Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet JÜRGEN 

(getauft am 29.05.2015)

 

Am 29.05. lag an der Westküste Grönlands ein Tiefdruckwirbel, welcher sowohl in der höheren Troposphäre, d.h. in 5500 m, als auch am Boden ausgeprägt war. Dieser Tiefdruckwirbel führte die über der Baffin-Bucht liegenden maritimen Luftmassen arktischen Ursprungs über die Labradorsee zunächst bis über den Nordatlantik. Gleichzeitig wurden östlich des Wirbels wärmere Luftmassen in Richtung Island geführt. Dieser Warmlufttransport war jedoch um einiges schwächer als der Vorstoß der Arktikluft. Infolge dessen holte die schnellere und kräftigere Kaltfront die Warmfront des Tiefs ein, wodurch eine Mischfront entstand, die als Okklusion bezeichnet wird. Am Okklusionspunkt, also die Stelle, wo die Warmfront von der Kaltfront eingeholt wird, kommt es häufig zur Zyklogenese, d.h. zur Ausbildung neuer Tiefdruckgebiete. Bereits am 29.05. war ersichtlich, dass an dem Okklusionspunkt eine neue Tiefdruckentwicklung einsetzen wird. Dieses neue Tief wurde daraufhin in der Prognose für den Folgetag auf den Namen JÜRGEN getauft.

Das Tief JÜRGEN wurde am 30.05. um 00 Uhr UTC, was 02 MESZ entspricht, auf der Bodenwetterkarte erstmalig analysiert. Das Tief JÜRGEN befand sich dabei mit einem Kerndruck von ungefähr 1000 hPa südlich von Island etwa auf 55° nördliche Breite. Die Kaltfront des Tiefs führte vom Tiefzentrum ausgehend über den Atlantik bis zum Seegebiet südlich der Labrador-Halbinsel. Die Warmfront erstreckte sich bereits bis vor die Küste Frankreich, wo sie in die Kaltfront des Tiefdruckwirbels IMMO überging. Im Warmsektor, der sich in dem Gebiet zwischen der Warmfront und der Kaltfront befindet, wurde im Gegenzug maritime Subtropikluft mitgeführt.

Im weiteren Verlauf des Tages verlagerte sich das Tief JÜRGEN ostwärts und vertiefte sich weiter, sodass der Kerndruck bis zum Folgetag bereits auf 995 hPa gesunken war. Der Tiefdruckkern verlagerte sich bis über das Seegebiet nordwestlich der Britischen Inseln. Die Warmfront hatte die Britischen Inseln erfasst und befand sich zu diesem Zeitpunkt vom Okklusionspunkt des Tiefs JÜRGEN ausgehend über Liverpool bis zur Bretagne im Nordwesten Frankreich. Die Kaltfront hatte dagegen bereits Irland erreicht. Mit der maritimen Subtropikluft ging ein hoher Feuchtegehalt einher, der bei der Hebung der wärmeren Luftmassen durch die Arktikluft entsprechend hohe Niederschlagsummen hervorbrachte. In der Nacht fielen somit vor allem in den westlichen Teilen der Britischen Inseln verbreitet über 10 mm innerhalb von 12 Stunden bis 06 Uhr UTC. In Nordirland kamen in Lough Fea nördlich von Cookstown sogar 22 mm Regen zusammen, während im irischen Finner noch 19 mm gemessen wurden. Tagsüber wurden die östlichen Landesteile Englands von beiden Fronten des Tiefs JÜRGEN überquert. Außerdem kam es abermals am Okklusionspunkt zur einer neuen Tiefentwicklung, bei welcher das Tief JÜRGEN II entstand.

