Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet JÖRN

(getauft am 09.06.2019)

 

Am 09.06.2019 wurde von den Meteorologen der Berliner Wetterkarte ein Tiefdruckgebiet in der Prognose für den Folgetag auf den Namen JÖRN getauft, welches in den kommenden Tagen das Wettergeschehen in Europa mit beeinflussen sollte. Dieses bildete sich in den Vormittagsstunden des 10.06. in warmer Subtropikluft über dem Süden Deutschlands und zog von dort bis zum Abend in Richtung Österreich weiter. Dabei bildete sich eine Konvergenz im Bereich des Tiefdruckzentrums aus, an der sich zum späten Nachmittag schwere Gewitter bildeten. Eine Konvergenz beschreibt das horizontale Zusammenfließen von Luft in Bodennähe, welches zu einem Aufsteigen der Luft und zur Wolken- und Niederschlagsbildung führt. Über dem nördlichen Allgäu bildete sich sogar eine Superzelle, welche in Richtung Nordosten weiterzog und gegen 18 Uhr den Westen von München erreichte. Dort fielen neben enormen Niederschlagsmengen auch bis golfballgroße Hagelkörner vom Himmel. Am Münchner Flughafen sowie später in Mühldorf am Inn wurden mit Durchzug der Unwetter auch Orkanböen bis 119 km/h gemessen. Im weiteren Verlauf des Abends entwickelten sich auch über dem Vogtland starke Gewitter, die sich weiter über Sachsen verlagerten. Zum späten Abend hatten sich diese Gewitter zu einem mesoskaligen konvektiven System (MCS) verstärkt und zogen über Sachsen hinweg in den Süden Brandenburgs. Auch hier wurden sehr hohe Niederschlagssummen von 20 bis 30 mm in einer Stunde sowie Sturmböen gemessen, wie in Manschnow mit 79,3 km/h oder Görlitz mit 86,5 km/h.

Bis 01 Uhr Mitteleuropäischer Zeit (MEZ) hatte sich das Tief JÖRN mit seinem Zentrum, in dem ein Luftdruck von etwa 1009 hPa herrschte, ins südliche Tschechien verlagert. Nördlich und südlich des Zentrums reichte die Konvergenz von der Ostsee über den Osten Deutschlands hinweg bis in den Alpenraum. In der zweiten Nachthälfte zogen die Gewitter und kräftigen Niederschläge über Brandenburg hinweg nach Polen. Bis 07 Uhr MEZ hatte es dort verbreitet 20 bis 30 mm Niederschlag gegeben, wie in Baruth, wo innerhalb von 24 Stunden bis 07 Uhr MEZ 23,5 mm gemessen wurden. In Oberschleißheim nördlich von München hatten die Gewitter des Vorabends sogar für insgesamt 37,8 mm Niederschlag gesorgt. Im weiteren Verlauf des 11.06. verlagerte sich das Tief JÖRN nur wenig, die Konvergenz befand sich nach wie vor über Ostdeutschland, Tschechien und dem Osten Bayerns. In der subtropischen Luftmasse wurden am Nachmittag im Osten erneut Höchstwerte von über 30°C gemessen, am heißesten war es mit 33,2°C in Coschen. Zum Abend bildeten sich dann im Bereich der Konvergenz wieder zahlreiche starke Gewitter und Unwetter, welche nur sehr langsam zogen und daher regional in Sachsen, Brandenburg und Berlin für enorme Niederschlagsmengen sorgten. Hier fielen in kurzer Zeit höhere Summen, als sonst in einem gesamten Monat erreicht werden.

Zu Tagesanbruch des 12.06. lag der Kern des Gewittertiefs JÖRN mit einem Luftdruck von knapp über 1007 hPa über dem südlichen Sachsen. Die Fronten, die sich mittlerweile gebildet hatten, eine Warmfront nördlich des Kerns sowie eine Kaltfront südlich davon, trennten die weiterhin über dem Osten befindliche Subtropikluft von der über Westdeutschland eingeflossenen maritimen Polarluft, was auch in der Nacht zu weiterer Gewitteraktivität im Osten und Nordosten Deutschlands führte. Besonders über Mecklenburg-Vorpommern regnete es über mehrere Stunden stark. Dort wurden bis 07 Uhr MEZ innerhalb von 24 Stunden sehr hohe Niederschlagsmengen registriert, wie in Waren an der Müritz mit 35,6 mm. Deutlich höhere Mengen wurden jedoch aus Brandenburg gemeldet. In Potsdam waren 79,7 mm Niederschlag gefallen, in Jüterbog sogar 95,0 mm. Zum Vergleich: im Mittel fallen hier im Juni zwischen 50 bis 60 mm im gesamten Monat. Aufgrund der sehr geringen Zuggeschwindigkeit des Tiefs JÖRN verblieben auch die Fronten quasi stationär über Deutschland. Im Westen Deutschlands wurden daher an diesem Tag Höchsttemperaturen von kaum mehr als 20°C gemessen, im Osten wieder von weit mehr als 30°C, in Coschen sogar bis 35,1°C. In dieser heißen Luft und der nun doch langsamen Verlagerung des Tiefs JÖRN und seiner Fronten nach Nordosten kam es erneut von Sachsen bis zur Ostsee zur Bildung von Schauern und Gewittern. Diese brachten zwar nicht die Niederschlagsmengen wie die Gewitter des Vortags, dafür aber regional auch schwere Sturmböen mit sich. In Kyritz wurden bis 102 km/h gemessen, am Flughafen Berlin-Schönefeld sogar bis 110 km/h. In der Nacht zogen das Zentrum des Tiefs JÖRN und die Niederschläge nach Nordosten ab.

