Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet ISEGRIM

(getauft am 21.03.2015)

 

Zu Beginn der dritten Märzdekade befand sich über dem Nordamerikanischen Kontinent, etwa zwischen den kanadischen Rocky Mountains und dem Labradorbecken ein umfangreicher Langwellentrog, wobei im 500 hPa-Niveau zwei Schwerpunkte auszumachen waren. Einer über der Hudsonbai, der andere Schwerpunkt knapp nördlich von Neufundland über der Labradorsee. Mit Letzterem korrespondierte ein Bodentief, dessen Kaltfront über dem Westatlantik verlief und gleichzeitig die Abgrenzung des Troges am Boden markierte. Um den Trog herum wurden in einer starken Höhenströmung mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 215 km/h in 500 hPa über dem Westatlantik einzelne flache Randtröge geführt. Ein solcher, sehr flacher Kurzwellentrog verlagerte sich am 20. März von der Ostamerikanischen Küste nordostwärts und induzierte im Bodendruckfeld eine schwache Zyklogenese.

So konnte in den Frühstunden des 21. März im Bereich der erwähnten Kaltfront ein kleinräumiges, flaches Wellentief über dem mittleren Atlantik etwa 1200 km südöstlich von Neufundland analysiert werden, wobei der Luftdruck mit knapp unter 1020 hPa nur wenig unter dem der Umgebung lag. Der Kurzwellentrog verlagerte sich unter Amplitudenverstärkung mit dem Wellentief, das sich nicht verstärkte, in den folgenden Stunden der mittlerweile nach Island und Nordmeer gerichteten Höhenströmung folgend.

Für die weitere Entwicklung prognostizierten die Wettermodelle, dass sich das Tief verstärken und in Richtung Skandinavien ziehen sollte. Die Ausläufer des Tiefs sollten in den kommenden Tagen das Wetter in West- und Mitteleuropa mit beeinflussen. Somit wurde in der Prognose für den 22. März 12 UTC das zwischen Island und den Britischen Inseln vorhergesagte und bis dato noch namenlose Tief auf den Namen ISEGRIM getauft.

In den Frühstunden des 22. März stellten sich die frontalen Strukturen über dem Atlantik, so dar, dass die nahezu vollständig okkludierten Ausläufer eines Nordmeertief mit Zentrum bei Jan Mayen sich in weitem Bogen südwestwärts bis vor die Schottische Küste erstreckten, um dort in die kurze Warmfront des Wellentiefs ISEGRIM überzugehen. Dieses befand sich zu diesem Zeitpunkt etwa 1200 km südlich von Island sowie westlich von Irland über dem Nordostatlantik mit einem Kerndruck von knapp unter 1015 hPa. Die sich südwärts anschließende Kaltfront reichte wiederum bis ins Seegebiet knapp nördlich der Azoren, woran sich die langgezogene Warmfront eines nachfolgenden Tiefs südlich von Neuschottland anschloss. Während sich das flache Tief im Tagesverlauf weiter ostwärts in Richtung Nordmeer verlagerte, streiften die mit der Welle verbundene Niederschlagsfelder den Norden der Britischen Inseln. In einem 12-stündigen Zeitintervall fielen im Bereich der Warmfront bis zum Abend bis zu 10 l/m², wie in Lerwick und Wick, und bis zum darauf folgenden Morgen durch die Kaltfront vereinzelt nochmals an die 5 l/m², wie in Loch Glascanoch, größtenteils blieben die Regenmengen aber im Bereich von 1 l/m².

Am frühen Morgen des 23. März wurde das Tief ISEGRIM mit Zentrum über dem südlichen Nordmeer knapp 400 km vor der Schottischen Küste analysiert. Gleichzeitig hatte sich die Welle zu einem jungen Tief mit einem Kerndruck von knapp unter 990 hPa weiterentwickelt und Anschluss an einen größeren Tiefdruckkomplex über dem Nordmeer gefunden. Die Kaltfront ragte vom Zentrum aus südwestwärts über die Britischen Inseln bis ins Seegebiet der Azoren, die Warmfront hingegen ostwärts bis nach Mittelskandinavien. Schon in der Nacht war es entlang der norwegischen Küste zu kräftigen Niederschlägen gekommen, vor allem über Südnorwegen. Die durch Staueffekte verstärkten Regenfälle brachten hier in 12 Stunden bis um 06 Uhr UTC 20 bis 25 l/m², in Bergen-Florida sogar 46 l/m² und zwischen 06 bis 18 Uhr UTC weitere 5 bis 12 l/m². In Fossmark fielen bis zu 16 l/m². Gleichzeitig verlagerte sich das nunmehr langsam okkludierende Tief in Richtung Mittelskandinavien und mit ihm auch der Niederschlagsschwerpunkt. So wurden in den Mittags- und Nachmittagsstunden die stärksten Niederschläge im Raum Trondheim beobachtet, wobei hier bis zum Abend an die 21 l/m² fielen, so wie in Gartland, 160 km nordöstlich von Trondheim. Ein weiterer Niederschlagsschwerpunkt entwickelte sich südlich des Kerns im Bereich der weiter ostwärts Richtung Russland vordringenden Warmfront. Hier führte kräftige Warmluftadvektion, wobei maritime Subpolarluft auf kontinentale Arktikluft traf, zu leichten bis mäßigen Niederschlägen in Form von Schnee, Schneeregen und Regen. Dies betraf vor allem das Gebiet zwischen Südfinnland, Nordbaltikum und Nordwestrussland, wo bis zum Abend im Schnitt 3 bis 5 l/m², vereinzelt auch bis zu 10 l/m² in 12 Stunden fielen. Stellenweise führte dies zu ergiebigem Schneehöhenzuwachs, so wie in Tichwin knapp 180 km östlich von St. Petersburg, wo am Morgen des 24. März 13 cm Neuschnee gemessen wurden.

