wasser des westlichen Mittelmeer traf
(Meeresoberflächentemperaturen zwischen Balearen und Korsika bei +13°C bis
+15°C). Dieser starke Temperaturgradient zwischen Boden und mittlerer
Troposphäre führte zur Ausprägung hochreichender Konvektion und kräftigen
Schauer- und Gewittersystemen. An der Südflanke von Tief IREK und begünstigt
durch die kräftigen Schauer kam es zu starken bis stürmischen Böen und
einzelnen Sturmböen (Perpignon 109 km/h, Santander 94
km/h). An exponierten Stellen wie auf den Bergen oder in Meeresnähe gab es
sogar einzelne, orkanartige Böen und Orkanböen. Zum Beispiel wurden in Palma de
Mallorca, an der Wetterstation San Juan um 13 Uhr MEZ Orkanböen mit bis zu 130
km/h registriert!
In der Nacht zum 23. Januar kam es zu
weiteren Schauern und vereinzelten Gewittern, begleitet von stürmischen Böen
oder Sturmböen vor allem im Bereich des Tiefdruckzentrums über Norditalien und
verstärkt auch über dem Alpenraum. Die Niederschlagsintensität war unverändert
hoch bei verbreitet 15-30 l/m² in 12 Stunden. In Spitze wurden auch deutlich
mehr gemessen, etwa in Trento mit 34 l/m², in Pisa
mit 43 l/m² oder in Felters, einer italienischen
Gemeinde am Rande der Dolomiten, zwischen Bozen und Venedig gelegen mit 68
l/m². Nicht ganz so kräftige Niederschläge gab es über den Alpen und hier vor
allem in der Schweiz, wo etwa in Luzern 5 l/m² und in St. Gallen 9 l/m² fielen.
Mit Einsickern der höhenkalten Luft und getriggert durch die anhaltend
kräftigen Schauer sank die Schneefallgrenze über dem Norden und der Mitte der
italienischen Halbinsel auf teils 600-800 m, was für zeitweilige Schneefälle
vor allem an der Alpensüdflanke und dem Alpenvorland sorgte. Die Wetterstation
in Turin-Bric Della Croce, auf 711 m Höhe gelegen
meldete um 01 Uhr MEZ mäßigen Schneefall bei -1°C. Ansonsten lagen die
Nachttemperaturen im Dauerregen über Norditalien meist um 5°C (Bergamo 4°C), am
Mittelmeer und in Adrianähe auch an oder knapp über 10°C (Venedig 8°C, Triest
11°C). Ausläufer des Tiefs IREK erfassten nun auch Deutschland, wo es vor allem
zwischen Sachsen, Thüringen, Bayern und Baden-Württemberg zu Niederschlägen
kam. Im Laufe der Nacht fiel vermehrt Schnee, da die Luftmasse, die mit dem
Tief nördlich der Alpen einsickerte, etwas kühler war. Die nächtlichen
Tiefstwerte lagen meist um oder knapp über 0°C, z.B. in Nürnberg bei +0°C, in
Karlsruhe bei +2°C. Bis zum darauffolgenden Morgen bildete sich etwa im Raum
Stuttgart eine 1-3 cm dünne Schneedecke, im Raum Ansbach gab es sogar 5-10 cm
Neuschnee. Woanders erhöhte sich die vorhandene Schneedecke etwas, wie im
bayrischen Kaufbeuren von 19 cm auf 21 cm. Unterdessen hatte sich Tief IREK zu
einem vollständigem Tief mitsamt Frontensystem herausgebildet. Um 00 UTC des
23. Januars wurde es in der Berliner Wetterkarte mit einem Luftdruck von knapp
unter 995 hPa über dem Alpenraum, respektive Norditalien analysiert. Genau
genommen existierten sogar zwei Kerne, der eine über dem Tyrrhenischen Meer
bzw. Ligurien (Genua 990,3 hPa), der andere über Oberbayern und Oberösterreich
(Salzburg-Flughafen 988,6 hPa), womit auch das Übergreifen der Niederschläge
auf Deutschland zu erklären ist. Die Ausläufer reichten vom Hauptkern über
Italien in nordöstliche Richtungen als Warmfront über Österreich, Bayern und
Tschechien bis nach Polen. Die Kaltfront hingegen verlief in einem weiten Bogen
über die Adria, Süditalien und Sizilien hinweg bis nach Nordafrika.