Um 01 Uhr MEZ des 13.06. befand es sich über der südlichen Ostsee, wo ein wieder leicht gestiegener Druck von ca. 1009 hPa registriert wurde. Die ostwärts weiter gezogene Kaltfront reichte von dort aus über Polen bis nach Süddeutschland. Der Fokus der Gewitter lag in den darauffolgenden Stunden über dem Westen Polens, über Deutschland regnete es nur noch vereinzelt. Am Morgen wurden zwar erneut hohe eintägige Niederschlagssummen gemeldet, die höchste aus Waren mit 38,8 mm, unwetterartige Summen wie tags zuvor waren jedoch ausgeblieben. Das Tief JÖRN zog am Vormittag des 13.06. über den Osten Schwedens hinweg, entlang seiner Kaltfront bildeten sich beim Übergang der Subtropikluft zur Polarluft schon ab den Mittagsstunden wieder zahlreiche Schauer und Gewitter. Über dem Osten Schwedens und dem Süden Finnlands regnete es sonst nur leicht bis mäßig. Besonders nördlich von Warschau bildete sich zum Abend auch eine Gewitterlinie, innerhalb derer örtlich Hagel auftrat. Dort fielen zudem innerhalb kürzester Zeit mehr als 30 mm Niederschlag. Aber auch weiter nördlich über Lettland und Estland traten schwere Gewitter auf. 

Bis zum Morgen des 14.06. war das Tief JÖRN bis vor die Südwestspitze Finnlands gezogen, wobei der Druck auf knapp 1014 hPa weiter angestiegen war. Die Kaltfront hatte sich bis über das Baltikum verlagert, die Warmfront reichte bis in den Westen von Russland. In der zweiten Nachthälfte ließen die Niederschläge etwas nach und verlagerten sich weiter ostwärts. 24-stündig hatte es am meisten im Bereich der Gewitterlinie nördlich von Warschau sowie in Estland geregnet. Im polnischen Mikołajki waren 76,5 mm Niederschlag gefallen, im estnischen Türi 75,0 mm. Das Tief JÖRN zog mit seinem Frontensystem in den darauffolgenden Stunden über den Süden Finnlands hinweg in den Westen Russlands, weshalb die Gewitter an der Kaltfront sich an diesem Tag weiter östlich über dem Westen Russlands, Weißrussland und der Ukraine entwickelten. Nachmittags hatte sich auch hier die subtropische Luft nochmal voll entfalten können, in der weißrussischen Hauptstadt Minsk wurde ein Höchstwert von 33,7°C gemessen. Im russischen Gagarin westlich von Moskau wurde mit Durchzug der Gewitter innerhalb kurzer Zeit auch eine Niederschlagssumme von 30,0 mm gemessen. Das Tief JÖRN schwächte sich in die folgenden Stunden deutlich ab und zog nur noch sehr langsam nordostwärts voran, sodass sein Zentrum mit einem Luftdruck von schon knapp 1015 hPa zu Tagesanbruch des 15.06. nördlich von Helsinki lokalisiert wurde. Die Fronten reichten noch ins westliche Russland hinein, waren aber nur noch wenig wetteraktiv. Lediglich im Umfeld des Tiefdruckkerns regnete es noch stärker. Dort waren bis zum Morgen wie beispielsweise in der finnischen Stadt Viitasaari über Nacht in 12 Stunden 22,0 mm Niederschlag gefallen, durch die Gewitter des Vorabends über dem westlichen Russland meistens zwischen 20 bis 30 mm. Am Vormittag des 15.06. zog das Tief JÖRN noch etwas weiter nach Osten Richtung finnisch-russische Grenze und löste sich dabei infolge absinkender Luftbewegung im Gebiet des Hochs SIBYLLE endgültig auf.

Das Tiefdruckgebiet JÖRN hatte 6 Tage lang das Wetter in Mittel-, Nord- und Osteuropa mitbestimmt. Nach seiner Bildung war es als schweres Gewittertief zunächst langsam nach Norden gezogen und hatte infolgedessen für sehr hohe Regenmengen besonders über dem Osten Deutschlands gesorgt, war anschließend nach Skandinavien weitergezogen und hatte dabei mit dem Voranschreiten der Kaltfront auch Gewitter über Osteuropa gebildet.