Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet JANTRA

(getauft am 18.08.2020)

 

Am 18. August 2020 tauchte auf der Bodenwetterkarte der Berliner Wetterkarte (BWK) ein Tiefdruckgebiet auf. Dieses bildete sich auf dem Atlantik vor der Biskaya und wurde in der Analyse noch am selben Tag von den Meteorologen der BWK auf den Namen JANTRA getauft. Ursache für die Entstehung von Tief JANTRA war ein ausgeprägter Jetstream (Starkwindband in ca. 9-12km Höhe), welcher sich zwischen hohem Geopotential über Südeuropa und tiefen Geopotential über Nordeuropa entwickeln konnte.  Das Geopotential wird in der Meteorologie verwendet, um die Höhe einer konstanten Druckfläche darzustellen. Dabei liegt diese Fläche in einem Hochdruckgebiet (warme Luft/geringere Dichte) höher als in einem Tiefdruckgebiet (kalte Luft/höhere Dichte). Die Höhe wird dann in gpdm (geopotentiellen Dekametern) angegeben und in einer Höhenwetterkarte abgetragen, wobei die Isohypsen auf der Karte, jeweils die Linien gleicher geopotentieller Höhe darstellen. Entsprechend ließ sich am 18. August auf der 500hPa Karte von 00 UTC, also 02 Uhr MESZ, ein weitläufiger Höhentrog (Kaltluft mit tiefen Geopotential) über dem Nordatlantik erkennen. Der Jetstream umströmte diesen zyklonal (gegen den Uhrzeigersinn), wobei es an der Rückseite eines Trogs häufig zum Absinken (durch Höhenkonvergenz) und an der Vorderseite zum Aufsteigen (durch Höhendivergenz) der Luft kommt. Das Zusammenströmen (Konvergenz) und Auseinanderströmen (Divergenz) des Windes ist ein wichtiges Konzept bei der Entstehung von Druckgebieten am Boden. So entstand das Bodentief JANTRA begünstigt durch die beschriebene Gesetzmäßigkeit an der Südseite des Troges. Auch sind auf der Bodenwetterkarte von 00 UTC erste Fronten erkennbar, welche der 2. Phase in der Entwicklung einer Idealzyklone (Zyklone = Tiefdruckgebiet) entsprechen.

 

Am darauffolgenden Tag zog der Tiefdruckwirbel in Richtung Ärmelkanal, wobei sich sein Kern mit einem Luftdruck von ungefähr 995 hPa vor der südirischen Küste befand. Seine Kaltfront hatte bis Mittag die Warmfront eingeholt. Auf der 12 UTC Bodenwetterkarte ist eine deutliche Okklusionsfront erkennbar, welche zum entsprechenden Zeitpunkt vom Südwesten der Britischen Inseln bis nach Westfrankreich reichte. Eine Okklusion ist eine Mischfront, wobei sich die Kaltluft eines Tiefs unter den Warmluftsektor schiebt und diesen „ausräumt“, das heißt die warme Luft zum Aufsteigen zwingt, wodurch häufig Niederschläge in Form von Schauern und Gewittern fallen. Wie stark diese ausfallen hängt von der vorhandenen Luftmasse ab. Folglich meldeten Stationen in Bezugszeitraum von 06 bis 18 UTC auch Niederschläge. So wurden am Flughafen Bournemouth (ehemals Flughafen Hurn in Südengland) 29,0 mm und in Nantes (Westfrankreich) 13,0 mm gemeldet.

Bis zum 20. August konnte sich der Bodenwirbel JANTRA mit nördlicher Zugrichtung unter Verstärkung des Höhentiefs westlich von Großbritannien intensivieren und sich zu einem prächtigen Sturmtief entwickeln. Vor der irischen Westküste ist dessen Kerndruck von ehemals 995 hPa auf etwa 970 hPa um circa 25 hPa gefallen. So traten laut Medienberichten verbreitet Sturmböen und lokale Überschwemmungen auf, wobei vor allem der Süden und Westen des Landes betroffen waren. Die Station Roches Point bei Cork (Küstenstadt im Süden Irlands) meldete um 00 UTC in der Nacht zum 20. August 12 Bft (>118 km/h), also volle Orkanstärke. Zwei Stunden zuvor wurde genau dort ein neuer irischer Rekord für die höchste 10-minütige Windgeschwindigkeit mit 60 kn bzw. 111 km/h aufgestellt. In Athenry wurde um Mitternacht mit 966,4 hPa gleichzeitig ein neuer Landesrekord für den niedrigsten jemals im August gemessen Luftdruck aufgestellt. Lokal fielen 20-30 mm Regen in kurzer Zeit, sodass vereinzelt Keller vollliefen. Schon zuvor hatte die Feuerwehr in Cork Warnungen herausgegeben und die Menschen aufgefordert, sich für den Notfall mit Taschenlampen und Mobiltelefonen auszurüsten. Zeitweise waren über 200.000 Haushalte ohne Strom. In Teilen Englands reichte es ebenfalls für nennenswerte Niederschläge. So kamen am Flughafen Liverpool 16,8 mm und am Flughafen Bournemouth 29,8 mm zusammen. Auch in Sachen Wind reichte es dort lokal für Böen bis 100 km/h (bzw. 10 Bft).