In der weiteren Entwicklung trennten
sich beide Kern. Während der nördliche Kern mit der Höhenströmung rasch
Richtung Polen und dem Baltikum zog, verlagerte sich der andere Kern unter
Abschwächung von Italien zum Karpatenbecken. Vor allem entlang der Zugbahnen
der Tiefs sollte es an diesem Tag kräftigere Niederschläge geben. Etwa fielen
in einem Streifen zwischen Sudeten, Sachsen, Lausitz, Westpolen bis nach
Litauen und Lettland 5-10 l/m², teils auch etwas mehr (z.B. Dresden-Strehlen 14
l/m²). Bei leichten Plusgraden von 1-3 Grad fiel über Deutschland und dem
Nordwesten Polens Schneeregen und Schnee, über Zentral- und Ostpolen bei
Temperaturen von bis zu 10°C Regen. Ähnliche Mengen aber in flüssiger Form
kamen auf der südlichen Zugbahn, zwischen Norditalien, Slowenien bis nach
Ungarn und die Slowakei zustande (z.B. Ljubljana 12 l/m²). Der
Niederschlagsschwerpunkt befand sich jedoch im Gebiet zwischen Tirol, Südtirol,
dem italienischen Ventien-Frial-Jülich
und dem Osten Österreichs. Hier sorgten kräftige Regenschauer in Kombination
mit einzelnen Gewittern für verbreitet 15-35 l/m² Niederschlag in nur 12
Stunden. In Trient fielen etwa 10 l/m², in Udine 23 l/m² und in Lienz 25 l/m².
Im Vergleich zum restlichen Italien blieben die Temperaturen mit um 10°C auch
etwas verhaltener. Aber auch die (entwickelte) Kaltfront zeigte sich recht
wetteraktiv, als sie über Italien und die Adria hinweg Richtung Balkanhalbinsel
schwenkte. Nachdem in der Nacht zuvor schon einzelne Schauer über der Adria
aufgezogen waren (vgl. Rijeka 5 l/m²), kam es nun verbreiteter zu
Niederschlägen, die sich weiter landeinwärts ausbreiteten und örtlich wieder
mit Blitz und Donner einhergingen (z.B. Sarajevo 6 l/m²). Im albanischen Vlora
wurden zwölfstündlich 57 l/m², im montenegrinischen Nikšić
sogar 71 l/m² gemessen. Auch der Wind blieb weiterhin ein Thema. Das Windfeld des Drucksystems breitete sich mit dem nördlichen
Kern nun über Österreich, Tschechien, Slowakei bis in den Süden Polens aus.
Hier kam es zu starken bis stürmischen Böen (z.B. Wien - Hohe Warte bis 80
km/h, Brünn 69 km/h), auf exponierten Berggipfeln mitunter auch orkanartige
Böen (Schneekoppe 119 km/h). Nachts griffen die Warmfrontniederschläge bereits
über das Baltikum nordwärts bis nach Südfinnland und dem Nordwesten Russlands
aus. Größtenteils fiel Regen meist im Bereich von unter 5 l/m² in 12 Stunden (Tallinn
4 l/m²). Die Niederschläge waren trotz Winter und trotz geographischer Lage
häufig flüssiger Natur, da mit einem vorangegangenen Tief milde Luftmassen nach
Osteuropa gelangt waren und mit Tief IREK nochmals ein Schwall mäßig-warmer
Kontinentalluft aus Südosteuropa advehiert wurde.
Auch entlang der Kaltfront, die nachts über die Balkanhalbinsel südostwärts bis
nach Griechenland und zur Ägäis vordrang, kam es örtlich noch zu
Niederschlägen. Insgesamt fielen diese aber seltener und weniger intensiv aus;
Athen meldete z.B. noch 8 l/m²; da sich das Frontensystem vom Kern abschnürte.
Gleichzeitig ließ der Wind im Einfluss des Tiefs spürbar nach, lediglich im
Bereich der Danziger Bucht, und damit in Nähe zum Tiefdruckzentrum kam es noch
zu einzelnen starken bis stürmischen Böen.