In der weiteren Entwicklung veränderte sich die Druckverteilung über Nord- und Nordosteuropa. So verschmolzen die einzelnen Kerne des Tiefdruckkomplexes nach und nach zu einer abgeschlossenen Zyklone, die sich gleichzeitig ostwärts über Fennoskandien nach Nordwestrussland verlagerte. Ursache hierfür war eine markante Austrogung in der mittleren Troposhäre über Westeuropa und einer damit verbundene Advektion arktischer Luftmassen in Richtung Nordmeer und Skandinavien. Die Bodendepression lag dabei entwicklungsgünstig gut ausgeprägt im 500 hPa-Niveau auf der Trogvorderseite eines Sekundärtroges über der Barentssee, dessen Achse sich um 00 Uhr UTC auf einer Linie Lofoten – Nordkap – Nowaja Semlja befand.

Diese Konstellation führte auch am 24. März noch zu leichten bis mäßigen Schneefällen über Nordwestrussland, wobei sich der Schwerpunkt allmählich gen Osten, also in Richtung Ural, verlagerte. Die Intensitäten lagen jedoch bei höchstens 1 bis 2 l/m² in 6 Stunden, sodass sich die hier vorhandene 30 bis 50 cm mächtige Schneedecke nur noch um wenige Zentimeter erhöhte. Beispielsweise nahm in Vesljana, 290 km nördlich von Perm gelegen, die Schneedecke von 44 cm auf 48 cm bis zum darauf folgenden Tag zu. Gleichzeitig machte sich weiter westlich die postfrontal einfließende, mildere Subpolarluft bemerkbar. Denn während die Temperaturen noch am 22. März im Baltikum, Weiß- und Westrussland kaum oder nur wenig über den Gefrierpunkt anstiegen, lagen sie am 24. März um knapp 10 Grad höher, in Minsk beispielsweise bei +12°C, oder in Moskau bei +9°C. Dagegen erfasste die am 23. März noch beschriebene, aber ohnehin nur wenig wetterwirksame Kaltfront West- und Mitteleuropa nicht mehr so deutlich wie zuvor, sondern wurde durch Wellenbildung über Frankreich, welche die Zyklogenese von Tief JÖRG darstellte, zurückgehalten und auf diese Art und Weise von Tief ISEGRIM abgekoppelt.

Dieses befand sich am frühen Morgen des 25. März mit Zentrum bereits über der Komirepublik, also knapp westlich des Nordurals. Dabei hatte sich das Tief im Kern etwas auf knapp unter 995 hPa aufgefüllt, so wurde in der Gebietshauptstadt Syktywkar beispielsweise um 00 Uhr UTC ein Druck von 992 hPa gemessen. Die Warmfront verlief vom Kern südlich bis etwa zur mittleren Wolga, die Kaltfront westlich bis zum Petersburger Raum. Während die Warmfront verbunden mit leichten Schneefällen, das heißt 1 bis 4 cm Neuschnee in 24 Stunden, im Tagesverlauf den Ural erreichte, gelangte rückseitig des Tiefdruckzentrums ein neuer Schwall Arktikluft über Nordwestrussland und Finnland südwärts. Der Kaltluftvorstoß lässt sich dabei gut anhand des Temperaturverlaufs einiger Messstationen in Nordwestrussland rekonstruieren. Als Beispiel sei hier Belozorsk am Südufer des Weißen Sees genannt. Während in der Nacht um 00 Uhr UTC noch -2°C gemessen wurden, was später auch die Tageshöchsttemperatur darstellte, sank die Temperatur bis zum Abend um 18 Uhr UTC auf -7°C, 21 Uhr UTC auf -11°C und am Tagesende um 24 Uhr UTC schließlich auf -14°C. Da die herangeführte Arktikluft allerdings recht trocken war, die relative Feuchte lag um 12 Uhr UTC in Wologda bei 35%, waren weder mit der Kaltfront noch der Kaltluftadvektion nennenswerte Niederschläge mehr verbunden.

Schließlich konnte Tief ISEGRIM am 26. März um 00 Uhr UTC letztmalig im Ausschnitt der Berliner Wetterkarte analysiert werden. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Wirbel bereits östlich des Urals über dem Westsibirischen Tiefland, mit Zentrum etwa 500 km nordöstlich von Jekaterinburg und mit einem Kerndruck von knapp unter 1000 hPa. Im weiteren Tagesverlauf entfernte sich die Zyklone weiter ostwärts Richtung Sibirien und verlor damit auch endgültig auf das Wetter im äußersten Osten des europäischen Kontinents an Einfluss.

 


Geschrieben am 18.05.2015 von Gregor Pittke

Berliner Wetterkarte: 23.03.2015

Pate: Frank Abel