 

Abb. 1: Das ausgeprägte Tief liegt direkt vor der Küste Irlands. Die Farbe markiert die Stärke der Windgeschwindigkeit, was wiederum mit den Isobaren (Linien gleichen Luftdrucks) korreliert. Je dichter diese beieinander liegen, desto stärker weht der Wind. Quelle: https://www.wetteronline.de/wetterticker

Auf der anderen Seite sorgte Sturmtief JANTRA zur selben Zeit vorderseitig für kräftige Warmluftadvektion, sodass mit südwestlicher Strömung subtropische, teils tropische Luftmassen von der Iberischen Halbinsel nach Frankreich und allmählich auch nach Deutschland gelangen konnten. So wurden in Spanien Temperaturen um 40°C und in Ostfrankreich Werte im oberen 30-iger Bereich registriert. In Deutschland erreichte der Warmluftvorstoß am 21. August seinen Höhepunkt. In der Nacht wurde im Westen verbreitet eine Tropennacht verzeichnet (Temperatur 20°C). In Köln (Stammheim) beispielsweise fiel die Temperatur nicht unter 24,5°C, sodass man hier von der wärmsten Nacht des Jahres (seit 05.08.1994 - alter Wert NRW: 23,4°C) sprechen konnte. Vor allem der Osten und Süden meldete folglich verbreitet wieder einen Hitzetag (Temperatur 30°C). An der Station Berlin-Dahlem wurden Spitzenwerte von 35°C und am Flughafen Tegel sogar 37°C registriert.

Abb. 2: Auf der Vorderseite des Tiefdruckwirbels werden warme bis heiße Luftmassen aus dem Süden nach Mitteleuropa geführt. Auf der 850 hPa Karte des Geopotentials und der Temperatur, welche Meteorologen häufig nutzten um einen Überblick zur Lage von Fronten zu erhalten oder die Höchsttemperaturen am Boden (im Sommer) vorherzusagen, ist die herangeführte Luftmasse gut zu erkennen. Quelle: http://www1.wetter3.de/Archiv/GFS/2020082100_25.gif

 

Jedoch war das Wetter in Mitteleuropa nicht nur von ungetrübtem Sonnenschein geprägt. So bildeten sich an der schleifenden Kaltfront des Tiefs JANTRA zwei Kurzwellenstörungen (zyklonal gekrümmte Ausbuchtungen der Isobaren), welche vorderseitig genug Hebung generierten, um den Niederlanden in der Nacht zum 21. August teils kräftige Gewitter zu bescheren. In gut gescherter Atmosphäre (Gewitter brauchen Windscherung, um sich zu organisieren. Wenn der Wind mit der Höhe zunimmt, werden Auf- und Abwindbereich getrennt, weshalb Gewitter langlebig und teils unwetterartig ausfallen können. Stimmen alle Zutaten, können sich auch Superzellen bilden, sozusagen die Königin unter den Gewittern) bildeten sich lokal Gewitter, welche später ebenfalls auf Norddeutschland übergriffen. So konnte ein Sturmjäger in den Niederlanden folgende Aufnahme machen.    

Abb. 3: Zu sehen ist eine LP-Superzelle (low precipitation), welche sich eindrucksvoll vom Beobachter fortbewegt. Man erkennt gut den rotierenden Aufwindturm der Wolke. Trotz des faszinierenden Anblickes so eines Gewitters können Begleiterscheinungen wie Sturmböen und Hagel teils heftig ausfallen. Foto von Donny Kardienaal.

 

Daraufhin zog die wellende Kaltfront von Tief JANTRA weiter über Deutschland hinweg, wobei sich in ähnlich dynamischem Umfeld besonders in der Nordosthälfte einige Schauer und Gewitter bildeten. Dabei meldeten um 18 UTC Vitte auf Hiddensee 13,1 mm und Kap Arkona auf Rügen 11,0 mm Niederschlag in einer Stunde, nachdem ein Gewitter über beide Ostseeinseln gezogen war.