Am 24.01. um 07 Uhr MEZ morgens
befand sich Tief IREK mit seinem Kern bereits über der mittleren Ostsee, wo ein
Luftdruck von etwas unter 995 hPa festgestellt wurde. Der andere, mittlerweile
schwächere Kern wurde zeitgleich über der Slowakei verortet. Beide Kerne waren
durch ein Frontensystem miteinander verbunden, welches als Warmfront
nordostwärts über das Baltikum bis zum Petersburger Raum, bzw. als Kaltfront
südostwärts über die Balkanhalbinsel bis nach Griechenland reichte. Weil der
nördlichere Kern am Tage quasistationär über dem Baltikum verblieb, der
südlichere Kern aber mit der Höhenströmung langsam nordwärts zog, vereinigten
sich beide Zentren bis zum Abend wieder zu einem Tief. Hierdurch konzentrierten
sich die Niederschläge mehr und mehr auf den Kernbereich über dem östlichem
Mitteleuropa, dem nördlichen Osteuropa, sowie dem Baltikum. Insgesamt ging die
Niederschlagsneigung zurück. Die 12-stündigen Mengen lagen nur noch im Bereich
von 1-2 l/m² bis maximal 5 l/m². Aber ein interessanter Effekt konnte
beobachtet werden: Zum einen zapfte das Tief auf seiner Rückseite nun kühlere
Subpolarluft an und lenkte sie (Bewegung der Luftmassen ums Tief entgegen dem
Uhrzeigersinn) von Skandinavien über die Ostsee nach Polen. Mit Drehung der
Windrichtung auf Nord führte dies nicht nur zu einzelnen Schnee- und
Schneeregenfällen über Polen, sondern gebietsweise zu einem wahren
Temperatursturz. Nun lagen die Höchstwerte über Zentralpolen nur noch im leicht
positiven Bereich, nachdem tags zuvor noch teils zweistellige Temperaturen
gemessen wurden (Maximum Kalisch +1°C, nach +11°C am Vortag). Als Kontrast dazu
hielt sich weiterhin sehr milde Luft auf der Tiefvorderseite über der Ukraine,
Weißrussland und Westrussland. Neben gelegentlich leichtem Regen und Sprühregen
"kletterte" das Quecksilber beispielsweise in Kiew auf +9°C, im
südostpolnischen Rzeszów auf +10°C. Unterdessen war über Norditalien bereits
ein neues Tiefdruckgebiet (LARS) in Entstehung begriffen. Es sollte für die
folgenden Tage und Stunden wetterprägnant für Südost- und Osteuropa werden,
folglich das wechselhafte, aber mäßig-warme Winterwetter mit neuen
Regenschauern und einzelnen Gewitter sich hier fortsetzen.
Am 25. Januar verlagerte sich Tief
IREK nur noch sehr gemächlich weiter Richtung Finnland. Zu Tagesbeginn, um 01
Uhr MEZ, wurde sein Kern über Lettland und der mittleren Ostsee analysiert.
Hier betrug der Luftdruck etwa 991,8 hPa in Ventspils. Um Mitternacht desselben
Tages befand es sich nur wenige hundert Kilometer nördlicher über den
Åland-Inseln. Gleichzeitig vereinigten sich Warm- und Kaltfront zu einer
sogenannten Oklussionsfront. Genauer holte die
Kaltfront, welche am Morgen noch südwärts bis zur Ukraine reichte, die
Warmfront, welche sich nordostwärts bis Nordwestrussland spannte ein. Dies
hatte zur Folge, dass sich die Temperaturunterschiede im Bereich der Zyklone
mehr und mehr anglichen. So lagen die Höchstwerte etwa in Riga bei +2°C, in
Minsk bei +3°C und in Warschau bei ebenfalls +2°C. Dabei stellte sich hier
nasskaltes und trübes Wetter ein. Bei einer tief hängenden, meist geschlossenen
Wolkendecke kam es zu geringem Regen und Sprühregen. Im russischen Weliki Nowgorod fielen zwischen 07 und 19 Uhr MEZ 0,2 l/m²,
in Tallinn 0,3 l/m² und in Petrosawodsk am Onegasee
ebenfalls nur 0,2 l/m². Über Finnland, Karelien und den weiter nördlich
gelegenen Gebieten waren insgesamt kühlere Luftmassen anzutreffen. Dort
schneite es verbreitet leicht, wobei ein Temperaturgefälle zwischen dem Süden
(Helsinki +2°C), der Mitte (Kajaani -0°C) und dem
Norden Finnlands (Oulu -3°C) beobachtet wurde. Die Schneefälle griffen sogar
noch bis nach Mittelschweden aus. Da die Quellwolken sich mit feuchter
Ostseeseeluft anreichern konnten, fielen die Niederschläge dementsprechend
kräftiger aus, in Stockholm gingen 5 l/m², in Vaasa 7 l/m² bis zum Abend
nieder.
Auch am 26. Januar sollte es über
Finnland, Karelien und der Kola-Halbinsel noch zu zeitweiligen, meist schwachen
Schneefällen durch Tief IREK kommen. Allerdings war das Schicksal der Zyklone
bereits besiegelt. Das nachfolgende Tief LARS, jetzt ebenfalls über Osteuropa
auf Nordkurs, zog unter weiterer Verstärkung Richtung
Baltikum und nahm Tief IREK bis zum Tagesende in seine Zirkulation mit auf.