In der 00 Uhr UTC-Analyse des 01.06. war der neue Tiefdruckkern JÜRGEN II deutlich zu erkennen und befand sich westlich der norwegischen Küste im Bereich der nördlichen Nordsee. Vom Tiefdruckgebiet JÜRGEN II ging eine kurze Okklusion aus, die sich über den Norden Dänemarks in eine Warm- und eine Kaltfront aufspaltete. Die Kaltfront erstreckte sich vom Skagerrak weiter über den Nordwesten Deutschlands, Frankreich und den Golf von Biskaya bis zu den Azoren. Die Warmfront verlief hingegen über Rügen bis nach Brandenburg. Auch über dem Süden Skandinaviens kam es beim Durchzug des Frontensystems zu zweistelligen Niederschlagsmengen. Zum Beispiel fielen im schwedischen Ullared 22 mm in 12 Stunden bis 06 Uhr UTC dieses Tages. Der Tiefdruckwirbel JÜRGEN I verblieb nordwestlich der Britischen Inseln. Er verlagerte sich im Gegensatz zu Tief JÜRGEN II sogar leicht retrograd, d.h. dass sich das Tief JÜRGEN I nicht wie es in der Westwindzone der gemäßigten Breiten üblich ist von West nach Ost, sondern von Ost nach West bewegte. Der Kerndruck lag noch bei ca. 985 hPa. Die beiden Kerne des Systems JÜRGEN waren dabei durch Okklusionsfronten miteinander verbunden. Im Laufe des Tages kam die Kaltfront des Tiefs JÜRGEN II zwar weiter in Richtung Osten über Mitteleuropa voran, dafür aber kaum in Richtung Süden. Über dem europäischen Festland entwickelten sich nun höhere Temperaturunterschiede an der Kaltfront. So wurden hinter dieser nur noch 16 bis 17°C erreicht, dagegen wurde im Südosten Deutschlands, das erst am Abend von der Kaltfront erfasst wurde, nochmals bis zu 25°C registriert. Die Niederschläge fielen aber dafür deutlich geringer aus. Grund dafür war, dass die dynamischen Hebungsantriebe, die für das verstärken einer Front bzw. für das großräumige Anheben der Luftmassen - was zur Kondensation des Wasserdampfes und letztendlich zur Niederschlagbildung führt - verantwortlich waren, sich deutlich abgeschwächt hatten.

Am Abend und in der Nacht zum 02.06. kamen nennenswerte Niederschlagssummen zusammen. An der Alpennordseite, wo die Luft nicht nur warm sondern auch instabil war, entwickelten sich einige Gewitter, die zusammen mit Staueffekten, die nur schwachen dynamischen Hebungsantriebe kompensierten. Mit Instabilität ist im Zusammenhang mit Gewittern ein hohe vertikale Temperaturabnahme sowie das Vorhandensein von genügend Feuchtigkeit gemeint, die das Entstehen von Gewitter möglich machen. In Ranshof in Österreich und im Berchtesgadener Land fielen innerhalb von 12 Stunden verbreitet über 30 mm, in Ramsau-Schwarzeck waren es zum Beispiel 36,9 mm.

Am 02.06. lag die Zyklone JÜRGEN I um 00 Uhr UTC nördlich des 56° Breitengrades auf gleicher Länge mit Island und war somit weiter retrograd nach Südwesten gezogen. Zudem begann sich das Tief JÜRGEN I allmählich aufzulösen. Der Tiefdruckwirbel JÜRGEN II befand sich dagegen mit seinem Kern über den Lofoten. Vom Kern des Tiefs JÜRGEN II verlief eine kurze Okklusion nach Nordosten und teilte sich dort in eine bis zur Barentssee reichende Warmfront und eine Kaltfront auf. Diese erstreckte sich über Karelien, das Baltikum und dem Nordrand der Alpen bis über die Iberische Halbinsel. Bis 06 Uhr UTC konnten dabei 24‑stündige Niederschlagswerte von 5,6 mm im estnischen Johvi, 9,8 mm im polnischen Jelenia Góra und 15,6 mm in Altenstadt bei Frankfurt a. M. verzeichnet werden.

Bis zum 03.06. löste sich das Tief JÜRGEN I komplett auf. Das Tief JÜRGEN II zog als Tief JÜRGEN weiter nach Nordosten und wurde um 00 Uhr UTC über der Barentssee analysiert. Die Fronten gingen in Form einer Okklusion von Island beginnend über Norwegen zum Tief JÜRGEN und von dort aus über die Insel Nowaja Semlja, den Nordwesten Russlands bis nach Osteuropa. Der Wirbel JÜRGEN besaß zu diesem Zeitpunkt nur noch einen Kerndruck von ca. 995 hPa.

Im weiteren Verlauf wurde das Tief JÜRGEN in die Zirkulation des Wirbels KAMIL aufgenommen und konnte somit am Folgetag nicht weiter auf der Berliner Wetterkarte namentlich verzeichnet werden.


Geschrieben am 21.08.2015 von Morten Kretschmer

Berliner Wetterkarte: 01.06.2015

Pate: Susanne Jung