 

Am 22. August, ging es ähnlich turbulent weiter, als ein Regengebiet der Front mit eingelagerten konvektiven Niederschlägen auf den Osten und Süden Deutschlands übergriff und verbreitet 12-stündige Regensummen von über 10 mm brachte. So meldete Grüb (Weihenzell) in Mittelfranken 21,6 mm, Hermsdorf im Osterzgebirge 21,8 mm und Ludwigschorgast 22,3 mm. In Österreich (Staulage der Alpen) wurden in Köflach in der Steiermark 52 mm, in Puchberg am Schneeberg 53 mm (davon 49 mm einstündig) und in Radstadt im Land Salzburg sogar 58 mm (41 mm einstündig) im gleichen Zeitraum registriert. Präfrontal sorgte die selbige Kaltfront, welche im Zuge auf Osteuropa übergriff, für teils schwere Gewitter von Österreich über Tschechien und Polen hinweg bis nach Litauen.

Rückseitig sorgte die eingeflossene Kaltluft am 22. August deutschlandweit noch für wechselhaftes Schauerwetter, bevor ein Hochdruckkeil des Hochs GUNDMAR in der Südhälfte zwischenzeitig für Wetterberuhigung sorgte. Diese währte aber nicht von langer Dauer, da bereits auf dem Atlantik ein weiteres Tief lauerte, welches am 23. August den Namen KIRSTEN erhalten sollte und als erstes Sturmtief des Jahres durch Deutschland wirbeln wird. Mittlerweile hat sich das Zentrum des Tiefs JANTRA unter Abschwächung von der Irischen See zur Norwegischen See verlagert. Sein Kerndruck betrug am 22. August um 00 UTC rund 990 hPa, wobei er sich 24 Stunden später mit geringfügiger Verlagerung nach Norden noch einmal um 5 hPa auf 985 hPa verstärkte. Die nahe dem Zentrum liegende Okklusion wurde nun auch im Westen von Norwegen wetterwirksam. So meldeten Kvamskogen-Jonshogdi 75,1 mm, Fossmark 55,3 mm und Takle mit 49,9 mm ergiebige 24-stündige Niederschläge. In Bergen waren es 26,7 mm.

 

Am darauffolgenden Tag, den 24. August, spaltete sich der Kern des Wirbels in zwei Hauptzentren, wobei JANTRA I an gleichem Ort auf dem Nordmeer verweilte, während JANTRA II sich am Nordkap in Norwegen aufhielt. Beide besaßen ausgeprägte Fronten, welche sich bei ersterem Kern von Finnland über Südschweden bis nach England und bei zweiterem über Russland, die Ukraine bis in den Balkan erstreckten. Darüber hinaus zog ein flaches Tief, das in der Nacht zum Montag noch über der Deutschen Bucht lag, mit dem Randtrog gen Finnland, dessen Ausläufer Norddeutschland erneut Schauerwetter bescherten. Das sich daraus kurzzeitig etablierende Teiltief JANTRA III verband sich folglich mit JANTRA II, welches sich weiter auf die Barentssee südöstlich von Spitzbergen verlagerte. Um 12 UTC betrug der Kerndruck beider Teilwirbel noch ca. 990 hPa.

Anschließend verlagerten sich beide Zentren bis zum 25. August nur noch geringfügig. So war JANTRA I an der Westküste Norwegens (Höhe Trondheim) an Land gegangen und JANTRA II östlich von Spitzbergen anzutreffen. Das Eindringen von maritimer Polarluft (mP) ließ die Teilwirbel der einst so imposanten Zyklone langsam sterben, sodass ihr Name letztmalig am 28. August um 00 UTC auf der Bodenwetterkarte der BWK auftauchte. Wesentlich spannender entwickelte sich parallel dazu das Atlantiktief KIRSTEN, was mittlerweile die Britischen Inseln erreicht hatte. So blieb der Fokus am 26. August ganz auf die potentielle Shapiro-Keyser-Zyklone (besondere Form eines Tiefs, welches durch die Bildung eines „Sting Jets“ ein besonders starkes Windfeld am Boden entwickeln kann) gerichtet. So traten bei Eintreffen des Sturmfeldes in einem Streifen von NRW bis nach Sachsen vermehrt Sturmböen auf. An der Nordseeküste erreichte der 10-minütige Mittelwind verbreitet Windstärke 7-8 (Bft) und der Brocken meldete eine Spitzenböe von 144 km/h. Für einen Sommermonat ein durchaus seltenes und erwähnenswertes Ereignis.